Moralische Fragen könne man schwer eindeutig beantworten. Die moralische Frage müsse jeder für sich lösen. Man müsse dafür alle Argumente hören, durchdenken und prüfen.
Mit diesen Worten wurde Ferdinand von Schirach vom ORF Teletext zitiert (9. Oktober 2020). Ich weiß nicht, ob er das wirklich so gesagt hat, es ist auch egal, mir kommt es nicht auf Schirach an, sondern darauf, dass das Zitat pointiert eine Einstellung umreißt, die, wie ich vermute, viele Menschen haben. Ich werde versuchen, die Behauptungen zu widerlegen.
Es ist nicht einzusehen, warum moralische Fragen nur schwer eindeutig zu beantworten sein sollen. Im Grunde gibt es nur eine einzige moralische Frage: Darf dies tun oder muss ich es unterlassen? Wobei „dies“ eine bestimmte Handlung ist. Im Fall von Schirach zum Beispiel (dessen Theaterstück „Gott“ wohl Anlass zu seinen zitierten Äußerungen war): Darf ich einen Menschen töten, weil ich der Meinung bin, dass sein Leben nicht lebenswert ist? Darf ich mich selbst töten, wenn ich nicht mehr leben will? Darf ich einem Lebensmüden beim Selbstmord Beihilfe leisten? Selbstverständlich kann man die moralische Frage, ob etwas erlaubt oder verboten ist, auch noch etwas differenzierter stellen: Unter welchen Bedingungen darf ich, soll ich, muss ich etwas tun oder darf, soll, muss es unterlassen? Unter welchen Bedingungen also ist „Euthanasie“, also die Tötung eines Menschen entweder auf dessen Wunsch, weil er sterben will, oder auf Grund eigener Einschätzung, dass es besser ist, dass er nicht mehr lebt, erlaubt oder verboten.
Auf die allgemeine moralische Frage gibt es immer eine eindeutige Antwort. Nämlich eine von zweien: Ja, du darfst. Oder nein, du darfst nicht. Die Antwort: Ich weiß es nicht, ist keine Antwort. Im konkreten Beispiel lautet die Antwort: es ist in jedem Fall verboten, sich selbst umzubringen, jemandem beim Selbstmord zu helfen oder jemanden zu töten, weil er es verlangt.
Um eine moralische Frage zu beantworten, muss klar sein, worum es geht, welche Bedingungen vorliegen und was die Kriterien sind, nach denen etwas beurteilt werden soll. Der Sachverhalt selbst ist in der Regel nicht das Problem, wäre er nicht bekannt, stellte sich ja gar keine Frage. Die genauen Umstände und Bedingungen, die einen Sachverhalt modifizieren, sollten sich ebenfalls leicht ermitteln lassen, zumal es gar nicht nötig ist, alle denkbaren Möglichkeit durchzuspielen, weil eine konkrete moralische Frage sich für gewöhnlich auf einen konkreten Fall oder eine konkrete Art von Fällen bezieht. Die Schwierigkeit, klare Antworten zu finden, ergibt sich für viele Leute nur deshalb, weil sie die geltenden Kriterien entweder nicht kennen oder anzweifeln oder für ungültig halten. Es ist aber wohl klar, dass ohne moralische Kriterien, keine sinnvolle Antwort möglich ist. Wer von vornherein annimmt, dass richtig und falsch sich nicht unterscheiden lassen, will gar keine Antwort. Oder hat sie schon gegeben: Ich darf alles, was ich will.
Es muss aber den Unterschied von richtig und falsch geben, denn eine Handlung kann (unter denselben Bedingungen) nicht beides sein: Entweder die Tötung „unwerten“ Lebens ist zulässig oder sie ist es nicht. Es ist denkbar, dass dieselbe Handlung unter bestimmten Bedingungen erlaubt, unter anderen verboten ist, aber eben auch, dass es Handlungen gibt, die unter allen Umständen verboten oder erlaubt sind.
Warum Selbstmord, Tötung auf Verlangen und „Gnadentod“ unbedingt verboten sind, soll hier nicht diskutiert werden. Das ist nicht das Thema meiner Ausführungen. Hier geht es nur darum, ob eindeutig beantwortet werden kann, dass etwas erlaubt oder verboten ist. Und das kann es, wenn Kriterien existieren, anhand derer man einen Fall entscheiden kann. Wenn keine solchen Kriterien vorliegen, gibt es im Grunde auch keine Moral.
