Montag, 30. November 2020

Glosse LXXV

Den einzigen Beleg dafür liefert das Tagebuch Hedwig Pringsheims, der Mutter der beiden Zwillinge Katia und Klaus Pringsheim.

Was denn, Mutter beider Zwillinge war sie und nicht bloß des einen? Womöglich gar nur des dritten? Dass es Germanisten (und der Autor obigen Zitates ist sogar ein Germanistikprofessor) in der Regel des Sprachgefühls entbehren, darf als nur allzu bekannt vorausgesetzt werden. Dass ihnen auch die Logik keine Steine in den Weg legt, beweisen sie gern stets aufs Neue.

Sonntag, 22. November 2020

Nachschlag zu „Teuflischer Unsinn“

Einer schreibt mir „Der Glaube an die planvolle, zielgerichtete Veränderung und Umgestaltung der Welt, nach den Wünschen und Vorstellungen des Menschen, ist erschüttert. Die Postmoderne offenbart die Grenzen des menschlichen Denkens und Handelns. Die globalisierte Welt erscheint als ganzheitlicher Zusammenhang, der dem Mythos der menschlichen Veränderungsgewalt mit schleichenden und ungeplanten Nebenfolgen trotzt. (…) Scheißegal, was du machst, ob es zum Guten oder Schlechten gereicht, ist nicht von deinen Absichten und Handlungen, sondern von den unplanbaren Nebenfolgen und Handlungen anderer abhängig. Wir können lediglich die Wahrscheinlichkeit des Eintretens bestimmter Ereignisse etwas beeinflussen. Es kann ganz schön sein, sich mit diesem Wissen nicht allein zu fühlen …“
 
