Donnerstag, 30. September 2021

Balken und Splitter (3)

„Die Vermögen der reichsten Deutschen wachsen trotz Corona.“ Wie bitte, wieso denn „trotz“ ? Weil man sich in den Redaktionen (und anderswo) immer noch standhaft weigert, das Offensichtliche zu bemerken: Dass auch diese „Krise“, wie alle Krisen im Kapitalismus, eine Verschärfung des Klassenkampfes von oben ist.

Balken und Splitter (2)

Es ist wohl einfach so, dass ich in einer Welt, die sich für normal hält, lieber als Verrückter gelten möchte, als für normal gehalten zu werden in einer Welt, die mir längst völlig verrückt zu sein scheint.

Balken und Splitter (1)

Meine Freunde teilen manche meiner Überzeugungen nicht, und die, mit denen ich manche Überzeugungen teile, sind nicht meine Freunde. Soll ich jetzt die Überzeugungen wechseln oder die Freunde?

Samstag, 25. September 2021

Auslöschungen

Und wieder einer weniger. Wieder hat mich im sozialen Netzwerk einer als seinen „Freund“ gelöscht (und blockiert). Manchmal denke ich, ich habe in den letzten zehn Jahren Mehr „Freunde“ durch ihre oder meine Löschung „verloren“, als ich je hatte … Ich bin aber auch ein zu schrecklicher Mensch, mit mir kann man nicht befreundet sein wollen. Oder nur bis zu einem gewissen Punkt, dann muss man die Notbremse ziehen und aussteigen ― oder (um im Bild zu bleiben) mich aus dem oder vor den Zug werfen. Hauptsache, es ist Schluss. In den letzten anderthalb Jahren ging es dabei selbstverständlich immer um, ähem, na sagen wir mal: die Krise. Um ein Virus, seine Effekte und die behördlichen Maßnahmen. Da erlaube ich mir ja bekanntlich eine andere Meinung als die vermutliche Mehrheit. (Und als die Obrigkeit sowieso.) Das ist schwer zu ertragen, das verstehe ich. Die Reaktionen zeigen mir allerdings, dass ich Recht habe. Warum solche Aggressivität, wenn ich mich im Irrtum befände? Ihr schlechtes Gewissen, das sie sich nicht eingestehen, lässt die Leute sehr, sehr wütend werden. Dann ist so eine Löschung eine Wohltat. Vor allem, wenn sie hinterrücks kommt, also ohne Ankündigung oder erläuternde Mitteilung. Einfach löschen, zack, zack, der ist erledigt. Zerquetscht wie eine Laus. Zugegeben, einige wenige haben Gründe genannt. Einer etwa hatte von zwei Leuten gehört, Bekannten seiner Eltern, rüstigen Rentnern, die an Corona gestorben seien. (Statistisch unwahrscheinlich, aber möglich.) Darum sei, was ich schriebe, unerträglich. Als ob ich je geleugnet hätte, das Menschen sterben, woran auch immer. Hier konnte einer seine Lektüre meiner Kritik nicht mehr mit seinem Wunsch vereinbaren, die hegemonialen Erklärungsmuster gelten zu lassen. Was merkwürdig ist, denn wenn einer sagt, so schlimm ist das nicht mit dem Virus, dann wäre das doch eigentliche eine gute Nachricht, auch wenn man sie für falsch hält, und man muss schon sehr von der Lust an der Krankheit und ihrer staatlichen Verwaltung befallen sein, um eine (vermeintlich) falsche theoretische Interpretation als existenzielle Bedrohung wahrzunehmen. Das