Freitag, 31. Dezember 2010

Die Identitätspolitik schlägt zurück

Die Sache selbst ist ungeheuerlich, aber eigentlich noch ungeheuerlicher ist es meiner Meinung nach, dass kaum darüber berichtet wurde — und vor allem, dass die in diesem Fall höchst angebrachte große Empörung ausgeblieben ist. Wovon ich rede? Vom sogenannten Penistest. Wer nichts davon gehört hat, und das werden die meisten sein, sei kurz informiert: Um festzustellen, ob (männliche) Personen, die angeben, in ihrem Herkunftsland wegen ihrer Homosexualität verfolgt zu werden, auch tatsächlich homosexuell sind oder das nur behaupten, hatten tschechische Asylbehörden sich ein besonderes Verfahren ausgedacht. Den Asylsuchenden wurden Elektroden an den Penis angelegt und dann wurde ihnen heterosexuelle Pornographie vorgeführt. Wer beim Zuschauen einen Steifen bekam, war als Lügner enttarnt, sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt.
Diese Vorgangsweise wurde lange von niemandem merkbar beanstandet. Bis 2009 ein Verwaltungsgericht in Schleswig-Holstein die Rückführung eines iranischen Asylsuchenden in die tschechische Republik verweigerte. Das Gericht begründete dies damit, dass der Iraner in Tschechien mit Sicherheit „sexologischen und phallometrischen Untersuchungen“ ausgesetzt wäre, weil eine Verweigerung solcher Tests einem amtlichen tschechischen Schriftstück zufolge die Beendigung des Asylverfahrens nach sich ziehen könne. Das Gericht sprach von einem Zugangshindernis zum Asylverfahren, dessen Menschenrechtskonformität nach dem gegenwärtig überschaubaren Sachstand mindestens sehr zweifelhaft erscheine.
Mittlerweile hat auch ein Bericht der in Wien ansässigen Agentur der Europäischen Union für Grundrechte diese erstaunliche Praxis international publik gemacht und kritisiert. Das Verfahren sei für die Asylbewerber entwürdigend und verstoße mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Grundrechtecharta der EU. Daraufhin gab das Innenministerium der tschechischen Republik umgehend bekannt, der „phallometrische Test“ werde ohnehin seit Jahresbeginn nicht mehr durchgeführt. Warum man sich allerdings, wenn das überhaupt stimmt, zur Abschaffung entschlossen haben sollte, ist nicht ganz klar. Der tschechische Innenminister Radek John selbst nämlich hat bisher keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt, im Gegenteil. Vollmundig verkündete er im Rundfunk, Asylbewerber müssten den tschechischen Behörden eben überzeugend beweisen können, dass sie Homosexuelle seien. Andernfalls hätten die Betroffenen keinen Anspruch auf Asyl. Und er setzte, man mag’s kaum glauben, allen Ernstes hinzu: Die betroffenen Asylbewerber hätten selbst um diese Tests gebeten oder ihnen zumindest zugestimmt. Und dann wurde er pampig: Wer sich beklage, solle doch in ein Land gehen, wo diese Tests nicht durchgeführt werden, und dort Asyl beantragen. (Was selbstredend besonders infamer Unsinn ist, denn Flüchtlinge dürfen sich bekanntlich nach EU-Recht ihr Zufluchtsland nicht aussuchen und können es schon gar nicht wechseln.)
Skandalös? Skandalös. Doch hinter dem vordergründigen Skandal, dem perversen Penistets als solchem, steht im abgedunkelten Hintergrund ein noch größerer. Denn abgesehen von der menschenverachtenden Haltung, die sich in einem solch verrückten Verfahren ausdrückt (mag es den wehrlosen Flüchtlingen nun gegen ihren Willen oder mit ihrer erpresster Zustimmung angetan worden sein), haben die tschechischen Bürokraten gleich zwei grobe Denkfehler zur Voraussetzung ihrer ungeheuerlichen Prüfungsmethode gemacht. Zum einen ist durch nichts vorhersehbar, wer auf welche pornographische Stimulation wie reagiert, und keine Reaktion erlaubt für sich genommen eine Aussage über sexuelle Orientierung. So schlicht ist der Mensch nämlich nicht gestrickt. Doch wahrscheinlich haben die mutmaßlich heterosexuellen Entscheider einfach sich selbst zum Maßstab genommen: Ich steh nicht auf Schwulenpornos, also stehen Schwule nicht auf Heteropornos. Entweder oder, mehr gibt’s nicht.
Zum anderen übersieht die leichtfertig über Menschenleben entscheidende Versuchsanordnung, dass keine Rechtsordnung der Welt, auch nicht die allerungerechteste, Homosexuellsein unter Strafe stellt, sondern allenfalls homosexuelle Handlungen. Die aber können nicht nur Homosexuelle vollziehen, und nicht jeder, der eine homosexuelle Handlung vollzieht, ist ein Homosexueller. Das freilich ist die Falle, in der die Erfinder und Anwender des „phallometrischen Tests“ sitzen und in die sie die ihnen ausgelieferten Flüchtlinge treiben wollen: Homosexualität ist eine Eigenschaft der Homosexuellen, basta. Die Heterosexuellen haben damit nichts zu tun, sie betrachten das Phänomen nur von außen.
Jahrzehnte schwullesbischer Identitätspolitik haben es also geschafft. Der Tribalismus — die „Quasi-Ethnisierung“ der Homosexuellen nach amerikanischem Vorbild — ist perfekt. Homosexualität ist im Wesentlichen keine Orientierung mehr, und als solche unter bestimmten Umständen jedem möglich, sondern eine feststehende Identität, definierbar und definierend. Nicht aufs Tun kommt es mehr an, sondern aufs Sein. Wie lautet doch so treffend die klassische Formulierung bei Foucault: „Der Sodomit war ein Gestrauchelter, der Homosexuelle ist Spezies.“
Wenn es aber, wie es die identitätspolitische Ideologie will, unterscheidbare Menschengruppen gibt, nämlich die Heterosexuellen einerseits, die Homosexuellen andererseits (und allenfalls noch die etwas dubiose Gruppe der Bisexuellen im Niemandsland dazwischen; aber wahrscheinlich sind das bloß Unentschiedene), dann ist es nur noch ein Schritt, bis man an die materielle Nachweisbarkeit der Unterscheidung glaubt. Im Grunde ist darum die Messung des Blutflusses im Gemächte beim Anschauen von Pornographie nur ein schwacher — und freilich die Macher aufgeilender — Ersatz für das, was man sich eigentlich wünscht: Einen Gentest, der das homosexuelle Gen nachweist. Dann wäre das Glück vollkommen.