Woher kommt diese Idee der Planbarkeit (des Ganzen)? Ist das nicht typisch neuzeitliche Hybris? Die Vorstellung, das eigene Tun und Lassen sei, wenn man es nur richtig kalkuliere, ein kleiner Beitrag, eine Rädchenbewegung in einer Maschinerie, die am Ende das allgemeine Glück fabriziere, ist schon absurd, oder? Muss der Anspruch, sozusagen als Individuum stellvertretend für die Totalität zu handeln, nicht notwendig scheitern? Zum einen, weil diese Totalität so, nämlich als erfassbare, steuerbare, gar nicht existiert, zum anderen weil es, selbst wenn sie existierte, gar nicht möglich wäre, sie mit den begrenzten menschlichen Mitteln zu erfassen und zu steuern, zumal höchstwahrscheinlich gar nicht alle Faktoren bekannt sind, also immer unerwartete und unerwartbare Nebenwirkungen auftreten werden.
Den Machbarkeitsanspruch in Frage zu stellen, mag „postmodern“ sein. (Obwohl ich mit diesem undeutlichen Begriff nicht den Ausdruck „ganzheitlicher Zusammenhang“ verbinden würde, eher das Gegenteil: das Ende der Großen Erzählungen und die Achtsamkeit fürs Partikulare.) Es ist zumindest nicht-modern. Die Menschen früherer (und anderer) Zeiten und Kulturen dachten, soweit man weiß, nicht, sie könnten (individuell oder kollektiv) irgendwann alles im Griff haben. Die Bescheidung mit der eigenen Endlichkeit ist aber etwas ganz anderes als die Haltung_ Ach, ich kann ohnehin nichts tun, weil ich nicht weiß, was dabei herauskommen wird. Damit verbleibt man vielmehr im modernen Rahmen: Entweder alles ist planbar oder alles ist sinnlos. Nein!
Dabei ist es sogar ziemlich egal, ob man (wie die erwähnten Außermodernen) annimmt, dass eine höhere Ordnung über die Geschicke entscheidet. Egal, ob man glaubt, dass sich letztlich alles zu einem ― nicht menschengemachten, sondern göttlich bewirkten - Guten fügt, bleibt richtig richtig und falsch falsch.
Es ist und bleibt richtig, einem Hungernden zu essen zu geben, auch wenn ihn später der Blitz trifft oder er an Leberzirrhose stirbt oder vom Bus überfahren wird. Es ist und bleibt wohl auch richtig, Blitzableiter zu montieren, Krankheiten zu diagnostizieren und zu therapieren und auf die Einhaltung von Verkehrsregeln zu achten., auch wenn es letztlich weder individuell gelingt, alle Unwetterschäden abzuwenden, alle Krankheiten zu erkennen und zu heilen oder menschliches Verhalten so konditionieren, dass jeder brav reguliert ist. (Vielleicht wird jemand vom schlecht montierten Blitzableiter erschlagen, stirbt an Nebenwirkungen einer Impfung oder fällt vom Rad, als er aufs Auto verzichtet, Kann alles sein. Zwischen Folgen zu unterscheiden, die man im Voraus bedenken kann, und solchen, auf die man keinen Einfluss hat, ist klug.)
Ethik ist also möglich. Etwa auf Grundlage der Goldenen Regel: Jeden zu behandeln, wie man an seiner Stelle selbst behandelt werden wollen würde.
Und es ist sogar möglich, scheint mir, zumindest eine ― ich nenn es mal: begründete Intuition zu haben, was den Wert oder Unwert des Agierens gewisser Zusammenhänge betrifft, innerhalb derer Menschen leben müssen. Die Weltwirtschaftordnung etwa, auf deren Durchsetzung und Erhaltung sich die Nationalstaaten verpflichtet wissen, produziert sie im Großen und Ganzen nicht vor allem Unrecht und Unfreiheit, Ausbeutung, Zerstörung und Verdummung? Werden durch dieses System (das ein Funktionszusammenhang ist, keine Verschwörung) nicht Reiche reicher und alle anderen in Schach gehalten (zum sehr kleinen Teil auch mit Wohlstand und sozialer Sicherheit beglückt, wovon aber die globalen Massen nur träumen können)? Ist es nicht auch hier klar, was richtig und was falsch ist? Profitmaximierung pfui, Regenwaldabholzung pfui, Unterschichtenfernsehen pfui. Bedingungsloses Grundeinkommen hui, nachhaltiges Wirtschaften hui, selbstbestimmte Bildung hui.
Und dann, auch das sei erwähnt, wenn dieselben Lemuren, die sonst alles tun, um den Globalen Kapitalismus am Laufen (und über Leichen Gehen) zu halten, plötzlich vor lauter Sorge um Alte und Kranke, ja um die ganze Bevölkerung den pandemischen GAU (größten anzunehmenden Unsinn) proklamieren und eine Gängelungs- und Schädigungsmaßnhame nach der anderen unter Hintanstellung der sonst ach so kostbaren verfassungsmäßig gewährten Grundrechte anordnen und durchsetzen, sollte also, wenn das übliche Gesindel plötzlich zu Fürsorglichkeitsexperten mutiert, nicht sogar all denen, die angeblich nicht wissen, was zu tun ist, was richtig oder falsch ist, der Verdacht kommen, dass da etwas nicht stimmen kann? Gewiss, wer schon bisher den Staat für einen guten Onkel gehalten hat (wir leben schließlich in einer Demokratie, hurrah!), dem kann man alles aufschwatzen. Und den autoritären Linken, die heimlich-unheimlich vom bösen Onkel träumen, der ihre Ressentiments rächt, sowieso. Aber gesellschaftskritisches Denken und neugewonnener Coronakrisengehorsam stimmen für mich nicht zusammen.
Also, das gemeinsame Wissen, dass nicht alles und nicht das Ganze planbar ist, weder vom Individuum noch vom Kollektiv noch von irgendwelchen Technokraten, ist gewiss eine gute Sache. Die behagliche Freude am selbstverschuldeten gemeinsamen Unwissen nicht.
Richtiges Handeln ist auch in Zeiten der Nebelwerfer und Verdunkler möglich (und damit per definitionem verpflichtend). Kritik ist möglich, ja sogar Gegenentwürfe zum Bestehenden sind möglich. Alles andere spielt der Pandämonie in die Hände.

Samstag, 21. November 2020

Teuflischer Unsinn

„Das einzig Schöne an dieser Gegenwart ist, dass wir nicht alleine sind mit dem Gefühl, wir wüssten nicht, was wir tun sollen. Alle, die das Gegenteil behaupten, lügen.“

