Samstag, 5. April 2025

Notiz zur Zeit (245)

„Es wird eine harte Zeit für uns alle werden“, verkündet der Präsident der Industriellen-Vereinigung, Österreichs mächtigster Lobbyismus-Truppe. Mit „uns alle“ meint er naturgemäß nicht sich und Seinesgleichen, denn er darf mit Recht erwarten, dass die neue Bundesregierung tut, was ihres Amtes ist und was alle Regierungen vor ihr taten: Die Reichen reicher werden lassen. Sondern er meint die Masse der Bevölkerung, die mehr zahlen und weniger dafür bekommen soll. Das nennt man: dringend notwendige Reformen.
Es gilt ja der Grundsatz, dass, wenn die geplanten Staatsausgaben die vorgesehenen Staatseinnahmen in bestimmtem Maße übersteigen, „gespart“ werden muss, was in korrekter Sprache heißt: gekürzt, gestrichen, eingestampft. (Den sparen kann man nur, was man hat. Weniger Schulden zu machen, ist keine Ersparnis. Sonst wäre ich Phantastilliardär, weil ich keine Phantastilliarde Schulden habe. Zumindest noch nicht.)
Und dieses mythische „Sparen“ betrifft, wie könnte es anders sein, die, die wenig haben, und nicht die, die viel und zu viel haben. Pensionisten, Lohnarbeitende, Transferleistungsempfänger. Das bringt zwar finanziell wenig, ist aber psychologisch wichtig: Die Leute sollen merken, dass der Kapitalismus kein Zuckerschlecken ist, was gestern noch berechtigter Anspruch war, kann morgen schon Sozialschmarotzertum sein, ein unverständliches Almosen, dass „wir“ uns einfach nicht mehr leisten können.
Die „Leistungsträger“ hingegen, will sagen die eigentlichen Sozialparasiten, deren Leistung darin besteht, für ihr Vermögen nichts (Erbe) oder nichts Gutes (Ausbeutung, Steuervermeidung, Monopolbildung, Korruption usw.) getan zu haben, sind hingegen unantastbar. Die muss man subventionieren und mit Steuererleichterungen beschenken. Wer ― legal, illegal, scheißegal) ― hat, weil er an sich gerissen hat, dem gegeben, und das nicht zu knapp.
Mit anderen Worten: Frühling für IV und andere verbrecherische Vereinigungen, harte Zeiten für „die kleinen Leute“, die „Anständigen und Fleißigen“. Da fragt man sich schon: Wer hat das Gesindel, das da schon wieder regieren wird, eigentlich gewählt? Warum sind die Leute so blöd?

Freitag, 4. April 2025

Zeitvertreib statt Lebenssinn

Wenn die Leute (die meisten schon im Ruhestand) im Tefau nach ihren Hobbys befragt werden, bin ich von den Antworten oft unangenehm überrascht. „Ich fahre gerne Fahrrad.“ Ein Fahrrad ist ein Fortbewegungsmittel. Sich fortzubewegen ist für sich genommen noch keine Freizeitbeschäftigung. Dasselbe gilt für als Hobby angeführte Automobile, Motorräder und dergleichen. Selbst wenn daran geschraubt werden muss. „Wir verreisen gern.“ Mag sein, aber doch nicht jede Woche. Ortswechsel sind kein Hobby. „Mein Hund.“ Ein Haustier ist ein Lebewesen und kein Steckenpferd. „Meine Enkel.“ Um Gottes willen! „Mein Mann.“ Geht’s noch? Was für asoziales Gesocks ist das denn, das Sozialbeziehungen, mögen sie Geschenk oder Last sein, als Freizeitgestaltung betrachtet. So wie vorher in „Beruf und Familie“, oder wie? Wo Ehemann (oder Ehefrau) und Kinder Teil der Doppelbelastung waren, das familiäre Zusammenleben also nicht Sinn und Zweck des Gelderwerbs (neben der Selbsterhaltung), sondern vorübergehendes Beiwerk.
Gewiss gibt es auch Leute, die Volkstanz machen, Kreuzworträtsel lösen, Sonnenuntergänge oder Gänseblümchen photgraphieren, Angeln oder Stricken. Aber selbst all das ist doch bloß Zeitvertreib. Das kann doch kein erfülltes Leben sein. Das dient doch offensichtlich im Gegenteil dazu, die Frage danach, was eine sinnvolle Lebensführung sein könnte, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Die Leute verschwenden ihr Leben, das einzige, das sie haben, mit oft sinnloser Erwerbsarbeit und völlig sinnbefreiten und noch nicht einmal halbwegs aufregenden Tätigkeiten, die im Grunde nur Vertrödeln und Verblöden sind. Wie bescheuert ist das denn!
Ich verstehe das wirklich nicht. Warum gibt es diese Leute? Interessiert sie das nicht? Sind sie so von ihren Gewohnheiten und der allgemeinen Gewöhnlichkeit zugedröhnt, dass das Ungeheure ― „Ich habe nur dieses eine Leben, daraus muss ich etwas machen!“ bei ihnen nicht aufkommt? Ist ihre Existenz für sie ein Zufall, der irgendwann vorüber ist, nichts, was Gründe, Ursache, Zwecke, Ziele hat, nichts für dessen Gestaltung oder Vergeudung man sich rechtfertigen müsste? Und wäre es nur vor sich selbst … Ich finde das unanständig.

Donnerstag, 3. April 2025

Notiz zut Zeit (244)

„Wir müssen sparen. Irgendwo muss das Geld ja herkommen.“ Ach, es ist kein Geld da? Wo ist es denn hingegangen, das Geld? Doch wohl am meisten zu denen, die sich hemmungslos am gemeinsam Erwirtschafteten bedienen dürfen. Also den Reichen und Superreichen. Das Geld ist nämlich sehr wohl da, es ist nur in den falschen Händen. Von dort muss man es wieder holen. 
Langfristig geht es aber nicht um Umverteilung. Die ist Herumdoktern an Symptomen. Es geht vernünftigerweise um Ursachenbekämpfung. also eine Änderung der Struktur des Eigentums an den Produktionsmitteln. Mit anderen Worten: Sozialismus. (Und das global.)

Die vier Phasen des Erwischtwordenseins

1. Es ist nichts passiert.
2. Ich war das nicht.
3. Was passiert ist, ist nicht wichtig.
4. Andere sind viel schlimmer.

Mittwoch, 2. April 2025

Friedensdemonstrierer

Die da von Frieden reden und ihn ohne Waffen schaffen wollen, befinden sich in der privilegierten Situation, dass sie nicht bombardiert werden, dass ihre Angehörigen nicht getötet, verstümmelt, gefoltert, verschleppt, vertrieben wurden, dass der Krieg, der auch gegen sie (und übrigens auch gegen ihr gutes Recht auf freie Meinungsäußerung) geführt wird, derzeit von den Ukrainerinnen und Ukrainern ausgehalten werden muss. Sie tun so, als ginge der konkrete Krieg sie nichts an, für sie existiert er nur als abstraktes Problem. Dieses Abstraktum macht ihnen Angst. Es fordert sie moralisch-ideologisch heraus. Sie wissen sich ihm aber überlegen und bekämpfen es mit ihren bewährten Parolen. Der wirkliche Krieg, der jetzt gerade stattfindet, interessiert sie allenfalls als Anlass, das zu wiederholen, was sie seit langem sagen. Die wirklichen Opfer sind ihnen ziemlich egal. Den Gedanken, wirksame Hilfe zu leisten, was ja vernünftigerweise auch Waffenhilfe bedeuten müsste, weisen sie von sich. Ihr Anliegen ist größer als die empirische Realität. Ihre Betroffenheit ist selbstgewählt und darum nicht so zufällig wie bei den Bedrohten, Bombardierten, Getöteten und denen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Deshalb wissen sie besser Bescheid als diese. Ihr Urteil ist nicht von der Parteilichkeit der Leidenden verzerrt. Sie folgen unbeirrt ihren Überzeugungen. Was sie sagen, ist immer richtig, solange es nicht mit Tatsachen verglichen wird. Nicht nur ihre Vorstellungen von Krieg sind abstrakt, auch was sie mit Frieden meinen, ist nichts Konkretes. Die Waffen nieder, das ist ein guter Slogan. Aber anscheinend ist er mit der Duldung von Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung vereinbar. Gesellschaftliche Bedingungen, wirtschaftliche Interessen, politische Voraussetzungen interessieren sie nicht. Sie haben keine konkreten, realitätsbezogenen, praktikablen Vorschläge zu machen. Sie haben Angst und sind im Recht, sie verfügen über moralische Grundsätze und ein reines, weil zur Selbstkritik unfähiges Gewissen. Mehr brauchen sie nicht. Dafür gehen sie auf die Straße. Dass sie damit der falschen Seite nützen und der richtigen schaden, ficht sie nicht an. Nicht alle werden von Russland bezahlt. Viele handeln auch bloß aus Dummheit so.

Dienstag, 1. April 2025

Mehr Frauen? Mehr Demokratie!

