Mittwoch, 15. Mai 2019

Es gibt keine Wahl

Manche halten sich für besonders schlau und machen folgende Rechnung auf: Wenn von 100 Wahlberechtigten 100 wählen gehen und davon 10 ihre Stimme für Rechtspopulisten abgeben, sind das zehn Prozent für die Rechtspopulisten. Wenn aber von 100 Wahlberechtigten nur 50 wählen gehen und davon 10 ihre Stimme für Rechtspopulisten abgeben, sind das 20 Prozent für die Rechtspopulisten.
Dem kann man eine ebenso einfache Rechnung entgegenhalten: Wenn von 100 Wahlberechtigten 0 wählen gehen, sind das maximal 0 Prozent für die Rechtspopulisten.
Oft wird behauptet, wer nicht wählen gehe, verwirke sein Recht, die Politik zu kritisieren. Das ist, als ob man behauptete, wer nicht Auto fahre, nicht mit dem Flugzeug fliege und keine Kreuzfahrten unternehme, habe kein Recht, den von Menschen gemachten Klimawandel zu kritisieren. Also Schwachsinn.
Anders herum wird ein Schuh daraus: Wer wählen geht, hat hinterher kein Recht, sich zu beschweren, er hat ja seine Stimme für das Ergebnis abgegeben.
Darum wird ja auch dafür geworben, unbedingt wählen zu gehen. Egal, was du wählst, heißt es wieder und wieder, Hauptsache, du gehst überhaupt wählen.
Und tatsächlich: Es ist wirklich egal, wer was wählt. Über Politik wird nicht in Parlamenten entschieden. Da müsste schon eine Revolution stattgefunden haben und dann gewählt werden, damit ein kollektives Votum einen Bruch mit dem Bestehenden ausdrückt. Durch Wahlen selbst wird nichts verändert. Sonst ließen man sie nicht stattfinden.
Wer wählen geht, unterstützt das System. Genau das System, das für Ausbeutung, Verblödung und Zerstörung sorgt. Man wählt national, das System agiert global. Keine Stimmabgabe wird daran etwas ändern.
Es gibt also nichts zu wählen. Welche Partei könnte man denn wählen, damit sich tatsächlich etwas ändert? Nicht nur ändern soll (weswegen man die wählen könnte, deren Programm man für das am wenigsten schlimme hält), sondern tatsächlich ändert. Offensichtlich keine. Man kann nur destruktiv sein und die laut schreienden Populisten unterstützen, die für Repression und Sozialabbau eintreten. Die würden wirklich etwas ändern, wenn sie an der Macht sind. Aber wie dumm muss man sein, um seine eigenen Unterdrücker und Ausbeuter zu wählen?
Nicht, dass die anderen keine Unterdrücker und Ausbeuter wären. Im Gegenteil. Sie sind die Stützen des Systems. Wenn sie sich nun, da es zu ihnen eine noch schrecklichere Alternative gibt, als das kleinere Übel darstellen („Wählt uns, wir sind wenigstens keine Nazis!“), haben sie völlig Recht: Sie sind ein Übel.
Nein, es gibt nichts zu wählen. Darum sollte man sein Gewissen nicht damit beruhigen, dass man ja seine staatsbürgerliche Pflicht getan habe und wählen gegangen sei. Die Freiheit nutzen, die andere nicht haben, und solcher Quatsch. Nutzt lieber eure relative Freiheit dazu, nein zu sagen. Setzt keiner symbolischen Akte der Zustimmung. Jede Stimme bei einer von den Herrschenden veranstalteten Wahl ist eine Stimme für die Herrschenden.
Wie dumm oder wie ängstlich muss man sein, das nicht wahrhaben zu wollen?