Sonntag, 5. Dezember 2010

Kein Advent, nirgends

Die Abschaffung des Advents und damit der Weihnachtszeit, wie ich sie am vorigen Sonntag behauptet habe, ist nicht einfach eine Kommerzalisierung. Es geht nicht darum, dass ein religiöses Fest von Geschäftsinteressen überwuchert zu werden droht. Es geht darum, dass das Fest und das, was es an ihm zu feiern gibt, im Erleben der Menschen von völlig sachfremden Vorstellungen und Praktiken entkernt und damit vernichtet worden ist. Nein, Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe, es ist nicht das Fest der Familie, es ist nicht das Fest des Schenkens, es geht nicht um Punsch und Rentier, dicke Männer mit weißem Bart und roter Mütze, nicht um Lichterglanz, Glocken und Gebäck. Es geht um die Geburt des Erlösers, um die Menschwerdung Gottes.
Daran ist nun weißgott nichts Niedliches. Es gab weise Kulturen, in denen bei jeder Geburt rituell geweint und geklagt wurde. (Noch Alfred Polgar meinte, das Beste wäre es, nie geboren zu werden, setzte jedoch hinzu: Aber wem passiert das schon?) Geboren zu werden ist ein bedauerlicher Umstand, da er ein Hineingesetztwerden in eine Welt der Mühe und des Versagens bedeutet, in ein Dasein voller eigener und fremder Sünden, in ein Leben mit endlich Freuden und am Ende einem unausweichlichen Tod. Dass nun der allmächtige Gott sich das antut, dass er, um als Erlöser am Kreuz zu sterben, als Kind zu Welt kommt, ist erst recht kein Anlass für Sentimentalitäten.
Den meisten Menschen ist freilich das Kernthema von Weihnachten schnurzpiepegal. Für sie geht es um Geschenke und Weihnachtsbaum, um Kindheitserinnerungen und Feiertagsstimmung. Man will etwas, das es wahrscheinlich so nie gab, jedes Jahr wiederhaben. Dazu gehören auch echte und falsche Traditionen, säkulare und religiöse. Zu Weihnachten sind die Kirchen zwar ausnahmsweise einmal voll, aber das besagt gar nichts, das ist bloß Folklore und private Stimmungsmache und hat mit dem restlichen Jahr nichts zu tun.
Der Advent ist ja nicht nur als Zeit im Kirchenjahr abgeschafft, sondern auch als Lebensstil. Nicht nur sind die westlichen Gesellschaften fundamental entchristlicht — wofür die widerwärtigen pseudochristlichen Fundamentalisten nur Zeugnis, nicht Gegenbeispiel sind —, sondern das heutige Christentum selbst ist entchristlicht. Nähmen die, die den Kirchen angehören, deren Lehren ernst, müssten sie jeden Tag die Wiederkunft Christi erwarten. Das tun sie aber offensichtlich nicht, sonst lebten sie nicht, wie sie nun einmal leben. So wie alle nämlich.
Meiner Meinung nach gibt es zwar keine besondere „christliche“ Ethik, sondern nur eine für alle Menschen. Auch Buddhisten, Moslems, Konfuzianer oder Atheisten wissen, dass Lügen, Stehlen und Morden schlecht ist, und erziehen in diesem Sinne auch ihre Kinder. Was aber Christen von Nichtchristen unterscheiden sollte, sind also nicht irgendwelche ominösen „Werte“, sondern der besondere Nachdruck beim Gutseinwollen, der aus dem Glaube ndaran erwachsen müsste, dass man sich für sein Tun und Lassen höchstinstanzlich zu verantworten hat. Dass hat nichts mit einem Kalkül von Lohn uns Strafe zu tun, sondern mit Liebe. Echte Christen müssten Christi Wiederkehr, also den adventus Domini, nicht nur erwarten, sie müssten ihn sogar Tag für Tag herbeisehnen. Allerdings hat man nicht den Eindruck, es gebe allzu viele, die das Jüngste Gericht kaum abwarten können … Maranatha!

3 Kommentare:

  1. Ok, also hat die heutige Gesellschaft eine Tradition übernommen, ihre Symbole aber umgewertet. Wie das Christentum damals auch, als es das heidnische Wintersonnenfest christianisiert hat.
    Die Kirche hat sich verändert. Vielleicht kommt ein Schisma der Kirche, ausgelöst durch entfremdete Konservative, die zu einer Randgruppe werden (oder eine konservative Revolution in die Wege leiten). Warum nicht.
    Wo ist das Problem?

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  2. Es geht nicht um "Umwertung", sondern um Entwertung. Konsumismus ist kein "Wert", sondern ein menschenverachtendes System.
    Dass das Christentum ein heidnisches Fest umgedeutet habe, ist ein gängiges, aber unhaltbares Vorurteil. So als habe es Weihnachten immer schon gegeben, und irgendwann hätten sich die Christen da draufgesetzt. Lächerlich. Dass es religiöse Bräuche rund um die Wintersonnenwende gab, ist nicht zu leugnen. Aber weder der Weihnachtsbaum noch der Adventskranz sind altes Brauchtum, weder der Weihnachtsmann noch die elektrische Illumination von Hausfassaden sind heidnisch. Nichts davon ist ein christliches Symbol, also wurde auch nichts "umgewertet".
    Das Problem ist die völlige Bewusstlosigkeit, in der sich der Verlust gehaltvoller Symboliken vollzieht. Solche "Veränderungen" betreffen die Grundlagen des Zusammenlebens. Eine Gesellschaft, die Glaubensangelegenheiten nur noch als beliebige Privatsachen und austauschbare Folklore verstehen kann, zerstört sich selbst. Der einzige Zusammenhalt ist dann das Funktionieren des Ökonomischen, also der produktiven Repression.
    Wer will das?

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  3. Gibt es irgendwo einen "I like" Button?

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