Vermutlich kann nichts einen Schwulen so sehr aufregen wie ein anderer
Schwuler, der auf andere Weise „sein Schwulsein“ lebt als er selbst. Der
Blogger „Steven Milverton“ jedenfalls hat sich sehr aufgeregt
über den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn von der CDU, der dem
„Spiegel“ sein, so Spahn selbst, „erstes und letztes Interview“ zum
Thema seiner sexuellen Orientierung gab. Mit nichts, was Spahn dort
sagt, kann er es Milverton recht machen. „Steven Milverton“ ist Spahns Schwulsein
viel zu anständig und sauber, und darum bringt er die Position des
konservativen Politikers in die polemische Schlagzeile: „Spahn will kein
Ferkel sein.“ Schweinerei!
Im Grunde sagt Jens Spahn in dem Interview allerdings auch nichts anderes als das, was schon vor langer Zeit von Klaus Wowereit und anderen zu hören war, dass man nämlich ein schwuler Politiker sei, aber kein Schwulenpolitiker. Spahn erklärt, sein Schwulsein habe nichts damit zu tun, wie er sich als Politiker definiere. Er mache keine schwule Klientelpolitik, sondern wolle als Gesundheitsexperte die Probleme unserer Zeit lösen. Seine Art zu leben und zu lieben solle keine größere Rolle spielt als seine inhaltliche Arbeit.
Ist daran, für sich genommen, etwas auszusetzen? Muss bei einem homosexuellen Politiker seine sexuelle Orientierung mehr Beachtung finden als bei einem heterosexuellen Politiker? Meiner Meinung nach nicht; ich finde es richtig, Politiker nach ihrer Politik zu beurteilen und nicht nach ihre erotischen Vorlieben. Mir ist das zu amerikanisch. Dieses Herumschnüffeln im Schlafzimmer ist mir zuwider. Mich interessiert ja nicht einmal die Frisur oder das Kostüm der jeweiligen Charge (so kritikwürdig derlei abseits des Politischen sein mag), mich interessiert an den Politikmachern nur, was von ihnen geplant und bewirkt wird.
Ich möchte also gar nicht wissen — schrecklicher Gedanke! —, ob die Merkel lieber oben oder unten liegt beim Sex oder ob der Steinbrück gern Rollenspiele macht. Doch selbst wenn mir diese Menschen sympathischer wären, als sie es sind: Ob langweilig oder versaut, das Liebesleben heterosexueller Politiker geht niemanden etwas an außer den Beteiligten. Darf also nicht auch ein schwuler Politiker, egal von welcher Partei, sein Schwulsein als Privatsache betrachten und bloß nach seinem politischen Agieren beurteilt werden wollen? „Steven Milverton“ findet das nicht. Er befindet vielmehr: Spahn habe seine Schwulsein „wegdefiniert“. Um überhaupt in der CDU sein und bleiben zu können, der „Steven Milverton“, dazu komme ich noch, massive Schwulenfeindlichkeit unterstellt, und um für die CDU um Wähler, auch schwule, werben zu können, müsse Spahn einen Unterschied zwischen guten und schlechten Homosexuellen machen, also zwischen solchen wie Spahn mit wegdefiniertem Schwulsein und solchen wie „Steven Milverton“ selbst (mit einem, wie man annehmen darf, wohldefinierten Schwulsein):
„Mit den dreckigen schwulen Männern, die Schwänze lutschen, die tief und innig küssen, die vielleicht auf Pisse stehen und den Duft von Achseln, Füßen und ungewaschenen Schwänzen geil finden, die Analverkehr haben, aktiv wie passiv, und vielleicht sogar darüber reden, mit denen will Spahn nichts zu tun haben. Mit jemandem wie mir würde Spahn nicht einmal gesehen werden wollen — auch nicht im Darkroom. Spahn träumt davon Kanzler zu werden, ich träume von langen, dicken, spritzenden Männerschwänzen. Das eine verträgt sich nicht mit dem anderen.“
Wirklich nicht? Mir scheint es nicht so gewiss, wie anscheinend „Steven Milverton“, dass sich seine Träume und der Traum, den er Spahn unterstellt, ausschließen. Ich könnte mir, auch wenn ich es nicht möchte, ganz gut vorstellen, dass, zumindest in der Phantasie, sexuelle Aktivität jeglicher Art mit Politik jeglicher Art vereinbar ist. Ich weiß ja aber in Wahrheit gar nicht, wovon Jens Spahn träumt. Ich weiß nicht, ob er darkrooms aufsucht und ob man ihn dort mit jemandem sehen kann. Und ich glaube auch nicht, dass das „Steven Milverton“ oder mich etwas angeht.