Die der „Phallometrie“ ausgesetzten Asylsuchenden sind also nicht einfach nur Opfer kafkaesker Bürokraten mit mengelehaften Gelüsten, sie sind vor allem Opfer der herrschenden Identitätspolitik, die, einst als emanzipatorischer Ansatz entwickelt, immer schon problematisch war und sich nun in Fällen wie diesen als lebensgefährliche Falle erweist. Die Menschenverachtung der tschechischen Behörden, perfekt ausgedrückt im souveränen Geschwätz des Innenministers, ist gewiss widerlich. Dass sie so praktiziert werden konnte, wie sie praktiziert wurde, hat allerdings unbedingt, und sei’s unbewusst, die identitätspolitische Konzeption zur Voraussetzung. Man muss erst glauben, dass die Menschen sich in Homos und Heteros einteilen lassen, um sich entwürdigende Methoden einfallen lassen zu können, mit denen diese Einteilung nachgewiesen und zu den Akten genommen werden kann.
Skandalös? Skandalös. Aber es kommt noch schlimmer. Wenn ich heterosexuellen Freunden und Bekannten beiderlei Geschlechts vom perversen Penistest erzählte, erntete ich ein unterdrücktes Gähnen. Man zuckte die Schultern und meinte: Ja ja, das sei schon schlimm, wie mit Flüchtlingen verfahren werde. Das ist zwar durchaus richtig erkannt, aber nicht das Thema. Den Penistest einfach unter die entwürdigenden Behandlungsweisen zu subsumieren, mit denen Europa die zu ihm Flüchtenden zu schikanieren pflegt, um abzuschrecken, verfehlt die Besonderheit dieses Verfahrens. Aber das ist ja wohl auch der Zweck der abwiegelnden, ins Allgemeinpolitische abdrängenden Reaktion. Die Homosexuellen sollen bekanntlich bloß nicht denken, sie seien etwas Besonderes. Elektroden am Penis? Schlimme Sache. Aber da gibt’s noch ganz anderes …
Doch wie könnten Heterosexuelle auch sonst reagieren? Heterosexualität beruht auf der Unterdrückung von Homosexualität. Wer sich selbst als heterosexuell und nichts als heterosexuell begreifen will, kann also gar nicht anders, als Homosexualität als Identität vorauszusetzen. Dass Homosexuelle verfolgt werden, muss er nicht wollen, im Gegenteil, dass sie als von seiner eigenen sexuellen Orientierung abweichende Gruppe konstruiert und als solche anerkannt und zugelassen werden, passt ihm ins Konzept. Man ist ja kein Unmensch. So lange diese Leutchen einen in Ruhe lassen, dürfen sie machen, was sie wollen.
Und die Schwulen? Die meisten verstehen zweifellos ebenfalls nicht, wovon die Rede ist, wenn Identitätspolitik kritisiert wird. Sie haben Sätze auswendig gelernt wie „Ich habe es mir nicht ausgesucht, homosexuell zu sein“ und meinen, damit auf der sicheren Seite zu stehen. Auch für sie ist Homosexualität längst lediglich das Homosexuellsein der Homosexuellen, bestenfalls nehmen sie sie an als ein ihnen zugesprochenes Privileg, sozusagen ein sexuelles Monopol.
Unter diesen Voraussetzungen kann der Penistest auch von Schwulen allenfalls ganz allgemein als unschöner Umgang mit mutmaßlichen Verfolgten kritisiert werden, und es ist ja kein Zufall, dass der empörte Aufschrei der sonst von jeder noch so marginalen Diskriminierung zehrenden Berufsschwulen und Berufslesben ausgeblieben ist. Denen wäre es vielleicht sogar ganz recht, wenn Heterosexuelle, die sich zu Unrecht als verfolgte Homosexuelle ausgeben, aussortiert und in ihre Herkunftsländer zurückverfrachtet würden. Sollen sich die Heteros doch ihre eigenen Asylgründe suchen, und richtige Homosexuelle haben vom Penistest ja nichts zu befürchten.
Nun mag es ja womöglich wirklich Fälle geben, wo Menschen, die nicht wegen in ihrem Herkunftsland entweder strafbarer oder vom Volkszorn bedrohter homosexueller Handlungen verfolgt werden, angeben, doch wegen solcher Handlungen verfolgt zu werden. Mir persönlich ist freilich kein solcher Fall bekannt. Es gäbe ja auch weit bessere und für die meisten Menschen weniger ehrenrührige Asylgründe, die man, wenn man es denn zu müssen meint, erfinden könnte. Ich gehe also davon aus, dass, wer sagt, wegen Homosexualität verfolgt zu werden, das auch tatsächlich wird und unbedingt Schutz verdient. Völlig unabhängig von seiner sexuellen Orientierung oder Identität. Auch ein Mann, der nie wieder Sex mit einem anderen Mann hat, hat das Recht auf Asyl, wenn er irgendwo wegen tatsächlicher oder unterstellter homosexueller Handlungen an Leib und Leben bedroht wird.
Doch ein solches Recht kann nur umfassend eingefordert und verteidigt werden, wenn mit der Identitätspolitik gebrochen wird. Es geht nicht um die Rechte der Schwulen und Lesben (gar der Schwulenundlesben oder Lesbenundschwulen), so als wären diese eine definierbare Minorität wie „die“ Roma und Sinti, „die“ Behinderten oder „die“ Linkshänder. Es geht schlechterdings um das Recht auf Homosexualität für jeden, verstanden als Recht auf homosexuelle Gefühle und Handlungen. Ein solches Recht auf ein vielfältiges Tun ist jedoch offenkundig viel schwieriger zu konzipieren, zu fordern und durchzusetzen als das bequeme und allen in den Kram passende Recht auf ein überschaubares Sein. Denn wenn alle sind, wie sie sind, so und nicht anders, dann ist alles in Ordnung. Wenn aber jeder werden und tun kann, was er will, ist das Bestehende in Gefahr. Gerade darum ist Identitätspolitik schlecht, weil sie nichts anderes als affirmativ sein kann. Und gerade darum muss mit ihr gebrochen und Homosexualität immer wieder kritisch neu gedacht werden.

