Sonntag, 23. November 2025

Notiz über Kafka

Von Kafka zu lernen, heißt scheitern zu lernen. Man mag Kafkas Leidenschaft für das Schreiben bewundern und das von ihm Geschriebene wegen seiner kunstvoll ans Unbewusste rührenden Machart hochschätzen, aber seine Texte führen nirgendwohin. Dazu ist Literatur auch nicht verpflichtet. Kafka erklärt nicht die Welt, er gibt keine tiefen Einblicke in die Seelen der Menschen, er kennt den Sinn des Lebens nicht (selbst seine eigenen Texte entzieht er geschickt dem Sinn im Sinne einer eindeutigen Deutbarkeit), er sagt nicht, was zu tun oder nicht zu tun ist. Er führt nur vor, nämlich sich selbst, aber nicht als Person, sondern seine Sprache. Er schrieb einmal, er sei ganz und gar Literatur. Das stimmt, wenn er schreibt. Seine Texte sind genau das: Literatur, und weisen nicht über sich hinaus.
Da helfen auch all die biographischen Einzelheiten und Querverweise nichts, die die akribische Forschung herbeigeschafft und aufgehäuft hat, dieses unverschämte Zurschaustellen sämtlicher irgend fassbarer Lebensereignisse und Lebensäußerungen ― das Kafka, diesen scheuen, zurückhaltenden, bescheidenen, sich niemals wichtig machenden Menschen, hätte er sich eine solche mikroskopische Autopsie seiner Existenz jemals vorstellen können, unendlich gequält hätte. Es nützen auch Psychologie und Exegese nichts, die Texte sind die Texte und sie verraten nicht mehr, als da steht.
Und auch philologische Eifer des Vergleichs von Textvarianten ändert daran nichts. Was geschrieben steht, steht geschrieben. Mehr wollte Kafka nicht und mehr konnte er auch nicht. Eher weniger.
Keineswegs ist das heutige kanonische Kafka-Korpus die Literatur, die Kafka schreiben wollte. Die er vielleicht geschrieben hätte, wie er gewollt hätte, wenn er sich getraut hätte, es zu dürfen.
Kafkas Wunsch, dass nach seinem Tod alles Unveröffentlichte vernichtet werden sollte, ist bekannt. (Brod missachtete ihn zum Glück.) Dieser Wunsch entstammt wohl nicht nur der Schamhaftigkeit und Bescheidenheit Kafkas (und de, vorausschauenden Unwillen, dass andere über seine Texte verfügen sollen), sondern auch dem Bewusstsein des Versagens. Kafka wurde nicht fertig mit dem, was er schreiben wollte, und brachte es nicht und nicht zu Stande.
Nicht nur seine drei Romane sind Bruchstücke geblieben, unzählige Texte wurden angefangen zum Teil umgeschrieben und irgendwann unfertig liegen gelassen )nicht erst bei Kafkas Tod).
Kafka wurde nicht der Autor, der er hätte sein wollen. Weil er es nicht konnte, aber auch, weil er es paradoxerweise nicht wollte. Der Selbstzweifel, die Selbstverhinderung dürften die Person Kafkas in hohem Maße ausgezeichnet haben, so viel darf man sagen, ohne indiskret zu werden. (Die ausgezeichnet Editionslage all des Unfertigen bezeugt es ja,) Er wollte und wollte nicht. Aber er hörte nicht auf und schrieb und schrieb und schrieb. Das und seine Sprache macht ihn als Schriftsteller groß.
In seinem Freund Brod hatte er einen, der ihn zum Veröffentlichen drängte. Oft verweigerte er sich dem, oft auch nicht. Er genoss seine Weigerung und litt an ihr, er fand Gefallen am Veröffentlichen und litt daran. Mann vergisst zuweilen, dass Kafka nicht nur einzelnen Personen oder im kleinen Kreis eigene Texte vorlas, sondern auch öffentlich.
Das Fragment ist keineswegs die Kafka angemessene Form. Es ist überhaupt keine Textform, es ist ein Textzustand. Es könnte auch anders sein. Kafka war es lieber, wenn es anders war. (Wie stolz war auf das „Urteil“!) aber es gelang ihm oft nicht. Es gelang ihm öfter nicht als doch. Das war keine Absicht, kein Gestaltungswille, das war ein Versagen, eine Ratlosigkeit, ein Abbrechenmüssen. Insofern zwar auch eine schriftstellerische Entscheidung ― das Liegenlassen wegen Unvermögens; vom Vernichteten wissen wir ja meist nichts ―, aber eine bloß negative, eben ein Eingeständnis des Scheiterns.