Jens Spahn ist, wenn ich es richtig verstehe, ein Vertreter des Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen. (Aufschrei von „Steven Milverton“ — aber dazu, wie gesagt, später.) Er sieht nicht ein, warum er als Schwuler sein Sexualleben öffentlich zelebrieren muss, wenn es doch heterosexuelle Politiker auch nicht tun. Und darin gebe ich ihm Recht. Ich kann der Vorstellung nichts abgewinnen, gute Schwule seien nur solche, die dauernd über Achsel- und Fußschweiß, Schwänze und Ärsche, Küsse und Pisse schwadronieren, während böse Schwule solche sind, die ihre Mitteilungsfreudigkeit den Gegebenheiten anpassen. Ich spreche und schreibe gern über Lüste, aber nicht immer und überall ist das mein vordringlichstes Thema. Zugegeben, zuweilen muss man sich über manches gerade dort äußern, wo es stört. Aber als Schwuler immer nur über Schwules reden zu sollen, ist doch bloß die Forderung nach Erfüllung einer Erwartung. Es mag also sein, dass Spahn kein Ferkel, „Steven Milverton“ hingegen eine, sit venia verbo, Sau sein will. Aber kommt es darauf an, wenn von Politik die Rede ist? Ist Sexualverhalten und das Reden über Intimes das entscheidende Kriterium des Politischen?
Nein, denn worauf auch „Steven Milverton“ mit seiner Attacke auf den CDU-Politiker Spahn ja eigentlich hinaus will, so scheint mir, und damit kommen wir zu einem anderen, wichtigeren Aspekt der Thematik von Anständigkeit und Unanständigkeit, ist das Missverhältnis zwischen Schwulsein des Parteimitgliedes und Parteifunktionärs Spahn einerseits und der Politik der „Schwarzen“ gegenüber Schwulen (und Lesben) andererseits.
Hier fährt Milverton schweres Geschütz auf. Spahn habe beim „erbärmliche[n] Schachern um grundlegende Rechte für schwule und lesbische Menschen“ seine Stimme „konsequent gegen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung“ abgegeben. Ich gestehe, ich staune. Hab ich was verpasst? Grundlegende Rechte? Haben die CDU/CSU/FDP etwa den Paragraphen 175 wieder eingeführt (und auf Frauen ausgedehnt)? Oder hat Schwarzgelb zumindest die von Rotgrün geschaffene Registrierungspartnerschaft wieder abgeschafft? Nun, gemach, gemach, nichts dergleichen ist geschehen. Die „grundlegenden Rechte“, über die im Bundestag abgestimmt wurde, betrafen meines Wissens lediglich Details des Steuerrechts, nämlich das sogenannte Ehegatten-Splitting und die Frage seiner Anwendung auch auf Verpartnerte. Das haben CDU, CSU und FDP abgelehnt. Die existenzielle Dramatik, die Milverton anscheinend in dieser Nebensache sieht, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Sehr wohl aber, wer könnte es leugnen, gibt es in der CDU und der CSU einige Politiker und Politikerinnen, denen die „Homo-Ehe“ ein Dorn im Auge ist. „Steven Milverton“ nennt die Namen Geis, Reiche und Steinbach. Dass diese drei Dunkelschwarzen höchst unerfreuliche Erscheinungen in der politischen Landschaft sind, darüber wird man sich, wenn man nicht ziemlich weit rechts steht, rasch einigen können. Dennoch sollte man bei aller berechtigten Gegnerschaft zu diesen Gestalten vielleicht erst einmal ihre Aussagen genauer ansehen, bevor man sie verwirft. Wenn man freilich, wie „Steven Milverton“, in den Unionsparteien nichts weiter als einen Wahlverein von „alten und neuen Nazis, Katholiken, Ewiggestrigen und dergleichen“ sieht, erübrigt sich das. Der Preis für solche Realitätsverweigerung ist eine Hysterisierung des Diskurses.
Die „Schwulenfeindlichkeit in der CDU/CSU“ äußert sich, „Steven Milverton“ zufolge, darin, dass auf schwule Menschen eingeschlagen wird. „Zunächst soll dieses [E]inschlagen natürlich nur verbal stattfinden, allerdings wissen wir von Reiche, dass das nicht das Endziel der CDU ist. Die von der Partei gewünschte Zukunft, frei von schwulen Menschen, lässt sich nicht allein durch fiese Bemerkungen und handfeste Verleumdungen erreichen. Erika Steinbach springt dieser Tage Reiche & Co bei und macht deutlich, dass schwule Menschen ein Problem für das Überleben des Deutschen Volks seien.“
Ach du liebe Zeit, da hört wohl jemand schon die Deportationszüge rollen und den Baulärm der Kazetts dröhnen! Aber keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, man lasse sich nicht bange machen. Vorläufig droht keine Gefahr. Die Bahn bekommt derzeit nicht einmal genügend ICE auf die Reihe, geschweige denn Viehwaggons für Lesben- und Schwulentransporte; und angesichts der Umweltauflagen gibt’s für Vernichtungslager auch so rasch keine Baugenehmigung.
Um nicht missverstanden zu werden: Ja, es stimmt, die CDU und die CSU propagieren einen Vorrang heterosexueller Lebensweisen vor homosexuellen und tendieren mehrheitlich dazu, die Homo-Ehe und die Homo-Familie gegenüber Hetero-Ehe und die Hetero-Familie abzuwerten und rechtliche Gleichstellungen zu unterlassen. Das mag für manche unangenehm sein, aber für niemanden lebensbedrohlich. Man mag eine solche von der eigenen forschrittlichen Weltsicht abweichende Werthaltung als Schweinerei betrachten, sie stellt aber weder eine unmittelbare Schwulenverfolgung dar, noch muss umgekehrt die Integration homosexueller Lebensweisen in Hetero-Modelle der Verrechtlichung unbedingt als emanzipatorisches Projekt gedeutet werden.