Da mache ich nicht mit

Ich versteh’s nicht. Ich hab’s noch nie verstanden. Was gibt es da zu feiern? Dass ein neues Jahr beginnt? Das ist doch ein ganz willkürliches Datum. Die römischen Konuln traten am ersten Tag des Januars ihr Amt an, das römische Kalenderjahr freilich begann mit dem Monat März (der also der erste Monat war, wovon September, Oktober, November und Dezember noch Zeugnis ablegen). Da man aber die Jahre nach den Konsuln datierte, verschob sich der Jahresbeginn schließlich auf den ersten Januartag. Später, als es längst keine eponymen Konsuln mehr gab, ließ man das Jahr mit Mariä Verkündigung (25. März, sogenannter Annunziationsstil) beginnen oder mit Ostern oder mit Weihnachten. Oder mit dem Beginn des Kirchenjahres, im Westen ist das der erste Adventssonntag, im Osten der 1. September. Juden, Muslime, Buddhisten usw. haben sowieso alle ihre eigenen Jahresanfänge. Und auch all jene, die, wie die alten Perser und vor ihnen die Babylonier, das Jahr mit dem 21. März, dem Frühlingsanfang beginnen lassen — der zufällig auch mein Geburtstag ist.
Was also gibt’s am 31. Dezember zu feiern? Dass der Heilige Abend eine Woche her ist und man nach all der verlogenen Sentimentalität nun derben Karnevalismus braucht?
Viele haben ja mehr oder minder feste Ritulae, um Silvester zu begehen. Sie müssen „Dinner for one“ im Fernsehen gucken, Sekt trinken, unter Leute gehen, tanzen und singen. Österreicher sind, wie ich wiederholt mit Erstaunen festgestellt habe, genetisch dazu veranlagt und vermutlich per Gesetz dazu verpflichtet, um Mitternacht die Glockenschläge der Pummerin (der großen Glocke des Stephansdomes) zu hören — nicht in Wien Wohnhafte müssen das Radio einschalten — und den Donauwalzer zu tanzen.
Und dann, schon lange im voraus, die schreckliche Knallerei und vielleicht ein Feuerwerk. Überflüssig zu sagen, dass ich davon nichts halte. Zum Glück musste ich nie eine Krieg erleben und bin insofern nicht traumatisiert, aber die akustische Imitation der Belagerung von Stalingrad, die jedes Jahr unter meinem Schalfzimmerfenster stattfindet, ist mir trotzdem zuwider. Lärm um des Lärms willen finde ich noch schlimmer als bloßen Lärm. Ohne Ohrenschutz würde ich das so wenig überstehen wie ein neurotischer Hund.
Der 31. Dezember ist also der einzige Abend, an dem ich mit Sicherheit früh zu Bett gehe. Ich mache mich schalldicht, lese, höre über Kopfhörer Musik, wenn’s geht, und versuche, vor Mitternacht einzuschlafen. Dann bricht draußen die Hölle los und versucht, mich aufzuwecken. Manchmal gelingt es ihr, manchmal triumphiere ich.
Die ganze Silvesterfeierei ist mir also unverständlich und geht mir völlig gegen den Strich. Weder ein religiöser noch ein säkularer Anlass steht dahinter. Bloß gesellschaftliche Konvention. In ihrer hässlichsten Gestalt. Laut und vulgär. Sinnlos. Da mache ich nicht mit.

Allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs trotzdem ein frohes neues Jahr. Aber Achtung, ein Text kommt noch!