Den aufmerksame Beobachtern und Beobachterinnen ist selbstverständlich nicht entgangen, dass dem am 23. Februar 2025 gewählte 21. Deutsche Bundestag nur 204 weibliche Abgeordnete (von 630 insgesamt) angehören. Das macht einen Anteil von rund 32,4 Prozent aus. Dem vorigen Bundestag hatten zu Beginn 34,8 Prozent und am Ende gar 35,6 Prozent Frauen angehört. Das neue Verhältnis, so sagt man, sei (wie ja schon das alte) unangemessen, da doch die Bevölkerung, in deren Namen das Parlament zu sprechen beansprucht, zu mehr als der Hälfte aus Frauen bestehe.
Dem liegt freilich ein Denkfehler zu Grunde, Der Bundestag repräsentiert, wenn schon, nicht die Bevölkerung, sondern die Wählerinnen und Wähler. (Wer zum Beispiel nicht deutscher Staatsbürger oder deutsche Staatsbürgerin ist, kann nicht gewählt werden; das sind immerhin mehr als 15 Prozent der Bevölkerung.) Die Wähler und Wählerinnen sind zudem in ihrer Auswahl nicht frei, sondern an die Kandidaten und Kandidatinnen gebunden, die von den bei der Wahl antretenden politischen Parteien „aufstellen“, also als zu Wählende vorschlagen, in den 299 Wahlkreisen und auf den 16 Landeslisten.
Darum muss man fragen: Gehören denn den wahlwerbenden Parteien und deren die Kandidaten und Kandidatinnen bestimmenden Gremien zu Hälfte Frauen an? Wenn nicht, wäre es geradezu unrepräsentativ, wenn zur Hälfte Frauen vorgeschlagen würden …
Frauen, heißt es, bekämen, wenn sie denn überhaupt vorgeschlagen würden, schlechtere Listenplätze und schwierigere Wahlkreise. Das mag sein. Aber wer beschließt das? Wenn Frauen nicht in ausreichender Zahl Parteimitglieder und Parteitagsdelegierte sind, aber trotzdem „gleichberechtigt repräsentiert“ werden wollen, dann erwarten sie also, dass Männer zu ihren Gunsten auf die ihnen zustehende Repräsentation verzichten.
Manche Parteien legen genau das fest. Bei der Erstellung von Listen muss demnach immer ein Kandidat auf eine Kandidatin oder eine Kandidatin auf einen Kandidaten folgen. Das sichert eine halbwegs hälftige Verteilung der Geschlechtszugehörigkeit der Kandiderenden. (Was mit den Diversen ist, den Nonbinären, Intersexuellen, in Transition Befindlichen usw., bleibt dabei unklar.) Die annähernd hälftige Verteilung scheint der Verfassungbestimmung „Männer und Frauen sind Gleichberechtigt“ zu entsprechend, deutet diese Feststellung freilich um in den Auftrag „Frauen sollen mit Männern gleichberechtigt sein“.
Wollte nun ein Wähler oder eine Wählerin, was ihm oder ihr ja eigentlich frei steht, nur Männer oder nur Frauen wählen, ist ihm oder ihr das verwehrt. Er oder sie kann zwar eine Kandidaten oder der Kandidatin seines Wahlkreises seine oder ihre Stimme verweigern und jemand anderen Geschlechts wählen, dann aber damit auch jemandem von einer anderen Partei. (Wählt er oder sie eine Partei, ist er an deren Liste mit dem in dieser festgelegten jeweiligen Geschlechterverhältnis sowieso gebunden.)
Die Lösung wäre einfach: Jede in einem Wahlkreis antretende Partei muss jeweils einen Kandidaten und eine Kandidatinnen benennen. Die Wähler und Wählerinnen haben dann die Wahl, ob sie von der Partei, die sie bevorzugen, den Mann oder die Frau wählen wollen. Ob das dann zu „Hälfte-Hälfte“ oder einem Übergewicht des einen oder anderen Geschlechts führte, würde man sehen, es wäre jedenfalls demokratisch entschieden.
Auch bei der Listenwahl ließe sich etwas demokratisieren ― und personalisieren (da doch „personalisierte Verhältniswahl“ das Ziel des Wahlrechts sein soll). Zumal die derzeitige Form der Personalisierung, die Wahlkreiskandidaturen, höchst problematisch sind. Gewählt ist nämlich im Wahlkreis, wer mehr Stimmen bekommen hat als die anderen Kandidaten und Kandidatinnen. Rein theoretisch könnten das aber auch nur zwei Prozent sein, wenn 98 andere nur jeweils ein Prozent haben. Realistischer sind selbstverständlich Ergebnisse von zum Beispiel jeweils 35, 30, 25, 10 Prozent, wodurch der Kandidat oder die Kandidatin mit dem 35 Prozent die Wahl „gewonnen“ hat ― obwohl fast zwei Drittel der Wähler und Wählerinnen nicht für ihn oder sie gestimmt haben. Und selbst wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen kann, sagen wir 51 Prozent, dann fallen trotzdem 49 Prozent unter den Tisch. Das ist repräsentativ? Das ist demokratisch?
Besser wäre es also, man beschränkte sich überhaupt auf Listen (meinetwegen Landeslisten), änderte aber etwas an der Weise, in der für diese gestimmt wird. Und zwar folgendermaßen: Der Wähler oder die Wählerin hat genau eine Stimme, die jeweils einem Kandidaten oder einer Kandidatin gegeben werden kann. Damit wird zugleich eine Partei gewählt (selbstverständlich die, für die der angekreuzte Kandidat oder die angekreuzte Kandidatin antritt). Die Parlamentssitze werden sodann nach Stimmenstärke der Parteien vergeben. Wer aber diese Plätze einnimmt entscheidet sich danach, wer auf welcher Parteiliste jeweils am häufigsten gewählt wurde. (Sind mehr Sitze zu vergeben, als Kandidaten oder Kandidatinnen angekreuzt wurden ― was gewiss geschehen wird, da mehrere Wähler und Wählerinnen demselben Kandidaten oder derselbe Kandidatin ihre Stimmen gegeben haben werden ―, folgte die Vergabe der von den Parteien festgelegten Reihenfolge.) ― Solche Wahlverfahren gibt es bereits. Etwa verschiedene Vorzugsstimmensysteme. Derlei funktioniert erwiesenermaßen. Hier wird nur eine Radikalisierung vorgeschlagen.
Mit dem hier vorgeschlagenen Stimmen für eine kandidierende Person ist die Wahl in einem Maße personalisiert, das nicht zu steigern ist. Wahlkreise in der bisherigen Form sind dann überflüssig. Gerade, dass es keine „sicheren“ Listenpätze und Wahlkreise mehr gibt, bedeutet mehr persönlichen Einsatz. Den Kandidaten und Kandidaten steht es im Rahmen ihrer Möglichkeiten (und der ihrer Parteien) frei, auf sich aufmerksam zu machen, sich zu profilieren die Gunst der Wähler und Wählerinnen zu erlangen. Hinterbänkler und Hinterbänklerinnen, die „nur“ über einen Listenplatz ins Parlament kommen, gibt es auch jetzt schon. Parteien, die wenig Chancen auf „Wahlkreisgewinne“ haben und darum auf Stimmen für ihre Liste angewiesen sind, werden völlig gleich behandelt wie Parteien mit prominenten und „beim Wahlvolk ziehenden“ Politikern und Politikerinnen. Auch das erhöht die Repräsentativität.
Man mag die Befürchtung haben, dass der Wahlzettel sehr lang würde, wenn alle Kandidaten und Kandidatinnen aller Parteien darauf aufgeführt werden müssen (selbst wenn vermutlich wegen des Föderalismus getrennte Landeslisten bestehen müssten). Das kann man umgehen, indem die Wähler und Wählerinnen nicht vorgegebene Namen ankreuzen, sondern den Namen des von ihnen bevorzugten Kandidaten oder der von ihnen bevorzugten Kandidatin hinschreiben; so viel wird man vom demokratischen Souverän ja noch verlangen können, dass er (in welcher Orthographie auch immer, aber erkennbar) einen Namen hinschreibt ― nach mitgebrachter Vorlage (Spickzettel zum Stimmzettel)?
Eine solche Veränderung des Wahlrechts öffnete, entsprechende Kandidaten und Kandidatinnen vorausgesetzt, endlich echter Repräsentativität die Tür. Denn die (wahlberechtigte) Bevölkerung besteht ja nicht nur aus Männern und Frauen, sondern auch aus Alten und Jungen, Behinderten und Nichtbehinderten, Heterosexuellen und Anderssexuellen, Menschen mit Herkunft und (angeblich) ohne, Anhängern und Nichtanhängern verschiedener Religionen und Weltanschauungen, Fans verschiedener Fußballklubs und an Fußball nicht Interessierten usw. usf. Es ist sehr eigenartig, dass man oft nur die derzeitige Unterrepräsentiertheit von Frauen bemängelt, alle anderen Repräsentativitätsmängel aber ignoriert. (Wobei ein vollständig „repräsentatives“, in jeder erdenklichen Hinsicht durchquotiertes Parlament vermutlich blanker Unsinn wäre. Da wäre Auslosen besser.)
Mit dem hier vorgeschlagenen Wahlrecht wäre es denkbar, dass die Wähler und Wählerinnen überwiegend im Rollstuhl sitzende alleinerziehende Lesben aus afrikanischen Familien wählen, die buddhistische Schalke-Fans mit einer Vorliebe für Renaissancemusik, spätbarocke Malerei und postmoderne finnische Lyrik sind. Unwahrscheinlich, aber denkbar. Es wäre möglich, dass der Frauenanteil steigt, vielleicht tut er das aber auch nicht. Jedenfalls wäre es dann die Entscheidung der Wähler und Wählerinnen und nicht der sie bevormundenden Parteien.

Samstag, 29. März 2025

Friedenshetze

Dieser Krieg findet statt. Um ihn zu beenden, muss man ihn zu Ende führen. Von alleine hört er nicht auf. Selbst wenn der Angreifer die Angegriffenen doch noch überrennt, wäre das kein Frieden, sondern ein Krieg mit anderen Mitteln, mit freilich gar nicht so anderen: Denn aus den derzeit schon besetzten Gebieten weiß man, wie die Besatzung der Ukraine durch Russland aussähe: Unterdrückung, Folter, Mord, Verschleppung, Einsperrung.
Die Ukrainer und Ukrainerinnen (und solidarische Kämpfer aus vielen Ländern) sind es, die diesen Krieg, der gegen sie und den Westen geführt wird, allein führen. Die Hilfe des Westens, so entscheidend sie ist, ist zögerlich und ungenügend.
Waffenhilfe genügt nicht. Der Westen muss selbst aktiv in den Krieg eingreifen. das ist genau das, was der Feind fürchtet und wogegen er wüste Drohungen ausspricht.
Eine als möglich (oder auch nicht) in Aussicht gestellte NATO-Mitgliedschaft nützt der Ukraine nichts. Sie ist jetzt schon einem Angriff ausgesetzt, wenn also das westliche Bündnis sie als Teil seiner selbst behandeln will, dann jetzt und nicht erst, wenn „dort drüben“ alle tot oder versklavt sind.
Die Angst vor dem Dritten Weltkrieg ist verständlich. Sie ist nicht zufällig Putins stärkste Waffe, Aber vor lauter Angst vor einem Weltkrieg lauter Nichtweltkriege zuzulassen, ist dumm und selbstzerstörerisch. Aus Angst vor Atomwaffengebrauch einem konventionellen Aggressor Konzessionen zu machen, ist dumm und selbstzerstörerisch. Man hat es mit einem schlauen Irren zu tun, der nur die Srache der Gewalt versteht, Dann muss man die eben sprechen.
Wozu sind die sündteuren Atomwaffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs eigentlich gut, wenn ihr Abschreckungswert so gering ist? Wenn ihr Einsatz sowieso grundsätzlich abgelehnt wird?
Auch ich lebte weitaus lieber in einer Welt ohne Atomwaffen und ohne Kriege. Die Frage ist: Wie kommt man dorthin? Durch Abwarten? Durch Dulden schurkischer Atomstaaten? ― Der Iran hat und will keine Atomwaffen (gemäß einer Fatwa Chomeinis), aber er wird trotzdem sanktioniert, als arbeite er daran, welche zu haben. Israel hat Atomwaffen, aber niemand redet darüber. Warum ist die real existierende israelische Bombe kein Problem, die nicht existierende iranische schon? Und warum wird das Recht von Diktaturen wie Russland und Rotchina, Atomwaffen zu haben, nie bestritten nie in Frage gestellt, das der Diktatur Nordkorea aber sehr wohl? Irgendetwas stimmt doch da nicht in der Atomwaffenpolitik des Westens. 
Es gibt Geistesschwache, die von Verhandlungen faseln. Was soll zwischen der Ukraine und Russland abgemacht werden? Russland hat die Ukraine überfallen und hält Teile ihres Territoriums besetzt (und die Bevölkerung dort unter Terror), das muss enden. Wenn das nicht Punkt 1 eines Abkommens ist, ist es ein himmelschreiender Skandal und null und nichtig.
„Verhandlungen“ soll also wohl heißen: Die Ukraine tritt Land und Leute an Russland ab, ersetzt seine Regierung durch eine Russland genehme und koppelt sich vom Westen ab. Das ist es, was Putin will (und Trump ihm gewähren möchte).
Wer solche „Verhandlungen“ und Verträge befürwortet, ist ein Kriegsgegner, ein Feind. Nicht nur der Ukrainenerinnen und Ukrainer, sondern der Menschheit. Egal, ob aus Dummheit, aus Bosheit oder weil er von Moskau bezahlt wird.
Frieden schaffen ohne Waffen: Schön gesagt. Aber abrüsten sollte man vor dem Krieg und um Krieg zu verhindern, nicht im schon stattfindenden Krieg. Es geht für den Westen darum nicht um Aufrüstung aus Jux und Dollerei, sondern um dringend erforderliche Nachrüstung. Die Vernachlässigung der militärischen Verteidigungsfähigkeit, aber auch der moralischen (warum ist „kriegstüchtig“ sonst eine viele in der BRD so verblüffende Vokabel?) rächt sich. Wer immer noch glaubt, in Frieden leben zu können, wenn die Nachbarn schon kämpfen und sterben, ist ein Dummkopf oder ein Schwein.
Frieden schaffen ohne Waffen: Wie denn dann? Durch Hokuspokusfidibus? Die Realität ist vielleicht Scheiße, aber sie ist nun einmal das, womit man arbeiten muss. Wenn Krieg ist, ist Krieg. Und der ist erst vorbei, wenn der, der ihn begonnen hat, ihn nicht mehr führt. Am besten: Nicht mehr führen kann. Russlands Sieg brächte nicht Frieden, sondern Unterdrückung und künftigen Krieg. Darum muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen. Oder alles ist verloren.
Слава Україні! Героям слава!

