Sonntag, 23. Februar 2014

Sündhaft teurer Dreck

Dass einer im Luxus leben will, ist ja nicht völlig unverständlich. Nicht jeder fühlt sich zu franziskanischer Armut berufen. Man kann’s mit dem Wohlleben aber auch übertreiben. Zumal, wenn man bloß ein vom und fürs Volk gewählter Politiker und kein Sportler, Schauspieler, Musiker oder sonstiger Großunternehmer ist. Weil dann nämlich der Verdacht naheliegt, dass zur Finanzierung all der Pracht auch ein womöglich reichlich bemessenes Präsidentengehalt samt übermäßig großzügigem Spesenrahmen nicht ausgereicht haben kann, sondern der zur Schau gestellte Reichtum jenseits von Legalität und Moral zusammengetragen wurde.
Ein reicher Mann, sagt ein von mir gern zitiertes chinesisches Sprichwort, ist entweder ein Dieb oder der Sohn eines Diebes. Wiktor Janukowytschs Vater war Metallarbeiter, seine Mutter Krankenschwester.
Nun ist der Umstand, dass der vom Autoschlosser zum Staatsoberhaupt aufgestiegene Janukowytsch sich und seine Familie bereichert hat, keineswegs überraschend. Von Kommunisten und Postkommunisten ist nichts anderes zu erwarten als Kleptokratie. Und es überrascht mich auch nicht, dass die Bilder von Meschyhirja, Janukowytschs bombastischer Privatresidenz, die alte Einsicht bekräftigen, dass man Geschmack nicht kaufen kann.
Es passt alles zusammen. Auf dem Gelände befand sich einst das Kloster Meschyhirja, das auf Befehl der Bolschewisten 1918 geschlossen und Mitte der 30er Jahre abgerissen wurde. Die Partei und später der ukrainische Staat hatten dort später ein Gästehaus. Janukowytsch bewohnte das Haus erstmals als Ministerpräsident und mietete es später privat zu einem erstaunlich niedrigen Preis. Mit Methoden, die man gern „undurchsichtig“ nennt, ließ Janukowytsch die Immobilie in sein Eigentum übergehen und anschließend, natürlich auf Staatskosten, nach seinen Vorstellungen umbauen.
Meschyhirja ist mehr als dreimal so groß wie die Vatikanstadt, umfasst Gärten, Jagdrevier, Golfplatz, Tennisplätzen, Bowlinganlage, Reitanlage, Schießanlage, Hubschrauberlandeplatz, Jachthafen, Privatzoo, eine mit Luxuslimousinen und Oldtimern überreich bestückte Garage und ein auch nicht leeres Bootshaus, sodann das alptraumartig überladene Haupthaus und ein zu Partyzwecken geeignetes Nebenhaus in Gestalt einer im Wasser liegenden Galeone.
Man muss das alles gesehen haben, um einen Eindruck von der völligen Geschmacklosigkeit zu bekommen, die sich hier mit viel, viel Geld verwirklicht hat. Man mag einwenden, dass man einem mann, der, wie man es nennt, aus „einfachsten Verhältnissen“ stammt — und schon als Jugendlicher kriminell gewesen sein dürfte —, nicht vorwerfen könne, dass sein Stilempfinden nicht ausgeprägt sei. Es gelte nun einmal: Erlaubt ist, was gefällt. Nun gut. Aber was da gefällt, lässt eben doch tief blicken. Wozu etwa will jemand ein Klo in Form eines Thrones? Kommt er sich dann richtig wichtig vor, wenn er sein Geschäft verrichtet? Und wenn er sich in sein Schein-Boot ein Klo und Bidet mit goldenen Entenfüßen einbauen lässt, erinnert ihn das nicht an die hühnerbeinige Hütte der Märchenhexe Baba Jaga? Will er das?
In früheren Zeiten konnten Machthaber mit ihrem Reichtum brüsten. Tempel und Schlösser, Kathedralen und Museen verdanken sich der Mehrwertabschöpfung durch die Herrschenden, aber eben auch ihrer Kunstsinnigkeit. Dumpfe Gestalten wie Janukowytsch können ihren geliebten Prunk nicht zur Schau stellen, weshalb Meschyhirja Sperrgebiet und Flugverbotszone war. Sie können das aus zwei Gründen nicht: Weil alles geklaut ist. Und weil es geschmacklos ist.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jüngst all den widerwärtigen, von ihrem Geld bezahlten Protz besichtigen konnten, taten gut daran, den sündhaft teuren Dreck nicht zu verwüstenen, sondern angeekelt zu bestaunen und gleichwohl als Volkseigentum und Korruptionsmuseum zu schonen. Möge es erhalten bleiben als nachhaltige Mahnung vor unerwünschten Nebeneffekten der Demokratie. Und als Warnung vor schlechtem Geschmack.

Donnerstag, 20. Februar 2014

Notiz über Moral

Lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass Homosexualität, also die sexuelle Präferenz von Männern für Männer (oder von Frauen für Frauen), etwas Schlechtes ist. Man sah darin Sünde, Krankheit, Geistesstörung oder Verbrechen. Mittlerweile herrscht jedoch vielfach die Überzeugung vor, dass Homosexualität nichts Schlechtes ist und weder der Vergebung noch der Heilung noch der Bestrafung bedarf.
Lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass Päderastie, also die sexuelle Präferenz Erwachsener für Minderjährige, nichts Schlechtes sei. Man sah darin etwas pädagogisch Wertvolles und kulturell Bereicherndes. Mittlerweile herrscht jedoch vielfach die Überzeugung vor, dass Päderastie (jetzt als Pädophilie und Pädosexualität auf den Begriff gebracht) etwas Schlechtes ist und der Therapie und Bestrafung bedarf.
Jede Zeit, die meint, etwas besser zu wissen als andere Zeiten vor ihr, sollte bedenken, dass nach ihr womöglich eine Zeit kommt, die über sie und ihr vermeintlich sicheres Wissen urteilt. Was in einer Zeit als selbstverständlich gilt und gar nicht anders gedacht werden kann, kann in einer anderen Zeit als blinder Fleck und Ort schwerer Irrtümer gelten.
Moral auf veränderliches Wissen zu gründen („Damals glaubten die Leute … Heute wissen wir es besser“), ist unethisch. Denn es setzt die, deren Handeln als unmoralisch sanktioniert wird, dem Risiko aus, bloß Opfer der Machtbedingungen zu sein, unter denen Wissen artikuliert wird. Genau das passiert zwar dauernd, aber diese schlechte Gewohnheit rechtfertigt nicht die Überheblichkeit derer, die sich gerade auf der sicheren Seite wähnen.
Ethik hätte sich auf Grundsätze zu berufen, die immer und überall gültig waren und gültig sein werden. Welche das sind, mag umstritten sein. Sie durch die Kontingenz des jeweils zeitgenössischen Besserwissens zu ersetzen, ist jedoch keinesfalls eine akzeptable Lösung.