Freitag, 24. Dezember 2010

Mein Freund, der Weihnachtsbaum

Hab’ ich es schon erwähnt? Ich kann Weihnachtsbäume nicht ausstehen. Nicht nur fallen sie für mich in die Kategorie der Schnittblumen — und ich konnte es noch nie verstehen, warum man Pflanzen tötet, bloß um irgendetwas zu behübschen. Der sogenannte Weihnachtsbaum ist für mich darüber hinaus aber auch noch ein Symbol des kulturellen Niedergangs. Es gibt nichts, aber schon gar nichts, was das Aufstellen einer toten Tanne mit der Geburt des Erlösers zu tun hätte, trotzdem — oder aber gerade deswegen — hat sich dieser Brauch mit obsessiver Gewalt über den Erdball verbreitet und gehört für viele Menschen so sehr zu Weihnachten wie Kekse und Geschenke. Selbst in und vor Kirchen wird dieses völlig säkulare Ding montiert, sogar auf dem Petersplatz in Rom.
Dass der Weihnachtsbaum nichts Religiöses ist und lediglich dafür gehalten wird, treibt  nun aber ebenso bizarre wie bedrohliche Blüten. Dass nordkoreanische Regime droht mit Krieg, falls der südkoreanische Weihnachtsbauman der Demarkationslinie illuminiert werden sollte, denn derlei gilt den Kommunisten als religiöse Propaganda und die sei in dieser Zone verboten. Und der Bürgermeister des zur Einkreisung der arabischen Stadt Nazareth gehörenden Vorortes Nazareth Illit verbot die von arabischen Christen gewünschte Aufstellung von Weihnachtsbäumen mit der Begründung, es handle sich um eine jüdische Stadt.
Dass Judentum und Atheismus dieselben antireligiösen Affekte teilen und Effekte haben, ist nun für mich eigentlich keine neue Erkenntnis. Dass sich das aber ausgerechnet an etwas Nichtreligiösem und Banalen wie Weihnachtsbäumen offenbart,  stimmt mich bedenklich. Muss ich nun etwa auch noch mit aufgeputztem Nadelholz solidarisch sein? Von den einen angefeindet, von den anderen umgebracht: So wird der Weihnachtsbaum doch noch zum Symbol für den hingeopferten Gottesknecht. Und auch, wenn viele inzwischen ganz andere Halterungen einsetzen, manchen stecken den grünen Freund doch noch in ein sogenanntes Christbaumkreuz. Crucifixus ad festum nativitatis Christi. Wenn das mal keine Ironie der Heilsgeschichte ist …

Sonntag, 19. Dezember 2010

Kein Advent — und dann?

Ohne Advent kein Weihnachten, ohne Weihnachten aber auch kein Ostern. Gemeint ist damit selbstverständlich nicht der Rummel um Eier und Hasen, sondern die auf das Gedenken an Erniedrigung und Tod folgende Feier der Auferstehung. Ohne Advent also keine Erlösung. Dann freilich bleibt die Schuld bestehen, wird immer mehr und mehr, staut sich gewaltig auf, bis alle Dämme bersten und die Welt in einer Flut des Bösen untergeht.
Wer hinsieht, wird bemerken: Die Dämme lecken schon bedenklich. Wer sich nichts vormacht, kann erkennen: Die Welt ist schlecht. Aber all das Schlechte in der Welt ficht die meisten Menschen nicht an, sie haben sich irgendwie darin eingerichtet. Auf verschiedene Weisen. Wer zum Beispiel sowas braucht, hat sich eine Ideologie zurecht gelegt, etwa den atheistischen Evolutionismus, der letztlich nichts erklärt, aber das wohlige Gefühl naturwissenschaftlich begründeten Rechthabens verleiht. Andere habe einfach beschlossen, dass Wichtigste im Leben sei, möglichst viel Spaß zu haben. Wieder andere geben sich bescheiden, wollen bloß halbwegs glücklich sein, mit Familie und Freunden, Einkommen, Gesundheit und Geborgenheit, Hobby und Urlaub. Dass ihr relatives Wohlergehen erkauft ist mit dem Elend und der Entrechtung der meisten Menschen in der übrigen Welt, geht die happy few in den westlichen Wohlstandsgesellschaften (und die gekauften Eliten anderswo) nichts an. Sie haben sich damit abgefunden, schauen weg oder spenden halt was, um ihr Gewissen zu beruhigen. Ein Zusammenhang zwischen ihrem Glück, der Sinnlosigkeit ihres Daseins und dem Unglück anderer besteht für sie nicht.
Schaffen Religionen da Abhilfe? Sollen sie das?
Viele meinen ja, alle Religionen wollten letztlich dasselbe. Was aber soll das sein? Die meisten Menschen, die sich nicht viele Gedanken über Ethik oder Moral machen mussten, würden auf Anfrage sagen, es komme im Leben darauf an, Gutes zu tun und Böses zu lassen. Damit haben sie völlig Recht. Diesem Grundsatz kann keine Religion etwas Relevantes hinzufügen, allenfalls ein paar Einfälle dazu, was denn nun gut und was denn nun böse ist. Was die Einzelheiten betrifft, wird es also wohl immer Diskussionen und einige Unsicherheiten geben, aber die universelle Regel ist klar: Tu Gutes und unterlasse Böses bedeutet, verhalte dich anderen gegenüber so, wie du wolltest, dass sie sich dir gegenüber verhielten, wenn du an ihrer und sie an deiner Stelle wären. Diese selbstverständliche Norm, die keiner weiteren Begründung bedarf, sondern jedem vernünftigen und unverdorbenen Menschen unmittelbar einleuchtet, nennt man bekanntlich die Goldene Regel und findet sie — wie letzten Sonntag schon erwähnt — etwa in Mt 7,12. Auch wenn sie dort von Jesus ausgesprochen wird, ist sie kein Monopol des Christentums. Die Besonderheit und Größe des Evangeliums kommt vielmehr in einer anderen Formulierung zum Vorschein.
Als Jesus von einem Pharisäer gefragt wird, was das wichtigste Gebot sei, antwortet er: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten. (Mt 22,34-40; vgl. Mk 12,25-28 u. Lk 10,25-28)
Die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe wäre, würde sie gelebt, die Besonderheit des Christentums. Gottesverehrung allein, ohne Liebe zu den Mernschen, ist gnadenloser Götzendienst. Nächstenliebe allein stößt an die Grenze des Todes und der unerlösten Schuld. Nur beide zusammen, nur beide in einem sind sinnvoll
Religionen haben nicht, wie manche meinen, die Funktion, moralisches Verhalten zu fördern. Was im Kern unwahr ist, kann auch nur zu einem letztlich unmoralisches Leben führen. Wenn es in den Religionen um nichts anderes ginge, als um die Bedürfnisse und Wunschvorstellungen der Menschen, wären sie im Grunde leer und, weil sie diese Leere verschleierten und von Wichtigerem ablenkten, böse.
Religiosität, verstanden als Offenheit ist für das Dasein Gottes und das Dasein der anderen Menschen, ist nur dann gut, wenn sie wahr ist, wenn es also das Dasein, das geglaubt wird, wirklich gibt. Ob aber geglaubt wird, erweist sich erst in der Praxis. Denn was ist Sünde? Ohne in der Theorie die Existenz anderer Menschen zu leugnen, handeln viele — sagen wir ruhig: zuweilen jeder von uns — so, als gäbe es nur sie, als wären nur ihre Bedürfnisse wichtig, als wären nur ihre Wünsche wert, durchgesetzt zu werden. Dasselbe Verfahren wenden sie auch auf Gott an, leugnen zuweilen aber praktischerweise auch noch in der Theorie dessen Existenz.
Wohin das alles führt und was daraus wird, ist nun freilich selbst wieder eine Frage des Glaubens. Soll man wirklich annehmen, es könne immer so weiter gehen? Kann aus all dem Schlechten von selbst etwas Gutes werden? Versinkt alles in Bosheit? Oder ist es nicht doch eher hoffenswert und glaubwürdig, dass da einer kommen wird, um alles zum Guten zu wenden und zur Vollkommenheit zu führen? Und kann das ein anderer sein als der, der schon alle Schuld auf sich genommen und alle Sünden vergeben hat? Maranatha!