Mittwoch, 26. März 2025

Zitate aus der Hölle (2)

Wow, was für eine Überraschung! Eine berührende, schöne und traurige Liebes- und Familiengeschichte, so elegant geschrieben, soviele überraschende Twists, spannend, wie ein Krimi.

Montag, 24. März 2025

Leute (26)

Was X. da zusammengemalt hatte, war langweilig, einfältig, selbstgefällig, und man vergaß es schon, während man es noch anschaute. Kein Wunder, dass niemand etwas von dem so ambitioniert Ausgestellten kaufen wollte. Zu seinem Glück aber, das er uneingestandenermaßen als Unglück empfand, musste X. von seiner Malerei ja nicht leben. Meiner Meinung nach geht es beim sogenannten Erfolg übrigens gar nicht um die Qualität von Bildern, über die es immer verschiedene Meinungen geben kann, sondern um die erlangte Position auf dem Markt. X. hatte keine. Gewiss, er wurde ausgestellt, wie auch er im Rahmen der von ihm irgendwann halb improvisierten Ausstellungen freundlicherweise immer wieder auch andere ausstellte. Aber im Grunde war er mit dieser seiner Freizeitbeschäftigung, die aus ganzen Herzen seinen eigentlichen Lebensinhalt darstellte, gescheitert. Denn er hatte nie jemanden gefunden, der mit ihm Geld verdienen wollte. An seiner unangenehmen Persönlichkeit konnte das kaum gelegen haben, es gibt viele Künstler, die in vielerlei Hinsicht Arschlöcher sind. Vielleicht lag es an seiner Halbherzigkeit, seinem Zögern, seinen Skrupeln. Dies in Verbindung mit Arroganz hatte ihn vielleicht wenig geschäftstauglich gemacht. Und außerdem waren, wie gesagt, seine Bilder belanglos.

Sonntag, 23. März 2025

Balken & Splitter (113)

Früher sagte man, in den USA gebe es nur zwei entscheidende politische Richtungen: rechts und rechtsextrem. Heute könnte man sagen, es seien immer noch nur zwei: faschistisch und hilflos.
 
Raul Hilberg, der Erforscher der Vernichtung der europäischen Juden, unterschied Täter, Opfer, Zuschauer. Was die derzeitige Gegenwart betrifft, so sind alle unvermeidlich Zuschauer. Warum auch die nichts tun, die zwar nicht am Ruder, aber doch auch an der Macht sind, dürfte nicht nur den Opfern unverständlich sein.
 
Darf das wahr sein? Es scheint alles so irreal.
 
Dass die Wirklichkeit nicht mehr richtig wirklich ist, ist keine neue Erkenntnis. Simulationen, Vorspiegelungen, Fälschungen, Tricks aller Art bestimmen das moderne Leben.
 
Don Quijote kämpfte gegen Windmühlen, heißt es, die er für Riesen hielt. Heute schlagen die Windmühlen wild und medientauglich um sich, damit man die Riesen nicht sieht, die die Realität okkupiert haben.

Elitenversagen? Als ob, mit Verlaub, das Züchten von gut ausgebildetem, aber moralisch verrottetem und im Grunde strunzdummem Personal nicht immer schon Sinn und Zweck eines Bildungssystems gewesen wäre, in dem es teure Schulen und Universitäten für die Kinder der Reichen und öffentliche Schulen und Massenuniversitäten für den Rest gibt.
 
Dass mächtige Funktionäre des Staates nichts von dem verstehen, wofür sie zuständig sind, ist kein Missgriff, sondern Schachzug. Und als solcher weder neu noch besonders. Schon gar keine Besonderheit der USA, dort nur, wie alles,  spektakulärer. (Oder will irgendjemand behaupten, die bundesdeutschen und österreichischen Minister der letzten Jahrzehnte seien kompetent, klug und gebildet gewesen?)
 
Übrigens war Ribbentropp Sekthändler. Hitler ein verhinderter Maler. Himmler gescheiterter Hühnzüchter. Usw. usf. (War das übrigens auch schon Folge der Postmoderne, die manche darin erkennen wollen, dass ein Immobilienmakler US-Beauftragter für die Ukraine ist?)
 
Was einen beeindrucken soll, davon sollte man sich nicht beeindrucken lassen.

Mag sein, dass eine E-Auto-Marke wegen der abstoßenden Dummheit ihres obersten Repräsentanten derzeit an Wert und Marktanteil verloren hat. (Superreiche kommen und gehen. Irgrndwann sterben sogar welche.) Das ändert nichts am Prinzip, das hinter dem ganzen Spektakel steht: Die Reichen werden Reicher und der Rest schaut hilflos und faktisch gehorsam zu.
 
Dass Menschen real unter dem System leiden, das aus lauter unfassbaren Simulationen zu bestehen scheint, ist die Kehrseite. Das Kriterium der Wahrheit und Richtigkeit ist darum, wenn man so will: Wer stirbt daran? Wer wird wen betrauern? Was wird für immer zerstört?

Mittwoch, 19. März 2025

Balken & Splitter (112)

Den Kapitalismus abzuschaffen, wäre sicher eine prima Sache. Aber bis es soweit ist, wäre ich schon froh, wenn der Kapitalismus mich und viele andere davor schützt, von größenwahnsinnigen Massenmördern mit aufgeblähten Militärmaschinerien samt Atomwaffen bedroht und bei Gelegenheit getötet zu werden.

Man kann gegen „Rüstung“ und „Militarisierung“ geifern, aber wem nützt das? Es schützt kein einziges Leben. Im Gegenteil, ein kapitalistischer Westen ohne Rüstungsindustrie und ohne funktionierendes Militär wäre (a) immer noch kapitalistisch und lieferte (b) Menschen den Machtspielchen und mörderischen Interventionen von Diktaturen aus.

Aus lauter Angst vor dem Dritten Weltkrieg viele kleine Nichtweltkriege in Kauf zu nehmen, ergibt ebenfalls viel Tod und Zerstörung.

Wenn es darum geht, den Westen zu kritisieren, bin ich gern vorne mit dabei. Aber die Relationen müssen stimmen. So mies die USA als gesellschaftliches, ökonomisches, kulturelles und politisches System sein mögen, Rotchina, Groß-Moskowien, Saudi-Arabien, die Gefängnisinsel Kuba (usw. usf.) sind nicht nur nicht besser, sondern sehr viel schlimmer.

Ich mag von Leuten, die immer noch die Schlächtereien der Französischen Revolution, der Pariser Kommune, des Novemberputsches, der „Kulturrevolution“ verteidigen, nichts über „Kriegshetze“ hören.

Stellt euch den Tatsachen: Der Kalte Krieg war keine so üble Sache. Und es hat ihn die bessere Seite gewonnen.

Wer denen, die eine Bankräuberin und Teilzeitterroristin als (abwesende) Redner zu einer „linksradikalen“ Maifeier einladen, ins Hirn geschissen hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich waren da so viel petrifizierte Exkremente von Marx unter der Hirnschale, dass schon eine geringe Menge neueste Scheiße die Schädel zum Überlaufen brachte.

Gegen den Staat zu sein, ist legitim. Für private Räubereien (inverser Robin Hood: von den Bankkunden nehmen und nichts den Armen geben) und die Lust an Mord und Totschlag aber gibt es keine Rechtfertigung. Wenn Terrorismus der Vorgeschmack auf die Befreiung durch die Arbeiterklasse ist, möchte ich lieber vom Proletariat und seiner selbsternannten Avantgarde befreit werden.

Freitag, 14. März 2025

Zitate aus der Hölle (1)

Eine verblüffende Fantasy-Krimi-Komödie mit spektakulären Twists!

Reden wir bitte über einen Genitiv

Da in nächster Zeit voraussichtlich noch mehr von Friedrich Merz die Rede sein wird, als man es vernünftigerweise je jemandem wünschen konnte, hier ein Wort zur Deklination seines Namens. Ich mache da eine Feststellung und äußere ein Wunsch: Der Genitiv von Merz lautet „Merzens“. Beispiel: „Merzens dummes Gerede kann kaum die Einfältigsten überzeugen.“
Leider ist ein solcher völlig korrekter und sehr sinnvoller Genitiv etwas, was viele Deutschsprachige scheuen wie der Teufel das Weihwasser. „Merzens“, das klingt ihnen altbacken und umständlich. Entweder behelfen sie sich mit der Umschreibung „von Merz“ oder sie bedienen sich einer der Bizarrerien der deutschen Rechtschreibung: des zweiten Deppen-Apostrophs.
Als solches bezeichne ich gern das Apostroph hinter am Ende mit einem S oder X oder Z geschriebenen Namen: „Mies’“, „Mises’“, „Marx’“, „Merz’“. Damit soll offenkundig der Genitiv bezeichnet werden. Das Besondere (und eben Deppenhafte daran): Diesen vermeintlichen Genitiv kann man nur schreiben, nicht sprechen: „Marx’ Gespenster“ klingt ganz genauso wie „Marx Gespenster“. Aber es fiele den Leuten dennoch im Traum nicht ein, sich an einem solchen Häkchen zu stören, bloß weil es überflüssig ist ― wenn lautlich kein Unterschied besteht, wozu es dann schreiben? ―, und schon gar nicht das unerträglich vorgestrige „Marxens“ zu sagen und zu schreiben.
Als (nach meiner Zählung: erstes) Deppen-Apostroph bezeichnet man bekanntlich das überflüssige Apostroph beim Genitiv-S, das zwar gesprochen, aber eigentlich ohne Apostroph geschrieben wird: „Susi’s Nagelstudio“. ― Manche möchten auch bei „ans“, „fürs“, „ins“ und „ums“ ein Apostroph setzen, wenn es sich Kontraktionen von „an das“, „für das“, „in das“ und „um das“ handelt: „an’s“, „für’s“, „in’“ und „um’s“. Doch ums klar zu sagen: Das ist völliger Quatsch. Denn das Apostroph wird korrekterweise nur beim Weglassen des E verwendet: „um es“ wird zu „um’s“. (Warum man überhaupt irgendetwas anzeigt, was nicht da ist, bleibt unerfindlich.)
Nicht weniger überflüssig und dumm als das zu Recht verachtete Deppenapostroph scheint mir nun, wie gesagt, das unhörbare Apostroph bei am Schliss zischenden Namen. Wenn es in der Aussprache keinen Unterschied macht (und auch keine wglassung bezeichnet), kann es weggelassen werden. Wie schön wäre es, wenn die Leute stattdessen ihre Angst vor alten Formen verlören und „-ens“ sprächen, schieben und zu hören und zu lesen ertrügen! Wübschen darf man sich das ja. Auch wenn es nicht passieren wird.
Übrigens: Eine Steigerung der Bizarrerie ist es, wenn Namen, die gar nicht auf gesprochenem, sondern nur geschriebenem S enden, ebenfalls ein Apostroph verpasst bekommen: „Lukács’ Marx-Lektüre“; der Name ist „Lukatsch“ auszusprechen, da wäre „Lukatschs“ („Lukácss“) ein passabler Genitiv, wenn gleich selbstverständlich „Lukácsens“ deutlicher und schöner.