Selbstverständlich kann es sein, dass eine bestimmte Moral, also ein (mehr oder minder offenes oder geschlossenes, mehr oder minder veränderliches) System von Problematisierungen dessen, was man tun darf oder soll und was zu unterlassen ist, auf einen bestimmten Fall, sozusagen eine neuartige moralische Frage, nicht vorbereitet ist. In einem solchen Fall kann ethische Reflexion helfen.
Ethik ist die wissenschaftliche, genauer: philosophische Disziplin, deren Gegenstand Moralien sind. Wie Moral auch fragt Ethik nach dem richtigen oder falschen Tun und Lassen, nach den Bedingungen, vor allem aber nach den Gründen der Richtigkeit und Falschheit. Moral braucht diese Gründe nicht explizit zu machen, Ethik tut es. Ethik ist sozusagen durchdachte Moral.
Manche meinen, Moral sei einfach das, was die Leute täten und nicht täten. Dann wäre der Begriff der Moral allerdings überflüssig und man könnte einfach von Verhalten reden. Nun gibt es aber offensichtlich richtiges und falsches Verhalten. Eine Unterscheidung, die sich nicht nur auf eine sachliche Angemessenheit oder Unangemessenheit (zum Beispiel Brot mit dem Löffel schneiden statt mit dem Messer) oder Beachtung oder Nichtbeachtung von Sitten und Gebräuchen bezieht (zum Beispiel Orthographie ohne „th“ schreiben). Fragen der Angemessenheit oder Üblichkeit sind keine moralischen Fragen, sondern die moralische Frage lautet, wie gesagt: Soll ich oder soll ich nicht?
Diese Frage kann nicht einfach „jeder für sich“ ― und damit gegebenenfalls anders ― beantworten. Das heißt: Er kann schon, aber die Antwort kann dann nicht immer richtig sein. Ob jemand aus moralischer Sicht etwas tun soll oder nicht, ist, wenn die Bedingungen dieselben sind, immer in gleicher Weise richtig zu beantworten. Mord kann nicht dem einen erlaubt sein, weil er das so für sich so entscheidet, und dem anderen verboten, weil er es anders entscheidet. Das Subjekt entscheidet überhaupt nicht, ob etwas richtig oder falsch ist, das ist objektiv gegeben, sondern es entscheidet allenfalls, das Richtige zu tun oder eben das Falsche.
Die Annahme, moralische Normen seien (etwa im Unterschied zu juridischen, deren Allgemeingültigkeit niemand anzweifeln würde) subjektiv, ist unsinnig. Es kann schon sein, dass eine moralische Norm ihrerseits falsch ist (wie ja auch juridisches Normen sowohl innerjuridisch, etwa durch Widerspruch zur Verfassung, oder moralisch falsch sein können, wenn der Gesetzgeber unmoralisch ist). Schlagenstes Beispiel: Die nazistische Moral, die es, ebenso wie die nazistische Gesetzgebung, erlaubte, ja forderte, „lebensunwertess Leben“ zu vernichten, also etwa Behinderte und unheilbar Kranke zu töten.
Moral kann also gar nicht bloß subjektiv sein, weil sonst eine Zurückweisung der nazistischen Verbrechen auf Grund der falschen nazistischen Moral (und ungerechten Gesetze) nicht möglich wäre. Oder eben nur subjektiv und willkürlich möglich wäre: Du hältst dies für erlaubt, ich nicht, das ist subjektiv, das kann man nicht objektiv klären ― man kann nicht objektiv klären, ob es moralisch richtig war, Hunderttausende Behinderter zu töten, Millionen Juden zu vergasen usw. usf.
Es ist also offensichtlich, dass Moral, die diesen Namen verdient, nicht subjektiv sein kann, sondern objektiven Anspruch haben muss. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass immer unstrittig sein wird, welches denn nun in dem und dem Fall die richtige Norm und welches die richtige moralische Entscheidung ist. Aber aus der Strittigkeit und nicht einmal aus der anhaltenden Strittigkeit kann nicht gefolgert werden, dass es die richtige Norm nicht gibt. Wenn jeder moralische Fragen bloß „für sich löst“, gibt es keine Moral. Nur eine allgemein verbindliche Moral ist eine sinnvolle Moral.