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Was denn, die Mafia ist mafiös?

Also das kommt jetzt überraschend! Ein Mafiaboss, der in Mafiageschäfte verstrickt ist? Wer hätte das gedacht … Man muss sich wieder einmal fragen, ob die Überraschung, mit der manche Journalisten und Politiker auf den Bericht von Dick Marty reagieren, dass Hashim Thaci mit illegalen Organhandel befasst war, gespielt ist oder authentische Ignoranz verrät. Dass der Berichterstatter des Europarates Thaci und andere bezichtigt, Ende der 90-er Jahre zahlreiche Serben gefoltert, ermordet und ihre Organe verkauft zu haben, bezeichnet ja nur die Spitze eines ungeheuren Eisberges von Gewalt und Verbrechen.
UCK, PDK, Republik Kosova, kosovarische Mafia — die Firmenbezeichnungen wechseln,  der Betrieb bleibt derselbe. Im Grunde freilich tut man den skipetarischen Clans im Amselfeld und anderswo wohl zu viel der Ehre an, wenn man sie als Mafia bezeichnet. Die ehrenwerte Gesellschaft besaß, früher zumindest, noch so etwas wie einen Kodex von Regeln. Was aber ein echter Albaner ist, der erkennt keine Normen an außer der einen: Profit mit aller Gewalt. Diese Leute verkörpern also den Kapitalismus in Reinkultur. Vielleicht hat das Gesindel auch deshalb im Westen so viele Fürsprecher. Obwohl das Blut ihrer Opfer zum Himmel schreit, hält man besonders die größten Verbrecher konsequent straffrei und hofiert sie sogar als „Politiker“.
Die USA und die EU haben den Albanern, also der „Mafia“, einen Staat geschenkt. Das wäre nicht nötig gewesen, sie hatten ja schon einen. Mit der völkerrechtswidrigen Erhebung der weitgehend serbenfrei gemordeten Provinz Kosovo zur souveränen Republik erfüllte man sich aber den alten Traum, Serbien einmal mehr zu demütigen und zu entrechten. Inwiefern gewisse international operierende Geschäftsleute dabei mit Drogen und Nutten, ihrem Kerngeschäft, bei Diplomaten und Politikern für ihr Anliegen Stimmung machten bzw. auch mal ein bisschen erpresserisch tätig wurden, bleibe dahingestellt. Man darf sich schon auf den EU-Beitritt des Kosvos freuen. Dann steht die europäische Einheit zwar sicher auf vielen Gebieten immer noch aus, aber immerhin die Rotlichtbezirke können dann rasch in einer starken Hand vereinigt werden.
Um nicht des Rassismus geziehen zu werden: Es ist selbstverständlich nicht so, dass alle Albaner der organisierten Kriminalität zuzurechnen wären. Einige arbeiten sicher auch unorganisiert …

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Für ein Österreich ohne Armee II

Wozu leisten sich die Österreicher und Österreicherinnen und ihre zahlenden Gäste eigentlich ein aufwändiges und kostspieliges politisches System? Einmal abgesehen davon, dass die meisten Rechtvorschriften ohnehin in Brüssel und Strassburg festgelegt werden: Wofür braucht es in Österreich Parteien, Parlamente und Minister, wenn doch die politische Diskussion und die daraus folgende Praxis ohnehin nicht heimischen Impulsen folgt, sondern einfach vom Ausland abgekupfert wird? Genügte nicht einfach, wie 1938-45 ein von Deutschland zu ernennender Statthalter, der hierzulande umsetzt, was andernorts beschlossen wird?
Oder will man etwa leugnen, dass der Umstand, dass nun auch in Österreich über die Abschaffung der Wehrpflicht zugunsten eines Berufsheeres geredet wird, sich schlicht dem Umstand verdankt, dass der große Nachbar gerade dabei ist, bei sich die Wehrpflicht de jure auszusetzen und de facto abzuschaffen? Eines der vielen politischen Themen, die in Österreich nur vorkommen, weil sie in Deutschland angegangen werden.
Aber der Kleinstaat Österreich ist in einer ganz anderen Lage als der global player Deutschland. Denn dieser braucht seine Streitkräfte, weil er bei den anderen Großenn mitmischen und bei den wirtschaftsmilitärischen Einsätzen der Gegenwart und Zukunft eine Rolle spielen will. (Schon der frühere Bundespräsident Köhler hatte ja ausgeplappert, „dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen“.)
Österreich aber ist in keiner Hinsicht groß. Seine internationalen Militärmissionen haben in etwa die Bedeutung der Entsendung eines Eimer Wassers zu einem Großbrand. Militärisches fällt nicht in die österreichische Kernkompetenz. Ein gutes catering service könnte in Krisengebieten wahrscheinlich mehr Eindruck machen als die paar uniformierten Maxeln. Wie auch immer. Österreichs Wirtschaftsinteressen müssen, wenn schon, dann von anderen militärisch „verteidigt“ werden.
Darum geht die jetzige, von Deutschland abgeschaute Diskussion in die Irre. Österreich braucht kein Bundesheer, ob nun mit Wehrpflicht oder ohne. Wenn schon eine Volksabstimmung, dann gefälligst zu diesem Thema! Warum nicht einmal von einem anderen Nachbarn etwas übernehmen, diesmal aber etwas Sinnvolles: Bei den Eidgenossen gibt es schon seit 1982 eine Initiative „Für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik“. Das sollte hier mal jemand nachmachen.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Was tun, während man wartet?