Ohne Zweifel: Wenn die grässliche Erika Steinbach in einem Interview, auf das „Steven Milverton“ verlinkt, sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, weil nur die Familie die Gesellschaft stabilisiert und das Überleben eines Volkes sichert“, dann klingt das widerlich. Das Problem besteht nun allerdings darin, dass die lautstarken Berufshomosexuellen und ihre Kampfgenossen ja genau dasselbe wollen: Ehe und Familie, nur halt nicht bloß als Papa-Mama-Kind, sondern auch als Papa-Papa-Kind und Mama-Mama-Kind. Und nicht aus Gründen des Überlebens irgendeines Volkes, sondern weil sie sich damit bürgerliche Anständigkeit und konsumistische Wunscherfüllung versprechen: Normalität und heile Welt. Dass die Homo-Ehe samt Zubehör (Steuervorteile, mietrechtliche Begünstigung, Adoptionsrecht usw. usf.) die von Steinbach gewünschte Stabilisierung der Gesellschaft befördert und die herrschenden Verhältnisse gerade nicht in Frage stellt, daran zweifle ich jedenfalls nicht im geringsten.
In wessen Interesse derlei ist, kann sich jeder selbst ausrechnen. Außerdem ist es noch sehr die Frage, ob die Heteronormativierung der Schwulen (und Lesben) durch staatlich regulierte Institutionalisierung überhaupt deren Wünschen entspricht. Und so hat Frau Steinbach, auch wenn man über Zahlen streiten könnte, wohl nicht völlig Unrecht, wenn sie sagt: „Nur ein kleiner Teil, nämlich ein Prozent aller Homosexuellen, lebt in einer eingetragenen Partnerschaft. Das heißt: 99 Prozent wollen das offenkundig nicht.“ Dass sie ausnahmsweise mal ein richtiges Argument vorbringt, macht Erika Steinbach nicht weniger unerträglich, aber dass es von ihr angeführt wird, macht das Argument auch nicht falsch.
Zu Katherina Reiche gibt „Steven Milverton“ keinen Link an, täte ich auch nicht, denn eine ihrer bekanntesten Aussagen wurde bekanntlich in einem ausgewiesenen Drecksblatt veröffentlicht: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ Auch hier wieder: Die konservative Politikerin konstruiert einen Gegensatz, der nicht besteht. Die Befürworter und Befürworterinnen der rechtlichen Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensgemeinschaften wollen ja gerade „Familie“ um jeden Preis. Und sie wollen auch Kinder. Sei es adoptierte oder mehr oder minder selbstgemachte. Will man also Frau Reiche widersprechen, darf man nicht auf die angebliche Gegensätzlichkeit von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und Familien hereinfallen. Man müsste vielmehr das Ideal, die Norm des Paares und der Kleinfamilie in Frage stellen.
Aber auch „Steven Milverton“ tut das, zumindest an dieser Stelle nicht. Er ist so fasziniert vom Ausschluss der Homos aus dem Hetero-Idyll, dass er aus diesem Ausschluss einen Vernichtungswillen extrapoliert, statt das Idyll zu kritisieren. Ich finde das ein merkwürdiges Argument: Wenn die Heteros uns, die Homos, nicht so sein lassen wollen, wie sie, die Heteros, sind, dann wollen sie die Homos auslöschen. Als ob die letzte Bestimmung der Schwulen (und Lesben) darin läge, eines Tages endlich so zu werden, wie die Nichtschwulen (und Nichtlesben) jetzt schon sind.
Nun ist freilich Logik ohnehin nicht jedermanns Sache. So etwa meint bekanntlich Norbert „Ich würde niemals einen homosexuellen Menschen verunglimpfen!“ Geis, man müsse zwar sagen dürfen, dass Homosexualität eine Perversion ist — weil „der Sexualität eine natürliche Funktion innewohnt, die Homosexualität nicht erfüllen kann“ —, will damit aber nicht gesagt haben, was man ihm bloß unterstellt habe, dass nämlich Homosexuelle pervers seien. Zieh den Schwulen den Pelz ab, aber mach sie nicht nackt … Dass nun selbst ein Hardcore-Heterokrat wie Geis öffentlich eine solch absurde Unterscheidung wie die zwischen perverser Homosexualität und nichtperversen Homosexuellen machen muss, zeigt, dass Schwulenfeindlichkeit, anders als „Steven Milverton“ es suggeriert, von den Schwarzen keineswegs zur offiziellen Politik erhoben wurde. Und wohl auch nicht mehr werden wird.
