Freitag, 11. Juli 2025

Übrigens (6)

Im Tefau spricht ein Fachmann vom Mittagsschlaf und seinen Vorzügen. Ich höre mit Wohlgefallen zu. Darum also bin ich so klug und ausgeglichen, so, so. Dann aber redet der Kerl was von zehn bis 20 Minuten. Das ist doch kein Mittagsschlaf! Das ist ja mehr wie Hinfallen und mühsam wieder Aufstehen.

Übrigens (5)

Kennen Sie das? Sie sind ein bisschen krank sind und erzählen anderen davon, wie es Ihnen geht und ergangen ist, mit allerhand sehr erhellenden Einzelheiten, und die anderen antworten darauf, indem sie erzählen, wie es ihnen ging. als sie dasselbe hatten, aber mit ganz anderen Einzelheiten, und Sie ärgern sich ein bisschen, weil die Leute offensichtlich nicht einmal richtig krank sein können, mit den richtigen Symptomen und Verläufen, und vor allem wundern Sie sich, wozu einem die Leute das alles erzählen. Kennen Sie das?

Mittwoch, 9. Juli 2025

Notiz vom 31. März 1994

Schon früh ― in meiner Schulzeit, bei Diskussionen mit [meinem besten Freund] ― formulierte ich eine Art „Grundsatz der Macht-Erhaltung“. Damals problematisierte ich den „Abbau“, das „Verschwinden“ von Macht durch Demokratisierung: Irgendwo müsse die Macht ja bleiben …
Auch entdeckte ich folgende Parallele: Uns, den Schülern und Schülerinnen, wurde eingepaukt, die Freiheit des einen ende dort, wo die Freiheit des anderen beginne. Ebenso schien mir aber die Macht des einen von der Macht des anderen begrenzt zu werden. Also lag es für mich nahe, Freiheit und Macht gleichzusetzen …
Später diskutierte ich mit meine Philosophielehrer dar­über, ob Demokratie Herrschaft und damit von Übel sei … Ich war unbelehrbar davon überzeugt. (Und bin es noch).
Nicht nur wegen der in den Lehrplänen vorgesehenen Politischen Bildung (und auch nicht erst wegen meiner politischen Aktivität als Klassen-, Kurs- und Schul­sprecher) war der Lebensraum Schule genau der Ort, an dem ich meine ersten Be­griffe im Denken des Politischen entwarf.
Die Situation, wie ich sie erlebte, war die eines Einzelnen, der nicht bloß „von oben“ (Lehrern, Lehrerinnen, dem Schulsystem überhaupt …) reglementiert, sondern auch „von der Seite“ (also von den Mitschülern und Mitschülerinnen) diszipliniert wer­den soll. Sein zu sollen und handeln (denken, sprechen …) zu sollen wie alle anderen und zugleich mit ihnen ― und sei es nur auf abstraktem Feld ― konkurrie­ren zu sollen. Anpassung, Zugehörigkeit, Isolation, Autorität, Sanktionen; die Ein­samkeit und Schwere des Widerspruchs, der Zwang zum Mitmachen, die Dummheit der Mächtigen …
Ich genoss es zu sehr, eine abweichende Meinung zu vertreten und gegen den Rest der Welt (der Klasse oder des Kurses) argumentativ zu verteidigen, zu sehr nämlich, um Demokrat zu sein. Mehrheiten ― so meine Erfahrung ― waren mächtig und trä­ge und dumm und ängstlich und rückständig und lagen meist falsch. Dazu gehört für mich aber auch die Erfahrung, durch besonderes Geschick (Sprach- und Denkbe­gabung …) aufzufallen und durch eine gewisse Art von Witzigkeit und Unzugäng­lichkeit gerade noch eben ― trotz der Isolation ― recht beliebt zu sein. (Oder auch rundheraus gehasst zu werden.)
 