Ach, herrjeh, die Welt ist schlecht und man selbst ist womöglich auch nicht so gut, wie man gern wäre. Gibt es denn also in dieser ganzen Adventvergessenheit gar nichts, worüber man sich freuen kann? Gar keine rosigen Aussichten? Nur, wenn man begreift, dass das ausstehende Ereignis und seine Unerwartetheit zusammengehören. Und weil es nicht möglich ist, Tag und Stunde zu wissen, ist es auch nicht nötig. Es stellt sich immer nur die Frage: Was tun?
Dem Lukasevangelium zufolge kamen die Leute mit genau dieser Frage auch zu Joahnnes dem Täufer. „Da fragten ihn die Leute: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso. Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist. Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold! Das Volk war voll Erwartung, und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.“ (Lk 3,10b-17)
Und der, von dem Johannes der überlieferten Deutung nach sprach, erzählte dem Matthäusevangelium zufolge das: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er sich auch an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder obdachlos oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und haben dir nicht geholfen? Darauf wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.“ (Mt 25,31-46)
Lässt man die manche verstörende religiöse Einkleidung weg, ergibt sich im Grunde ein ganzes einfaches Programm. „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Mt 7,12a) Handeln die Menschen nicht so, so bereiten sie, wie man allenthaben sehen kann, einander letztlich die Hölle auf Erden. Handeln sie aber so, können sie in aller Seelenruhe erwarten, was es mit dem Himmel auf sich hat oder nicht. Maranatha!

Samstag, 11. Dezember 2010

Für ein Österreich ohne Armee

Was für ein Witzbold! Österreichs Verteidigungsminister ließ über eine kleinformatige Zeitung verlauten, das Bundesheer werde die Hälfte seiner Panzer verkaufen, denn Bedrohungsanalysen hätten gegeben, dass ein Panzerkrieg durch eine Invasion ausländischer Streitkräfte ausgeschlossen werden könne. Selten so gelacht! Für diese Erkenntnis braucht der Mann erst „Analysen“ (hoffentlich keine von sündteuren externen Beratern erstellten)? Das hätte ich ihm auch sagen können. Ja, selbst ein nicht sehr heller Kopf wie er — man wird ja in Österreich nicht Minister, weil man Begabung, sondern weil man ein Parteibuch hat — hätte sich das selbst sagen und Jahre früher handeln können.
Österreich wird bedroht, das stimmt. Aber nicht militärisch. Sondern durch Alkoholismus und Verblödung seiner Bevölkerung. Was das Militärische betrifft, so sollte ein Blick auf die Karte genügen. Außer der Schweiz und Liechtenstein sind alle Nachbarn in der NATO. Liechtenstein hat seit 1866 keine Streitkräfte. Und sollte die Schweiz, die ja für Angriffskriege nicht gerade bekannt ist, Österreich attackieren, sollte die Sprengung des Arlbergtunnels und die Drohung mit der Abtretung Vorarlbergs genügen, das Schlimmste abzuwenden. Gegen die mit Atomwaffen ausgerüstete NATO aber ist sowieso jede militärische Gegenwehr sinnlos.
Österreich hat Streitkräfte so nötig wie einen Kropf. Es handelt sich um sinnbefreites Kriegspielen von halbwegs erwachsenen Männern. Die Abschaffung des Bundesheeres wäre also das einzig Vernünftige, was irgendeine Analyse ergeben kann. Das Geld könnte viel besser eingesetzt werden. Das bisschen Katastrophenhilfe etwa, mit dem sich die Truppe hin und wieder zu profilieren versuchte, könnte besser organisiert und ausgerüstet werden. Und bei Staatsbesuchen engagiert man halt Berufsmusiker fürs Blechgebläse. Den Staatsgästen wäre es wahrscheinlich ohnedies lieber, ein Spalier von Flugbegleiterinnen oder Barkeepern abzumarschieren als irgendein Ehrenkorps.
Das Bundesheer muss weg! Wer Ballerei und Wälzen im Dreck mag, für den gibt’s Abenteuerurlaube. Und wer sich ernsthaft von dem Verein geschützt fühlt, wende sich an einen Psychotherapeuten seines Vertrauens.

