Heimito von Doderer war eine selbstgefällige Drecksau. Das ist es jedenfalls, was man der Darstellung der Person des Schriftstellers durch dessen Biographen Wolfgang Fleischer entnehmen muss, wenn man denn dieser Darstellung Glauben schenkt. Doch leider ist es mit der Glaubwürdigkeit der Biographie nicht weit her. Zwar ist gar nicht zu leugnen, dass Fleischer umfangreiches Material zusammengetragen und ausgewertet hat, in gewissem Sinne kann „Das verleugnete Leben“ — allerdings vor allem faute de mieux — sogar als Standardwerk gelten. Doch was Fleischer an Kenntnissen aufbietet, droht von der Art und Weise seiner Darbietung entwertet oder wenigstens in bedenkliches Licht gesetzt zu werden, denn der Ton macht bekanntlich die Musik, und Fleischers Grundton ist der der Gehässigkeit.
Fleischers Schreibstil ist dabei zähflüssig und unklar, der Satzbau umständlich, oft verdreht, nicht selten von Parenthesen regelrecht zerhackt. Die Austriazismen halten sich zwar im Rahmen des Ortsüblichen, aber außer sehr vielen sinnstörenden falschen Konjunktiven werden erstaunlicherweise auch oft falsche Präpositionen geboten. Ein Lektorat hätte dem Buch also gut bekommen — und falls es wider Erwarten doch eines gab: dann eben ein besseres. (Ein winziges Beispiel: Dass derselbe Ort einmal als „Norrköping“ und dann zwei Zeilen weiter als „Norköping“ erscheint, darf dem Autor eines so umfangreichen Werkes entgehen. Einem Leser, gar einem professionellen, nicht.)
Erst nach 500 Seiten kommt Fleischer ausdrücklich auf sich und seine Rolle als Doderers „Sekretär“ zu sprechen. Und seltsamerweise wird gerade auf diesen letzten 30 Seiten der Tonfall plötzlich weicher und fast versöhnlich. Der junge Fleischer war von Doderer spontan als „secretarius“ adoptiert worden und wurde zum Gehilfen und vor allem Vertrauten Doderers letzter Jahre. Dass er sich dieser Vertrauensstellung auch nach Doderers Tod würdig erwiesen hätte, wird man angesichts der drei Jahrzehnten später erschienenen Biographie nicht mehr sagen können.
Was dem Biographen am Biographierten missfällt, und das ist Vieles, wird in Fleischers Text, wie bereits erwähnt, im Grundton der Gehässigkeit vorgetragen. Die Infamie steckt dabei schon im Titel: Wer hat Fleischer denn eigentlich zum Richter bestellt, ob Doderer sein Leben verleugnet hat oder einfach nur den bei vielen — und wohl allen großen — Schriftstellern zu findenden Wunsch hegte, als Person hinter seinem Werk zurückzutreten, nach diesem und nicht als jene beurteilt zu werden?
Ob Fleischer seine penetranten moralischen Missfallensäußerungen zustehen, ist eine Frage, eine andere, was gewisse Einblicke in Doderers allerprivateste Vorlieben irgendeinen Leser überhaupt angehen. Der Mensch Doderer hat nach wie vor Anrecht auf unverletzte Intimsphäre, die niemanden etwas angeht; über Doderer, die Figur der Literaturgeschichte — und nur mit der hätte man sich öffentlich zu befassen —, erfährt man durchs Waschen von Schmutzwäsche nichts Relevantes. Wen die Privatperson Doderer wann und wo angebunden und ausgepeitscht hat, trägt zum Verständnis Dodererscher Texte überhaupt nichts bei. Das ist Schlüssellochguckerei aus der Domestikenperspektive, kein Beitrag zur Germanistik.
