Donnerstag, 30. September 2021
Balken und Splitter (3)
Balken und Splitter (2)
Balken und Splitter (1)
Meine Freunde teilen manche meiner Überzeugungen nicht, und die, mit denen ich manche Überzeugungen teile, sind nicht meine Freunde. Soll ich jetzt die Überzeugungen wechseln oder die Freunde?
Samstag, 25. September 2021
Auslöschungen
Und wieder einer weniger. Wieder hat mich im sozialen Netzwerk einer als seinen „Freund“ gelöscht (und blockiert). Manchmal denke ich, ich habe in den letzten zehn Jahren Mehr „Freunde“ durch ihre oder meine Löschung „verloren“, als ich je hatte … Ich bin aber auch ein zu schrecklicher Mensch, mit mir kann man nicht befreundet sein wollen. Oder nur bis zu einem gewissen Punkt, dann muss man die Notbremse ziehen und aussteigen ― oder (um im Bild zu bleiben) mich aus dem oder vor den Zug werfen. Hauptsache, es ist Schluss. In den letzten anderthalb Jahren ging es dabei selbstverständlich immer um, ähem, na sagen wir mal: die Krise. Um ein Virus, seine Effekte und die behördlichen Maßnahmen. Da erlaube ich mir ja bekanntlich eine andere Meinung als die vermutliche Mehrheit. (Und als die Obrigkeit sowieso.) Das ist schwer zu ertragen, das verstehe ich. Die Reaktionen zeigen mir allerdings, dass ich Recht habe. Warum solche Aggressivität, wenn ich mich im Irrtum befände? Ihr schlechtes Gewissen, das sie sich nicht eingestehen, lässt die Leute sehr, sehr wütend werden. Dann ist so eine Löschung eine Wohltat. Vor allem, wenn sie hinterrücks kommt, also ohne Ankündigung oder erläuternde Mitteilung. Einfach löschen, zack, zack, der ist erledigt. Zerquetscht wie eine Laus. Zugegeben, einige wenige haben Gründe genannt. Einer etwa hatte von zwei Leuten gehört, Bekannten seiner Eltern, rüstigen Rentnern, die an Corona gestorben seien. (Statistisch unwahrscheinlich, aber möglich.) Darum sei, was ich schriebe, unerträglich. Als ob ich je geleugnet hätte, das Menschen sterben, woran auch immer. Hier konnte einer seine Lektüre meiner Kritik nicht mehr mit seinem Wunsch vereinbaren, die hegemonialen Erklärungsmuster gelten zu lassen. Was merkwürdig ist, denn wenn einer sagt, so schlimm ist das nicht mit dem Virus, dann wäre das doch eigentliche eine gute Nachricht, auch wenn man sie für falsch hält, und man muss schon sehr von der Lust an der Krankheit und ihrer staatlichen Verwaltung befallen sein, um eine (vermeintlich) falsche theoretische Interpretation als existenzielle Bedrohung wahrzunehmen. Das trifft anscheinend bei vielen seropositiven Schwulen zu. Die fühlen sich anscheinend in ihrer Weltanschauung und ihrem Lebensstil in Frage gestellt, wenn einer meint, dass Viren nicht das Problem sind und Vater Staat nicht die gütige Schutzmacht ist, die in weniger als einer Generation von Totalverbot nach § 175 (in Österreich: § 209) auf Homo-Ehe und Regenbogenbeflaggung umgeschaltet hat. Ein anderer hat mich, bevor er mich löschte, noch angekotzt und einen „Coronaidioten“ und „anarchofaschistischen Judenhasser“ genannt. Das verstehe ich, auch wenn es Quatsch ist. Die Ablehnung von Herrschaft von Menschen über Menschen, die auch dann gilt, wenn viele sich einen starken Staat wünschen, muss so einem rituellen Antifaschisten naturgemäß als Faschismus erscheinen (so wie Stalinisten von „Hitlertrotzkismus“ phantasierten). Die Forderung nach Menschenrechten auch für Palästinenser kann er sich dann als Judenhass umdeuten, weil mit dem „Faschismus“ der „Antisemitismus“ als bewährtes Mittel der Kritikabwehr schon bereitliegt. Und „Coronaidiot“ übersetzt das einige Zeit lang beliebte Wortspiel „Covidiot“ ins Gemeinverständliche und Dümmliche (zumal es ja „Anti-Corona-Idiot“ heißen müsste). Idiot ist, wer den