Willkürliches Herumregieren, unabhängig von demokratischen Mehrheiten

„Deutschland muss unabhängig von Wahlterminen und unabhängig von der Zusammensetzung des deutschen Bundestages entscheidungsfähig sein, Deutschland muss verteidigungsfähig werden und Deutschland muss zurück auf die internationale Bühne.“ Sagte Friedrich Merz, Vorsitzender der stimmenstärksten Partei und geplanter nächster Regierungschef, am 13. März im deutschen Parlament.
Das klassische autoritäre Konzept: Der Staat („Deutschland“) darf nicht abhängig von all dem demokratischen Plunder sein, von Herumwählerei und parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen. Es muss ganz was entschieden was entschieden werden. Und das soll ganz großes Theater ergeben („internationale Bühne“). ― Wie sagte schon Bismarck vor preußischen Abgeordneten: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“
Während aber Bismarck, soweit man weiß, stets wusste, was er sagte, verplappert sich der nicht nur im Vergleich zum eisernen Kanzler recht mickrige Herr Merz gern einmal. Denn das Pikante an seinem illiberal-antidemokratischen Gequatsche ist ja, dass es zu seinem Werben um eine parlamentarische Mehrheit für eine Verfassungsänderung gehört, durch die seiner künftigen Regierung das Schuldenmachen im großen Stil erlaubt werden soll. Fast könnte man Merzens Unfähigkeit, seine Worte und seine Absichten, seine Taktik und sein Ziel irgendwie in Einklang zu bringen, rührend finden. Wenn es nicht so lächerlich, so unberechenbar und darum gefährlich wäre.
Pointe Nr. 1: Im Wahlkampf hatte Merz noch über Schuldenmacherei und wirtschaftliche Inkompetenz von Sozialdemokraten und Grünen geschimpft wie ein hysterischer Rohrspatz. Der Staat müsse mit seinen Einnahmen auskommen, und Schulden gingen ja nun mal gar nicht. Nun will er die Stimmen der Sozen fürs Regieren und die der von ihm als linke Spinner diffamierten Grünen noch mal eben dazu, um die verfassungskonforme Neuverschuldung in ungeahnte Höhen treiben zu können.
Pointe Nr. 2: Dazu soll auf den alten, längst abgewählten Bundestag zurückgegriffen werden, während der neue, der unangenehmerweise eine parteipolitisch vertretbare Zweidrittelmehrheit nicht zulässt, noch auf seine Verwendung warten muss: um Bundeskanzler Merz zu installieren. Ein interessantes Verständnis von Demokratie, Verfassung und Rechtsstaat.
Pointe Nr. 3: Das, was Merz und die Seinen jetzt gern beschlossen hätten, hätte mit ihren Stimmen seit Jahren auf unproblematische Wege beschlossen werden können, aber eine Änderung der berüchtigen „Schuldenbremse“ lehnten sie immer als Teufelszeug ab. Die Ablehung war aber offensichtlich eher hypokriritsch als kategorisch, denn derzeit ist ihnen der alte Bundestag doch noch gut genug, um zu genehmigen, was sie früher auf keinen Fall wollten und noch im nur wenige Wochen zurückliegenden Wahlkampf strikt verwarfen.
Aber „Deutschland“ muss eben künftig (und also wie bisher) offensichtlich unabhängig von Wahlversprechen und Wirtschaftskompetenz regiert werden. Was vorhin noch völlig undenkbar, ist jetzt unbedingt notwendig. Morgen ist womöglich ohnehin wieder alles anders. Wer das für verrückt und unverantwortlich hält, ist offensichtlich ein realitätsfremder Spinner.

Montag, 10. März 2025

Leute (26)

Auch meiner langjährigen guten Freundin X. schenkte ich damals ein Exemplar meines ersten Romans. Sie verlor nie wieder ein Wort darüber. Hätte ich von mir aus irgendwann fragen sollen, ob sie ihn gelesen habe und wie es ihr damit ergangen sei? Das tun zu müssen, fand ich nahezu beleidigend und unterließ es darum. Ab und zu treffen wir einander. Letztens kam sie dabei aus irgendeinem Grund auf einen gewissen Y. zu sprechen. Der Name sagte mir nichts (Oder nicht viel.) Wohl einer dieser zahllosen Krimi-Heinis, mit denen man mich jagen kann. X. schwärmte von seiner Schreibkunst und verwies auf ihr Bücherregal, wo alle seine Werke stehen, säuberlich aufgereiht. Dass ihr Verhalten für mich kränkend sein könnte, auf die Idee kam sie gar nicht. (Ich neide Herrn Y, seinen Erfolg nicht. Er hat ihn angestrebt und erreicht. Schön für ihn. Wahrscheinlich sind seine Texte auch danach. Nun, jeder, wie er mag. Ich schreibe anders. Das muss man auch nicht mögen. Aber man könnte die Höflichkeit aufbringen, es irgendwann einmal zu erwähnen.)

Mittwoch, 5. März 2025

Balken & Splitter (111)

Es ist beleidigend, dass man von solchen Leuten regiert wird. Dass solche Leute Macht haben und Aufmerksamkeit bekommen. Sie sind ja nicht nur dumm und böse, sie sind vor allem lächerlich. Dass man genötigt wird (oder doch werden soll), ihrem kindischen Treiben beizuwohnen, ist eine Zumutung. Sie nehmen sich selbst unvorstellbar wichtig (und können tatsächlich mit wenig Aufwand allergrößten Schaden anrichten). Aber sie sind völlig unbedeutend und menschlich wertlos. Sie sind mickrige Schädlinge, die es allenfalls verdienten, kopfschüttelnd beiseite geschoben zu werden. 

Ob die Zustimmung, die sie trotz oder eben wegen ihrer Lächerlichkeit und Minderwertigkeit finden, etwas mit Karnevalismus zu tun hat? Ist Trump eine Art von Narrenbischof, allerdings mit den Codes für die Atombomben?
 
Mir fehlt der Sinn fürs Saturnalische, besonders  wenn es so zwanghafte, wohlgeordnete, durchbürokratisierte und in jeder Hinsicht beschränkte Formen annimmt wie der deutsche Karneval. Verkrampfte Ausgelassenheit. Von der Polizei geschütztes Aufmarschieren von Humorfunktionären. Da freut sich, wer wie ich abseits steht und sich etwas belästigt fühlt, naturgemäßauf den Aschermittwoch.
 
Was kann man noch ernst nehmen von dem, was einem als Politik angedient und medial übergestülpt wird? Allenthalben Scheinprobleme und Scheinlösungen durch Scheinmaßnahmen. Golf von Amerika, Sondervermögen, Einstellung des Familiennachzugs, heissa, das macht Spaß. Narrenpolitik (von Deppen für Verarschte). Welthunger, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Krieg: anscheinend alles nicht so wichtig.
 
Tötet ein Syrer, ist er ein Islamist und deshalb müssen Ausländer deportiert werden. Tötet ein Inländer, hat er psychische Probleme (und dass er womöglich ein Nazi war, zählt nicht).  Verwendet ein Mörder zum Morden ein Messer, müssen Messer endlich großräumig verboten werden. Verwendet ein Mörder zum Morden einen Kraftwagen, passiert gar nichts. (Gestoppt haben soll den Mannheimer Verrückten ein Taxifahrer aus Pakistan. Gut, dass der nicht schon remigriert worden war.)

Samstag, 1. März 2025

Stand der Dinge (meine Sicht), eine Fortsetzung

Es ist alles schrecklich. Schrecklich lächerlich. Schrecklich dumm. Schrecklich bösartig. Wäre es aber anders, wär’s mir auch nicht recht. Denn wenn beispielsweise Trump die Ukraine unterstützte und die Palästinenser, müsste ich anfangen, meine eigene Haltung doch sehr in Frage zu stellen.
Es ist traurig, dass die angebliche Vormacht der Freien Welt (tatsächlich die Vormacht des Kapitalismus) in die Hände einer Räuberbande aus lauter Schwachsinnigen gefallen ist, die genau das tut, was geistesschwache Verbrecher eben tun, die dazu Gelegenheit und Mittel haben: andere erpressen und schädigen.
Da darf man nicht zum Komplizen werden und nach Möglichkeit nicht zum Opfer, da muss man sich verweigern und sich wehren.
Es ist tieftraurig, dass das Menschenleben kosten wird.
Trotzdem, Präsident Selenskyj ist mein Held. Er ist vor dem bösen Clown und seinen Unterteufeln nicht in die Knie gegangen. Er hat die Würde einer ganzen Nation und den schlichten menschlichen Anstand verteidigt.
Würde und Anstand sind Trump und Seinesgleichen fremd und zuwider. Er hasst alle, die nicht so gierig, geil und dumm sind wie er. Er weiß Diktatoren zu schätzen, weil er selbst einer sein möchte (und auf Grund der verstaubten Verfassung der USA auch fast einer ist).
Trump ist nicht intelligent, nur instinktiv schlau, und er ist moralisch korrupt (ökonomisch sowieso). Mit so jemandem kann man nicht verhandeln, mit ihm gibt es keine geteilten Werte und keine gemeinsame Rationalität, an die man appellieren könnte. Für Trump gibt es, um ihn zu gewinnen, nur Anbiederung und Unterwerfung.
Das hat Selenskyj verweigert.  Der Preis mag hoch sein. Die Alternative hätte viel Wertvolleres gekostet: die Integrität. Altmodisch gesagt: die Ehre.
Слава Україні! Героям слава!

Freitag, 28. Februar 2025

Wozu Staat?