Diese wiedergefundene Notiz, in der ich als achtundzwanzigjähriger auf mich und meine jugendlichen Überlegungen zum Politischen zurückblickte, überrascht mich durch die Kontinuität der Themen und nicht zuletzt der Haltungen, die ich dazu schon damals einnahm. Die Zuückweisung der liberalistischen Doktrin, wonach die Freiheit des einen durch die Freiheit der anderen begrenzt werde, als einseitig (und ihre Ergänzung durch die wesentliche Einsicht, dass die Freiheit und also Handlungsfähigkeit des einen durch die anderen überhaupt erst ermöglicht werde); die Deutung der Demokratie als Herrschaft (der Mehrheit und der Vertreter); das Zusammenbringen und geradezu Gleichsetzen von Freiheit und Macht (frei ist, er machen kann, was er will); die Entdeckung mittelbarer Herrschaft durch soziale Normen und den sanften oder unsanften Druck des Umfeldes; die persönliche Möglichkeit, sich (zumindest rhetorisch) abzugrenzen und zur Wehr zu setzen und dadurch fast so etwas wie (zumindest intellektuelle) Souveränität zu erarbeiten; all das beschäftigte mich mit schon als Schüler, also vor weit über vierzig Jahren, und es beschäftigt mich heute noch. Wahrscheinlich sollte es mich bedenklich stimmen, dass ich im Laufe der Jahrzehnte zwar manche Formulierungen überarbeitete und neue Begriffe verwendete (und zuweilen wieder aufgab), dass ich aber meine Grundüberzeugungen niemals änderte: Herrschaft ist von Übel; die Masse ist dumm; die Mitmenschen sind ebenso meine Einschränkung wie vor allem meine Ermöglichung; Demokratie ist auch bloß Herrschaft (weshalb man über sie hinaus muss; man sollte versuchen, sich von den Vorurteilen der anderen frei zu machen (und so von den eigenen). Solches Festhalten an einmal Gedachtem mag manchen als Zurückbleiben und als Engstirnigkeit erscheinen. Andererseits ist diese meine (freilich durchaus bewegliche) Beständigkeit vielleicht auch etwas Gutes, denn ich bin geneigt, in ihr, wenn schon nicht einen Hinweis auf die Richtigkeit meiner Ansichten, so doch eine Bestätigung ihrer persönlichen Unvermeidbarkeit zu sehen: So dachte ich schon früher, weil ich es so wollte, und weil ich es immer noch will, denke ich immer noch so. (9. Juli 2025)
 
 
 

Freitag, 4. Juli 2025

Stau ist kein Schicksal

Ich bin ein Gastarbeiterkind. Selbstverständlich fuhren wir jeden Sommer in die „alte Heimat“. Alle paar Jahre mit einem etwas besseren, etwas teureren Auto. Übrigens nie ― wer erinnert sich noch? ― mit einer Waschmaschine oder einem Kühlschrank auf dem Dach. Aber mit rammelvollem Kofferraum. Bei der Hin- und vor allem der Rückfahrt (weil es so viele gute Sachen der Heimat in der Fremde nicht gab). Wir düsten meist gleich zu Ferienbeginn los, zuweilen auch früher (wen interessiert schon so eine Zeugnisverteilung?), und wenn dann der angesammelte Urlaub meines Vaters knapp vor Schulbeginn zu Ende war, ging’s wieder zurück.
Mein Vater machte es bei der Reiseplanung richtig. Erstens fuhr er nie tagsüber, sondern immer nachts. (Nachtarbeit war er beruflich gewohnt.) Und zweitens garantiert nie an den Tagen, an denen allen andere nach Norden oder Süden fuhren. Perfekt.
So ging das zehn Jahre lang, erst reisten auf diese Weise meine Eltern, meine Schwestern und ich, dann nur noch meine Eltern und ich. Im Jahrzehnt darauf besuchte ich meine Eltern (und Freunde) sommers gern, in dem ich für die Hinfahrt die Bahn nahm und zur die Rückfahrt manchmal, wie in alten Zeiten, mit meinen Eltern im Auto mitfuhr. Unzählige Male bin ich also mit Zug und Pekaweh von Niederösterreich nach Niedersachsen, von Niedersachsen nach Niederösterreich gereist.
Warum erzähle ich das? Weil ich immer daran denken muss, wie klug mein Vater in dieser Hinsicht war, wenn ich Jahr für Jahr im Tefau sehe, wie die Leute zu Ferienbeginn in gewaltigen Staus stecken. Absolut bescheuert. Nun gut, nicht jeder mag weite Strecken bei Nacht fahren. Aber warum, wenn schon mit dem Auto gefahren werden muss, gerade an den Tagen, von denen man weiß, dass unzählige andere dann auch unterwegs sein werden? Gewiss, die Deutschen lieben ihre Autobahnen. Aber erklärt das den Wahnsinn? Geht es um eine Art Volksgemeinschaft der Kriecher auf Asfalt und Beton? Gehört das zum Ferienerlebnis einfach dazu?
Ich jedenfalls durfte schon als Kind lernen, wie man entspannt und effizient reist. Aber ich war ja auch ein Gastarbeiterkind.

Mittwoch, 2. Juli 2025

Glosse CXXXVIII

Frauen als Priesterinnen kämen in einem jüngst rekonstruierten babylonischen Hymnus vor, lese ich. Ich sag mal so: Männer als Priesterinnen wären für die Zeit um 1.000 v. Chr. wohl auch etwas übertrieben fortschrittlich gewesen.