Samstag, 22. November 2025

Die Macht, Böses zu tun

Trumps Umfragewerte seien schlecht, heißt es, nur 38 Prozent der Befragten 8und somit der Bevölkerung der USA) seien mit ihm und seiner Amtsführung zufrieden. Ich finde nicht, dass das wenig ist. Fast zwei von fünf, das scheint mir eherv viel zu viel. Üer 38 Prozent Zuspruch würde sich manche politische Parte freuen (CDU/CSU 28,5, ÖVP 26,3 bei den jeweils letzten nationalen Wahlen). Hätte die AfD oder die FPÖ 38,8 Prozent, wäre der Aufruhr groß. (Derzeit 20,8 und 28,9.)
Die Frage ist doch eher: Wieso hat Trump überhaupt Unterstützer? Der Mann ist boshaft, dumm, hässlich, ungebildet und lächerlich. Dass den überhaupt jemand als Präsidenten haben wollte und noch will, ist ein Rätsel. Es sei denn, man kehrt das um und sagt sich: Gerade weil er so bösartig, dumm, hässlich, ungebildet und lächerlich ist, wollen ihn viele an der Macht.
Trump verkörpert die Schechtigkeit der Leute, ihre Verachtung für Recht und Bewunderung von Brutalität, ihre Ressentiments und ihren Hass auf all, die nicht so sind, wie sie zu sein glauben. Seine schamlose Selbstverherrlichung, die jedem vernünftigen Menschen zuwider sein muss, ist für andere gerade etwas Bewundernswertes.
Das sagt viel über die moralische, intellektuelle und tiefenpsychische Realität der US-amerikanischen Gesellschaft und „Kultur“. Wo alles käuflich ist und der, der mehr kaufen kann, besser angesehen ist, wo Macht und Vermögen die einzigen Werte sind und alles Religiöse calvinistisch und kryptocalvinistisch in sein Gegenteil umgelogen wird: Nächstenhass, Erbarmungslosigkeit, Streben nach weltlichen Gütern, Hochmut, unverhohlene und versteckte Geilheit ― in diesem Sumpf aus Verlogenheit, Realitätsverlust, Gier und ethischem Unvermögen gedeihen abartige Kreaturen wie Trump und das Gesindel, das ihn umgibt.
Wer so tut, als wäre das „normal“ und man müsse Trump eben hinnehmen, steckt sich an. Wer wirtschaftliche Interessen über moralische Ansprüche und intellektuelle Mindestanforderungen stellt, steuert auf eine Versumpfung hin.
Nein zu Trump, nein zu allem, wofür er steht. Für die Mächtigen dieser Welt ist das undenkbar. Für sie ist das, selbst wenn sie klüger als das demente Kleinkind auf dem Präsidententhron und weniger unappetitlich scheinen, kaum möglich. Ihre Interessen sind mit denen der USA viel zu verflochten. Sie müssen und wollen kooperieren. Aber warum immer tun, was den Mächtigen dient? Warum ihnen und ihren Medienknechten nach dem Munde reden?
Trump ist nicht echt. Hier wird Politik nur simuliert. Mit allerdings sehr realen Folgen. Schlechten Folgen. (außer für wenige Profiteure. Aber nehmen die nicht Schaden an ihrer Seele?) Im Grunde ist das ganze Getue das Gegenteil von Politik. Das zeigt sich daran, dass nichts Konstruktives angestrebt und erreicht wird, sondern nur Destruktives. Das „Positive“ ist nur Schall und Rauch, Glitzer und Einbildung. Trump kann nichts Gutes tun, selbst wenn er wollte. Er will aber gar nicht. er ist böse. Seine Macht ist nur die Macht, anderen Schaden zuzufügen. Die Macht, Böses zu tun.
Dabei darf man nicht mitmachen.