Geis, Reiche, Steinbach sind nicht repräsentativer für ihre Partei und deren Wähler als Merkel, Schröder oder Spahn. Die Verschiedenheit der Positionen, auch die der verschiedenen Parteien, verweist zudem lediglich auf den gesamtgesellschaftlichen Widerspruch. Eine mehrheitlich heterosexuell geprägte Bevölkerung sucht nach einem Umgang mit einer von ihr hinsichtlich der sexuellen Orientierung abweichenden Minderheit, für deren Verfolgung sie keine glaubwürdigen Argumente mehr vorzubringen weiß, gegen deren bis zum völligen Verschwinden jeder Differenz gehende Gleichheit jedoch spricht, dass Heterosexualität, individuell wie strukturell, eben auf der Unterdrückung vom Homosexualität beruht. Zumindest, wenn — wovon ich überzeugt bin — nicht die Biologisten, die sich auf Gene und Hormone berufen, Recht haben, sondern jene Psychologen, die sagen, jeder Mensch beginne als polymorph-perverses Wesen, weshalb sich die Frage stellt: Wieso zum Teufel sind so schrecklich viele Menschen exklusiv heterosexuell? (Die biologistische Phantasie halte ich, beiläufig sei’s vermerkt, nicht für eine Erklärung, sondern für eine selbst erklärungsbedürftige Folge der Heteronormativität.)
Die mehrheitlich heterosexuelle Bevölkerung jedenfalls verwickelt sich im Umgang mit der homosexuellen Minderheit für gewöhnlich in Widersprüche. Umfragen zufolge ist beispielsweise zwar einerseits eine Mehrheit für die Öffnung der Ehe, aber andererseits gegen ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Man ist zwar einerseits in höchstem Maße gegen Benachteiligung von Lesben oder Schwulen am Arbeitsplatz, aber anderseits wünscht eine gewaltige Mehrheit auf keinen Fall, dass das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre.
Die Schwarzseher des Politspektrums sind in noch weiteren Widersprüchen gefangen. Man will Ehe und Familie „schützen“, das heißt: als eine Norm bewahren, der die Lebenswirklichkeit vieler, aber längst nicht mehr aller entspricht. Man unternimmt nichts, um Schwule oder Lesben zu verfolgen, auch nicht, wenn sie zusammenleben (auch ohne Trauschein kommt sowas vor!) und sogar Kinder großziehen. Aber man will die Abweichungen vom Papa-Mama-Kind-Idyll, obwohl sie nichts anderes sind als Familie und nochmals Familie, und obwohl sie auf ihre Weise das Kinderkriegen und Kindererziehen verwirklichen, von dem angeblich alles abhängt, man will also mit homosexuellen Lebensweisen vereinbare Familienformen ohne guten Grund nicht (oder zumindest vorläufig nicht) in eine dadurch realitätstüchtigere erweiterte Form des Idylls einbeziehen.
Ich halte das für ideologische Scheuklappen, die freilich durchaus dem verkorksten Selbstbild vieler in einer von nichtehelichem Sex, Ehebruch, Scheidung, körperlicher, seelischer und geistiger Gewalt nicht nur gegen Kinder, von Kinder- und Familienarmut im Inland und (durch die wichtige Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaftsordnung) auch im Ausland geprägten Gesellschaft der Heuchler und Selbstgerechten entsprechen. Das ist eine einzige große Sauerei. Ich halte es aber nicht für Schwulenverfolgung.
Zugespitzt könnte man sogar sagen: Nicht CDU und CSU, die an gewissen Diskriminierungen festhalten wollen, drohen die Homosexuellen zum Verschwinden zu bringen, sondern die, die ihn ihrem Gleichstellungswahn Homosexualität zu einer Art Para-Heterosexualität ummodeln möchten. Wer trotzdem nicht heiraten und Kinder haben möchte, und viele Schwule und Lesben wollen das tatsächlich nicht, wird nicht von der CDU diskriminiert, sondern von den selbsternannten Homo-Vertretern, die längst jedes andere schwulenpolitische Thema als die Heiraterei verdrängt und unterdrückt haben.
Zurück zu Jens Spahn. „Steven Milverton“ sieht ihn als „tragische Figur“, weil für ihn, „Steven Milverton“, Schwulsein und Schwarzsein nicht zusammenpassen, es sei denn um den Preis einer Verkürzung, ja Beschneidung des Schwulseins selbst. Ich sage: Schön wär’s, wenn’s so wäre. In Wahrheit unterscheidet sich das, was die CDU als Ideal propagiert, also Monogamie und Kleinfamilie, nicht von den Forderungen derjenigen Schwulen und Lesben, die von „grundlegenden Rechten“ reden und Steuervorteile meinen (darunter auch der Blogger „Steven Milverton“). Spahn verkörpert die Widersprüche, die auch sonst in der Gesellschaft bestehen, mehr nicht. Tragisch wäre es, wenn einem an ihm nur zu kritisieren einfiele, dass er nicht ferkelhaft genug ist und sich nicht fürs Ehegatten-Splitting bei Verpartnerten einsetzt. Mich stören an den Schwarzen (und Gelben und Roten und Grünen und ...) andere Schweinereien weit mehr.
