Sonntag, 17. Oktober 2021

Reklame

„Zeige deine Individualität.“ Indem du unser massenhaft produziertes Zeug kauftst.

Verrückterweise muss man fast dankbar sein: Solange man noch mit Reklame für Sachen behelligt wird, die man nie im Leben haben möchte, ist man datenmäßig wohl noch nicht ganz erfasst und durchschaut. Oder ist das nur ein Trick, um mich in Sicherheit zu wiegen?

Radio-Reklame für, wie ich jetzt weiß, eine Optiker-Kette namens „Sehen Wutscher“. Ich verstand aber zunächst „Seelenlutscher“ ― und war begeistert.

„DNA-Sommerschlussverkaufsaktion.“ Klingt ungut. Wird jetzt schon Erbgut verramscht?

„Freuen Sie sich auch schon auf’s Fasten und Entgiften?“, fragt mich eine Reklame für „Detox-Tees“. Mal abgesehen vom toxischen Apostroph: Es ist wohl der Jetztzeit vorbehalten geblieben, aus dem Fasten, also einem Verzicht, eine Form von Konsum gemacht zu haben.

„Ärztekammer-Präsident wünscht sich Impfwerbung vor der ‘Tagesschau’.“ Find ich gut. Erst die Reklame, dann die anderen Lügen. (Vor und nach der
Tagesschau ginge aber auch. Oder statt.)

Buch-Reklame mit dem berüchtigten „Trolley-Dilemma“: „Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine führerlose Straßenbahn (Trolley) rast auf fünf an die Gleise gekettete Menschen zu. Diese werden sterben, wenn die Bahn nicht aufgehalten wird. Sie stehen auf einer Brücke, neben Ihnen ein dicker Mann. Wenn Sie ihn auf die Gleise schubsen, wird er sterben, die Straßenbahn jedoch aufgehalten und die fünf anderen Menschen gerettet werden. Wie würden Sie entscheiden?“ (zu Edmonds, David: Würden Sie den dicken Mann töten?, Reclam) ― Liebe Leute, die Frage stellt sich mir etwas anders. Ich bin der dicke Mann.

„Bestimmt kennen Sie das auch, wenn Sie sich eine Tasse Kaffee, Kakao oder Tee herrichten wollen und gerade keinen Löffel zum Umrühren an der Hand haben. Mit unserer hochqualitativen und umweltfreundlichen ‘elektrischen Tasse to go’ haben Sie Ihr Lieblingsgetränk von überall aus dabei.“ Oh ja, wer kennt das nicht! Am fehlenden Löffel sind schon manche Leben gescheitert. Mancher hatte einfach zu früh den Löffel abgegeben. ― Geht's noch?

„Relaxte Alltagslooks … Entspannte Styles statt Business Outfits: Was Du jetzt auf Deiner Shoppingliste brauchst, sind bequeme Looks zum Wohlfühlen. Entdecke coole Jeans, gemütliche Jogginghosen, lässige Hemden und vieles mehr!“ Ich hoffe sehr, dass ich schon mittelfristig den Löffel abgeben darf, denn ich sehe voraus, dass ich mich nur allzu bald mit meiner Umwelt nicht etwa wegen meiner eventuellen Demenz nicht mehr verständigen können werde, sondern weil sie dann ein ganz anderes „Deutsch“ spricht und tippt als ich.

„Revolutioniere die Art, deiner Fortbewegung. Es ist Zeit, elektrisch zu fahren.“ (Fahrrad-Reklame) Strom kommt ja bekanntlich einfach aus der Steckdose … Wenn das revolutionär ist, bin ich gegen die Revolution (wie auch gegen falsch gesetzte Kommata).

Eine E-Mail. Betreff: „Heute ist Weltfrauentag: Haarentferungsgerät um nur 99,90 statt 179,90.“ Habe ich jetzt als misogyn zu gelten, weil ich nicht gleich so ein Gerät bestellt habe?

„Ersetzen Sie Ihre Notizbücher und gedruckten Dokumente durch das einzige Tablet, das sich wie Papier anfühlt.“ Oder ich schreibe weiterhin auf Papier, das sich wie Papier anfühlt.

„Du suchst ein besonderes und zeitloses Geschenk? Bei … findest du Socken-Motive von über 40 berühmten Künstlern wie Jan Vermeer oder Salvador Dalí." Und ihr findet den Weltzustand, von Corona abgesehen, normal?

„Dieses Haus ist fast 100 Jahre alt, wurde von den Architekten des Bauhaus erbaut und sieht trotzdem sehr modern aus.“ Über das Trotzdem kann ich mich gar nicht genug amüsieren.

„Die besten Socken, die ich je hatte.“ Sag bloß. Wie interessant. „Was sind das für Zeiten, wo / ein Gespräch über Socken nicht als Verbrechen gilt, / obwohl es es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ (frei nach Brecht)

Vielen Dank für all Eure Newsletter, Radio- und TV-Werbespots, Facebook-Anzeigen und sonstige Belästigungen, liebe Firmen, aber Ihr und Euer „Black Friday“ könnt mich mal am A… lecken.

Betreffzeile einer Spam-E-Mail. Ich las: „Du wirst benedeit.“ Aber selbstverständlich stand dort: „Du wirst beneidet.“ Das sagt doch alles.

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