Sonntag, 31. Mai 2020

Minneapolis, etc.

Ich bin fasziniert von der völlig sinnlosen, rein destruktiven Gewalt, die bei einem vergleichsweise kleinen Anlass (ein Systembüttel tötet jemanden) hervorgebrochen ist. Ich sehe die USA nicht ungern brennen. Ich meine auch, die Wut gut verstehen zu können. Die nackte, sich nackt machende Wut auf das systematische Unrecht. (Die Lust am Plündern kann ich weniger nachvollziehen, weil ich freiwillig arm bin; aber was soll's, derlei ist Dreingabe.) Andererseits, was soll es bringen, wenn es denn etwas bringen soll? Irgendwann ist der pyromanische Karneval vorüber und irgendjemand wird aufkehren müssen.
Sie übten Gewalt aus, plärrt eine junge Frau in Mikrofon und Kamera (vermutlich eine „Schwarze“, ich weiß das nie so genau), weil sie nicht anderes gelernt hätten. Will sie damit sagen, sie verhalte sich erziehungskonform?
Einer Millionärin (vermutlich amtlich „schwarz“) bricht das Herz wegen des anhaltenden Rassismus. Ach, konnte denn ihr Millionärsgatte gar nichts Aufhaltendes dagegen tun, als er acht Jahre Präsident war?
155 Jahre ist der Bürgerkrieg nun schon her, der nicht um Sklaverei geführt worden war, aber deren allgemeine Abschaffung zur Folge hatte. Man sieht, was seither den „Schwarzen“ ihre Kirchenlieder, ihre Märsche, ihre communities, ihre neighboorhoods, ihrer Prediger, ihrer Panther, ihre Aufstände und nicht zuletzt auch ihr Wahlrecht gebracht haben. Sie sind immer noch „schwarz“. Und erwarten von den „Weißen“, dass die sich ändern und mit dem Rassismus aufhören.
Rassismus ist kein subjektives Fehlverhalten, keine falsche Einstellung, sondern ist ― daher ja auch die verzweifelte Wut ― Teil eines gut funktionierenden Systems. Segregation gehört, so oder so, zum Kapitalismus. Ein kapitalistischer Staat, der nicht klassifiziert, ist undenkbar, und wenn er Gelegenheit zum Rassifizieren hat, umso besser für ihn.
Nicht das Symptom bekämpfen, sondern die Ursache! Das Problem ist nicht der Rassismus der Polizei, sondern die Polizei. Das Problem ist nicht die Gewalt, sondern der Staat, der sie ausüben lässt.

Montag, 18. Mai 2020

Nachtrag zu „Ist der Mensch gut?“

A. Verstehe ich das richtig, dass nur jemand Gutes tun kann, der an Gott glaubt?
B. Nein, das ist ein Missverständnis. Gott ist der Ursprung alles Guten, aber das muss der, der Gutes tun will, weder wissen noch bekennen.
A. Der Glaube an Gott ist also nicht Voraussetzung, um Gutes zu tun oder ― wie man sagen würden ― ein guter Mensch zu sein?
B. Bei anderer Gelegenheit könnten wir einmal darüber sprechen, ob es überhaupt möglich ist, nicht an Gott zu glauben und was das heißt. Derweil gebe ich zwei Stellen aus dem Evangelium nach Matthäus zu bedenken: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (7,21) Und 25,31-46, wo es heißt: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! (…) Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Aber auch: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! (…) Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben.“ Ich schließe daraus: Gott schaut nicht darauf, was jemand zu glauben behauptet, sondern darauf, was er tut.
A. Nicht Glaube, sondern gute Werke.
B. Praktizierter Glaube statt bloßen Bekennens eines Fürwahrhaltens ohne praktische Folgen.
A. Aber wie soll, wer nicht glaubt, Glauben praktizieren?
B. Wer Gottes Willen tut, der vollzieht, was es in der Praxis heißt (oder vielmehr heißen sollte) zu glauben, egal, ob er nun weiß, dass es Gottes Wille ist, den er tut, oder nicht.
A. Was unterscheidet dann den Gläubigen vom Nichtgläubigen oder, anders gefragt, wozu ist Glaube dann gut?
B. Wozu ist Wahrheit gut?
A. Ich verstehe nicht ganz …
B. Der Glaube ist die Antwort des Menschen auf die Offenbarung Gottes, wie sie von anderen Menschen bezeugt wird. Wer glaubt, hält die Wahrheit für wahr. (Man kann auch Falsches für wahr halten, das ist dann Irrglaube.) Die Wahrheit aber hat keinen Zweck, Gott hat keinen Zweck, der Glaube an ihn hat keinen Zweck. Der Sinn der Wahrheit ist die Wahrheit. Der Sinn Gottes ist Gott. Der Sinn des Glaubens ist es, sich mit dem endlich und bedingten Dasein bejahend auf das unendliche und unbedingte Dasein Gottes zu beziehen; mit anderen Worten: Gott zu lieben.
A. Wer aber Gott nicht liebt …
B. Ist es möglich, Gott zu begegnen ― und sei es „nur“ durch das Zeugnis anderer ―, ohne ihn zu lieben? Mir scheint, wer auch nur andeutungsweise versteht, mit wem er es zu tun hat, wenn er es mit Gott zu tun hat, kann nicht anders, als ihn zu lieben.
A. Wer aber nicht mit Gott zu tun hat …
B. Mit dem hat trotzdem Gott zu tun. Aber wie gesagt, über die Unmöglichkeit, nicht zu glauben, wollen wir ein anderes Mal sprechen. Jetzt nur so viel: Wer Gutes tut, bezeugt, dass es Gutes gibt. Da Gott der Ursprung alles Guten ist, bezeugt, wer Gutes tut, das Dasein Gottes. Der explizite Glaube mag eine Motivation sein, Gutes zu tun; wer aus anderen guten Gründen Gutes tut, bei dem könnte man also von implizitem Glauben sprechen.
A. Das Gute und der Glaube gehören also immer zusammen?
B. Gott ist gut. Er ist vollkommen gut. Nichts und niemand ist besser. Der Glaube an Gott ist somit Glaube an das Gute schlechthin. Das Gute und nur das Gute zu wollen und Gott zu wollen, ist in gewisser Weise dasselbe. Wer Gott liebt, also sein Dasein bejaht, will Gottes Willen tun; wer Gottes Willen tut, nämlich Gutes tut, bejaht somit, auch ohne es zu wissen, Gottes Dasein. Aber selbstverständlich ist es besser, um Gott zu wissen, als nicht um ihn zu wissen.