Nun mag es sein, dass die säkulare Gesellschaft mit ihrem Wertezerfall und ihrem Pluralismus, Individualismus und konsumistischen Hedonismus nicht aufgelegt ist, moralische Verbindlichkeit anders als in Zuständen der Empörung zu fordern und anzubieten. Worauf sollte sie, in sich zerstritten und haltlos, wie sie notwendig ist, eine objektive Normativität auch gründen? Soll sie abstimmen, welche Mehrheit gerade für die Gültigkeit dieser oder jener Normen ist? (Dann wäre der unmoralisch Handelnde schlicht eine Minderheit, eine Oppositioneller, ein Dissident.) Soll sie ihre Hoffnung auf „die Wissenschaften“ setzen? Die aber können bestenfalls sagen, was ist, aber niemals, was sein soll.
Bleiben noch die Philosophie, die aber notorisch vielstimmig und, im Ganzen genommen, uneindeutig und unverbindlich ist. Und selbstverständlich die Religion. Seit zwanzig Jahrhunderten macht die Kirche das, was Schirach vorschlägt: Sie hört alle Argumente, durchdenkt sie, prüft sie. Und sie ist zu Entscheidungen gekommen, zu fast zweitausend Jahren immer denselben. Diese Unwandelbarkeit und gute Begründetheit sind ihrerseits gute Argumente für die Richtigkeit der moraltheologischen Einsichten. Es ist wahrscheinlich diese unabweisbare Richtigkeit, diese eindeutige Beantwortbarkeit moralische Fragen, die die Leute in den unethischen Subjektivismus fliehen lassen: Wenn man vorgibt, nichts sei eindeutig und alles subjektiv, kann man sich vormachen, man dürfe tun, was man wolle ― und das dann auch noch als moralisch reflektiert ausgeben. Ach, es ist ja so schwer, das Richtige zu tun! Da halten wir uns lieber an die Willkür unserer Vorlieben …
Mit diesen Worten wurde Ferdinand von Schirach vom ORF Teletext zitiert (9. Oktober 2020). Ich weiß nicht, ob er das wirklich so gesagt hat, es ist auch egal, mir kommt es nicht auf Schirach an, sondern darauf, dass das Zitat pointiert eine Einstellung umreißt, die, wie ich vermute, viele Menschen haben. Ich werde versuchen, die Behauptungen zu widerlegen.
Es ist nicht einzusehen, warum moralische Fragen nur schwer eindeutig zu beantworten sein sollen. Im Grunde gibt es nur eine einzige moralische Frage: Darf dies tun oder muss ich es unterlassen? Wobei „dies“ eine bestimmte Handlung ist. Im Fall von Schirach zum Beispiel (dessen Theaterstück „Gott“ wohl Anlass zu seinen zitierten Äußerungen war): Darf ich einen Menschen töten, weil ich der Meinung bin, dass sein Leben nicht lebenswert ist? Darf ich mich selbst töten, wenn ich nicht mehr leben will? Darf ich einem Lebensmüden beim Selbstmord Beihilfe leisten? Selbstverständlich kann man die moralische Frage, ob etwas erlaubt oder verboten ist, auch noch etwas differenzierter stellen: Unter welchen Bedingungen darf ich, soll ich, muss ich etwas tun oder darf, soll, muss es unterlassen? Unter welchen Bedingungen also ist „Euthanasie“, also die Tötung eines Menschen entweder auf dessen Wunsch, weil er sterben will, oder auf Grund eigener Einschätzung, dass es besser ist, dass er nicht mehr lebt, erlaubt oder verboten.
Auf die allgemeine moralische Frage gibt es immer eine eindeutige Antwort. Nämlich eine von zweien: Ja, du darfst. Oder nein, du darfst nicht. Die Antwort: Ich weiß es nicht, ist keine Antwort. Im konkreten Beispiel lautet die Antwort: es ist in jedem Fall verboten, sich selbst umzubringen, jemandem beim Selbstmord zu helfen oder jemanden zu töten, weil er es verlangt.