Notiz vom 25. Oktober 2023

Man rühmt den Rechtsstaat, weil er das Individuum schütze. Doch wovor schützt er es? Die rechtsstaatlichen Grundsätze und die staatlich anerkannten Grundrechte sind in die Staatlichkeit eingebaute Mechanismen, die dem Schutz des Individuums vor dem Staat dienen, vor dem willkürlichen Eingriff der Staatsgewalt in die individuelle Lebensführung. Der Rechtsstaat schützt also vor sich selbst. Das Problem dabei: Der Staat definiert eigenmächtig, was gerade schützenswert ist und was nicht. Dass alles staatliche Handeln an Gesetze gebunden ist, ändert nichts daran, dass das Setzen von Gesetzen, deren Anwendung und Änderung, selbst staatliche Aktivität ist, die der relativen Willkür der Politik unterliegt. Im Zweifelsstaat bestimmt der Staat, wo die Grenze seines Eingriffsrechts liegt. Die liberale Vorstellung vom Staat als Garanten von staatsfreien Räumen ist nicht falsch, übersieht aber das Paradoxon: Der Staat schützt vor sich selbst und verfügt über die Recht setzende Macht, Schützenswertes von nicht Schützenswertem zu unterscheiden. Der liberale Staat garantiert Freiheit, aber nicht Garantiertheit des Garantierens.

Freitag, 21. November 2025

Nicht alt genug, um nicht mehr jung zu sein?

Überall wird in dieser Zeit ein (nicht mehr ganz) neues Dogma verkündet: Weil die Lebenszeit steige, müsse auch die Lebensarbeitszeit zunehmen. Womit der Zeitraum gemeint ist, in dem Versicherte in Sozialversicherungen einzahlen müssen, bevor sie etwas ausgezahlt bekommen sollen.
Hier liegt offensichtlich ein Denkfehler vor. Mag sein, dass die 60, 70, 80 Jahre alten Menschen (in einer beliebigen Industriegesellschaft) von heute gesünder, kräftiger, mobiler, mental agiler sind als ihre Altersgenossen vor 50 oder 100 Jahren. Das heißt aber nicht, dass ihr körperlicher, seelischer, geistiger Zustand und dessen Erwerbsverwertbarkeit dem von heitigen 50-, 40- oder 30-Jährigen entspricht. 
Es gibt Gründe, warum Unternehmen lieber junge als alte Menschen einstellen, schlechte Gründe darunter (etwa den Verzicht aud Lebenserfahrung), aber auch vernünftige. 
Hört man den Menschen zu, so freuen sich die allermeisten sehr auf den Ruhestand. Sie hätten es endlich hinter sich. Selbst wenn sie vorher immer behauptet hatten, ihr Job mache ihnen Spaß, verraten die Äußerungen nach dem Renteneintritt, dass sie eigentlich nur für Geld zu Bedingungen und in Bereichen gearbeitet haben, die bestenfalls lästig, üblicherweise unbefriedigend und sogar dumpf und sinnlos waren.
Unvernünftiges Wirtschaften, wenig sinnvolle und erfüllende Jobs, Altersarmut und Mangel an fachlicher Kompetenz: Was wäre die Lösung?
Selbstverständlich zunächst einmal ein Bedingungsloeses Grundeinkommen. Wenn durch ein BGE jeder genug für den Lebensunterhalt hat, muss er nur das arbeiten, was er für (ihm und der Gesellschaft) angemessen hält, kannn dann also weit eher kreativ sein, gefahrlos Fähigkeiten und Bedürfnisse ausprobieren, sich auch ohne Bezahlung engagieren und nur mit dem Geld verdienen, was ihm sachlich und moralisch geeignet erscheint.
Die Gesellschaft wäre allein damit schon eine andere, bessere. 
Die nächsten Schritte hätten dann naturgemäß in die Richtung eines Umstrukturierung der Eigentumsverhältisse und Vermögens- und Einkommensverteilungen zu gehen. Der terminus technicus dafür lautet: Sozialismus. Ziel hätte eine vernüftig organisierte, freie, gerechte und würdevolle Gesellschaft zu sein, in der jeder nach seinen Bedürfnissen, Wünschen und Möglichkeiten lebt und nach Möglichkeit, Fähigkeit und Interesse zum allgeminen Wohlergehen beiträgt.
Keine Ausbeutung, keine Armut, keine Verschwendung, kein Zwang, keine Zerstörung der Lebensgrundlagen von Mensch und Tier undv Pflanze, keine Verdummung, Verhetzung, Verführung.
Klingt doch gut, oder? Dann sollte man das auch machen. Möglich wär’s.