Dieses Gerede, dass der Staat notwendig sei, weil er die Menschen vor einander schütze, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. In Wahrheit sorgt der Staat dafür, dass die einen die anderen weitgehend ungestört ausbeuten können, sie unterdrücken, schädigen, verdummen können. Der Staat ordnet und umsorgt den ständigen Bürgerkrieg, den Klassenkampf von oben nach unten, sein Sinn ist es, die Reichen auf Kosten aller anderen (auch der natürlichen Ressourcen, der Tiere und Pflanzen) reicher werden zu lassen und alle, die etwas dagegen haben könnten, in Schach zu halten.
Persönliche Freiheit, Meinungsfreiheit, freie Berufswahl, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz vor Willkür, Rechtsstaatlichkeit usw. usf. all diese höchst erfreulichen und durchaus kostbaren Gewährungen (und nicht so sehr oder gar nicht „Errungenschaften“) sind dennoch nur Nebenwirkungen eines im Ganzen repressiven und destruktiven Systems ― und werden sofort geopfert, wenn das dem Staat und seinen Auftraggebern in den Kram passt. Es ist ja der Staat höchstselbst, der die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem festlegt. Der Staat bestimmt, an welche Regeln er sich halten will und welche Regeln seine Untertanen befolgen müssen. Und der Staat verfügt darüber, welche Ausnahmen von seinen Regeln er sich zugestehen kann. Darum darf der Staat, seiner Meinung nach, belauschen und ausspionieren, Eigentum wegnehmen, Leute einsperren, Meinungsäußerungen untersagen und bestrafen, die Religionsausübung beschränken usw. usf, wenn es ihm passt und er diese zumindest partielle Ungültigkeit der eigentlich gewährten Grundrechte als Gesetze verkündet und gemäß dieser seiner selbstgemachten Gesetze vollzieht.
Dass ist so „normal“, so selbstverständlich, so häufig und so grundlegend, dass die Absurdität dieser Zustände den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern gar nicht auffällt. Wer sonst, wenn nicht der Staat, soll bestimmen, was Recht und Unrecht ist? Er tut es ja in unserem Namen und (wenigstens zumeist) in unserem Sinne. So stellen sich die Leute das vor. Doch die Gesetze sind, Demokratie hin oder her, keineswegs etwas, was wie ein Vertrag aushandelt wird und von beiden Seiten einzuhalten ist, sondern sie sind eine einseitige Festlegung von Seiten der mächtigen Institution, die das Gewaltmonopol beansprucht und das Festgelegte zurücknehmen oder nach Bedarf modifizieren kann.
Gewiss, viele Menschen fühlen sich in einer repressiven Situation durchaus wohl und machen dabei gerne mit, diese durchzusetzen (auch, indem sie Abweichler denunzieren). Viele glauben an Ordnung und Sicherheit und leugnen die offensichtlich Unordnung, das Versagen, die Verwüstung und all die Kränkungen der Vernunft, die staatliches Handeln fortgesetzt produziert. Aber dass es Freunde der Unterdrückung gibt (und Nutznießer, echte und vermeintliche), bedeutet nicht, dass Unterdrückung etwas Gutes ist.
Der Trick der liberalen Gesellschaften ist es, dass viele Freiheiten gewährt werden und deren Einschränkungen angeblich immer nur denen gelten, die diese Freiheiten bedrohen. Den Verbrechern. Den Gefährdern. Den Extremisten. Den Verrückten. Die Braven haben nichts zu befürchten, heißt es.
Autoritäre Systeme hingegen weiten nicht nur den Bereich der Abweichung und darum Bedrohung aus, die unterdrückt werden muss, sie sind überhaupt vorrangig mit der merkbaren Machtsicherung befasst. Das ist ineffizient. Liberale Systeme sind darum bestrebt, Unterdrückung und Ausbeutung, Überwachung und Steuerung so wenig merkbar wie möglich zu gestalten und sie vor allem als ganz und gar im Interesse der (Mehrheit der) Betroffenen und als mehr oder minder von diesen gewollt darzustellen.
So oder so ist das, was der Staat an Freiheit gewährt und als Toleranz fordert, nicht auf seine Großzügigkeit und seinen guten Willen zurückzuführen. Es sind nur Normen, Werte und Regeln, die einen möglichst ungestörten Geschäftsgang erlauben sollen. Wenn die Insassen der Wirtschaftsordnung daran glauben, dass alles mit rechten Dingen zugeht, dass der Staat ihr väterlicher Freund ist, der an ihrer Seite steht und sie schützt, ihnen Wohltaten gewährt und ihr Wohlverhalten, das auf Grund der Lenkung durch die Obrigkeit zum Gemeinwohl beträgt, belohnt, dann ist Ruhe im Karton und die grundlegenden Schweinereien können unbehelligt durchgezogen werden.
Darum gibt es tatsächlich Menschen- und Bürgerrechte, unabhängige Gerichte, eine an Gesetze gebundene Exekutive, Verbraucherschutz, Gefahrenabwehr, mal mehr, mal weniger frei zugängliche Bildungseinrichtungen, Kulturförderung usw. und nicht zuletzt allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen. All das gibt es, und das ist gut so. Nur …
Was nützt die schönste Demokratie, wenn Trump, Melloni, Millei, Merz etc. dabei herauskommen und nicht zurechnungsfähige, intelligente, kompetente und mit konstruktiven Problemlösungsvorschlägen ausgestattete Politiker? Nicht, dass das Gesindel und Gesocks, von dem an regiert wird (in Demokratie und Diktatur) an allem Unheil in der Welt schuld wären, sie haben zwar ihren Anteil daran, aber vor allem dadurch, dass sie mit ihrem sinnlosen Herumgekaspere von der zu Grunde liegenden Herrschaft des Prinzips der Profitmaximierung (und die von dessen Agenten und Profiteuren) ablenken. Wenn allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen immer nur zur Bestätigung des politischen Systems taugen, dass den Kapitalismus schützt und fördert, wozu sind sie dann gut? Ob die regierenden Knechte schwarz, rot, grün, gelb, blau, braun oder blasslila sind, der Unterschied ist im liberalen System gering. (Und in einer Diktatur hat man eh keine Wahl.)
Nein, der Staat schützt nicht vor dem Krieg aller gegen alle. Er organisiert ihn. Er zivilisiert ihn. Er domestiziert ihn. Mit anderen Worten, er hält ihn am Laufen. Wenn der Staat etwas Gutes wäre, wieso gibt es dann eigentlich soziales Unrecht, Armut, Umweltzerstörung, Hunger und Verschwendung? Kann der Staat nicht, was er verspricht, oder will es gar nicht? Oder nur in dem Maße, indem ein paar Privilegierte profitieren und die Masse sich nicht wehren will?
Wer käme auf die Idee, einen Schutzgelderpresser, der einen vor anderen Gangstern zu beschützen verspricht, für etwas anderes als einen Gangster zu halten, selbst wenn das mit dem Schutz funktioniert? Wenn aber der Erpresser das Geld nimmt und dann andere Gangster dazu einlädt, die Erpressten ihrerseits noch einmal auszupressen?

Donnerstag, 27. Februar 2025

Wider den Dienst für Mammon

Wenn Armut etwas Schlechtes ist, dann muss sie bekämpft werden. Wenn sie nichts Schlechtes ist, warum dann den Armen helfen? Den Armen aber muss geholfen werden, dass ist ein Gebot der Menschlichkeit und Gottes Wille.
Am besten ist allen geholfen, wenn es keine Armut mehr gibt (und keine neue entstehen kann). Es kann ja nicht darum gehen, dem einen oder anderen Armen seine Armut erträglicher zu machen. Das ist etwas Gutes, aber es genügt nicht. Armut als solche muss abgeschafft, also jene gesellschaftlichen Missstände müssen beseitigt werden, die Armut erzeugen.
Dafür genügt Mildtätigkeit nicht. Dafür braucht es politischen Willen und politisches Handeln. Es muss eingegriffen werden in das herrschende ökonomische System, dass unter dem Schutz der Nationalstaaten die Reicher immer reicher werden lässt. Dass die einen, die Wenigen, reich sind, hat zur Voraussetzung, dass die anderen, die Vielen, arm sind und bleiben. Das ist unmoralisch. Reichtum, der mit Armut erkauft wird, ist unmoralisch.
Niemand sollte sich Christ nennen, der das anders sieht. Jesus lässt an seiner Haltung keinen Zweifel: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes gelangt. Darum: Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören und wo Diebe einbrechen und sie stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel ― gute Taten ―, wo weder Motte noch Wurm sie zerstören und keine Diebe einbrechen und sie stehlen.
Niemand sollte sich Christ nennen, der das herrschende politisch-ökonomische System bewahren will. Es erzeugt Armut, Ausbeutung, Unterdrückung und Betrug aller Art. Niemand kann behaupten, er liebe seinen Nächsten, Gottes Ebenbild, wenn er für dessen Entwürdigung und Vernutzung eintritt oder davon sogar noch profitieren will.
Das Schlechte am Weltwirtschaftssystem ist keine zufällige Nebenwirkung, die auch anders sein und abgestellt werden könnte. Das Schlechte folgt aus den Grundsätzen. Profitmaximierung auf Kosten aller ist genau der Götzendienst, vor dem Jesus warnt, wenn er sagt: Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.

Stand der Dinge (meine Sicht)

Es ist alles so schrecklich. So schrecklich lächerlich. So schrecklich dumm. So schrecklich bösartig. Dass ich das alles erleben muss, ist eine Zumutung. Warum halte ich es nicht wie so viele andere, schaue weg, höre nicht hin, lenke mich ab, betäube mich? Es ist schrecklich.
Nicht, dass es mich überraschte. Wer die Offenbarung des Johannes gelesen hat, kann nicht überrascht davon sein, dass alles ein schreckliches Ende nimmt. Aber es durfte trotzdem gehofft werden, es käme anders, weil doch alle Prophetenworte darauf abzielen, zur Umkehr zu bewegen. Die Hoffnung wurde enttäuscht. Die Ankündigungen erfüllten sich.
Dabei sprach alles dagegen. Wer hätte sagen dürfen, er wisse von nichts? Die Kenntnisse nahmen zu, die Warnungen wurden dringlicher, aber von Umkehr keine Spur. Im Großen und Ganzen wurde weitergemacht wie bisher. Die Ausbeutung der Menschen und der Lebensgrundlagen, die Unterdrückung, offen oder verdeckt, die Verdummung, all das nahm zu und immer neue Formen an.
Freilich, wer wissen wollte, wie es zuging in der Welt, konnte auch das in reichem Maße. Aber die meisten wollten belogen werden. Wollten abgelenkt und zerstreut werden. Wollten ihren Spaß haben und ihren Rausch.
Viele müssen ums Überleben kämpfen. Denen kann man nicht vorwerfen, dass sie nicht aufbegehren. Aber gar nicht so wenigen geht es doch gut. Die hätten Zeit und Kraft und Gelegenheit, Kritik zu üben und Änderungen zu verlangen. Fast keiner tut das. Das System funktioniert. Die Leute machen mit, weil alle mit, weil alle mitmachen. Sie verteidigen ihren relativen Wohlstand und und ihre relativen Freiheiten gegen de Rest der Welt, weil sie durchaus wissen, dass all das mit der Armut und Unfreiheit anderer erkauft ist. Sie wissen es und wollen es nicht wissen. Sie wissen auch, dass ihre Lebensweisen zerstörerisch sind. Verschwenderisch. Haltlos. Aber sie ändern sie nicht oder kaum, allenfalls in dem Maße, dessen sie bedürfen, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Keine Umkehr also, nirgends. Vielleicht von Einzelnen. Aber ohne Wirkung auf die Gesellschaft. Diese Zivilisation steuert sich auf ihren Untergang zu. Die Frage ist nur, ob zuerst der technische und ökologische Kollaps kommt oder die Herrschaft der Maschinen, der anonymen und automatischen Systeme, die die technokratischen Prinzipien, auf die sie programmiert sind, erbarmungslos durchsetzen und, einer Rationalität ohne Sinn und Verstand folgend, die Herrschaft der Sklaverei perfektionieren.
Hätte ich noch Hoffnung, so hoffte ich auf eine Katastrophe. Auf ein großes, heilsames Unglück. Oder wenigstens auf einen vorübergehenden Aufstand, dessen sinnlose Gewalt sicher schrecklich wäre, aber immerhin besser als der Schrecken ohne Ende, der die letzte Denkmöglichkeit darstellt.

