Wer zum Teufel hat eigentlich damals diesen dämlichen Ausdruck „Sommermärchen“ aufgebracht, der seither jedes Jahr bei jeder Gelegenheit nachgeplappert wird? Was soll das überhaupt sein, ein „Sommermärchen“? So etwas wie ein „Sommerhit“, aber als Massenspektakel? Wahrscheinlich fing das 2006 an, als irgendwer den Titel Heines Versepos „Deutschland, ein Wintermärchen“ abwandelte, als sich nämlich „Deutschland“, will sagen: die lautesten Teile Bevölkerung der BRD, während und nach der Fußball-Weltmeisterschaft plötzlich in der Illusion wog, man sei im Ausland doch nicht so unbeliebt, wie man insgeheim immer angenommen hatte, und der massenhafte Verkauf von schwarz-rot-goldenem Fan-Artikeln sei rührend Ausdruck einer nationalen Gemeinschaftlichkeit.
Tatsächlich wird Kleindeutschland im Ausland immer überschätzt. Die Deutschen gelten als ebenso humorlos wie effizient, ordentlich und gründlich. Wer je mit wachen Sinnen in der BRD war, weiß, dass beides Qutasch ist. Es gibt dort ausgezeichnete Satiriker und eine marode Infrakstruktur, eine alles blockierende Bürokratie und eine politische Elite, die nur mit sich selbst und ihrem Fortkommen befasst ist, während sie nicht im Traum daran denkt, reale Probleme realistischen Lösungen zuzuführen. Wie wenig in deutschen Landen tatsächlich gut funktioniert, konnten die Besucher bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2024 ja detailreich beobachten (solange sie nüchtern waren).
Das ist wohl auch der Grund, warum man sich nach irgenwelchen „Sommermärchen“ sehnt: Für ein paar Tage oder Wochen stundenweise fernab der Realität in völlig bedeutungslosen Gefühlen schwelgen, einem „Wir“ huldigen, das völlig substanzlos ist, und Leistungen hemmungslos bewundern oder betrauern, die nichts, aber schon gar nichts mit dem eigenen Leben oder der Fülle anstehender gesellschaftlicher Probleme zu tun haben.
Und die Herrschenden sind durchaus bemüht, solche konsumbefördernden Spektakel zu bieten. Mal Fußball, mal Olympia, mal Konzerte von Adele und Taylor Swift ― ha, hoppla, bei letzteren hat irgendwo irgendwer dazwischengefunkt. Aber so eine Konzertabsage mit anschließender Fan-Hysterie im öffentlichen Raum, das ist doch auch ein hübsches Spektake, fast schon ein kleines „Sommermärchen“ (halt nur eines für Mädchen; beiderlei Geschlechts).
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