trifft anscheinend bei vielen seropositiven Schwulen zu. Die fühlen sich anscheinend in ihrer Weltanschauung und ihrem Lebensstil in Frage gestellt, wenn einer meint, dass Viren nicht das Problem sind und Vater Staat nicht die gütige Schutzmacht ist, die in weniger als einer Generation von Totalverbot nach § 175 (in Österreich: § 209) auf Homo-Ehe und Regenbogenbeflaggung umgeschaltet hat. Ein anderer hat mich, bevor er mich löschte, noch angekotzt und einen „Coronaidioten“ und „anarchofaschistischen Judenhasser“ genannt. Das verstehe ich, auch wenn es Quatsch ist. Die Ablehnung von Herrschaft von Menschen über Menschen, die auch dann gilt, wenn viele sich einen starken Staat wünschen, muss so einem rituellen Antifaschisten naturgemäß als Faschismus erscheinen (so wie Stalinisten von „Hitlertrotzkismus“ phantasierten). Die Forderung nach Menschenrechten auch für Palästinenser kann er sich dann als Judenhass umdeuten, weil mit dem „Faschismus“ der „Antisemitismus“ als bewährtes Mittel der Kritikabwehr schon bereitliegt. Und „Coronaidiot“ übersetzt das einige Zeit lang beliebte Wortspiel „Covidiot“ ins Gemeinverständliche und Dümmliche (zumal es ja „Anti-Corona-Idiot“ heißen müsste). Idiot ist, wer den Hohepriestern der Propaganda kein Wort glaubt und ihre Mysterien nicht mitfeiern will. Ein dritter schließlich, den ich erwähnen will, war anfangs selbst kritisch und skeptisch, aber spätestens nach einem Jahr drehte er sich um 180 Grad, jetzt war zwar nicht alles richtig, was die Regierung sagte und forderte, aber es war eben so, wie es war, da müsse man mitmachen, Augen zu und durch. Nach und nach war dann doch richtig, was die Regierung sagte und tat, vor allem die Impfung war richtig und wichtig, schon wegen der Pocken und weil irgendwer vor Jahren das HI-Virus geleugnet hatte (ja, so verwirrt waren die „Argumente“). Er ließ sich zweimal impfen. Dann kam der Impfdurchbruch, aber was soll’s, kann ja passieren, Nebenwirkungen und Wirkungslosigkeiten gibt es immer. Kurzum, wer von der Realität nicht mehr erreichbar ist, den überzeugt auch keine Argumentation. Mir fiel auf: Wenn er stirbt, hätte ich Unrecht gehabt, weil das Virus eben doch lebensbedrohlich ist. (Wobei ich nie „geleugnet“ habe, dass es das sein kann.) Wenn er wieder gesund wird, hätte ich Unrecht gehabt, weil die Impfung eben doch wirkt. So oder so. Er wurde, vermute ich, wieder gesund, und bald darauf verschwand er. Oder vielmehr, er ließ mich verschwinden. Gut so. Löscht mich, löscht mich alle, ihr falschen Freunde. Oder ignoriert mich. Mir ist das egal. Euch entgeht etwas, nicht mir. Was ich schreibe, könnte euer Leben ändern und die Welt verbessern, aber bitte, wer nicht will, der hat wohl schon. Um mich geht es dabei gar nicht. Ich mag unangenehm berührt, enttäuscht, gekränkt sein, aber das bin ich gewohnt. Darauf kommt es also nicht an. Wer nicht mit mir „befreundet“ sein will, hat alles Recht der Welt dazu. Aber auch nur das. Das Entscheidende fehlt.

