Kommentare zu Ulrich Würdemanns „Freiheit braucht Engagement“:
„Der Angriff der Terroristen in Paris, die Ermordung von 12 Menschen, (…) galten uns, unserer Freiheit.“ Ich sehe das überhaupt nicht so. „Lassen wir uns nicht verhetzen.“ Sehr richtig. Dazu gehört dann aber auch, aus einem Verbrechen keinen Kulturkrieg zu machen: Wir gegen die, unsere Freiheit gegen deren Terrorismus. Da stimmt doch was nicht. Wieso identifizieren sich Millionen Menschen mit den zwölf Toten von Paris, während die drei Dutzend Toten von Sana’a am selben Tag nur eine Meldung unter ferner liefen sind? Und das, obwohl (wenn man der vorherrschenden Interpretation der Anschläge folgt) beide Verbrechen von Islamisten begangen wurden? Warum wird jetzt so getan, als sei ein albernes, hassverbreitendes (und sogar, wie man mir sagt, homophobes) Satire-Magazin der Hort der Demokratie und Meinungsfreiheit? Was ist das für eine (noch dazu angeblich radikale) „Kritik“, die jetzt praktisch vom französischen Staat bezahlt werden soll? Ich find das sehr seltsame Grenzziehungen und Frontstellungen. Und andererseits werden mir da nicht genug Grenzen gezogen. Was für einen Sinn und Zweck hat es, im Namen von „Pluralität und Vielfalt“ (was ist der Unterschied?) die „Klemmschwester“ und den/die „offen schwule(n) Mann / lesbische Frau“, die „politisch ‘konservativ’, ‘liberal’ oder ‘progressiv’“ Agierende, die „schrille Tunte“ und den „schwule(n) Spießer“ alle in einen Topf zu werfen und zu einem LGBTsternchen-Einheitsbrei zu verkochen? Freiheit braucht Engagement, jaja, völlig richtig, aber doch politisches Engagement, und das kann nicht unterschiedslos progerssiv und konservativ, spießig und nichtspießig usw. sein. Nicht jede Lebensweise ist, bloß weil sie mit Homosexualität zu tun hat, bereits sakrosankt und verteidigenswert. Ein schwuler Neonazi ist für mich vor allem ein Neonazi. Freiheit, die bloß bedeutet, dass jeder in seiner Konsumnische treiben darf, was der Staat ihm gerade erlaubt, während im Übrigen die gesellschaftlichen Verhältnisse unagetastet bleiben, ist keine Freiheit. Bekanntlich haben Reiche und Arme dasselbe Recht, unter Brücken zu schlafen … Mit anderen Worten: Ein abstraktes Reden über Rechte und
Freiheiten, das die Machtverhältnisse, die durch Lebensentwürfe gestützt oder untergraben werden, außer Acht lässt, ist unpolitisch und nützt nur dem Bestehenden.
Freiheiten, das die Machtverhältnisse, die durch Lebensentwürfe gestützt oder untergraben werden, außer Acht lässt, ist unpolitisch und nützt nur dem Bestehenden.
U.W. antwortete, es gehe ihm nicht um einen Kulturkrieg, aber darum, darauf zu
verweisen, dass Dogmatismus immer der Freiheit entgegenlaufe. Es gehe ihm gerade nicht um einen 'Einheitsbrei', sondern darum, dass nur
in Freiräumen, in freiheitlich
verfassten Gesellschaften, verschiedene, auch vom Mainstream
abweichende Lebensentwürfe konzipiert und gelebt werden könnten. Sein
Appell in Sachen Engagement sei zunächst einmal ein Versuch, denen, die
ruhig im Sessel sitzen und denken was geht mich das an, zu sagen: „Bekomm
den Arsch hoch“. Dass da weitere Debatten, auch über soziale und politische Verhältnisse, über macht sinnvoll seien, sei unbestritten.
So gesehen stimmen wir (einmal mehr) überein, Ulli. Mich irritiert nur der Anlass. Warum der Anschlag von Paris und nicht der von Sana’a? Warum die Gleichsetzung eines Verbrechens mit einem Anschlag auf Freiheitsrechte? Ein Banküberfall stellt ja auch nicht das Währungssystem in Frage. Eher im Gegenteil: Der Räuber will das Geld doch gerade, um damit zu bezahlen. Übertragen: Wer einen Terrorakt von seiner Symbolik her versteht, folgt der Logik der Terroristen. Nicht irgendwelche Einzeltäter oder untergründigen Netzwerke bedrohen „mühsam erkämpfte Rechte“, sondern das Problem ist die Staatsmacht, die Rechte nach Gutdünken gewährt oder verweigert. Die Emanzipation gerade auch der LGBTsternchen-Politik vom Staat wäre darum angebracht. Sich jetzt stattdessen mit der herrschenden Macht zu solidarisieren bzw. der von dieser verordneten Solidarität zu willfahren, scheint mir unangebracht. (Premier Valls sprach von der „Mission“ von „Charlie Hebdo“; bei aller Liebe zur französischen Kultur: auf die „mission civilisatrice“ pfeif ich …)
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