Hohepriestern der Propaganda kein Wort glaubt und ihre Mysterien nicht mitfeiern will. Ein dritter schließlich, den ich erwähnen will, war anfangs selbst kritisch und skeptisch, aber spätestens nach einem Jahr drehte er sich um 180 Grad, jetzt war zwar nicht alles richtig, was die Regierung sagte und forderte, aber es war eben so, wie es war, da müsse man mitmachen, Augen zu und durch. Nach und nach war dann doch richtig, was die Regierung sagte und tat, vor allem die Impfung war richtig und wichtig, schon wegen der Pocken und weil irgendwer vor Jahren das HI-Virus geleugnet hatte (ja, so verwirrt waren die „Argumente“). Er ließ sich zweimal impfen. Dann kam der Impfdurchbruch, aber was soll’s, kann ja passieren, Nebenwirkungen und Wirkungslosigkeiten gibt es immer. Kurzum, wer von der Realität nicht mehr erreichbar ist, den überzeugt auch keine Argumentation. Mir fiel auf: Wenn er stirbt, hätte ich Unrecht gehabt, weil das Virus eben doch lebensbedrohlich ist. (Wobei ich nie „geleugnet“ habe, dass es das sein kann.) Wenn er wieder gesund wird, hätte ich Unrecht gehabt, weil die Impfung eben doch wirkt. So oder so. Er wurde, vermute ich, wieder gesund, und bald darauf verschwand er. Oder vielmehr, er ließ mich verschwinden. Gut so. Löscht mich, löscht mich alle, ihr falschen Freunde. Oder ignoriert mich. Mir ist das egal. Euch entgeht etwas, nicht mir. Was ich schreibe, könnte euer Leben ändern und die Welt verbessern, aber bitte, wer nicht will, der hat wohl schon. Um mich geht es dabei gar nicht. Ich mag unangenehm berührt, enttäuscht, gekränkt sein, aber das bin ich gewohnt. Darauf kommt es also nicht an. Wer nicht mit mir „befreundet“ sein will, hat alles Recht der Welt dazu. Aber auch nur das. Das Entscheidende fehlt.
Freitag, 24. September 2021
Ein Hungerstreik
Die sechs jungen Klimaaktivisten aber haben aus einem eindrucksvollen letzten Mittel in verzweifelter Situation ein lächerliches Gedöns übersättigter Wohlstandskinder gemacht. Selbst wenn sie verhungert wären (und einer hat ja noch die Chance dazu), was hätte das gebracht?
Was wollen sie überhaupt? Seit wann ist es ein unbedingt mit dramatisch-existenziellen Gesten anzustrebendes Ziel, mit Parteifunktionären zu plaudern? Kann man da nicht einfach mit dem zuständigen Büro einen Termin ausmachen? Das die betreffenden Politiker sich nicht erpressen ließen, ist ausnahmsweise gut und richtig gehandelt. Man droht nicht mit dem eigenen Tod, nur um eine Mischung aus Talkshow und Pressekonferenz geschenkt zu bekommen, das ist hysterisch und infantil.
Und was soll das mit dem Klimarat? Zusätzlich zu den Verfassungsorganen oder statt dieser? Wer soll da drin sitzen? Wie sollen die Mitglieder bestellt werden? Welche Befugnisse soll der Rat haben? Was soll der Unterschied zu Expertenkommissionen und Parlamenten sein? Oder ist an eine Diktatur von Aktivisten gedacht? Und die befehlen dann was?
Und die wichtigste Frage: Warum sollten Politiker, die durch die Bank für eine Politik stehen, die eine Weltwirtschaftsordnung eintritt, die Millionen Menschen systematisch verhungern, durch vermeidbare Krankheiten und in für Rüstungskonzerne profitable Kriege krepieren lässt und die völlig auf Ausbeutung und Umweltzerstörung beruht, warum sollten sich solche Politiker also davon beeindrucken lassen, dass ein paar pathetische Jugendliche ihre Gesundheit schädigen oder sogar sterben? Man mag die Motive der Hungerstreiker für nobel halten, ihre Weltsicht ist bestenfalls naiv und uninformiert und ihr Verhalten unreif und egomanisch. „Wir werden die Welt retten, weil unser Leben so wichtig ist, dass man uns nicht sterben lässt, sondern macht, was wir wollen!“ Nö. Und jetzt zum Wetter.