Freitag, 24. September 2021

Ein Hungerstreik

Ein halbes Dutzend junger Leute aus Greifswald war einige Tage in Berlin im Hungerstreik, um gegen den Klimawandel und das Versagen der Politik zu protestieren und um Gespräche mit den „Kanzlerkandidaten“ bei der Bundestagswahl sowie die Einsetzung eines „Bürger:innenrates“ für Klimapolitik zu erzwingen. Inzwischen haben alle bis auf einen, dem sich ein Groupie angeschlossen hat, die Nahrungsverweigerung abgebrochen.
Hungerstreiks sind üblicherweise das Mittel von politisch Verfolgten oft bereits Eingesperrten, um ein konkretes Ziel zu erreichen, das unmittelbar mit ihnen oder anderen in ihrer Lage zu tun hat. Man kennt derlei unter anderem von den nordirischen Freiheitskämpfern, von den Terroristen der RAF, von Mahatma Gandhi und Don Camillo.
Die sechs jungen Klimaaktivisten aber haben aus einem eindrucksvollen letzten Mittel in verzweifelter Situation ein lächerliches Gedöns übersättigter Wohlstandskinder gemacht. Selbst wenn sie verhungert wären (und einer hat ja noch die Chance dazu), was hätte das gebracht?
Was wollen sie überhaupt? Seit wann ist es ein unbedingt mit dramatisch-existenziellen Gesten anzustrebendes Ziel, mit Parteifunktionären zu plaudern? Kann man da nicht einfach mit dem zuständigen Büro einen Termin ausmachen? Das die betreffenden Politiker sich nicht erpressen ließen, ist ausnahmsweise gut und richtig gehandelt. Man droht nicht mit dem eigenen Tod, nur um eine Mischung aus Talkshow und Pressekonferenz geschenkt zu bekommen, das ist hysterisch und infantil.
Und was soll das mit dem Klimarat? Zusätzlich zu den Verfassungsorganen oder statt dieser? Wer soll da drin sitzen? Wie sollen die Mitglieder bestellt werden? Welche Befugnisse soll der Rat haben? Was soll der Unterschied zu Expertenkommissionen und Parlamenten sein? Oder ist an eine Diktatur von Aktivisten gedacht? Und die befehlen dann was?
Und die wichtigste Frage: Warum sollten Politiker, die durch die Bank für eine Politik stehen, die eine Weltwirtschaftsordnung eintritt, die Millionen Menschen systematisch verhungern, durch vermeidbare Krankheiten und in für Rüstungskonzerne profitable Kriege krepieren lässt und die völlig auf Ausbeutung und Umweltzerstörung beruht, warum sollten sich solche Politiker also davon beeindrucken lassen, dass ein paar pathetische Jugendliche ihre Gesundheit schädigen oder sogar sterben? Man mag die Motive der Hungerstreiker für nobel halten, ihre Weltsicht ist bestenfalls naiv und uninformiert und ihr Verhalten unreif und egomanisch. „Wir werden die Welt retten, weil unser Leben so wichtig ist, dass man uns nicht sterben lässt, sondern macht, was wir wollen!“ Nö. Und jetzt zum Wetter.

Schwänzen for future

„Wir lehnen es ab, dass die Schulpflicht zugunsten politischer Aktionen ― etwa im Rahmen eines sogenannten Klimastreiks ― aufgehoben wird“, lässt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes die Medien wissen. Wie bei einen Lehrer (und Verbandsfunktionär) nicht anders zu erwarten, hat der Mann nichts verstanden. Wenn die Schulpflicht aufgehoben würde, wäre es ja kein Schwänzen. Aber genau darum geht es: Das Gesetz zu brechen, um ein Zeichen zu setzen. Erlaubtes Schwänzen wäre völlig sinnlos. Soll etwa der Schulbus die Kinder und Jugendlichen zur Demo fahren, und hinterher gibts Noten fürs schönste Plakat?
Der Lehrerpräsident steht fest neben der Spur. Es könne doch auch in der Schule ein Zeichen gegen den Klimawandel gesetzt werden, etwa in Arbeitsgruppen, durch Aktionen im Unterricht und Schuldebatten. Schule und Engagement für eine bessere Umwelt seien doch keine Gegensätze!
Wie denn nun, die Schulpflicht darf nicht wegen irgendwelcher politischer Aktionen ausgesetzt werden, aber wenn  die Schule aus Politischem die Luft rauslässt, indem sie es im Unterricht verlangweilt und in Arbeitsgruppen und Debattenspielen versinnlost, dann ist wieder alles okay?
Schulen sind wichtige Indoktrinations- und Desinformationsfabriken des Systems. Sonst würden sie nicht öffentlich alimentiert und es gäbe keine Schulpflicht. Junge Menschen sollen dort lernen, dumm und folgsam zu sein, an die Autorität von Experten und das Funktionieren der Pseudodemokratie zu glauben.
Da ist das Schuleschwänzen schlicht moralische Notwehr. In der Schule ist nur Konformismus und simulierte Diversität und Toleranz möglich. Mna muss damit brechen, wenn man dem entkommen will. Diese Lektionen können die Schülerinnen und Schüler gar nicht früh genug lernen.

