Sonntag, 4. November 2012

Huch, wo sind die Schwuchteln hin (1): Fragen und Zahlen

121.290 erwachsenen Bewohnerinnen und Bewohner der USA hat das Gallup Institute zwischen 1. Juli und 30. September 2012 telephonisch diese Frage stellen lassen (auf Englisch oder Spanisch): Identifizieren Sie persönlich sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender? Darauf antworteten 3,4 % mit Ja, 92, 2 % mit Nein und Rest gab keine Antwort.
Weitere Ergebnisse der Umfrage sind, dass sich 3,6 % der Frauen und 3,3 % der Männer als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich 3,2 % der „Non-Hispanic Whites“, 4,6 % der „Blacks“, 4,0 % der „Hispanics“ und 4,3 % der „Asians“ als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich Befragte im Alter von 18 bis 29 Jahren zu 6,4 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, solche im Alter von 30 bis 49 Jahren zu 3,2 %, im Alter von 50 bis 64 zu 2,6 % und die, die 65 Jahre alt oder älter sind, zu 1,9 %; dass sich von den 18- bis 29-jährigen Frauen 8,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren und 4,6 % der Männer derselben Altersgruppe; dass von denen, die allenfalls eine high school besucht haben, 3,5 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen, die ein college besucht, aber keinen Abschluss gemacht haben 4,0 %, von denen, die allenfalls einen College-Abschluss haben, 2,8 % und von denen, die nach dem college noch weitere Bildungseinrichtungen besucht haben, 3,2 %; dass von denen, die ein Einkommen von weniger als 24.000 Dollar im Jahr haben, sich 5,1 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen mit einem Einkommen zwischen mindestens 24.000 und weniger als 60.000 Dollar 3,6 %, von denen mit einem Einkommen von mindestens 60.000 und weniger als 90.000 Dollar 2,8 % und von denen mit 90.000 Dollar oder mehr 2,8 %; dass sich von den Verheirateten 1,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von den Verwitweten 1,9 %, von den Geschiedenen 2,8 %, von den Getrennten 3,7 &, von den in einer Lebensgemeinschaft (domestic partnership) 12,8 % und von denen, die alleine leben und nie verheiratet warten (single, never married) 7,0 %.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer sich in den USA als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifiziert, ist tendenziell eher weiblich, eher jung, eher „nicht-weiß“, eher einkommensschwach und eher von geringer formeller Bildungsqualifikation. (Ein Drittel derer, die die Frage, ob sie sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, mit Ja beantwortet haben, ist „nicht-weiß“, unter den Nein-Sagern sind es 27 %.)
So weit die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage. Deren Gültigkeit kann und soll hier nicht in Frage gestellt werden. Es ist in jedem Falle bemerkenswert, dass es eine solch umfangreiche Umfrage gegeben hat, und die Ergebnisse sind durchaus interessant. Es stellen sich allerdings einige Fragen.
Erstens, warum wurden Umfragen solchen Umfanges nicht schon früher in Auftrag gegeben? Warum jetzt erst? Wie wurde diese Umfrage finanziert und von wem und was ist die dahinter stehende Absicht?
Zweitens, warum wurde, wenn man die Leute schon am Hörer hatte, nur nach Selbstidentifizierung (sowie „Rassenzugehörigkeit“, Geschlecht, Einkommen, Bildung) gefragt, nicht aber nach sexueller Praxis oder erotischer Präferenz?
Drittens, warum wurde nur nach der Einheitskategorie „lesbisch, schwul, bisexuell, transgender“ gefragt, aber nicht wenigstens ob lesbisch/schwul oder bisexuell?
Bei Gallup antwortet man, vorgwegnehmend, auf die hier zuletzt gestellte Frage: „Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, lesbische, schwule oder bisexuelle Orientierung und Transgender-Status zu messen. Sexuelle Orientierung kann bestimmt werden, indem man Identität misst oder sexuelle Verhaltensweisen und Vorlieben.“ [Übersetzung hier und im Folgenden von mir, St.B.] Und man setzt hinzu: „Gallup hat den breit angelegten Maßstab einer persönlichen Identifizierung als LGBT [lesbisch, schwul, bisexuell, transgender] gewählt, weil diese Zusammenstellung von vier Zuordnungen (statuses) üblicherweise in der aktuellen amerikanischen Diskussion verwendet wird und im Ergebnis eine maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung hat. Eine offensichtliche Begrenztheit dieses Ansatzes besteht darin, dass es nicht möglich ist, Unterschiede zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Individuen zu untersuchen. Eine weitere Einschränkung ist, dass dieser Ansatz Selbstidentifizierung im weitesten Sinne misst und nicht aktuelles oder in der Vergangenheit liegendes sexuelles oder sonstiges Verhalten.“ Man ist sich also bei Gallup des Problematischen der Fragestellung sehr wohl bewusst — und hat doch genau so gefragt, wie man gefragt hat.
Entsprechend problematisch sind die Antworten. Damit stellt sich viertens die Frage, ob denn diese neueste Umfrage im Vergleich zu anderen, methodisch zum teil grundverschiedenen Umfragen und Studien, etwas Neues oder Anderes ermittelt hat. Und fünftens, und das ist wohl die entscheidende Frage, worin denn eigentlich die, um die Formulierung aufzugreifen, „maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung“ (important cultural and political significance) besteht, wenn man eine demoskopisch fundierte Zahl nennen kann, wie viele Männer und Frauen in den USA sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren. 

Diesen beiden Fragen gehe ich im zweiten und dritten Teil dieses Blog-Eintrages nach.

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