Um eine moralische Frage zu beantworten, muss klar sein, worum es geht, welche Bedingungen vorliegen und was die Kriterien sind, nach denen etwas beurteilt werden soll. Der Sachverhalt selbst ist in der Regel nicht das Problem, wäre er nicht bekannt, stellte sich ja gar keine Frage. Die genauen Umstände und Bedingungen, die einen Sachverhalt modifizieren, sollten sich ebenfalls leicht ermitteln lassen, zumal es gar nicht nötig ist, alle denkbaren Möglichkeit durchzuspielen, weil eine konkrete moralische Frage sich für gewöhnlich auf einen konkreten Fall oder eine konkrete Art von Fällen bezieht. Die Schwierigkeit, klare Antworten zu finden, ergibt sich für viele Leute nur deshalb, weil sie die geltenden Kriterien entweder nicht kennen oder anzweifeln oder für ungültig halten. Es ist aber wohl klar, dass ohne moralische Kriterien, keine sinnvolle Antwort möglich ist. Wer von vornherein annimmt, dass richtig und falsch sich nicht unterscheiden lassen, will gar keine Antwort. Oder hat sie schon gegeben: Ich darf alles, was ich will.
Es muss aber den Unterschied von richtig und falsch geben, denn eine Handlung kann (unter denselben Bedingungen) nicht beides sein: Entweder die Tötung „unwerten“ Lebens ist zulässig oder sie ist es nicht. Es ist denkbar, dass dieselbe Handlung unter bestimmten Bedingungen erlaubt, unter anderen verboten ist, aber eben auch, dass es Handlungen gibt, die unter allen Umständen verboten oder erlaubt sind.
Warum Selbstmord, Tötung auf Verlangen und „Gnadentod“ unbedingt verboten sind, soll hier nicht diskutiert werden. Das ist nicht das Thema meiner Ausführungen. Hier geht es nur darum, ob eindeutig beantwortet werden kann, dass etwas erlaubt oder verboten ist. Und das kann es, wenn Kriterien existieren, anhand derer man einen Fall entscheiden kann. Wenn keine solchen Kriterien vorliegen, gibt es im Grunde auch keine Moral.
Selbstverständlich kann es sein, dass eine bestimmte Moral, also ein (mehr oder minder offenes oder geschlossenes, mehr oder minder veränderliches) System von Problematisierungen dessen, was man tun darf oder soll und was zu unterlassen ist, auf einen bestimmten Fall, sozusagen eine neuartige moralische Frage, nicht vorbereitet ist. In einem solchen Fall kann ethische Reflexion helfen.
Ethik ist die wissenschaftliche, genauer: philosophische Disziplin, deren Gegenstand Moralien sind. Wie Moral auch fragt Ethik nach dem richtigen oder falschen Tun und Lassen, nach den Bedingungen, vor allem aber nach den Gründen der Richtigkeit und Falschheit. Moral braucht diese Gründe nicht explizit zu machen, Ethik tut es. Ethik ist sozusagen durchdachte Moral.
Manche meinen, Moral sei einfach das, was die Leute täten und nicht täten. Dann wäre der Begriff der Moral allerdings überflüssig und man könnte einfach von Verhalten reden. Nun gibt es aber offensichtlich richtiges und falsches Verhalten. Eine Unterscheidung, die sich nicht nur auf eine sachliche Angemessenheit oder Unangemessenheit (zum Beispiel Brot mit dem Löffel schneiden statt mit dem Messer) oder Beachtung oder Nichtbeachtung von Sitten und Gebräuchen bezieht (zum Beispiel Orthographie ohne „th“ schreiben). Fragen der Angemessenheit oder Üblichkeit sind keine moralischen Fragen, sondern die moralische Frage lautet, wie gesagt: Soll ich oder soll ich nicht?
