Montag, 21. April 2014

Glosse V

Das ist mir neu. Das jüdische Pessachfest sowie das katholische, evangelische und orthodoxe Osterfest fallen in diesem Jahr zusammen. Mich überrascht daran erstens, dass ein jüdisches und ein christliches Fest „zusammenfallen“ können — und nicht bloß die Daten, an denen sie begangen werden. Zwar freute es mich, wenn endlich auch von frommen Juden die Auferstehung Jesu Christi gefeiert würde, ich halte es unter den gegebenen Umständen aber doch eher für unwahrscheinlich. Zweitens kommt es für mich etwas überraschend, dass es ein evangelisches Osterfest geben soll. Bisher dachte ich, es komme in westlichen und östlichen Kirchen zu unterschiedlichen Berechnungen des Ostertermins, weil diese den julianischen und jene den gregorianischen Kalender verwenden. Und da die Protestanten spätestens im 18. Jahrhundert die päpstliche Kalenderreform des 16. Jahrhunderts nachvollzogen haben, scheint mir die Rede von einem „evangelisches Osterfest“ (genauer: Osterfesttermin) ungewöhnlich sinnlos.

Mittwoch, 9. April 2014

Glosse IV

Der Ausdruck transatlantische Gesellschaften will mir nicht so recht einleuchten. Gemeint sind wohl die Gesellschaften Europas und Nordamerikas. Müsste es aber nicht, wo es ein Trans gibt, auch ein Cis geben: transalpin, cisalpin, transleithanisch, cisleithanisch usw.? Wo aber und von welcher Seite aus gesehen wäre etwas „cisatlantisch“? Wenn von transatlantischen Beziehungen die Rede ist, dann im Sinne der Beziehungen Europas zu den USA und selten auch umgekehrt. „Transatlantisch“ mag dann so viel heißen wie: den Atlantik überqueerend, übergreifend, seine Anlieger verbindend. Es geht also um Richtungen, nicht um Gegenden. Wollte man von etwas sprechen, was sich um den Atlantik herum befindet, müsste es wohl „periatlantisch“ genannt werden. (Das sagt aber keiner.) Transatlantisch ist freilich noch in anderer Hinsicht unangemessen, denn auch zahlreiche Länder Afrikas und Lateinamerikas haben eine Atlantikküste. Wer aber nennt die Beziehungen, gar die Gesellschaften Brasiliens und Angolas „transatlantisch“? Um damit die westlichen Industriegesellschaften der nördlichen Hemisphäre zu bezeichnen, scheint mir der Ausdruck transatlantische Gesellschaften jedenfalls untauglich, ohne dass ich eine prägnante Alternative anzubieten hätte. (Gesellschaften des globalen Nordwestens? Nordwestliche Gesellschaften? Euramerika?)

Dienstag, 8. April 2014

Glosse III

Wenn einer sagt, etwas werde gewertschätzt, so kann man nur hoffen, dass sich das nicht eines Tages gedurchsetzt haben wird.

Montag, 7. April 2014

Glosse II

Wenn einer von am Reißbrett geplanten Stadtvierteln schreibt, dann möchte man zu gern wissen, wo denn sonst, wenn nicht auf dem Reißbrett Gebäude, Straßen, Plätze, Grünanlagen usw. entworfen werden sollen — wobei man ruhig zugeben kann, dass die Aufgaben des Reißbretts längst der Rechner übernommen hat, was aber an der Redeweise genauso wenig ändern muss, wie die Vorherrschaft der Tastatur die Wendung „mit spitzer Feder“ obsolet macht.

Glosse I

Wenn einer schreibt, dass ein Anspruch Makulatur geblieben sei, dann darf man annehmen, dass er entweder nicht weiß, was der Ausdruck Makulatur bezeichnet – „beim Druck schadhaft gewordene oder fehlerhafte Bogen; Altpapier, das aus wertlos gewordenem bedrucktem Papier (z.B. Zeitungen, alte Akten o.Ä.) besteht; Gemisch aus Kleister und fein zerrissenem Papier, das vor dem Tapezieren auf eine Wand aufgetragen wird“ (Duden) –, oder sich der Bedeutung des Sprachbildes beim Hinschreiben nicht bewusst war. Denn was auch immer Makulatur geworden sein mag (und solche dann meinetwegen auch bleibt), muss erst auf Papier geschrieben oder gedruckt vorliegen: ein Vertrag, ein Gesetzestext oder ein beispielsweise brieflich erhobener Anspruch. Eine bloß mündliche Äußerung und erst recht ein Gedachtes, das nirgendwo geschrieben steht, sondern aus Äußerungen und Handlungen erst erschlossen werden muss, kann nicht zu Makulatur werden und darum auch nicht Makulatur bleiben.