Mittwoch, 26. Februar 2025

Über mein Gedicht „Station Philadelphiabrücke“

Zuerst war da die Wendung mein Herz dröhnt. Die fiel mir unvermutet ein und verlangte danach, dass etwas mit ihr gemacht werde. Mein Herz dröhnt. Ohne viel nachzudenken, assoziierte ich sogleich damit, dass mir seit ein paar Jahren in der Wiener U-Bahn-Station Philadelphiabrücke bei der donnernden Einfahrt eines Zuges immer das Herz stark bebt, wenn ich am Bahnsteig stehe. Ich kenne keine andere Station, in der das so ist. Dort aber finde ich den Lärm und die Erschütterung immer sehr unangenehm. Irgendwer hat da irgendwann irgendetwas technisch oder architektonisch verpfuscht, dass solch gewaltiges Dröhnen entsteht; früher war das jedenfalls nicht so.
Also schrieb ich Mein Herz dröhnt / von der Unvernunft der Verhältnisse und setzte dann erläuternd hinzu: wenn der U-Bahn-Zug einfährt. Aber das schien mir nicht ausreichend deutlich. Konnte ein Leser wirklich schon sehen, hören und verstehen, dass jemand am Bahnsteig steht und ein lauter, alles und also auch den Wartenden durchrüttelnde Zug einfährt? Darum beschloss ich zunächst, dass das Gedicht die Überschrift Philadephiabrücke bekommen solle. Und ich fügte als vierten Vers ein: Wenn ich in der Station am Bahnsteig stehe. Das passte aber nicht gut an das Ende. U-Bahnzug/Bahnsteig, das klapperte, das donnerte nicht. Also stellte ich die Wendung, gekürzt zu Ich stehe am Bahnsteig, an den Anfang. (Die Station wanderte in die Überschrift.)
Nun waren die Verse auch nicht mehr so verschieden lang. Das wäre zwar möglich gewesen, weil ich die Form gern vom Stoff her bestimme, aber so erschien es mir doch besser.
Dass ich aus von der Unvernunft der Verhältnisse dann von der Verhältnisse Unvernunft machte, war eher Gefühlssache. Es klang für mich besser und war zwar ein wenig gestelzt, aber gerade das schien mir zu passen: Dem brutalen Rumpeln des Fahrzeugs eine „edle“ Formulierung entgegenzusetzen.
Allerdings missfiel mir sehr, dass da ein „Ich“ am Anfang stand. Im Gedicht davor hatte ich mich noch über das lyrische Ich mockiert, über meine Neigung, immer und immer wieder davon Gebrauch zu machen. Probehalber setzte ich das Gedicht deshalb in die dritte Person. Er steht am Bahnsteig. Sein Herz dröhnt / von der Verhältnisse Unvernunft, / wenn der U-Bahnzug einfährt.
Das war’s. Das hätte mir schon genügt als eines meiner „minimale“ Gedichte. Aber als ich den Text dann aufschrieb ― ich „schreibe“ Gedichte oder Gedichtentwürfe immer erst in Gedanken, notiere sie dann und schreibe sie manchmal noch ab, bevor ich sie abtippe ―, sprudelte es hervor: Mitten durch ihn hindurch / gehn die falschen Zwecke und Mittel / der gehetzten Leute. Und der lapidare Schlusspunkt: Dann steigt er ein.
Im Grunde bringen der vierte, fünfte, sechste Vers nichts Neues. Was das Bild vom dröhnenden Herzen zeigen soll, wird paraphrasierend wiederholt und damit bekräftigt. Die Unvernunft der Verhältnisse erscheint als falsche Zwecke und Mittel, als etwas, was nicht nur besteht und geschieht, sondern vorgenommen und ausgeführt wird. Wie eben der Bau einer U-Bahnstation und von U-Bahnwägen, die zusammen fast unzumutbaren Krach machen. Oder wie all die Pläne und Handlungen, die die Leute, die eilig und gegeneinander gleichgültig in so eine U-Bahn einsteigen, gewiss umtreiben und die mit allen anderen Plänen und Handlungen (gesellschaftliche) Verhältnisse ergeben, die unvernünftig sind: für den Einzelnen unangenehm und schier bedrohlich. Kultur- und Gesellschaftskritik wird hier nicht expliziert, sondern als unschönes Erlebnis, das regelmäßig wiederkehrt (darum das Präsens) dargestellt. Aber es hilft ja nichts, die Verhältnisse sind, wie sie sind, der Einzelne kann da vorderhand nichts machen, auch er hat Pläne, will irgendwohin, darum muss er jetzt einsteigen wie alle anderen..
Kurz überlegte ich, ob ich wirklich die strophenartige Gliederung beibehalten sollte und strich (beim Abtippen) die Leerzeilen. Aber das sah falsch aus. Zu gedrängt. Mit den Leerzeilen schien es mir großzügiger und lesbarer. Viel Text war es ja ohnehin nicht.
Ich sage nicht, dass mir da ein sehr gutes Gedicht gelungen ist. Aber doch eines, mit dem ich zufrieden sein muss, weil ich es nicht besser machen könnte.Vielleicht interessert es den einen oder anderen Leser, wie ich dabei vorgegangen bin. Darum, und um es mir selbst zu erklären, habe ich es hier erzählt. 
Das Gedicht findet man auch hier:

Montag, 24. Februar 2025

Notiz zur Zeit (243)

So, ihr habt eure Wahlen gehabt. Können wir uns jetzt bitte der Realität zuwenden?
 
Wenn Wahlen etwas ändern könnten, müssten sie anders ausgehen.
 
Ihr habt euch eine Große Koalition zusammengewählt (mit Trittbretfahrern). Und, seid ihr stolz darauf?
 
Wenn nach 250 bis 300 Jahren sogenannter Aufklärung das Ergebnis freier, gleicher, allgemeiner Wahlen (freilich ohne die Ausländer) so aussieht, muss man nicht nur am Konzept der Aufklärung erheblichen Zweifel anmelden, sondern auch an dem der Schwarmintelligenz.
 
Es geht gar nicht darum, ob es anderswo besser gemacht wird. Schlimm genug, wenn es so ziemlich aufs selbe hinausläuft.
 
Nicht durch Talkshows und Parteiengeklüngel werden die großen Fragen der Zeit entschieden, könnte man Bismarck paraphrasieren, sondern im Stahlbad des Kapitalismus mit dem Blut der Armen (inklusive der geschundenen Natur).
 
Dem Reden der Leute über ihre Wahlentscheidung (oder den Schwierigkeiten damit) merkt man auch nicht ansatzweise an, dass sie verstanden haben, in welcher Welt sie leben, welches Unrecht herrscht, wer ihre Gegner sind und wie sie verarscht werden.
 
Damit Wahlen nichts ändern (was ja rein technisch passeren könnte, wenn zum Beispel keiner zur Wahl ginge oder alle eine umstürzlerische Partei wählten), wird dafür gesorgt, dass erstens das Wahlvolk möglichst nicht mitbekommt, was Sache ist, und stattdessen mit Scheindebatten abgespeist wird (Migration!) und dass zweitens niemand, der zur Wahl steht, ernsthafte Lösungen anzubieten hat.
 
Wenn alles mehr oder minder so weitergeht wie bisher (und der popelige Möchtegernfaschismus erfolgreich abgewehrt ist), kommt das den Profitinteressen einiger sehr zu gute. Es wird noch ein bisschen mehr Krise und immer weniger Kuchenbrösel zu verteilen geben, aber das ist ja ohnehin das, was schon bisher stattgefunden hat.
 
Es gäbe viel zu tun, aber die Leute haben entschieden, dass besser nichts getan wird.
 
Gehen Sie wählen, gehen Sie wählen, gehen Sie wählen!, scholl es von allen Seiten. Kannste machen. Dann isses halt Kacke. 

Samstag, 22. Februar 2025

Auf die Frage, ob man denn etwa nicht gegen Krieg sei

Sie reden vom Krieg, als ob man eine Wahl hätte. Als ob man dafür oder dagegen sein könne. Das kann man aber nicht, wenn er bereits stattfindet. Jedenfalls nicht so einfach und bequem wie im Frieden. Wenn der Krieg schon stattfindet, hat man keine Wahl, denn selbst dann, wenn man gegen ihn ist, muss man ihn zu Ende bringen, also führen (oder führen lassen).
Sie reden vom Krieg, also ob er, wenn er schon stattfindet, plötzlich aufhörte, wenn man nur genug dagegen wäre. Das tut er aber nicht.
So ist das im Leben. Dinge geschehen, von denen man nicht wollte, dass sie geschehen. Da sie nun einmal geschehen, muss man sich zu ihnen verhalten. Es genügt nicht, zu betonen, dass man sie nicht will. Man muss auch sagen können, wie man von dem, was man nicht will, zu dem kommt, was man nicht will.
Einfach nur die Augen zu schließen und sich was zu wünschen, ist kindisch.
Man mag sich wünschen, der Krieg wäre ausgeblieben. Ist er aber nicht. Man könnte sich wünschen, er würde von denen beendet, die ihn herbeigeführt haben, das wird er aber nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sie nicht dazu zwingt.
Wünschen genügt nicht. Man muss auch handeln und Handeln befürworten und unterstützen. 
Man kann auch so tun, als sei der Krieg etwas Abstraktes, etwas das nur anderen angetan wird, bei dem man sich selbst aber heraushalten kann (und darf). Man kann auch fliehen. Flucht in der Realität ist auch ein Verhalten im Krieg. Flucht in die Einbildung ist ein imaginärer, nutzloser, zum Teil schädlicher Möchtegernpazifismus.
Den Krieg nicht zu wollen, mag vernünftig sein. Ihn zu wollen, ist Wahnsinn. Trotzdem findet er statt. Weil er stattfindet, muss man sich zu ihm verhalten.
Wer statt Krieg Frieden will, muss sagen, wie er vom Krieg, der stattfindet, zum Frieden kommen will, der aussteht. (Oder er muss untätig abwarten, was passiert.)
Sich zu wünschen, die Angegriffenen mögen aufhören, sich zu verteidigen, führt nicht zum Frieden. Der Krieg hört nicht auf, wenn der Angreifer siegt, er nimmt nur eine etwas andere Gestalt an.
Wer Friede für die Ukraine will, muss den Sieg der Ukraine wollen. Der ist nur mit diesem Krieg und als dessen Ergebnis zu haben.
Ein Sieg der Ukraine bestände in nichts anderem, als dass der Angreifer das Land verlässt und die Menschen nicht mehr tötet und bedroht.
Wer etwas anderes will, will nicht Frieden, sondern Krieg. Egal, was er sagt.

„Gebietsabtretungen“?

Immer wieder ist im Zusammenhang mit einem künftigen Frieden in der Ukraine von zwar vielleicht unerfreulichen, aber doch sehr wahrscheinlich unvermeidbaren „Gebietsabtretungen“ die Rede. Selbstverständlich von solchen der Ukraine an die Russländische Föderation. Diese hält ja bekanntlich seit 2014 und 2022 Teile des ukrainischen Staatsgebietes besetzt (und hat sie auch in völkerrechtlich null und nichtigen „Annexionen“ zu eigenem Staatsgebiet erklärt).
Dazu muss man sagen, dass der Ausdruck „Gebietsabtretungen“ völlig untauglich ist, um die Wirklichkeit zu bezeichnen, die dahintersteht. „Gebietsabtretung“, das klingt irgendwie nach harmloser Flurbereinigung, nach ein irgendeinem beliebigen Territorium, auf dessen Besitz die Republik Ukraine sich doch bitte nicht kaprizieren solle. Was machen so ein paar Quadratkilometer weniger schon aus!
Nur geht es gar nicht in erster Linie um Land (Gebäude, Infrastruktur, Bodenschätze), sondern um Menschen. Ukrainisches Gebiet, das schon jetzt russländisch besetzt ist, auch rechtlich an Russland abzutreten, würde heißen, die Menschen, die dort leben, dauerhaft an Putins Diktatur auszuliefern.
Es ist bekannt (wenn auch im Westen weitgehend ignoriert), was schon jetzt die russländische Herrschaft im Donbass und auf der Krim bedeutet: Unterdrückung, Verfolgung, Verschleppung, Folter, Mord. Man kennt die Berichte und Bilder aus Butscha und Irpin und all den anderen Orten, von denen die russischen Kriegsverbrecher wieder abziehen mussten. Weniger bekannt ist der mörderische Umgang mit allen, die sich der russischen Herrschaft in welcher Form auch immer widersetzen (oder dessen verdächtigt werden) überall in der besetzten Ukraine. Konzentrationslager, Folterkeller, „normale“ Gefängnisse, Morde: Das bedeuten „Gebietsabtretungen“. Und auch die Ukrainer, die sich nicht wehren oder verweigern, würden trotzdem in völliger Unfreiheit, in scharfer Ausbeutung, unter ständiger Polizeiwillkür und unter der Herrschaft des Scheins und der Lüge leben müssen.
Nein, „Gebietsabtretungen“ kommen nicht in Frage. Aus Gründen des Völkerrechts, weil kein Aggressor von seinen Verbrechen auch noch durch Gebietsgewinn profitieren darf. Aus Gründen der kollektiven Würde und Selbstachtung der ukrainischen Bürger und Bürgerinnen. Und vor allem aus Gründen des Menschenrechts auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Terror und Erniedrigung.