Aufgeschnappt (bei Hans Sahl über Hermann Borchardt)

Er hasste die Dummheit und die Dummheit hasste ihn, denn er war ihr erbittertster Gegner: ein Denker, der gegen die Zersplitterung die Einheit, gegen die Auflösung das Verpflichtende eines strengen, religiösen Wertsystems setzte; ein Stilist, der Unklarheit durch Genauigkeit, die Verschwommenheit eines gewissen philosophischen „Fach“-Jargons durch äußerste Klarheit ersetzte; ein Schriftsteller, dem es gegeben war, das Schwierigste auf einfachste weise zu sagen, und der in seinen Theaterstücken und Romanen eine literarische Form anstrebte, die im besten Sinne „Volkstümlich“ war (…) In seinem oft widerspruchsvollen, sich selbst parodierenden Wesen vereinigten sich viele, scheinbar einander ausschließende Züge: Milde und Streitbarkeit, satirischer Witz und Religiosität, Blick in die Ewigkeit und Beschäftigung mit dem Alltäglichsten.

Donnerstag, 23. September 2021

Ungerecht und unsolidarisch (2)

Ich stehe immer noch unter choc. Der gestrige Beschluss, in der BRD bei lohnarbeitenden „Ungeimpften“ den Lohnersatz im erzwungenen Quarantänefall zu streichen, ist ungeheuerlich. Noch ungeheuerlicher ist, dass Empörung und Widerstand ausbleiben (oder sich auf die kleine Zahl Kreis der bekennenden Coronaskeptiker  beschränken).
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist eine der Errungenschaften des Sozialstaates. Die Gleichheit vor dem Gesetz eine Grundlage des Rechtsstaates. Das Recht, Rechte zu haben, darf nicht vom Wohlverhalten abhängig sein. „Ungeimpfte“ sind nicht „selber schuld“, wenn sie zu Quarantäne verpflichtet werden. Auch „Geimpfte“ können testpositiv und infektiös sein. Schon mal was von „Impfdurchbrüchen gehört“?
Für die Abschaffung des Lohnersatzes gibt es keinerlei Sachgründe. Es handelt sich um reine Schikane. Die Absicht ist es, die Leute dazu zu pressen, sich „impfen zu lassen“.
Mich empört das. Und die Reaktionslosigkeit der Gesellschaft deprimiert mich. Warum eigentlich. Es passiert doch nur das, was ich immer schon gesagt habe. Der Staat ist böse. Politiker sind dumm und niederträchtig. Ihre Untertanen sind ängstliche, hysterisierte, verblödete Konformisten.
Aber mir geht es eben wie jedem Propheten*: Ich will nicht Recht behalten! Ich klage an und kündige schlimme Folgen an, damit die Menschen umkehren und ein besseres Leben miteinander leben. Und nicht, damit sie einander die Hölle auf Erden bereiten und danach endgültig zur Hölle fahren.
Dass die Gesellschaft sich entsolidarisiert, also das Wenige, was in den reichen Gesellschaften des Nordens an institutioneller Solidarität erreicht war, zum Abbau freigibt und so regional und global Ausbeutung, Zerstörung und Verdummung neue Dimensionen erreichen lässt, ist genau das, was ich vorhergesagt habe. Aber eben, damit es nicht eintritt, damit man sich dagegen wehrt, dass es eintritt.
Darin dachte ich mit einigen Leuten einig. Falsch gedacht. Die akademische Linke schweigt. Oder grinst zustimmend. Es ist widerlich. Ich war in diesen Milieus, wie in allen anderen, immer schon ein Fremdkörper. Inzwischen bin ich anscheinend ein Virus. Etwas, das man abstößt, isoliert, fertigmacht.
Sei's drum. Ich habe Braven und Konformisten noch nie etwas verdankt. Meine Anreger waren immer die Abweichler, die Unangepassten, die Ausgeschlossenen. Das hat nichts mit Stilisierung zu tun. Das ist die Realität. Und sie ist monströs.