Es gibt so Sätze, die mich verzweifeln lassen. Das sind zum Beispiel welche.* Einmal abgesehen von der sprachlichen Misslungenheit ― soll sich der Vorwurf des Lügens wirklich, wie er dasteht, auf die mögliche Behauptung beziehen, dass das einzige Schöne nicht das Gefühl gemeinsamen Unwissens sei, oder nicht doch auf die Behauptung, etwas zu wissen? ― finde ich auch das, was sich darin an unethischer Denkweise ausdrückt, sehr traurig.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass das Gefühl, nicht zu wissen, was man tun soll, etwas Schönes ist, gar das einzig Schöne ist, ob man sich nun alleine glaubt mit diesem Gefühl oder in Gemeinschaft (mit einem unbestimmten Wir). Ich verstehe nicht einmal, was das mit einem Gefühl zu tun haben soll. Ich weiß doch entweder, was ich tun soll oder ich weiß es nicht. Aus dem Wissen mögen Gefühle erwachsen (ich freue mich, bin ängstlich oder dergleichen), aber das Wissen selbst ist doch kein Gefühl.
Es sei denn, es geht gar nicht um Wissen, sondern um „gefühltes Wissen“, das ja wohl aber das Gegenteil von Wissen ist. In diesem Fall geht es erstaunlicherweise um gefühltes Unwissen, dass dann also das Gegenteil von tatsächlichem Unwissen ist: Ich weiß eigentlich, was ich tun soll, aber ich fühle mich so wohl dabei, so zu tun, als wüsste ich es nicht …
Das also, und dass andere sich auch so verhalten, ist etwas Schönes? Ist es nicht vielmehr etwas Unvernünftiges, Unverantwortliches, Unbefürwortbares?
Dass Menschen, die es besser wissen (könnten), so tun, als könnten sie richtig und falsch nicht unterscheiden, ist die beste Voraussetzung für Unrecht. Hm, könnte ja sein, dass das falsch ist, was ich tue, aber ich ich will das gar nicht wissen, ich fühle mich besser dabei, wenn ich nicht weiß, ob es falsch oder richtig ist. Das erlaubt mir jedes Fehlverhalten, jedes Verbrechen. Oder zumindest jedes Mitmachen im Weitermachen, wo Falsches getan wird.
Könnte sein, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe zur Umweltzerstörung beiträgt, aber zum Glück sagen manche so, manche so, da kann ich einfach weiter Autofahren, mit dem guten Gefühl, nicht zu wissen, was da richtig oder falsch ist. Mit dem allerbesten Gefühl sogar, denn andere haben es auch.
Das Glücksgefühl, mit anderen zusammen das eigene Unwissen als Ausrede zu haben, ist ein besonders ekelhafter Konformismus. Ja, es gibt Situationen, in denen man nicht weiß, was man tun oder lassen soll. Meistens aber sagt einem das Gewissen, was richtig ist. Es sei denn natürlich, man hat sich das Hören aufs Gewissen systematisch abtrainiert. Etwa, indem man die Lust an der eigenen Unentschiedenheit zum Lebensgefühl stilisiert, zum einzig wahren sogar. Die anderen genießen es ja auch!
Damit wird Unwahrhaftigkeit zum Prinzip. Und wenn die eigene Verlogenheit auf solche trifft, die immer noch meinen, es sei erstrebenswert, richtig und falsch unterscheiden zu können, und es sei auch tatsächlich, jedenfalls gelegentlich, möglich, zu wissen, was zu tun und was zu lassen ist, diese rückständigen Störenfriede sind dann eben ihrerseits Lügner. Sie können nichts anderes sein, denn wer nicht das schöne Gefühl kollektiven moralischen Unwissens teilen will, der heuchelt doch bloß, denn in Wahrheit wollen wir alle das Falsche, aber nichts davon wissen.
Was für ein teuflischer Unsinn
 
* Ein Fundstück aus einem sozialen Netzwerk.

Freitag, 20. November 2020

Die Anpassung

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem voll funktionsfähigen Roboter verwandelt. Das störte ihn nicht weiter, fiel auch niemandem auf, und er ging ganz normal zur Arbeit, wenn er nicht gerade zu Hause in seinem Zimmer blieb und Home Office machte.

Keine Fabel

 „Ich habe auch Rechte“, piepste die Maus, als die Katze sich anschickte, sie zu fressen.
„Mach dich nicht lächerlich“, fauchte die Katze,. „Nur Menschen reden von Tierrechten. Unsereins redet nicht einmal von Natur.“

Sonntag, 8. November 2020

Aufgeschnappt (bei Marie Curie)

Man kann nicht hoffen, die Welt zum Besseren zu wenden, wenn sich der Einzelne nicht zum Besseren wendet. Dazu sollte jeder von uns an seiner eigenen Vervollkommnung arbeiten und sich dessen bewusst werden, dass er die persönliche Verantwortung für alles trägt, was in dieser Welt geschieht, und dass es die direkte Pflicht eines jeden ist, sich dort nützlich zu machen, wo er sich am nützlichsten machen kann.