Leute (25)

Vor Jahren schrieb X. einmal in einem sozialen Netzwerk, wie es sich mit irgendetwas bei ihm so verhalte. (Kein Ahnung mehr, worum es ging, und es ist auch unwichtig.) Und ich regagierte darauf, indem ich schrieb, wie es sich bei mir verhalte. Darauf antwortete X.: „Immer dieses Distinktionsbedürfnis!“ Ich war vor den Kopf gestoßen. Distinktion? Inwiefern? Mir scheint, ich begriff damals nicht, was er meinte, und begreife es vielleicht auch heute nicht. Aber es schien mir nichts Gutes. Und ein Missverständnis.
Wie kann ich einen anderen verstehen, wenn ich ihn nicht mit mir vergleiche? Wie mich selbst verstehen, ohne mich mit anderen zu vergleichen? Dabei ist, was bei allen gleich ist, uninteressant; nur worin man sich unterscheidet, belehrt einen darüber, wie wer ist. (Das bei allen Gleiche zu betonen, hat allenfalls die Funktion, die eigene Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Normalen zu bekräftigen, sich und Seinesgleichen von den unzugehörigen, etwa einer anderen „Generation“ oder dergleichen abzugrenzen.)
Um Abgrenzung geht es dabei nicht (oder nicht notwendig), wenn man auf die Mitteilung, bei jemandem verhalte es sich mit dem und dem so und so, antwortet, bei einem selbst verhalte es sich anders. Eher um die Chance auf wechselseitige Verständigung, um die Entdeckung der Verschiedenheit und Vielfalt, um eine Orientierung in der Welt anhand der Mitmenschen, die eben bestenfalls nicht konform sind.
In diesem Sinne: Kein Distinktionsbedürfnis.
Und in dem anderen Sinne: Distinktion als  Überhebung, als Hervorstreichen der eigenen Besonderheit als Überlegenheit? Darin war eigentlich immer eher X. der Spezialist mit seiner Vorliebe für distinguierte Kleidung und teure Parfums, seinen modischen Brillengestellen und metaphorischen Messerbänkchen, mit seiner ab und an eingestreuten Bekanntschaft mit allerhand Prominenz, seiner Stilisierung zum proletarischen Intellektuellen katholischer Herkunft und, ja, auch seiner Krankheit, die ihn schließlich am gewöhnlichen Leben hinderte, nachdem er lange das außergewöhnliche ausgekostet hatte. Das alles immer mit Diskretion und Ironie mehr angedeutet als auf die Nase gebunden, aber doch stets präsent und im Sinne deutlicher Abhebung von denen, die nicht so gebildet, kultiviert, erfahren, reflektiert sind, selbstverständlich.
Auch dieses „Distinktionsbedürfnis“ ist mir (im Unterschied zu X.) fremd.

Aufgeschnappt (bei Sebastian Hafner)

Nominell leben wir in einer Demokratie, das heißt: Das Volk regiert sich selbst. Tatsächlich hat, wie jeder weiß, das Volk nicht den geringsten Einfluss auf die Regierung, weder in der großen Politik noch auch nur in solchen administrativen Alltagsfragen wie Mehrwertsteuer und Fahrpreiserhöhungen. (...) Das entmachtete Volk hat seine Entmachtung nicht nur hingenommen, sondern geradezu lieb gewonnen.

Freitag, 21. Februar 2025

Leute (24)

Y. ist sozusagen das Gegenstück zu X. aus Spaltungsirresein. Während dieser gegen Russland zur Ukraine hält, aber Israel verteidigt, kritisiert Y. Israel scharf, sprach aber 2014 vom Euro-Maidan als Putsch (wohl der CIA), postete damla viele Karten, die Spaltung in russischsprachige und ukrainischssprachige Gebiete zeigen sollten, sieht in der Ukraine seither den bösen Westen am Werk und verurteilt zwar den russischen Angriff, ist aber strikt gegen die Unterstützung der Ukraine. Nach dem Motto: Wenn die Ukraine sich wehren, sind sie selber schuld, dass der Krieg nicht vorbei ist. Nie im Leben fiele Y. ein, so von den Palästinensern zu denken. Wie gesagt: moralisch und politisch schizophren.

Leute (23)

Dass ausgerechnet X. irgendwann den Kontakt zu mir abgebrochen hat, ohne das freilich zu sagen und darum selbstverständlich auch ohne zu sagen, warum, ist eine der großen Kränkungen meines Lebens. Er war meine Jugendliebe gewesen, blieb es lange, viel zu lange; unerwidert, versteht sich. Wenigstens als Vertrauten und Freund hätte ich ihn gern für immer gehabt. Er aber fand wohl irgendwann, wir hätten nichts mehr miteinander gemein als (zudem womöglich abweichende) Erinnerungen, hätten uns zu weit von einander entfernt (nicht bloß räumlich), passten in keiner Hinsicht meht zueinander. Das kann ich gut verstehen. Ich bin seltsam. Aber das war ich doch immer. Früher dachte ich, er könne etwas damit anfangen. Nun, vielleicht hat er sich weiterentwickelt (wenn ich richtig unterstelle, wohin und wozu, gefällt mir das allerdings auch nicht), während ich immer noch derselbe Spinner wie früher bin, der überall aneckt und nirgendwo dazugehören will. Tja, das ist blöd, wenn das, was man für seine größte Stärke hält, von den andern als größte Schwäche erlebt wird.

Leute (22)

Ich muss immer mal wieder an X., Y. oder Z. usw. denken, an all die Leute, mit denen befreundet zu sein, ich gedacht hatte, bis sie irgendwann aufhörten, mich zu treffen, mit mir zu reden oder mir auch nur eine Antwort zu schreiben. Sicher liegt es an mir. Ich werde wohl irgendetwas gesagt haben, was sie nicht hören wollten. Wahrscheinlich bin ich langweilig. Verschroben. Rechthaberisch. Was auch immer. Freilich, wenn man mir nicht sagt, was ich falsch mache (oder inwiefern ich nicht ganz richtig bin), kann ich auch nicht wissen, ob ich etwas ändern soll oder kann oder will. Ich finde das einen merkwürdigen Umgang mit mir. Wenn ich mit jemandem nichts mehr zu tun haben will, sage ich ihm das und nenne die Gründe. So viel Respekt selbst vorm vielleicht Verachteten muss sein.

Donnerstag, 20. Februar 2025

Aphorismen (2)

Philosophie hätte der Versuch zu sein, die Leute mit dem zu behelligen, was sie sich selbst hätten denken können.

Philosophie sollte nicht das Bemühen sein, den Leuten ihre Vorurteile vorzukauen, damit sie daran gewöhnt werden, alles zu schlucken, was ihnen die Obrigkeit vorsetzt.
 
Pöbel, das sind nicht etwa die Unterschichten. Überhaupt handelt es sich nicht um eine Klasse, sondern um ein Benehmen. Pöbel, das sind die Verwahrlosten und Verrohten. (Trump ist Pöbel.)
 
Zu wissen, was falsch läuft und wie es besser zu machen wäre, nützt einem gar nichts, wenn die Sache, um die es geht, das Zusammenleben ist und die andern einfach nicht tun, was sie sollen.
 
Ob für zwei oder drei oder alle, es gilt immer dieselbe Regel: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu. 

Die Einsicht, dass andere ebenfalls Rechte haben und dass die sogar über dem eigenen Recht stehen können (über den eigenen Wünschen sowieso), ist die Grundlage jeder vernünftigen Weise des Miteinanders.
 
Es ist einfacher, als man denkt,  aber komplizierter, als man es brauchen kann.
 
Die Leute wollen eher durch vermeintliche Tiefe beeindruckt werden, als sich auch beim Philosophieren ums Naheliegende und Machbare zu kümmern.
 
Ein Denken, das keinen Unterschied macht, muss man sich leisten können. Mir ist der Preis zu hoch.

Montag, 17. Februar 2025

Wahrer Glaube?