Was mich betrifft, ich bin gegen Parteien wie die CDU, weil sie für Kapitalismus sind, also für eine ungerechte Gesellschaft. Und wenn, viel fehlt ja nicht daran, die Unionspolitiker und Unionspolitikerinnen eines Tages ihre Liebe zu den Schwulen entdeckten und täten, was sich „Steven Milverton“ anscheinend von ihnen wünscht, nämlich einzutreten für die diskriminierungsfreie Integration auch der Nichtheterosexuellen in die ansonsten unverändert weiterbestehenden herrschenden Verhältnisse? Auch dann wäre ich immer noch dagegen.
Im Grunde sagt Jens Spahn in dem Interview allerdings auch nichts anderes als das, was schon vor langer Zeit von Klaus Wowereit und anderen zu hören war, dass man nämlich ein schwuler Politiker sei, aber kein Schwulenpolitiker. Spahn erklärt, sein Schwulsein habe nichts damit zu tun, wie er sich als Politiker definiere. Er mache keine schwule Klientelpolitik, sondern wolle als Gesundheitsexperte die Probleme unserer Zeit lösen. Seine Art zu leben und zu lieben solle keine größere Rolle spielt als seine inhaltliche Arbeit.
Ist daran, für sich genommen, etwas auszusetzen? Muss bei einem homosexuellen Politiker seine sexuelle Orientierung mehr Beachtung finden als bei einem heterosexuellen Politiker? Meiner Meinung nach nicht; ich finde es richtig, Politiker nach ihrer Politik zu beurteilen und nicht nach ihre erotischen Vorlieben. Mir ist das zu amerikanisch. Dieses Herumschnüffeln im Schlafzimmer ist mir zuwider. Mich interessiert ja nicht einmal die Frisur oder das Kostüm der jeweiligen Charge (so kritikwürdig derlei abseits des Politischen sein mag), mich interessiert an den Politikmachern nur, was von ihnen geplant und bewirkt wird.
Ich möchte also gar nicht wissen — schrecklicher Gedanke! —, ob die Merkel lieber oben oder unten liegt beim Sex oder ob der Steinbrück gern Rollenspiele macht. Doch selbst wenn mir diese Menschen sympathischer wären, als sie es sind: Ob langweilig oder versaut, das Liebesleben heterosexueller Politiker geht niemanden etwas an außer den Beteiligten. Darf also nicht auch ein schwuler Politiker, egal von welcher Partei, sein Schwulsein als Privatsache betrachten und bloß nach seinem politischen Agieren beurteilt werden wollen? „Steven Milverton“ findet das nicht. Er befindet vielmehr: Spahn habe seine Schwulsein „wegdefiniert“. Um überhaupt in der CDU sein und bleiben zu können, der „Steven Milverton“, dazu komme ich noch, massive Schwulenfeindlichkeit unterstellt, und um für die CDU um Wähler, auch schwule, werben zu können, müsse Spahn einen Unterschied zwischen guten und schlechten Homosexuellen machen, also zwischen solchen wie Spahn mit wegdefiniertem Schwulsein und solchen wie „Steven Milverton“ selbst (mit einem, wie man annehmen darf, wohldefinierten Schwulsein):
„Mit den dreckigen schwulen Männern, die Schwänze lutschen, die tief und innig küssen, die vielleicht auf Pisse stehen und den Duft von Achseln, Füßen und ungewaschenen Schwänzen geil finden, die Analverkehr haben, aktiv wie passiv, und vielleicht sogar darüber reden, mit denen will Spahn nichts zu tun haben. Mit jemandem wie mir würde Spahn nicht einmal gesehen werden wollen — auch nicht im Darkroom. Spahn träumt davon Kanzler zu werden, ich träume von langen, dicken, spritzenden Männerschwänzen. Das eine verträgt sich nicht mit dem anderen.“
Wirklich nicht? Mir scheint es nicht so gewiss, wie anscheinend „Steven Milverton“, dass sich seine Träume und der Traum, den er Spahn unterstellt, ausschließen. Ich könnte mir, auch wenn ich es nicht möchte, ganz gut vorstellen, dass, zumindest in der Phantasie, sexuelle Aktivität jeglicher Art mit Politik jeglicher Art vereinbar ist. Ich weiß ja aber in Wahrheit gar nicht, wovon Jens Spahn träumt. Ich weiß nicht, ob er darkrooms aufsucht und ob man ihn dort mit jemandem sehen kann. Und ich glaube auch nicht, dass das „Steven Milverton“ oder mich etwas angeht.
Jens Spahn ist, wenn ich es richtig verstehe, ein Vertreter des Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen. (Aufschrei von „Steven Milverton“ — aber dazu, wie gesagt, später.) Er sieht nicht ein, warum er als Schwuler sein Sexualleben öffentlich zelebrieren muss, wenn es doch heterosexuelle Politiker auch nicht tun. Und darin gebe ich ihm Recht. Ich kann der Vorstellung nichts abgewinnen, gute Schwule seien nur solche, die dauernd über Achsel- und Fußschweiß, Schwänze und Ärsche, Küsse und Pisse schwadronieren, während böse Schwule solche sind, die ihre Mitteilungsfreudigkeit den Gegebenheiten anpassen. Ich spreche und schreibe gern über Lüste, aber nicht immer und überall ist das mein vordringlichstes Thema. Zugegeben, zuweilen muss man sich über manches gerade dort äußern, wo es stört. Aber als Schwuler immer nur über Schwules reden zu sollen, ist doch bloß die Forderung nach Erfüllung einer Erwartung. Es mag also sein, dass Spahn kein Ferkel, „Steven Milverton“ hingegen eine, sit venia verbo, Sau sein will. Aber kommt es darauf an, wenn von Politik die Rede ist? Ist Sexualverhalten und das Reden über Intimes das entscheidende Kriterium des Politischen?
