Samstag, 22. Februar 2025

Leute (25)

Vor Jahren schrieb X. einmal in einem sozialen Netzwerk, wie es sich mit irgendetwas bei ihm so verhalte. (Kein Ahnung mehr, worum es ging, und es ist auch unwichtig.) Und ich regagierte darauf, indem ich schrieb, wie es sich bei mir verhalte. Darauf antwortete X.: „Immer dieses Distinktionsbedürfnis!“ Ich war vor den Kopf gestoßen. Distinktion? Inwiefern? Mir scheint, ich begriff damals nicht, was er meinte, und begreife es vielleicht auch heute nicht. Aber es schien mir nichts Gutes. Und ein Missverständnis.
Wie kann ich einen anderen verstehen, wenn ich ihn nicht mit mir vergleiche? Wie mich selbst verstehen, ohne mich mit anderen zu vergleichen? Dabei ist, was bei allen gleich ist, uninteressant; nur worin man sich unterscheidet, belehrt einen darüber, wie wer ist. (Das bei allen Gleiche zu betonen, hat allenfalls die Funktion, die eigene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Normalen zu bekräftigen, sich und Seinesgleichen von den unzugehörigen, etwa einer anderen „Generation“ oder dergleichen abzugrenzen.)
Um Abgrenzung geht es dabei nicht (oder nicht notwendig), wenn man auf die Mitteilung, bei jemandem verhalte es sich mit dem und dem so und so, antwortet, bei einem selbst verhalte es sich anders. Eher um die Chance auf wechselseitige Verständigung, um die Entdeckung der Verschiedenheit und Vielfalt, um eine Orientierung in der Welt anhand der Mitmenschen, die eben bestenfalls nicht konform sind.
In diesem Sinne: Kein Distinktionsbedürfnis.
Und in dem anderen Sinne: Distinktion als  Überhebung, als Hervorstreichen der eigenen Besonderheit als Überlegenheit? Darin war eigentlich immer eher X. der Spezialist mit seiner Vorliebe für distinguierte Kleidung und teure Parfums, seinen modischen Brillengestellen und metaphorischen Messerbänkchen, mit seiner ab und an eingestreuten Bekanntschaft mit allerhand Prominenz, seiner Stilisierung zum proletarischen Intellektuellen katholischer Herkunft und, ja, auch seiner Krankheit, die ihn schließlich am gewöhnlichen Leben hinderte, nachdem er lange das außergewöhnliche ausgekostet hatte. Das alles immer mit Diskretion und Ironie mehr angedeutet als auf die Nase gebunden, aber doch stets präsent und im Sinne deutlicher Abhebung von denen, die nicht so gebildet, kultiviert, erfahren, reflektiert sind, selbstverständlich.
Auch dieses „Distinktionsbedürfnis“ ist mir (im Unterschied zu X.) fremd.

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