Mit Fleischers Machwerk ist eine große Chance vertan. Ein Doderer einst so Naher hätte, wenn er denn als Mensch und Autor das Zeug dazu gehabt hätte, eigentlich Besseres hervorbringen sollen. Völlig unklar bleibt, was Doderer Fleischer eigentlich angetan haben muss, damit dieser ihn über den Tod hinaus und nach so, langer Zeit so sehr verabscheut. Vielleicht ist ja auch bei der Arbeit am biographischen Material im einst dem Biographierten womöglich allzu nahen Biographen einiges vorgegangen, was er nicht verarbeiten konnte. Doch wenn Fleischer sich außerstande sah, diese Biographie mit der nötigen inneren Distanz und sachlichen Neutralität zu schreiben, hätte er redlicherweise das Vorhaben abbrechen müssen. Das tat er leider nicht. Herausgekommen ist eine enorme Peinlichkeit. Der Biberfleiß der Materialanhäufung entschädigt nicht für den in vielfacher Hinsicht schlechten Stil. Letztlich bleibt nur zu hoffen, dass das eigentliche Standardwerk zu Doderers Leben und Werken erst noch erscheint. „Die“ Biographie zu „dem“ Doderer liegt jedenfalls, anders als Fleischers Untertitel glauben machen möchte, nicht vor.
Recht anschauenswert ist übrigens der von Fleischer ein Jahr früher als die Biographie herausgegebene Bildband, in dem man die Begleittexte ja einfach überlesen kann ...
Fleischers Schreibstil ist dabei zähflüssig und unklar, der Satzbau umständlich, oft verdreht, nicht selten von Parenthesen regelrecht zerhackt. Die Austriazismen halten sich zwar im Rahmen des Ortsüblichen, aber außer sehr vielen sinnstörenden falschen Konjunktiven werden erstaunlicherweise auch oft falsche Präpositionen geboten. Ein Lektorat hätte dem Buch also gut bekommen — und falls es wider Erwarten doch eines gab: dann eben ein besseres. (Ein winziges Beispiel: Dass derselbe Ort einmal als „Norrköping“ und dann zwei Zeilen weiter als „Norköping“ erscheint, darf dem Autor eines so umfangreichen Werkes entgehen. Einem Leser, gar einem professionellen, nicht.)
Erst nach 500 Seiten kommt Fleischer ausdrücklich auf sich und seine Rolle als Doderers „Sekretär“ zu sprechen. Und seltsamerweise wird gerade auf diesen letzten 30 Seiten der Tonfall plötzlich weicher und fast versöhnlich. Der junge Fleischer war von Doderer spontan als „secretarius“ adoptiert worden und wurde zum Gehilfen und vor allem Vertrauten Doderers letzter Jahre. Dass er sich dieser Vertrauensstellung auch nach Doderers Tod würdig erwiesen hätte, wird man angesichts der drei Jahrzehnten später erschienenen Biographie nicht mehr sagen können.
Was dem Biographen am Biographierten missfällt, und das ist Vieles, wird in Fleischers Text, wie bereits erwähnt, im Grundton der Gehässigkeit vorgetragen. Die Infamie steckt dabei schon im Titel: Wer hat Fleischer denn eigentlich zum Richter bestellt, ob Doderer sein Leben verleugnet hat oder einfach nur den bei vielen — und wohl allen großen — Schriftstellern zu findenden Wunsch hegte, als Person hinter seinem Werk zurückzutreten, nach diesem und nicht als jene beurteilt zu werden?
Ob Fleischer seine penetranten moralischen Missfallensäußerungen zustehen, ist eine Frage, eine andere, was gewisse Einblicke in Doderers allerprivateste Vorlieben irgendeinen Leser überhaupt angehen. Der Mensch Doderer hat nach wie vor Anrecht auf unverletzte Intimsphäre, die niemanden etwas angeht; über Doderer, die Figur der Literaturgeschichte — und nur mit der hätte man sich öffentlich zu befassen —, erfährt man durchs Waschen von Schmutzwäsche nichts Relevantes. Wen die Privatperson Doderer wann und wo angebunden und ausgepeitscht hat, trägt zum Verständnis Dodererscher Texte überhaupt nichts bei. Das ist Schlüssellochguckerei aus der Domestikenperspektive, kein Beitrag zur Germanistik.