* Außer Jonas, versteht sich, der als Ausnahme die Regel bestätigt.

Mittwoch, 22. September 2021

Ungerecht und unsolidarisch

Dass sogenannte Ungeimpfte ― also Personen, die sich keiner Körperverletzung zwecks Einbringung von in ihrer Wirkung unabsehbaren, aber vielfach nachweislich schädlichen Stoffen unter dem Vorwand der „Pandemie-Bekämpfung“ unterzogen haben ―, wenn bei ihnen ein positives Testergebnis vorliegt und sie also in sogenannte Quarantäne müssen und daher nicht ihrer Lohnarbeit nachgehen können, nun die Lohnfortzahlung gestrichen wird, ist weder, wie korrupte Politiker behaupten, „fair“, noch war die bisherige Rechtslage „unsolidarisch“, ganz im Gegenteil.
Es geht nämlich nicht um sachgerechte Gesundheitspolitik und obrigkeitliche  Fürsorgepflicht. Vielmehr eskaliert hier der Staatsterror gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit um eine weitere Stufe.
Die „Ungeimpften“ seien ja selber schuld, heißt es. Wer sie sich nicht impfen lassen wolle, müsse eben die Folgen tragen.
Das ist Unsinn. Die behördlich verhängte „Quarantäne“ ist keine Folge der Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen. Schon gar nicht haben sich „Ungeimpfte“ selbst für eine „Quarantäne“ (und meist nicht einmal für einen Test) entschieden. Es haben vielmehr andere gemäß staatlich gesetztem Recht über sie verfügt. Darum muss der Staat, der zur „Quarantäne“ zwingt, auch den Lohnausfall kompensieren. Darüber kann kein Zweifel bestehen.
„Ungeimpfte“ zu Sündenböcken der angebliche Pandemiebekämpfung zu machen, ist unanständig und nicht zu rechtfertigen. Auch „Geimpfte“ können testpositiv (und infektiös, zudem mit bei höherer Virenlast) sein, manche haben sogar einschlägige Symptome, einige werden auf Intensivstationen behandelt, einige wenige sterben. Dass der Anteil der „Ungeimpften“ an den Testpositiven, Erkrankten, Hospitalisierten, intensivmedizinisch Behandelten und Verstorbenen signifikant höher ist als der der „Geimpften“, ist nicht bewiesen und so lange nicht beweisbar, so lange nicht beide Gruppen gleichermaßen gestestet und statistisch erfasst werden. Das ist aber nicht der Fall.
Und selbst wenn „Ungeimpfte“ das Gesundheitssystem stärker belasteten als „Geimpfte“, wäre es ein schwerer Verstoß gegen die grundsätzliche Gleichheit der Mitglieder der Solidargemeinschaft, sie anders zu behandeln: medizinisch oder finanziell. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hängt nicht davon ab, ob sich eine Krankheit hätte verhindern lassen. (Was zudem im Einzelfall schwer nachzuweisen wäre.) Dasselbe gilt bei Lohnfortzahlung im Quarantänefall. Auch „Unvernünftige“ haben dieselben Rechte als Patienten, Versicherte und Staatsbürger wie brave, gehorsame Konformisten. Ihre Rechte hängen nicht von ihrem Wohlverhalten ab (sie begingen denn eine Straftat und würden von einem Gericht verurteilt); oder eben doch, wenn der Staat es unwidersprochen so will.
Der unethische und verfassungsbrecherische Beschluss, durch Einstellung der Lohnfortzahlung Druck auf „Ungeimpfte“ auszuüben und damit den informellen Impfzwang auszubauen, müsste zu einem Aufschrei in der Gesellschaft führen und heftigen Widerstand auslösen. Wenn die Leute nicht längst dermaßen hysterisiert, entsolidarisiert und in ihrem selbstgerechten Hass auf Abweichler entfesselt wären.