Samstag, 16. Mai 2020

Ist der Mensch gut?

A. Ist der Mensch gut oder schlecht?
B. Falsche Frage. „Den Menschen“ gibt es nicht.
A. Meinetwegen. Sind die Menschen gut oder schlecht?
B. Was soll das heißen „gut sein“? Gott allein ist gut. (Lk 18,19). Menschen tun Gutes oder Böses. Sie sind weder gut noch böse.
A. Aber man sagt doch: Der hier ist ein guter Mensch, der dort ein schlechter.
B. Wenn man damit meint: Der hier tut Gutes, also ist er gut, der dort tut Böses, also ist er schlecht, dann mag das als façon de parler durchgehen. Wenn aber gemeint ist: Der hier ist gut, darum tut er Gutes, der hier ist schlecht, darum tut er Böses, dann klingt mir das zu sehr nach Prädestination.
A. Vorherbestimmung zum Guten oder Bösen, zu Himmel oder Hölle.
B. Ja. Das ist zum Beispiel im US-amerikanischen Denken fest verankert. „Unsere Tochter ist ein guter Mensch“, sagten die Eltern der Foltererin von Abu Ghraib, Lynndie England, „die macht solche Sachen nicht.“ Die Vorstellung, Menschen seien gut oder böse und handelten entsprechend, ist unsinnig und die Voraussetzung von üblen soziobiologischen Phantasien (als säkularisierte Prädestinationslehren): Anhand der Gene den Charakter eines Menschen festzustellen und seine Handlungen vorhersagen zu können. Einmal Dieb, immer Dieb, einmal erfolgreicher Geschäftsmann, immer erfolgreicher Geschäftsmann.
A. Aber ich wollte ja eigentlich darauf hinaus, ob die Menschen insgesamt eher gut oder schlecht sind, also meinetwegen eher Gutes tun oder Böses.
B. Das sieht man doch. Man kann es am Zustand der Welt ablesen. Es gibt Ausbeutung, Zerstörung, Verblödung, es gibt Hunger, Krieg und vermeidbare Krankheiten, es gibt Unterdrückung und Untertanengeist.
A. Also sind Menschen tendenziell eher schlecht, weil sie viel Schlechtes tun?
B. Keineswegs. Jeder einzelne und alle zusammen können Gutes tun oder Böses. Es ist ihre Entscheidung. Oft stehen dem Bedingungen entgegen, gesellschaftliche Verhältnisse, die dazu verleiten, Böses zu tun oder zuzulassen. Aber im Grunde seines Herzens kann jeder Mensch sich entscheiden. Er muss sich allerdings frei machen von Vorurteilen und Ängsten, Ressentiments und Haltungen wie Gier, Neid, Trägheit.
A. Und Gene oder psychische Prägungen oder sozioökonomische Zwänge machen die Menschen nicht prinzipiell unfrei? Sie können trotzdem Gutes tun wollen?
B. Jeder kann sich jederzeit für das Gute entscheiden. Gott fordert uns auf, Gutes zu tun und Böses zu lassen. Es wäre absurd, wenn er von uns etwas forderte, was wir gar nicht tun können.
A. Aber wir sündigen trotzdem.
B. Weil wir frei sind, das Gute oder das Böse zu wählen, können wir auch sündigen, ja. Die Menschen sind schwach und neigen zur Sünde. Darum braucht der Mensch Gott. Dass der Mensch Gutes tun und Böses lassen kann und dass er Gutes tut, ist Wirkung von Gottes Gnade.
A. Kann man also sagen: „Der Mensch ist gut, weil Gott ist gut ist“?
B. Wenn das im Sinne des bisher Gesagten gemeint ist, dann meinetwegen. Ich zöge freilich vor: „Der Mensch kann Gutes tun, weil Gott ist gut ist.“
A. Bleibt noch die Frage, was es heißt, Gutes zu tun.
B. Ja.