Mit Fleischers Machwerk ist eine große Chance vertan. Ein Doderer einst so Naher hätte, wenn er denn als Mensch und Autor das Zeug dazu gehabt hätte, eigentlich Besseres hervorbringen sollen. Völlig unklar bleibt, was Doderer Fleischer eigentlich angetan haben muss, damit dieser ihn über den Tod hinaus und nach so, langer Zeit so sehr verabscheut. Vielleicht ist ja auch bei der Arbeit am biographischen Material im einst dem Biographierten womöglich allzu nahen Biographen einiges vorgegangen, was er nicht verarbeiten konnte. Doch wenn Fleischer sich außerstande sah, diese Biographie mit der nötigen inneren Distanz und sachlichen Neutralität zu schreiben, hätte er redlicherweise das Vorhaben abbrechen müssen. Das tat er leider nicht. Herausgekommen ist eine enorme Peinlichkeit. Der Biberfleiß der Materialanhäufung entschädigt nicht für den in vielfacher Hinsicht schlechten Stil. Letztlich bleibt nur zu hoffen, dass das eigentliche Standardwerk zu Doderers Leben und Werken erst noch erscheint. „Die“ Biographie zu „dem“ Doderer liegt jedenfalls, anders als Fleischers Untertitel glauben machen möchte, nicht vor.
Recht anschauenswert ist übrigens der von Fleischer ein Jahr früher als die Biographie herausgegebene Bildband, in dem man die Begleittexte ja einfach überlesen kann ...
Wolfgang Fleischer: Das verleugnete Leben. Die Biographie des Heimito von Doderer, Wien 1996 (Kremayr & Scheriau)
Wolfgang Fleischer: Heimito von Doderer. Das Leben. Das Umfeld des Werks. In Fotos und Dokumentationen, Wien 1995 (Kremayr & Scheriau)
Tja - prüfet alles, das beste behaltet (so Ap. Paulus). Halten wir es so mit Fleischer. Seine Darstellung als missbrauchter "Halbstarker" durch HvD (so eine Bildunterschrift Fleischers -vgl. Cafe Hawelka, glaube ich) macht ja vieles klar.
AntwortenLöschenHvD hat den Sekretarius als solchen behandelt und nicht als einen ungeheuren interessanten jungen Menschen. Das verzeiht man nie! Übrigens -es stammt von O. Wilde- ist jeder Biograf entweder ein Lobhudler oder eine Verräter. Was Fleischer ist? So etwas zwischen drin. Gegen Schluss seiner Biografe wird er ja verzeihender, lässlicher...
Aber jetzt zu meiner eigentlichen Kurz-Kritik: Die Tagebücher sind fast überhaupt nicht ausgewertet. Ich habe in diesen Tagebücher lange vor Fleischer sehr oft gelesen ante Fleischer und einen HvD gefunden - ein stiller, nachdenklicher, mit sich nie zufriedener, ständig arbeitender, religiöser (bei Fleischer total vernachlässigt!) Mensch - mit Überschüssen natürlich! Hier haben wir also die Biogrpahie - und wer HvD wirklich kennen lernen möchte liest die Tagebücher. Fleischer dient für die Realien, die HvD ausgespart hat. Fleischers ständig störende Oberlehrerart sollte man ihm verzeihen. Warum hat HvD ihn auch nicht wenigstens einmal als große literarische Hoffnung exponiert? Dann wäre alles wohl anders ausgefallen.
Sapienti sat!
Kommentar zum Kommentar: Anonymität ist so langweilig ... Und: Ja, stimmt, so wird man es vernünftigerweise halten können, Doderer lesen und Fleischer gebrauchen. Dem Autor F. sei meinetwegen alles verziehen, der ist mir eh egal, dem Text aber verzeihe ich seine Schwächen nicht.
AntwortenLöschenRichtig und wichtig scheint mir der angesprochene Aspekt des Religiösen bei Doderer. Der kommt nicht aber nur bei F. zu kurz.
Eine etwas ausgewogenere Rezension habe ich in Austrian Studies 9 (The Austrian Comic Tradition) (267-8) veroeffentlicht.
AntwortenLöschenMichael Bachem
Portland, Maine (USA)