Schwänzen for future
Der Lehrerpräsident steht fest neben der Spur. Es könne doch auch in der Schule ein Zeichen gegen den Klimawandel gesetzt werden, etwa in Arbeitsgruppen, durch Aktionen im Unterricht und Schuldebatten. Schule und Engagement für eine bessere Umwelt seien doch keine Gegensätze!
Aufgeschnappt (bei Hans Sahl über Hermann Borchardt)
Er hasste die Dummheit und die Dummheit hasste ihn, denn er war ihr erbittertster Gegner: ein Denker, der gegen die Zersplitterung die Einheit, gegen die Auflösung das Verpflichtende eines strengen, religiösen Wertsystems setzte; ein Stilist, der Unklarheit durch Genauigkeit, die Verschwommenheit eines gewissen philosophischen „Fach“-Jargons durch äußerste Klarheit ersetzte; ein Schriftsteller, dem es gegeben war, das Schwierigste auf einfachste weise zu sagen, und der in seinen Theaterstücken und Romanen eine literarische Form anstrebte, die im besten Sinne „Volkstümlich“ war (…) In seinem oft widerspruchsvollen, sich selbst parodierenden Wesen vereinigten sich viele, scheinbar einander ausschließende Züge: Milde und Streitbarkeit, satirischer Witz und Religiosität, Blick in die Ewigkeit und Beschäftigung mit dem Alltäglichsten.
Donnerstag, 23. September 2021
Ungerecht und unsolidarisch (2)
Mittwoch, 22. September 2021
Ungerecht und unsolidarisch
Freitag, 17. September 2021
Glosse LXXXVII
Mittwoch, 15. September 2021
Schriftstellerischer Zufall
Das muss ich Ihnen noch erzählen: Sie kennen doch bestimmt Hermann Kestens berühmtes Buch „Dichter im Café“? Ich kenne es auch, das heißt: ich weiß seit Jahrzehnten, dass es existiert, habe es aber, aus Gründen, die mir unbekannt sind, in all der Zeit nie in Händen gehabt. Letztens wurde es in einem anderen Buch erwähnt, ich horchte auf, bestellte es mir, es wurde vorgestern geliefert. Als ich es nun gestern zu lesen begann, bekam ich schon bei Seite 14 einen tränenreichen Lachanfall. Denn dort beschreibt Kesten, wie er in Rom an der Piazza del popolo im „Rosati“ sitzt, hinüber aufs „Canova“ und über den Platz schaut. Genau diese Szene kommt (ohne Kesten, versteht sich) zweimal in dem Roman vor, an dem ich in den letzten Jahren schreibe! Ich finde das wunderbar. Was für ein erstaunlicher Zufall! Denn ein Zufall ist es, etwas, das mir (und, wenn ich das so sehen darf, Kesten) zustößt: Ich habe nicht abgeschrieben oder auch nur auf Gelesenes angespielt, und doch … ― Man ist eben immer weniger originell, als man meint, selbst wenn man aus persönlicher Erfahrung und den Tiefen des Unterbewusstseins schöpft.
Aufgeschnappt (bei Raimund Bahr)
Dienstag, 14. September 2021
Unbedingt wählen gehen!
Geht bitte unbedingt wählen, weil man das so macht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es sich so gehört.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Dagegensein einfach, aber Dafürsein eine echte Herausforderung ist, wie man an den Lemmingen sieht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil doch es schließlich ein relevanter ein Unterschied ist, ob hinterher Hinz oder Kunz regiert.
Geht bitte unbedingt wählen, weil sich die Programme der Parteien unterscheiden wie Tag und Nacht.
Geht bitte unbedingt wählen, weil nach der Wahl genau das gemacht werden wird, was vorher versprochen wurde.
Geht bitte unbedingt wählen, weil eine einzelne Stimme unter Millionen von Stimmen den Ausschlag geben wird.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es sonst jemand anderer macht, dessen Stimme besser nicht zählen sollte, der kein Demokrat ist und eigentlich gar nicht zum Souverän gehören dürfte.