Nein, denn worauf auch „Steven Milverton“ mit seiner Attacke auf den CDU-Politiker Spahn ja eigentlich hinaus will, so scheint mir, und damit kommen wir zu einem anderen, wichtigeren Aspekt der Thematik von Anständigkeit und Unanständigkeit, ist das Missverhältnis zwischen Schwulsein des Parteimitgliedes und Parteifunktionärs Spahn einerseits und der Politik der „Schwarzen“ gegenüber Schwulen (und Lesben) andererseits.
Hier fährt Milverton schweres Geschütz auf. Spahn habe beim „erbärmliche[n] Schachern um grundlegende Rechte für schwule und lesbische Menschen“ seine Stimme „konsequent gegen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung“ abgegeben. Ich gestehe, ich staune. Hab ich was verpasst? Grundlegende Rechte? Haben die CDU/CSU/FDP etwa den Paragraphen 175 wieder eingeführt (und auf Frauen ausgedehnt)? Oder hat Schwarzgelb zumindest die von Rotgrün geschaffene Registrierungspartnerschaft wieder abgeschafft? Nun, gemach, gemach, nichts dergleichen ist geschehen. Die „grundlegenden Rechte“, über die im Bundestag abgestimmt wurde, betrafen meines Wissens lediglich Details des Steuerrechts, nämlich das sogenannte Ehegatten-Splitting und die Frage seiner Anwendung auch auf Verpartnerte. Das haben CDU, CSU und FDP abgelehnt. Die existenzielle Dramatik, die Milverton anscheinend in dieser Nebensache sieht, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Sehr wohl aber, wer könnte es leugnen, gibt es in der CDU und der CSU einige Politiker und Politikerinnen, denen die „Homo-Ehe“ ein Dorn im Auge ist. „Steven Milverton“ nennt die Namen Geis, Reiche und Steinbach. Dass diese drei Dunkelschwarzen höchst unerfreuliche Erscheinungen in der politischen Landschaft sind, darüber wird man sich, wenn man nicht ziemlich weit rechts steht, rasch einigen können. Dennoch sollte man bei aller berechtigten Gegnerschaft zu diesen Gestalten vielleicht erst einmal ihre Aussagen genauer ansehen, bevor man sie verwirft. Wenn man freilich, wie „Steven Milverton“, in den Unionsparteien nichts weiter als einen Wahlverein von „alten und neuen Nazis, Katholiken, Ewiggestrigen und dergleichen“ sieht, erübrigt sich das. Der Preis für solche Realitätsverweigerung ist eine Hysterisierung des Diskurses.
Die „Schwulenfeindlichkeit in der CDU/CSU“ äußert sich, „Steven Milverton“ zufolge, darin, dass auf schwule Menschen eingeschlagen wird. „Zunächst soll dieses [E]inschlagen natürlich nur verbal stattfinden, allerdings wissen wir von Reiche, dass das nicht das Endziel der CDU ist. Die von der Partei gewünschte Zukunft, frei von schwulen Menschen, lässt sich nicht allein durch fiese Bemerkungen und handfeste Verleumdungen erreichen. Erika Steinbach springt dieser Tage Reiche & Co bei und macht deutlich, dass schwule Menschen ein Problem für das Überleben des Deutschen Volks seien.“
Ach du liebe Zeit, da hört wohl jemand schon die Deportationszüge rollen und den Baulärm der Kazetts dröhnen! Aber keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, man lasse sich nicht bange machen. Vorläufig droht keine Gefahr. Die Bahn bekommt derzeit nicht einmal genügend ICE auf die Reihe, geschweige denn Viehwaggons für Lesben- und Schwulentransporte; und angesichts der Umweltauflagen gibt’s für Vernichtungslager auch so rasch keine Baugenehmigung.
Um nicht missverstanden zu werden: Ja, es stimmt, die CDU und die CSU propagieren einen Vorrang heterosexueller Lebensweisen vor homosexuellen und tendieren mehrheitlich dazu, die Homo-Ehe und die Homo-Familie gegenüber Hetero-Ehe und die Hetero-Familie abzuwerten und rechtliche Gleichstellungen zu unterlassen. Das mag für manche unangenehm sein, aber für niemanden lebensbedrohlich. Man mag eine solche von der eigenen forschrittlichen Weltsicht abweichende Werthaltung als Schweinerei betrachten, sie stellt aber weder eine unmittelbare Schwulenverfolgung dar, noch muss umgekehrt die Integration homosexueller Lebensweisen in Hetero-Modelle der Verrechtlichung unbedingt als emanzipatorisches Projekt gedeutet werden.