Unlängst wurde ich in einem sozialen Netzwerk angepöbelt*, nachdem ich den Ausdruck „wahrer Glaube“ verwendet hatte. Das ist einerseits verständlich, denn meine Zeitgenossen, wenigstes die typischen unter ihnen, fühlen sich provoziert, wenn man so von religiösen Dingen spricht, als seien in Bezug auf diese nicht alle Wahrheitsansprüche gleichermaßen gültig; hier etwas für wahr zu halten und anderes für falsch, gilt als Fanatismus und Missachtung der „Andersgläubigen“. Andererseits ist diese Haltung der Gleich-Gültigkeit überhaupt nicht verständlich, denn sie widerspricht jeglicher Vernunft und ist nur Ausdruck der Angepasstheit an die herrschenden Verhältnisse, in denen Konflikte religiöser Überzeugungen den Geschäftsgang und das fröhliche Konsumieren stören könnten und Religion nur zugelassen ist, insofern sie missbraucht werden kann.
Den meisten Menschen ist es hoffentlich selbstverständlich, dass von zwei mit Wahrheitsanspruch geäußerten Behauptungen, die einander widersprechen, nicht beide in demselben Sinne wahr sein können: „A ist älter als B“ und „A ist jünger als B“ kann nicht beides stimmen, wenn in beiden Aussagen A und B dieselben Personen bezeichnet. (Und mit „älter“ und „jünger“ sich auf die Lebenszeit bezieht und nicht etwa im übertragenen Sinne auf Reife oder gleichen.)
Ohne die Unterscheidung von wahr und falsch, ohne die Anwendung dieser Unterscheidung auf Behauptungen, kommt niemand auf Dauer aus, im Gegenteil, richtig von falsch, wahr von unwahr zu unterscheiden, ist eine täglich notwendige Tätigkeit jedes Menschen, ohne die er jeden Wirklichkeitsbezug verlöre und gar nicht lebensfähig wäre. Daran ändert auch nichts, dass man sich irren , dass man belogen werden oder dass manchmal die Unterscheidung nicht getroffen werden kann, weil man zu wenig weiß und sich zunächst kein weiteres Wissen zu verschaffen vermag. Dass man aber Irrtümer einsehen, Lügen durchschauen und sein Wissen erweitern kann, zeigt, dass Wahrheit und Unwahrheit verschieden sind und dass Menschen wollen, dass ihr Wissen wahr ist. (Von Ausnahmen abgesehen, in denen sie lieber mit Lügen leben wollen, also eigentlich wollen, das Unwahres wahr ist. Auch gibt es bekanntlich pathologische Lügner …)
Es ist nun überhaupt nicht einzusehen, warum beim Glaubens nicht gelten soll, was beim Wissen gilt: Dass es Wahres und Falsches gibt und dass es vernünftig, wünschenswert und notwendig ― und darum vermutlich auch möglich ist ― es zu unterscheiden.
Zunächst gilt es einmal mehr festzuhalten, dass Glaube keine defiziente Form des Wissens ist („Glauben heißt nicht wissen“). Das Missverständnis mag damit zu tun haben, dass es Verwendungen des Verbs „glauben“ gibt, bei denen es mit „vermuten“ synonym ist: „Ich glaube, morgen wird es regnen.“ Wer so spricht, weiß nicht sicher, ob es morgen regnen wird oder nicht, hat aber irgendwelche guten oder schlechten Gründe, anzunehmen, dass es so sein wird. (Weil das Wetter danach ist oder weil es immer regnet, wenn er verreisen will.) Das ist aber nicht die entscheidende Bedeutung von „glauben“, schon gar nicht die, die gemeint ist, wenn man Glauben im religiösen Sinne von Wissen unterscheidet.
Die umfassende Bedeutung von „glauben“ ist: für wahr halten. Ich glaube, dass es morgen regnen wird, weil es so vorhergesagt wird. Ich glaube, dass du die Wahrheit sagst. Ich glaube, dass er sich etwas vormacht. Ich glaube daran, dass du schaffen wirst, was du dir vorgenommen hast. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich glaube, ich weiß, wo ich meinen Regenschirm stehen gelassen habe. Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.
Die Überzeugung, dass etwas wahr ist, hat verschiedene Grade der Festigkeit (von „vielleicht“ bis „dafür lege ich mich meine Hand ins Feuer“) und verschiedene Grade der Begründetheit. Beides muss nicht übereinstimmen: Mancher glaubt fest an etwas, wofür er keine Gründe hat, ein anderer weiß zwar um gewisse Gründe, vermag aber trotzdem nicht wirklich daran zu glauben.
Während es also ein Für-wahr-halten geben kann, das schlecht, falsch oder gar nicht begründet ist, führt umgekehrt jede mehr oder minder gut begründete Einsicht zur Überzeugung, dass sie wahr ist. Mit anderen Worten: Man muss glauben, was man weiß, sonst glaubt man es nicht. Die Aussage „Ich weiß zwar, dass es so und so ist, aber ich glaube nicht, dass es so und so ist“ ist unsinnig. (Was nicht bedeutet, dass solch irrationales Vergalten nicht vorkommt; ein psychologisches, kein epistemologisches und logisches Thema.)
Was ich weiß, daran glaube ich auch. Das heißt, wofür ich (für mich) unabweisbare Gründe habe, das halte ich für wahr. In diesem Sinne ist Glauben Wissen und Wissen Glauben. Glauben ist also nicht minderes Wissen („vermuten“), sondern zu glauben ist der höchste Grad des Wissens: Nicht bloße Kenntnisnahme von irgendwelchen Fakten und ihren Relationen, sondern Zustimmung zur Wahrheit der Wirklichkeit. Und Ablehnung von Täuschung, Irrtum, Lüge.
Dabei ruht das Wissen, die begründete Einsicht, immer auf jeder Menge Vermutungen und wenig oder gar nicht begründeten Annahmen auf. Das ist unvermeidlicherweise so, weil kein Mensch alles wissen kann. Auch kann es keinen Wissenserwerb geben, der bei nichts begänne, es muss unbegründete Voraussetzungen geben, um etwas zu begründen. Diese Voraussetzungen können nachträglich erkannt und ihrerseits auf ihre Begründetheit hin untersucht werden, aber auch dazu kann nicht nur schon begründetes Wissen zur Grundlage gemacht werden. In diesem Sinne ist Glauben umfassender und grundlegender als Wissen.
Wenn es Erkenntnisgewinn gibt, und das ist schwerlich zu leugnen, dann als Fortschreiten von unbegründeten zu begründeten Annahmen. Anders gesagt, von bewusstem oder nicht bewusstem Für-wahr-halten zu erkanntem und begründetem Wissen. Dieser Fortschritt beginnt im Glauben und gelangt nie zur Allwissenheit. Insofern ist Wissen sozusagen nur die Spitze eines Eisbergs, dessen unterer, viel größerer, schwererer und alles aus dem Wasser Ragende tragender Teil Glauben ist.
Damit zurück zum religiösen Glauben. Es ist gar nicht einzusehen, warum bei diesem nicht zwischen wahr und falsch unterschieden werden kann oder sogar muss. Zumal die religiösen Fragen doch schon theoretisch nicht unerheblich sind: Existiert Gott? Was will er? Was ist ein gottgefälliges Leben? Was geschieht nach dem Tod mit mir? Warum gibt es Leiden und Schuld? An wen kann ich mich wenden, wenn mich existenzielle Nöte quälen? Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Warum existiere ich?
Die verschiedenen Religionen und religiösen Richtungen stellen diese Fragen, wenn überhaupt, dann verschieden und sie beantworten sie verschieden. Es ist blanker Unsinn, was manche immer wieder behaupten, dass alle Religionen dasselbe sagen. Zwischen dem Bekenntnis, es gebe nur den transzendenten und von der Welt verschiedenen Gott, und der Annahme, es gebe viele Götter oder Gott und Welt seien identisch; zwischen dem Versuch, Geister Verstorbener zu beschwören und dem Glauben an die Heilswirksamkeit guter Taten; zwischen der Behauptung der Notwendigkeit, Kriegsgefangenen das Herz bei lebendigem Leib herauszureißen, um es der Sonne zu opfern, und dem Aufruf zu Liebe, Barmherzigkeit und Demut sind doch erhebliche Unterschiede …
Obwohl es keineswegs sicher ist, dass ein einheitlicher Begriff von Religion sinnvoll gebildet werden kann (weil damit womöglich viel zu verschiedene Phänomene nach einem kulturell vorgeprägten Muster zusammengefasst werden), kann man sich vielleicht doch auf diese wahre Behauptung verständigen: Was die verschiedenen religiösen Gemeinschaften für wahr halten, widerspricht einander. Zwar nicht in jedem Fall, aber doch in vielen wichtigen Fällen, die die Eigenart der jeweiligen Religion ausmachen.
Religiöser Glaube ist jedenfalls sehr viel mehr als ein bloßes Für-wahr-Halten, vielmehr eine existenzielle Entscheidung. Will sagen: Woran man glaubt, entscheidet hier, worauf man sein Dasein gründet, was man tut und lässt, was man von anderen verlangen zu dürfen glaubt, was man erhofft. Religion besteht nicht aus irgendwelchen Annahmen, die auch anders sein könnten, und irgendwelchen Rituale, die so oder so gestaltet werden können. Jede Religion ist auf ihre Weise ein Verhältnis des Menschen zu sich, zu anderen, zur Welt und zu dem, was es sonst noch gibt. Dieses Verhältnis beeinflusst auf je eigene Weise das Verhalten. Wer glaubt, dass er Gott beleidigt, wenn er Schweinefleisch isst und samstags arbeitet, wird es lassen. Wer glaubt, dass ein Bad im Ganges ihn von seinen Sünden reinigt, wird wohl eines nehmen. Wer glaubt, dass er sein Nächsten lieben muss, weil er sonst in die Hölle kommt, wird sich bemühen, es zu tun. (Das alles im Idealfall; man kann einer Religion anhängen und ihre Normen doch von Fall zu Fall missachten.)
Wenn religiöser Glaube existenziell ist, dann sind auch religiöse Differenzen existenziell. Das gilt auch und gerade bei religiösen Überzeugungen (oder zumindest Behauptungen), die nahe miteinander verwandt sind oder es zu sein scheinen, also etwa den unterschiedlichen Lehrsätzen (fachsprachlich Dogmen genannt) der verschiedenen christlichen „Konfessionen“.
Es macht offensichtlich einen erheblichen Unterschied, ob man Jesus Christus für Gott hält (eine der drei Personen des ewigen, ungeschaffenen Gottes) oder nur für ein besonderes Geschöpf. Ob Jesus Christus ganz Mensch und ganz Gott oder nur eines von beidem war (und ist). Ob man daran glaubt, dass Jesus Christus für alle Menschen am Kreuz gestorben ist oder nur für eine Gruppe von Auserwählten. Ob jeder Mensch durch die Gnade Gottes zur ewigen Seligkeit berufen ist, oder ob Gott im Voraus die einen für den Himmel und die anderen für die Hölle bestimmt. Ob man es für wahr hält, dass jeder sich frei für oder Gott entscheiden kann, oder glaubt, dass kein Mensch einen freien Willen hat. Ob man meint, dass es genügt, an Gott zu glauben, oder ob man, um selig zu werden, auch Gottes Willen tun muss. Ob bei der Feier der Eucharistie Brot und Wein tatsächlich zu Leib und Blut Christi werden oder die Kommunikanten sich das nur vorstellen. Ob man meint, der Heilige Geist bewahre die Kirche und ihr Lehramt letztlich vor Irrtum, oder ob man wahr haben will, dass jeder im Grunde glauben kann, was er will.
Die Liste der konfessionellen Unterschiede ist schier endlos. Sie betrifft wichtige theologische Themen, Konzepte der kirchlichen Organisation, Fragen der persönlichen Lebensführung. Nichts davon ist bloße Folklore, die man so oder anders gestalten kann (solche Unterschiede gibt es auch, um sie geht hier aber nicht). Hier entscheidet das, was man glaubt (oder glauben soll), darüber, welche Sicht seiner selbst, der Welt und Gottes man hat.
Bei jedem dieser Unterschiede kann gefragt werden: Ist das eine wahr oder das andere? Beides kann nicht zugleich und auf dieselbe Weise wahr sein. Vielmehr ist immer nur eines wahr, alles andere falsch. Es kann auch nicht egal sein, was stimmt. Weil es nicht um theologische Spitzfindigkeiten geht, sondern um praktische Effekte. Wenn Menschen zum Beispiel keinen freien Willen haben, erübrigen sich alle moralischen Appelle und das Strafrecht. Aber auch jede theologische Argumentation, denn jeder muss ja glauben, was er halt glaubt. Die Verbreitung von Unwahrheit schädigt die Menschen, weil sie unter Umständen ihren Zugang zur Wahrheit verstellt. Wem es wichtig ist, was wahr ist, der wird Irrtum und Lüge bekämpfen wollen.
Selbstverständlich kann man auch die Meinung vertreten, alles, was die katholische Kirche und die nichtkatholischen Häresien lehrten, sei falsch. das Christentum und Religion überhaupt sei immer unwahr. Nur dass kein Gott existiert, sei eine unbezweifelbare Wahrheit.
Allerdings glauben das die wenigsten. Die meisten Menschen überall auf der Welt sind auf die eine oder andere Weise religiös. Nur unter den Bewohnern der säkularisierten Industrienationen hat sich, wenigstens implizit, eine gewisse Glaubenslosigkeit, Glaubensmüdigkeit oder Glaubensschwäche durchgesetzt. (Nicht in den USA allerdings.) Religion spielt keine öffentliche Rolle mehr, gilt allenfalls als Privatsache, ist aber auch im Privatbereich längst ohne Bedeutung oder nur von kaum noch merklicher.
Unter solchen Bedingungen scheint es dann folgerichtig egal zu sein, welcher Glaube wahr oder falsch ist, man hat keinen oder nur einen weitgehend wirkungslosen: Irgendetwas Höheres wird es schon geben. Oder auch nicht. Hauptsache, man ist ein guter Mensch. Religiöse und „konfessionelle“ Differenzen sind, sofern überhaupt noch bekannt und verstanden, ohne Bedeutung.
Woher dann die Kriterien dafür, ein guter Mensch zu sein, also richtig zu handeln und nicht falsch, allerdings kommen sollen, ist in höchstem Maße fraglich und bleibt im Diffusen. Damit soll nicht gesagt sein, ein Atheist oder anderer Nichtkatholik könne „kein guter Mensch“ sein, also das Richtige tun und das Falsche meiden. (Während umgekehrt Menschen, die als Katholiken registriert sind, sehr wohl Dummköpfe und Verbrecher sein können.) Aber seine richtige Praxis hängt ohne den wahren Glauben sozusagen in der Luft, ist willkürlich und bestenfalls schlecht begründet. Jeder kann und soll sich an die Goldene Regel halten, die Grundlage aller Ethik: Behandle andere stets so, wie die von anderen behandelt werden willst. („Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“) Aber nur der Gläubige weiß, dass das Gute, das sich in dieser universellen Handlungsanweisung zu Wort meldet, von Gott stammt, dem Quell alles Guten.
Das Wahre und das Gute gehören zusammen, sind im metaphysischen sinne dasselbe. Wer die Möglichkeit oder Bedeutung wahren Glaubens verwirft, verwirft die Vernunft, das Wissen, das Streben nach richtigem Handeln und einem sinnerfüllten Leben.
Manche sagen. Alles gut und schön. Aber ob es stimmt oder nicht, was als wahrer Glaube verkündet wird, kann man nicht wissen. Das übersteigt das menschliche Erkenntnisvermögen. Der Einwand zielt auf etwas Richtiges ― und verfehlt es doch. Denn zwischen den endlichen Menschen und dem unendlich, unfassbaren Gott vermittelt die Offenbarung, die freie Selbstmitteilung Gottes. Für Christen heißt das: Das Wort ist Mensch geworden und „hat unter uns gewohnt“; Jesus Christus ist Gottes Sohn und selbst ganz Gott und ganz Mensch, er „hat Kunde gebracht“. Auf diese Offenbarung, die durch die Zeugnisse (und die Beispiele der Heiligen) überliefert (und durch das Lehramt der Kirche geordnet) wird, antwortet der Glaube.
Was Gott sagt, kann nicht unwahr sein. Wer glaubt, was Gott sagt, kann nicht irren. Darum muss, wer glaubt, sicher gehen, dass das, was er glaubt, auch das ist, was wahr ist. Anders gesagt: Glaube allein genügt nicht, nur wahrer Glaube führt zum Heil.

* „Könnte es sein, dass Sie ein etwas irrer, jedenfalls wirrer und extremistischer Papist sind? (…) ‘Wahrer Glaube’? My ass!“