Geht bitte unbedingt wählen, weil es besser ist, weiß zu wählen, als gar nicht zu wählen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Demokratie diejenige Regierungsform ist, bei der die Regierten dem Regiertwerden gefälligst zustimmen müssen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass ihr etwas Grundsätzliches gegen das System einzuwenden habt ― und das kann ja keiner wollen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nachdenken und Kritik nichts bringen und nur stören.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler doof sind.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler rechts sind und die Juden vergasen wollen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Nichtwähler linksradikale, unreife, weltfremde Spinner sind.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Widersetzlichkeit nicht erwünscht ist und die Wünsche der Mächtigen doch erfüllt werden müssen.
Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr euch auf diese Weise zu diesem Staat bekennen könnte, der es wie jeder Staat zur Aufgabe hat, die Reichen reicher werden zu lassen und die Übrigen in Schach zu halten.
Geht bitte unbedingt wählen, weil ihr euch so zu konformistischen Komplizen der Weltwirtschaftsordnung macht, die Ausbeutung, Umweltzerstörung und Verblödung bewirkt.
Geht bitte unbedingt wählen, weil Wahlen und Abstimmungen als rein symbolische Akte der Zustimmung zum System wichtiger sind als echte Demokratie, die in kooperativen Weisen des Zusammenlebens verwirklicht würde, bei denen jeder an den Entscheidungen über alles, was ihn angeht, beteiligt wäre.
Geht bitte unbedingt wählen, weil’s eh wurscht ist.
Freitag, 10. September 2021
Merkwürdigkeit
Donnerstag, 9. September 2021
Nachträge zu „Über Immantentismus“
„Dieses ganze Gerede über schlechte Haftbedingungen und eine ungerechte Gefängnisordnung bringt doch nichts“, sagte Insasse Nr. 08/15 zu ein paar Mitgefangenen, die in seiner Nähe standen. „Es hat schon alles seine Richtigkeit. Auch wenn wir es nicht verstehen. Wir müssen auch nicht alles verstehen, es reicht, wenn diejenigen es verstehen, die sich damit beruflich auseinandersetzen. Oder hat schon einer von uns einmal ein Gefängnis geleitet? Nein? Na also. Der Herr Direktor weiß schon, was er tut. Dafür sind solche Experten ja da.“ Manche schüttelten den Kopf, einige nickten zustimmen. Dann zerstreute sich die Gruppe. Später kamen ein paar Wärter und prügelten den Insassen Nr. 08/15 halbtot.
* * *
Der Insasse Nr. 47/11 ließ einen Kassiber nach dem anderen aus dem Gefängnis schmuggeln. Freunde leiteten die Nachrichten draußen weiter. Es waren Appelle an Behörden, Medien, Menschenrechtsgruppen, dass die unwürdigen und gesundheitsschädlichen Verhältnisse im Gefängnis sich dringen sich ändern müssten. Gewalt und Korruption hätten ein unerträgliches Maß erreicht. „Man muss kein Gefängnis geleitet oder in einem eingesessen haben“, schrieb Insasse Nr. 47/11, „um zu erkennen, was Recht und Unrecht ist im Umgang mit Gefangenen. Selbst wenn man sagt: Strafe muss sein, so muss die Strafe doch nach dem Gesetz erfolgen, darf nicht willkürlich sein und kann unveräußerliche Menschenrechte nicht außer Kraft setzen. Allen voran nicht die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die auch dann gewahrt bleiben muss, wenn Freiheitsrechte vorübergehend suspendiert sind.“ In demselben Sinn äußerte er sich auch gegenüber seinen Mitgefangenen. „Ich muss nicht wissen, wie ein perfektes Gefängnis zu organisieren wäre, um ein real existierendes kritisieren zu können. Ich will im Grunde gar keine Gefängnisse. Aber wenn ich schon in einem bin, will ich nicht gedemütigt, nicht misshandelt, nicht ausgebeutet werden.“ Wenn Insasse Nr. 47/11 Wärter auftauchen sah, zog er sich in seine Zelle zurück und wartete, bis sie vorüber waren, ständig in der wohlbegründeten Angst, dass sie kämen, ihn zu holen und ihm eine Abreibung zu verpassen.