Reichtum lohnt sich

Herrn Kühnes Vermögen wird mit 36 Milliarden Euro angegeben. Um sich die Monstrosität einer solchen Zahl vor Augen zu führen, rechne man folgendermaßen. Herr Kühne ist 88 Jahre alt. Angenommen, er habe 80 Jahre lang 24 Stunden am Tag gearbeitet, ergäbe das einen Stundenlohn von 46.667 Euro und 91 Cent. Ohne Steuern und Sozialabgaben zu berücksichtigen. (Tatsächlich wird Herr Kühne auch mal geschlafen oder sich einen halben Tag frei genommen haben und naturgemäß wurde er nicht stundenweise entlohnt, ein Teil des Vermögens war zudem ererbt. Hier geht es nur um Veranschaulichung von Proportionen.)
Welche Leistung verdient solche Entlohnung?
Offensichtlich nicht die eines einzelnen Menschen. Damit einer so reich wird, müssen Tausende und Abertausend ausgebeutet worden sein. Anders geht es nicht.
Herr Kühne ist gerne wohltätig. Er gibt der Gesellschaft also etwas zurück, wie man das nennt. So möchte seine Stiftung unter andrem gern, dass die Stadt Hamburg ein neues Operngebäude errichtet, die Kosten dafür soll dann bis zu einer Grenze von 330 Millionen besagte Stiftung übernehmen.
Klingt sehr spendabel. Aber 330 Millionen, das ist weniger als ein Prozent des Vermögens des Herrn Kühne. Zum Vergleich: Wenn jemand in Sach- und Geldvermögen 100.000 Euro hat und spendet 1.000 davon, dann entspricht dem das. Hat jemand nur noch zehn Euro im Portemonnaie, wären es zehn Cent.
Herr Kühne gilt als der zweitreichste Deutsche. Die Zahl deutscher Milliardäre wird auf 250 geschätzt. Zusammen besitzen sie etwa 1,4 Billionen Euro. (Eine 14 mit elf nullen; pro Kopf der Bevölkerung etwa 16.768 Euro und 48 Cent.) Dann gibt es noch geschätzte 2,7 bis 2,9 Millionäre in der BRD.
Sicher alles lauter fleißige, einfallsreiche, geschäftstüchtige Leute, die einfach wussten, wie man an das Geld von Kunden, Mitarbeitern, Konkurrenten (und der Vorfahren, die vielleicht geschickte Arisierer waren) herankommt.
Die Vermögen der Reichen steigen von Jahr zu Jahr. Zehn Prozent der Bevölkerung gehört 56 Prozent des Gesamtvermögens, jeder Fünfte hat gar kein Vermögen.
Das alles sind Zahlen, die man sich in Erinnerung rufen könnte, wenn es wieder einmal heißt: Dafür ist kein Geld da. Wir müssen sparen. (Am besten bei den „Transferleistungsbeziehern“ und den Rentnern.)
Eigentums- und Vermögensverhältnisse sind kein Schicksal, nicht naturgegeben, nicht gottgewollt. Die sind das Resultat eines ungerechten, ausbeuterischen, umweltzerstörerischen Wirtschaftens und von Politikem, die das absichern. Sowie selbstverständlich der Masse der Leute, die dabei bewusstlos mitmacht.
So, und jetzt denken wir mal global …