Freitag, 10. Dezember 2010

Über China: Kommentar eines Kommentars

Wenn Verbrecher wie Verbrecher aussehen, überrascht das wohl nur den, der westliche Politiker für Ehrenmänner hält. In den Tagesthemen vom 10. Dezember kommentierte Stefan Niemann den „leeren Stuhl“ Liu Xiaobos bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo und das Fernbleiben der offiziellen Vertreter einiger Staaten auf chinesischen Druck hin: „Was für ein Armutszeugnis für die selbstgerechten Herrscher in Peking! Ihre lächerliche Angst vor Andersenkenden offenbart sich heute aufs Neue. Ein leere Stuhl in Oslo wird zum Symbol für Unfreiheit und Unterdrückung in China. Dieses düstere Signal weckt hoffentlich auch die letzten Träumer, die China bedingungslos mit den olympischen Spielen beschenkt und auf dem Weg zur Demokratie gewähnt hatten. Doch jetzt ist klar: Nicht die Reformer, die Hardliner bestimmen den Kurs des Regimes.“
Wer um Himmelswillen hat erst die Osloer Zeremonie gebraucht, um zu wissen, das das chinesische Regime eine Verbrecherclique ist? Wer sind die Träumer, von denen Niemann redet? Gehört nicht auch er, der sich im Tagesthemen-Kommentar vom 30. Mai 2008 explizit gegen einen Boykott der olympischen Spiele in Peking aussprach (auch unter Berufung auf den Dalai Lama), zu denen, die der westlichen Öffentlichkeit falsche Hoffnungen machten? Die glaubten, ein bisschen lauwarmes Gerede über Menschenrechte am Rande der Spiele werde die Machthaber beeinflussen?
China ist seit 1949 eine kommunistische Diktatur. Daran ändert auch die „Marktwirtschaft“ nichts. Tatächlich sind Kapitalismus und Gewaltherrschaft keine Gegensätze. China und Russland einerseits, die USA und Europa andererseits unterscheiden sich nur im Stil, nicht aber im Prinzip von einander. Profitgier und Ausbeutung haben eben viele Gesichter.
Nicht dass Demokratie und Diktatur einfach dasselbe wären. Ein Rechtsstaat ist ein feine Sache, wenn er einen schützt. Aber wie weit geht der Schutz, welche Interessen dürfen nicht verletzt werden? Die einen haben ihren Liu, die anderen ihren Assange. Ob letzterer noch dazu kommen wird, die angekündigten Enthüllungen über eine Großbank durchzuziehen, wird sich zeigen.
Und dann dieses Gerede von „Hardlinern“ und „Reformern“! Ob China oder Iran, Russland oder Kenya — diese dümmlichen journalistischen Phrasen verraten ein simples Weltbild und wollen verdecken, dass hier alles an einem Kriterium orientiert ist: Prokapitalistisch oder „prowestlich“ sind stets die „Reformer“, wer etwas anderes will — sei es nun gut oder schlecht — ist ein „Hardliner“. Aber welchen Sinn haben Reformen, die letztlich nur darauf hinauslaufen sollen, die Fehler des Westens zu kopieren?
Seit Jahren kriechen Journalisten, Unternehmer und Politiker den chinesischen Kommunisten in den Arsch, weil man an dem großen Reibach, den die machen, mitschneiden will. Die Folgen, die die brutale Industrialisierung lokal und global hat, werden ignoriert oder als unvermeidbar hingestellt.
„Unsere Bewunderung für die unbestreitbaren Leistungen des chinesischen Volkes, unsere Anerkennung für den beachtlichen Wirtschaftsboom im Reich der Mitte, sie werden nun überschattet, weil die Machthaber in Peking heute erneut das hässliche Gesicht des Polizeistaates gezeigt haben“, schwafelt Niemann und nimmt seine Zuhörer in moralische Geiselhaft. Wer aber ist denn dieses ominöse Wir, das angeblich die Vermarktwirtschaftlichung Chinas bewundert, ein „Wachstum“, das mit der Entrechtung von Menschen und der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen erkauft ist? Über die verheerenden ökologischen Folgen des Turbokapitalismus mit kommunistischem Polizeistaats-Antlitz wird ebenso wenig konsequent und offen berichtet wie über die häufigen Proteste und regelrechten Auftstände in der Bevölkerung. Wenn überhaupt versteckt man derlei in Magazinbeiträgen des Fernsehens und im Kleingedruckten der Zeitungen.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo war ein Affront und sollte auch einer sein. Ein paar aufrechte Norweger wagten eine symbolische Geste. Brüskiert sollten sich aber nicht nur die Machthaber in China fühlen, sondern auch ihre Handlanger im Westen, einschließlich all der journalistischen „China-Experten“, die der Öffentlichkeit einzureden versuchen, der Unterschied von Hardlinern und Reformern sei anders als der von Pest und Cholera. China wird nie eine Demokratie werden. Würde es eine, bräche es auf grund seiner diversen sozialen und ethnischen Gegensätze auseinander. Bis dahin aber wird jedes chinesische Regime alles tun, die Bevölkerung in Schach zu halten und mit einer kleinen Schar von Profiteuren auszupressen. Welche natürlichen Ressourcen dabei draufgehen, wird ihnen so wurscht sein wie derzeit der versammelten umweltpolitischen Kompetenz in Cancun und anderswo. Westlicher Lebensstil kann jedenfalls schon auf Grund seiner ökologischen Kosten kein Ziel für China sein. Würde er erreicht, wäre das das Ende der Menschheit.
Statt also die kommunistischen Machthaber in ihren Wahn, mit immer mehr Maktwirtrschaft werde alles besser, zu bestärken, müsste man sie und ihre Politik entschieden bekämpfen. Also nicht nur ihren Polizeistaat, sondern vor allem auch ihren Kapitalismus. Solche Leute verstehen nur die Sprache der Gewalt. Nur ein völliger Boykott Chinas, seine radikale Abschottung vom Weltmarkt und jedem Zugang zu außerchinesischen Ressourcen könnte das Regime beeindrucken, beeinflussen und letztlich stürzen. Denn solange man mit dem Gesindel weiterhin Geschäfte macht, kann ihm das Geschwätz von Menschenrechten und Demokratie letztlich am vergoldeten Arsch vorbei gehen.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Ösis allein zuhause