Ohne Zweifel: Wenn die grässliche Erika Steinbach in einem Interview, auf das „Steven Milverton“ verlinkt, sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, weil nur die Familie die Gesellschaft stabilisiert und das Überleben eines Volkes sichert“, dann klingt das widerlich. Das Problem besteht nun allerdings darin, dass die lautstarken Berufshomosexuellen und ihre Kampfgenossen ja genau dasselbe wollen: Ehe und Familie, nur halt nicht bloß als Papa-Mama-Kind, sondern auch als Papa-Papa-Kind und Mama-Mama-Kind. Und nicht aus Gründen des Überlebens irgendeines Volkes, sondern weil sie sich damit bürgerliche Anständigkeit und konsumistische Wunscherfüllung versprechen: Normalität und heile Welt. Dass die Homo-Ehe samt Zubehör (Steuervorteile, mietrechtliche Begünstigung, Adoptionsrecht usw. usf.) die von Steinbach gewünschte Stabilisierung der Gesellschaft befördert und die herrschenden Verhältnisse gerade nicht in Frage stellt, daran zweifle ich jedenfalls nicht im geringsten.
In wessen Interesse derlei ist, kann sich jeder selbst ausrechnen. Außerdem ist es noch sehr die Frage, ob die Heteronormativierung der Schwulen (und Lesben) durch staatlich regulierte Institutionalisierung überhaupt deren Wünschen entspricht. Und so hat Frau Steinbach, auch wenn man über Zahlen streiten könnte, wohl nicht völlig Unrecht, wenn sie sagt: „Nur ein kleiner Teil, nämlich ein Prozent aller Homosexuellen, lebt in einer eingetragenen Partnerschaft. Das heißt: 99 Prozent wollen das offenkundig nicht.“ Dass sie ausnahmsweise mal ein richtiges Argument vorbringt, macht Erika Steinbach nicht weniger unerträglich, aber dass es von ihr angeführt wird, macht das Argument auch nicht falsch.
Zu Katherina Reiche gibt „Steven Milverton“ keinen Link an, täte ich auch nicht, denn eine ihrer bekanntesten Aussagen wurde bekanntlich in einem ausgewiesenen Drecksblatt veröffentlicht: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ Auch hier wieder: Die konservative Politikerin konstruiert einen Gegensatz, der nicht besteht. Die Befürworter und Befürworterinnen der rechtlichen Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensgemeinschaften wollen ja gerade „Familie“ um jeden Preis. Und sie wollen auch Kinder. Sei es adoptierte oder mehr oder minder selbstgemachte. Will man also Frau Reiche widersprechen, darf man nicht auf die angebliche Gegensätzlichkeit von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und Familien hereinfallen. Man müsste vielmehr das Ideal, die Norm des Paares und der Kleinfamilie in Frage stellen.
Aber auch „Steven Milverton“ tut das, zumindest an dieser Stelle nicht. Er ist so fasziniert vom Ausschluss der Homos aus dem Hetero-Idyll, dass er aus diesem Ausschluss einen Vernichtungswillen extrapoliert, statt das Idyll zu kritisieren. Ich finde das ein merkwürdiges Argument: Wenn die Heteros uns, die Homos, nicht so sein lassen wollen, wie sie, die Heteros, sind, dann wollen sie die Homos auslöschen. Als ob die letzte Bestimmung der Schwulen (und Lesben) darin läge, eines Tages endlich so zu werden, wie die Nichtschwulen (und Nichtlesben) jetzt schon sind.
Nun ist freilich Logik ohnehin nicht jedermanns Sache. So etwa meint bekanntlich Norbert „Ich würde niemals einen homosexuellen Menschen verunglimpfen!“ Geis, man müsse zwar sagen dürfen, dass Homosexualität eine Perversion ist — weil „der Sexualität eine natürliche Funktion innewohnt, die Homosexualität nicht erfüllen kann“ —, will damit aber nicht gesagt haben, was man ihm bloß unterstellt habe, dass nämlich Homosexuelle pervers seien. Zieh den Schwulen den Pelz ab, aber mach sie nicht nackt … Dass nun selbst ein Hardcore-Heterokrat wie Geis öffentlich eine solch absurde Unterscheidung wie die zwischen perverser Homosexualität und nichtperversen Homosexuellen machen muss, zeigt, dass Schwulenfeindlichkeit, anders als „Steven Milverton“ es suggeriert, von den Schwarzen keineswegs zur offiziellen Politik erhoben wurde. Und wohl auch nicht mehr werden wird.
Geis, Reiche, Steinbach sind nicht repräsentativer für ihre Partei und deren Wähler als Merkel, Schröder oder Spahn. Die Verschiedenheit der Positionen, auch die der verschiedenen Parteien, verweist zudem lediglich auf den gesamtgesellschaftlichen Widerspruch. Eine mehrheitlich heterosexuell geprägte Bevölkerung sucht nach einem Umgang mit einer von ihr hinsichtlich der sexuellen Orientierung abweichenden Minderheit, für deren Verfolgung sie keine glaubwürdigen Argumente mehr vorzubringen weiß, gegen deren bis zum völligen Verschwinden jeder Differenz gehende Gleichheit jedoch spricht, dass Heterosexualität, individuell wie strukturell, eben auf der Unterdrückung vom Homosexualität beruht. Zumindest, wenn — wovon ich überzeugt bin — nicht die Biologisten, die sich auf Gene und Hormone berufen, Recht haben, sondern jene Psychologen, die sagen, jeder Mensch beginne als polymorph-perverses Wesen, weshalb sich die Frage stellt: Wieso zum Teufel sind so schrecklich viele Menschen exklusiv heterosexuell? (Die biologistische Phantasie halte ich, beiläufig sei’s vermerkt, nicht für eine Erklärung, sondern für eine selbst erklärungsbedürftige Folge der Heteronormativität.)