Freitag, 17. September 2021

Glosse LXXXVII

Was ist das nur für eine merkwürdige Marotte, eine Körperverletzung (und sie mag noch so nützlich sein) als Pieks zu bezeichnen? Das scheint mir teils infantil, teils menschenverachtend.

Mittwoch, 15. September 2021

Schriftstellerischer Zufall

Das muss ich Ihnen noch erzählen: Sie kennen doch bestimmt Hermann Kestens berühmtes Buch „Dichter im Café“? Ich kenne es auch, das heißt: ich weiß seit Jahrzehnten, dass es existiert, habe es aber, aus Gründen, die mir unbekannt sind, in all der Zeit nie in Händen gehabt. Letztens wurde es in einem anderen Buch erwähnt, ich horchte auf, bestellte es mir, es wurde vorgestern geliefert. Als ich es nun gestern zu lesen begann, bekam ich schon bei Seite 14 einen tränenreichen Lachanfall. Denn dort beschreibt Kesten, wie er in Rom an der Piazza del popolo im „Rosati“ sitzt, hinüber aufs „Canova“ und über den Platz schaut. Genau diese Szene kommt (ohne Kesten, versteht sich) zweimal in dem Roman vor, an dem ich in den letzten Jahren schreibe! Ich finde das wunderbar. Was für ein erstaunlicher Zufall! Denn ein Zufall ist es, etwas, das mir (und, wenn ich das so sehen darf, Kesten) zustößt: Ich habe nicht abgeschrieben oder auch nur auf Gelesenes angespielt, und doch … ― Man ist eben immer weniger originell, als man meint, selbst wenn man aus persönlicher Erfahrung und den Tiefen des Unterbewusstseins schöpft.

Aufgeschnappt (bei Raimund Bahr)

Möglicherweise habe ich nur deshalb zu schreiben begonnen, um den Unsinn der anderen in Sinn zu verwandeln.

Dienstag, 14. September 2021

Unbedingt wählen gehen!

Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr der Souverän seid, jede Stimme zählt und Wahlen etwas verändern können.
Geht bitte unbedingt wählen, weil man das so macht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es sich so gehört.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Dagegensein einfach, aber Dafürsein eine echte Herausforderung ist, wie man an den Lemmingen sieht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil doch es schließlich ein relevanter ein Unterschied ist, ob hinterher Hinz oder Kunz regiert.
Geht bitte unbedingt wählen, weil sich die Programme der Parteien unterscheiden wie Tag und Nacht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil nach der Wahl genau das gemacht werden wird, was vorher versprochen wurde.
Geht bitte unbedingt wählen, weil eine einzelne Stimme unter Millionen von Stimmen den Ausschlag geben wird.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es sonst jemand anderer macht, dessen Stimme besser nicht zählen sollte, der kein Demokrat ist und eigentlich gar nicht zum Souverän gehören dürfte.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es besser ist, weiß zu wählen, als gar nicht zu wählen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Demokratie diejenige Regierungsform ist, bei der die Regierten dem Regiertwerden gefälligst zustimmen müssen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass ihr etwas Grundsätzliches gegen das System einzuwenden habt ― und das kann ja keiner wollen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nachdenken und Kritik nichts bringen und nur stören.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler doof sind.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler rechts sind und die Juden vergasen wollen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler linksradikale, unreife, weltfremde Spinner sind.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Widersetzlichkeit nicht erwünscht ist und die Wünsche der Mächtigen doch erfüllt werden müssen. 
Geht bitte unbedingt wählen, weil sich, wer gewählt hat, hinterher nicht beschweren kann, weil er ja dem Verfahren und dessen möglichen Ergebnissen im Voraus zugestimmt hat.
Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr euch auf diese Weise zu diesem Staat bekennen könnte, der es wie jeder Staat zur Aufgabe hat, die Reichen reicher werden zu lassen und die Übrigen in Schach zu halten.
Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr euch so zu konformistischen Komplizen der Weltwirtschaftsordnung macht, die Ausbeutung, Umweltzerstörung und Verblödung bewirkt.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Wahlen und Abstimmungen als rein symbolische Akte der Zustimmung zum System wichtiger sind als echte Demokratie, die in kooperativen Weisen des Zusammenlebens verwirklicht würde, bei denen jeder an den Entscheidungen über alles, was ihn angeht, beteiligt wäre.  
Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr brave Staatsbürgerinnen und Staatsbürger seid.
Geht bitte unbedingt wählen, weil’s eh wurscht ist.
Ich möchte von den Übeln dieser Welt nicht gestört werden, wenn ich gegen sie anschreibe.