Die von Wikileaks veröffentlichten Depeschen US-amerikanischer Diplomaten werden im Hinblick auf Österreich so zitiert, es bestehe eine Kluft zwischen dem Bild, das die Nation sich selbst von ihrer Rolle in der Welt mache, und Österreichs tatsächlichen, zunehmend bescheidenen Leistung.
Das sitzt. Vor 40 Jahren war Österreich, nicht zuletzt dank Bruno Kreisky, ein kleiner diplomatischer global player, machtlos, aber gern gesehen und nicht ganz ohne vermittelnden Einfluss. Nicht zufällig haben OPEC, IAEO und verschiedene UN-Behörden ja ihren Sitz in Wien. Heute ist Österreich nicht nur klein, sondern auch unbedeutend. Dem heutigen Regierungschef, dem Außenminister und dem Verteidigungsminister wird von den enthüllten US-Depeschen Desinteresse an Außenpolitik bescheinigt.
Das passt. Diese Regierung, dieses Parlament, diese politische Klasse ist ein getreues Abbild, der Bevölkerung, die sie installiert hat. I am from Austria. Mir san mir. Der Rest der Welt interessiert nur punktuell und reduktiv als touristisches Ziel. Die meisten Österreicher fühlen sich unter sich am wohlsten. Schon die „Deitschen“ sind ein Problem. Die, deren Sprache man nicht einmal annäherungsweise spricht, erst recht. Das bekommen Minderheiten, seien sie autochthon oder zugewandert, regelmäßig zu spüren.
Das österreichische Selbstbild ist ein anderes. Man hält sich für gastfreundlich, verwechselt dabei aber Geschäftssinn mit Weltoffenheit. Man träumt sich in die Mitte Europas, lernt aber nicht die Sprachen der Nachbarländer. Man schimpft auf die EU, ist aber auch ein bisschen stolz, mitmachen zu dürfen, und trottet darum brav der BRD hinterher.
Unzählige Ausnahmen des hier skizzierten Bildes ließen sich nennen. Aber sind sie typisch? Sind nicht vielmehr die typisch, denen alles Fremde unheimlich ist und die sich einigeln im wohligen Wirgefühl nationaler Selbstgenügsamkeit? Man schaue den Leuten aufs Maul und grause sich.

Kein Advent, nirgends

Die Abschaffung des Advents und damit der Weihnachtszeit, wie ich sie am vorigen Sonntag behauptet habe, ist nicht einfach eine Kommerzalisierung. Es geht nicht darum, dass ein religiöses Fest von Geschäftsinteressen überwuchert zu werden droht. Es geht darum, dass das Fest und das, was es an ihm zu feiern gibt, im Erleben der Menschen von völlig sachfremden Vorstellungen und Praktiken entkernt und damit vernichtet worden ist. Nein, Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe, es ist nicht das Fest der Familie, es ist nicht das Fest des Schenkens, es geht nicht um Punsch und Rentier, dicke Männer mit weißem Bart und roter Mütze, nicht um Lichterglanz, Glocken und Gebäck. Es geht um die Geburt des Erlösers, um die Menschwerdung Gottes.
Daran ist nun weißgott nichts Niedliches. Es gab weise Kulturen, in denen bei jeder Geburt rituell geweint und geklagt wurde. (Noch Alfred Polgar meinte, das Beste wäre es, nie geboren zu werden, setzte jedoch hinzu: Aber wem passiert das schon?) Geboren zu werden ist ein bedauerlicher Umstand, da er ein Hineingesetztwerden in eine Welt der Mühe und des Versagens bedeutet, in ein Dasein voller eigener und fremder Sünden, in ein Leben mit endlich Freuden und am Ende einem unausweichlichen Tod. Dass nun der allmächtige Gott sich das antut, dass er, um als Erlöser am Kreuz zu sterben, als Kind zu Welt kommt, ist erst recht kein Anlass für Sentimentalitäten.
Den meisten Menschen ist freilich das Kernthema von Weihnachten schnurzpiepegal. Für sie geht es um Geschenke und Weihnachtsbaum, um Kindheitserinnerungen und Feiertagsstimmung. Man will etwas, das es wahrscheinlich so nie gab, jedes Jahr wiederhaben. Dazu gehören auch echte und falsche Traditionen, säkulare und religiöse. Zu Weihnachten sind die Kirchen zwar ausnahmsweise einmal voll, aber das besagt gar nichts, das ist bloß Folklore und private Stimmungsmache und hat mit dem restlichen Jahr nichts zu tun.
Der Advent ist ja nicht nur als Zeit im Kirchenjahr abgeschafft, sondern auch als Lebensstil. Nicht nur sind die westlichen Gesellschaften fundamental entchristlicht — wofür die widerwärtigen pseudochristlichen Fundamentalisten nur Zeugnis, nicht Gegenbeispiel sind —, sondern das heutige Christentum selbst ist entchristlicht. Nähmen die, die den Kirchen angehören, deren Lehren ernst, müssten sie jeden Tag die Wiederkunft Christi erwarten. Das tun sie aber offensichtlich nicht, sonst lebten sie nicht, wie sie nun einmal leben. So wie alle nämlich.
Meiner Meinung nach gibt es zwar keine besondere „christliche“ Ethik, sondern nur eine für alle Menschen. Auch Buddhisten, Moslems, Konfuzianer oder Atheisten wissen, dass Lügen, Stehlen und Morden schlecht ist, und erziehen in diesem Sinne auch ihre Kinder. Was aber Christen von Nichtchristen unterscheiden sollte, sind also nicht irgendwelche ominösen „Werte“, sondern der besondere Nachdruck beim Gutseinwollen, der aus dem Glaube ndaran erwachsen müsste, dass man sich für sein Tun und Lassen höchstinstanzlich zu verantworten hat. Dass hat nichts mit einem Kalkül von Lohn uns Strafe zu tun, sondern mit Liebe. Echte Christen müssten Christi Wiederkehr, also den adventus Domini, nicht nur erwarten, sie müssten ihn sogar Tag für Tag herbeisehnen. Allerdings hat man nicht den Eindruck, es gebe allzu viele, die das Jüngste Gericht kaum abwarten können … Maranatha!