Diese Frage kann nicht einfach „jeder für sich“ ― und damit gegebenenfalls anders ― beantworten. Das heißt: Er kann schon, aber die Antwort kann dann nicht immer richtig sein. Ob jemand aus moralischer Sicht etwas tun soll oder nicht, ist, wenn die Bedingungen dieselben sind, immer in gleicher Weise richtig zu beantworten. Mord kann nicht dem einen erlaubt sein, weil er das so für sich so entscheidet, und dem anderen verboten, weil er es anders entscheidet. Das Subjekt entscheidet überhaupt nicht, ob etwas richtig oder falsch ist, das ist objektiv gegeben, sondern es entscheidet allenfalls, das Richtige zu tun oder eben das Falsche.
Die Annahme, moralische Normen seien (etwa im Unterschied zu juridischen, deren Allgemeingültigkeit niemand anzweifeln würde) subjektiv, ist unsinnig. Es kann schon sein, dass eine moralische Norm ihrerseits falsch ist (wie ja auch juridisches Normen sowohl innerjuridisch, etwa durch Widerspruch zur Verfassung, oder moralisch falsch sein können, wenn der Gesetzgeber unmoralisch ist). Schlagenstes Beispiel: Die nazistische Moral, die es, ebenso wie die nazistische Gesetzgebung, erlaubte, ja forderte, „lebensunwertess Leben“ zu vernichten, also etwa Behinderte und unheilbar Kranke zu töten.
Moral kann also gar nicht bloß subjektiv sein, weil sonst eine Zurückweisung der nazistischen Verbrechen auf Grund der falschen nazistischen Moral (und ungerechten Gesetze) nicht möglich wäre. Oder eben nur subjektiv und willkürlich möglich wäre: Du hältst dies für erlaubt, ich nicht, das ist subjektiv, das kann man nicht objektiv klären ― man kann nicht objektiv klären, ob es moralisch richtig war, Hunderttausende Behinderter zu töten, Millionen Juden zu vergasen usw. usf.
Es ist also offensichtlich, dass Moral, die diesen Namen verdient, nicht subjektiv sein kann, sondern objektiven Anspruch haben muss. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass immer unstrittig sein wird, welches denn nun in dem und dem Fall die richtige Norm und welches die richtige moralische Entscheidung ist. Aber aus der Strittigkeit und nicht einmal aus der anhaltenden Strittigkeit kann nicht gefolgert werden, dass es die richtige Norm nicht gibt. Wenn jeder moralische Fragen bloß „für sich löst“, gibt es keine Moral. Nur eine allgemein verbindliche Moral ist eine sinnvolle Moral.
Nun mag es sein, dass die säkulare Gesellschaft mit ihrem Wertezerfall und ihrem Pluralismus, Individualismus und konsumistischen Hedonismus nicht aufgelegt ist, moralische Verbindlichkeit anders als in Zuständen der Empörung zu fordern und anzubieten. Worauf sollte sie, in sich zerstritten und haltlos, wie sie notwendig ist, eine objektive Normativität auch gründen? Soll sie abstimmen, welche Mehrheit gerade für die Gültigkeit dieser oder jener Normen ist? (Dann wäre der unmoralisch Handelnde schlicht eine Minderheit, eine Oppositioneller, ein Dissident.) Soll sie ihre Hoffnung auf „die Wissenschaften“ setzen? Die aber können bestenfalls sagen, was ist, aber niemals, was sein soll.
Bleiben noch die Philosophie, die aber notorisch vielstimmig und, im Ganzen genommen, uneindeutig und unverbindlich ist. Und selbstverständlich die Religion. Seit zwanzig Jahrhunderten macht die Kirche das, was Schirach vorschlägt: Sie hört alle Argumente, durchdenkt sie, prüft sie. Und sie ist zu Entscheidungen gekommen, zu fast zweitausend Jahren immer denselben. Diese Unwandelbarkeit und gute Begründetheit sind ihrerseits gute Argumente für die Richtigkeit der moraltheologischen Einsichten. Es ist wahrscheinlich diese unabweisbare Richtigkeit, diese eindeutige Beantwortbarkeit moralische Fragen, die die Leute in den unethischen Subjektivismus fliehen lassen: Wenn man vorgibt, nichts sei eindeutig und alles subjektiv, kann man sich vormachen, man dürfe tun, was man wolle ― und das dann auch noch als moralisch reflektiert ausgeben. Ach, es ist ja so schwer, das Richtige zu tun! Da halten wir uns lieber an die Willkür unserer Vorlieben …
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