Freitag, 10. September 2021

Merkwürdigkeit

Ohne zu zögern erschlug er eine Fliege, wenn sie ihn störte. Aber wenn sich eine Fliege in einem Spinnennetz verfing und wohl bei lebendigem Leibe ausgesaugt werden würde, fand er die Natur grausam.

Donnerstag, 9. September 2021

Nachträge zu „Über Immantentismus“

„Dieses ganze Gerede über schlechte Haftbedingungen und eine ungerechte Gefängnisordnung bringt doch nichts“, sagte Insasse Nr. 08/15 zu ein paar Mitgefangenen, die in seiner Nähe standen. „Es hat schon alles seine Richtigkeit. Auch wenn wir es nicht verstehen. Wir müssen auch nicht alles verstehen, es reicht, wenn diejenigen es verstehen, die sich damit beruflich auseinandersetzen. Oder hat schon einer von uns einmal ein Gefängnis geleitet? Nein? Na also. Der Herr Direktor weiß schon, was er tut. Dafür sind solche Experten ja da.“ Manche schüttelten den Kopf, einige nickten zustimmen. Dann zerstreute sich die Gruppe. Später kamen ein paar Wärter und prügelten den Insassen Nr. 08/15 halbtot.

 

* * *

 

Der Insasse Nr. 47/11 ließ einen Kassiber nach dem anderen aus dem Gefängnis schmuggeln. Freunde leiteten die Nachrichten draußen weiter. Es waren Appelle an Behörden, Medien, Menschenrechtsgruppen, dass die unwürdigen und gesundheitsschädlichen Verhältnisse im Gefängnis sich dringen sich ändern müssten. Gewalt und Korruption hätten ein unerträgliches Maß erreicht. „Man muss kein Gefängnis geleitet oder in einem eingesessen haben“, schrieb Insasse Nr. 47/11, „um zu erkennen, was Recht und Unrecht ist im Umgang mit Gefangenen. Selbst wenn man sagt: Strafe muss sein, so muss die Strafe doch nach dem Gesetz erfolgen, darf nicht willkürlich sein und kann unveräußerliche Menschenrechte nicht außer Kraft setzen. Allen voran nicht die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die auch dann gewahrt bleiben muss, wenn Freiheitsrechte vorübergehend suspendiert sind.“ In demselben Sinn äußerte er sich auch gegenüber seinen Mitgefangenen. „Ich muss nicht wissen, wie ein perfektes Gefängnis zu organisieren wäre, um ein real existierendes kritisieren zu können. Ich will im Grunde gar keine Gefängnisse. Aber wenn ich schon in einem bin, will ich nicht gedemütigt, nicht misshandelt, nicht ausgebeutet werden.“ Wenn Insasse Nr. 47/11 Wärter auftauchen sah, zog er sich in seine Zelle zurück und wartete, bis sie vorüber waren, ständig in der wohlbegründeten Angst, dass sie kämen, ihn zu holen und ihm eine Abreibung zu verpassen.