Die mehrheitlich heterosexuelle Bevölkerung jedenfalls verwickelt sich im Umgang mit der homosexuellen Minderheit für gewöhnlich in Widersprüche. Umfragen zufolge ist beispielsweise zwar einerseits eine Mehrheit für die Öffnung der Ehe, aber andererseits gegen ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Man ist zwar einerseits in höchstem Maße gegen Benachteiligung von Lesben oder Schwulen am Arbeitsplatz, aber anderseits wünscht eine gewaltige Mehrheit auf keinen Fall, dass das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre.
Die Schwarzseher des Politspektrums sind in noch weiteren Widersprüchen gefangen. Man will Ehe und Familie „schützen“, das heißt: als eine Norm bewahren, der die Lebenswirklichkeit vieler, aber längst nicht mehr aller entspricht. Man unternimmt nichts, um Schwule oder Lesben zu verfolgen, auch nicht, wenn sie zusammenleben (auch ohne Trauschein kommt sowas vor!) und sogar Kinder großziehen. Aber man will die Abweichungen vom Papa-Mama-Kind-Idyll, obwohl sie nichts anderes sind als Familie und nochmals Familie, und obwohl sie auf ihre Weise das Kinderkriegen und Kindererziehen verwirklichen, von dem angeblich alles abhängt, man will also mit homosexuellen Lebensweisen vereinbare Familienformen ohne guten Grund nicht (oder zumindest vorläufig nicht) in eine dadurch realitätstüchtigere erweiterte Form des Idylls einbeziehen.
Ich halte das für ideologische Scheuklappen, die freilich durchaus dem verkorksten Selbstbild vieler in einer von nichtehelichem Sex, Ehebruch, Scheidung, körperlicher, seelischer und geistiger Gewalt nicht nur gegen Kinder, von Kinder- und Familienarmut im Inland und (durch die wichtige Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaftsordnung) auch im Ausland geprägten Gesellschaft der Heuchler und Selbstgerechten entsprechen. Das ist eine einzige große Sauerei. Ich halte es aber nicht für Schwulenverfolgung.
Zugespitzt könnte man sogar sagen: Nicht CDU und CSU, die an gewissen Diskriminierungen festhalten wollen, drohen die Homosexuellen zum Verschwinden zu bringen, sondern die, die ihn ihrem Gleichstellungswahn Homosexualität zu einer Art Para-Heterosexualität ummodeln möchten. Wer trotzdem nicht heiraten und Kinder haben möchte, und viele Schwule und Lesben wollen das tatsächlich nicht, wird nicht von der CDU diskriminiert, sondern von den selbsternannten Homo-Vertretern, die längst jedes andere schwulenpolitische Thema als die Heiraterei verdrängt und unterdrückt haben.
Zurück zu Jens Spahn. „Steven Milverton“ sieht ihn als „tragische Figur“, weil für ihn, „Steven Milverton“, Schwulsein und Schwarzsein nicht zusammenpassen, es sei denn um den Preis einer Verkürzung, ja Beschneidung des Schwulseins selbst. Ich sage: Schön wär’s, wenn’s so wäre. In Wahrheit unterscheidet sich das, was die CDU als Ideal propagiert, also Monogamie und Kleinfamilie, nicht von den Forderungen derjenigen Schwulen und Lesben, die von „grundlegenden Rechten“ reden und Steuervorteile meinen (darunter auch der Blogger „Steven Milverton“). Spahn verkörpert die Widersprüche, die auch sonst in der Gesellschaft bestehen, mehr nicht. Tragisch wäre es, wenn einem an ihm nur zu kritisieren einfiele, dass er nicht ferkelhaft genug ist und sich nicht fürs Ehegatten-Splitting bei Verpartnerten einsetzt. Mich stören an den Schwarzen (und Gelben und Roten und Grünen und ...) andere Schweinereien weit mehr.
Was mich betrifft, ich bin gegen Parteien wie die CDU, weil sie für Kapitalismus sind, also für eine ungerechte Gesellschaft. Und wenn, viel fehlt ja nicht daran, die Unionspolitiker und Unionspolitikerinnen eines Tages ihre Liebe zu den Schwulen entdeckten und täten, was sich „Steven Milverton“ anscheinend von ihnen wünscht, nämlich einzutreten für die diskriminierungsfreie Integration auch der Nichtheterosexuellen in die ansonsten unverändert weiterbestehenden herrschenden Verhältnisse? Auch dann wäre ich immer noch dagegen.
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