Nicht hilfreich

Nicht hilfreich sei, was ich da schriebe, sagt S. Nun ja, ist das Hilfreiche nicht einfach bloß eine Abart des Nützlichen? Und wer wollte fordern, Philosophie oder Literatur müssten nützlich sein? Ist es nicht schon mehr als genug, wenn sie dazu verhelfen, die Dinge anders zu sehen als bisher, anders über sie zu denken, sie anders zu erleben? Hilfe zur Selbsthilfe: Ist die Chance auf Befreiung von Vorurteilen und Unklarheiten, von verstellenden Selbstverständlichkeiten und beschränkenden Gewohnheiten denn gar nichts wert, völlig unnütz? Kunst kann überwältigen, mindestens aber stutzig machen. Das Wohlgefallen, wenn es denn vorkommt, ist nur Nebenwirkung des Außergewöhnlichen. Hübsch artig braucht Kunst nicht zu sein, das sind die Leute schon selbst. Darin wollen sie bestätigt werden, und das sollen sie nicht. Ich sage Kunst und meine damit jegliche Gestaltung, die in die Wirklichkeit eingreift, ohne im vordergründigen Sinne nützlich zu sein. Ohne lediglich nützlich zu sein. Den auch Nützliches kann gut gemacht sein oder schlecht. Aber das Gute besteht nicht allein in der unmittelbaren Benutzbarkeit. Da muss ein Abstand sein, emphatisch gesagt: ein Abgrund sich auftun, zwischen dem Konsumenten und dem, was als Ware zu schade, zu kostbar, zu unverhandelbar ist. Das gilt auch für Gedanken. Nicht weil sie unnütz sind, sind sie gut. Aber sie können auch gut und hilfreich sein, ohne dass es sogleich auffällt. Man muss sich eben aufs Nachdenken einlassen. Einlassen wollen. Dann kann man auch bemerken, ob an den Gedanken etwas dran ist, ob sie falsch oder richtig sind und was mit dem Unterschied anzufangen wäre. Das braucht man nicht, wenn man festhalten will an dem, was einem erlaubt, doch noch auf eine heile Welt zu hoffen. Dann bleibt man besser bei dem, was man kennt. Freiheit ist da nicht hilfreich. Gewiss, man wird auch genervt sein und vielleicht unglücklich, aber man muss sich wenigstens nicht mit der Möglichkeit herumschlagen, dass etwas ganz Anderes zu erhoffen wäre als funktionierende Normalität.

Mittwoch, 8. September 2021

Der Bucklige

Ich wollte, ich hätte keinen Buckel, sagte der Bucklige, oder wenigstens zwei gesunde Beine, damit ich weglaufen könnte, wenn die Kinder Steine nach mir werfen. So kann ich nur hilflos davonstolpern und entkomme ihnen nicht. Also lasse ich mich lieber zu Boden fallen, krümme mich zusammen und versuche vergeblich, meinen zu großen Kopf mit meinen zu kurzen Armen und zu kleinen Händen zu schützen. Dann warte ich darauf, dass das Johlen aufhört und die Kinder die Lust verlieren, mich zu quälen. Hoffentlich bringen sie mich nicht um, denke ich unterdessen. Aber wer weiß, ob ich damit nicht besser dran wäre. Nicht mehr beleidigt und gequält zu werden: Ist der Tod ein zu hoher Preis dafür? Wenn ich so daliege, will ich jedenfalls nur, dass es aufhört. Ach, warum tun die Kinder das? Weil sie es können. Niemand wehrt es ihnen. Niemand schilt sie dafür. Es geht ja nur um mich. Es gefällt den Kindern, ein Opfer zu haben, das sich nicht zur Wehr setzen kann. Sie haben sich den Richtigen dafür ausgesucht. Einen Außenseiter, der hässlich ist, einen Abweichler von jeglicher Norm, schwach und abstoßend. Meine Wehrlosigkeit ist aber wohl auch meine Rettung. Verteidigte ich mich nämlich oder schlüge zurück, stachelte das nur ihre Wut an. Dann käme es vermutlich zum Äußersten. So aber lassen sie irgendwann von mir ab, weil es sie langweilt, mich zu demütigen. Und weil sie keine Steine mehr haben (und keine neuen sammeln wollen). Dann stehe ich auf, humple nach Hause und versorge meine Wunden. Bis sie halbwegs verheilt sind, gehe ich nicht aus dem Haus. Aber irgendwann muss ich ja doch wieder ausgehen und dies und das erledigen, und dann kann es jederzeit wieder passieren. Ich weiß, es wird bestimmt ein nächstes Mal geben. Wahrscheinlich überlebe ich auch das.