Montag, 10. November 2025

Nazis oder doch Deutsche?

Was haben achtzig Jahre des Erinnerns, Gedenkens, Mahnens, Bewältigens eigentlich gebracht, wenn es immer noch heißt: Die Nazis haben dies getan, die Nazis haben jenes getan, und nicht: Die Deutschen waren es? Deutsche begingen Verbrechen, Deutsche ließen Unrecht zu. Deutsche, nicht bloß „die r Nazis“.
Es ist denen, die von den Tätern als Nazis reden, wenn eigentlich von Deutschen (samt Österreicherinnen und Österreicher und diversen sogenannten Volksdeutschen) die Rede sein müsste vermutlich oft gar nicht bewusst, wie ihre Formulierungen Verantwortung verlagern und Schuld verschieben. „Die Nazis, das scheint dann eine fremd Macht zu sein, eine Besatzungsmacht gleichsam, die die Deutschen terrorisierte und zu Gehorsam und Verbrechen zwang. 
Das war aber nicht so. Es stimmt, die nationalsozialistische Herrschaft war eben dies: eine Herrschaft, sie war äußerst repressiv und regierte mit Drohung, Zwang, Einschüchterung, aber eben auch mit nicht nur erzwungener Zustimmung und mit vielfältig geförderter Begeisterung. Der Nationalsozialismus kam an die Macht, weil einige politische Akteure das so wollten, andere dem nichts entgegenzusetzen hatten und viele dafür stimmten. Er hielt sich an der Macht, weil er Widerspruch unterdrückte und das Mitmachen teils abnötigte, teils lohnend und befriedigend erscheinen ließ. Die Mehrheit der Deutschen war bis zuletzt nicht nur nicht gegen Hiler & Co., sondern aktiv dafür. Die Herrschaft der Nazis wurde von der Bevölkerung getragen, die Affekte, die sie voraussetzte und bearbeitete, stammten aus der gesamten Bevölkerung. Nur wenige konnten sich abseits halten, nur sehr, sehr wenig setzten dem Regime Widerstand entgegen. In diesem Sinne kann und muss man sagen: Das nationalsozialistische Deutschland war 1933 bis 1945 das real existierende Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger, die Deutschen, waren allesamt Ausführende und Mitgestalter nationalsozialistischer Vorgaben.
Darum muss man beispielsweise sagen: Nein, nicht die Nazis haben Polen überfallen, sondern Deutschland überfiel Polen. Die deutsche Wehrmacht tat es, und darin waren zwar nicht alle Nazis, aber alle gehorchten ihrem Führer. Nicht bloß die Nazis haben Juden erschlagen, erschossen, vergast usw., sondern die Deutschen.
Ja, „die Deutschen“  und nicht bloß „Deutsche“, selbstverständlich nicht alle gleichermaßen, aber eben doch als Kollektiv. Wie man ja auch sagt: Die Deutschen haben den Krieg verloren. Die Deutschen bauten ihr Land wieder auf. Den Deutschen gelang das Wirtschaftswunder. Die Deutschen wurden Demokraten. Die Deutschen essen 40 Kilogramm Brot im Jahr. 
Solche Verallgemeinerungen sind nötig, weil jede pauschale Differenzierung die Wahrheit verzerrt. Die Deutschen lieben ihre Autobahnen: Nein nicht jeder, manche hassen sie, manche haben gar kein Auto usw. Aber Tatsache ist, dass die Gesellschaft als ganze sich diese Verkehrsflächen leistet, dass sie als typisch deutsche Errungenschaft gelten und Teil dessen sind, was man als kollektives Selbstbild (das niemand hat, sondern alle sozusagen haben) bezeichnen könnte.
In der Nazi-Zeit waren die Deutschen Nazis, nicht alle, aber viele, und kaum jemand war ein Anti-Nazi. Nicht nur das Regime war nazistisch, sondern die Gesellschaft als ganze war nazifiziert. Die damals begangenen Verbrechen als solche „der Nazis“ zu etikettieren, bedeutet, die zu entlasten, die durch ihr Handeln und Unterlassen schuldig und mitschuldig wurden, egal, was ihre pesönlichen Überzeugungen (oder institutionellen Zugehörigleiten) gewesen sen mögen. Man musste aber eben gar kein (im engeren Sinne) Nazi sein, um als Nazi zu handeln. Deutscher oder Deutsche zu sein (oder Hilfswillige und Hilfswilliger) genügte völlig.
Wenn nun also eine rhetorische Unterscheidung zwischen „den Nazis“ und (zumindest implizit im Gegensatz dazu) „den Deutschen“ bedenkenlos praktiziert wird, steht zu befürchten, dass das Monströse nicht als Teil der eigenen kollektiven Geschichte, sondern als bloß historisches Phänomen, das irgendjemandem zugestoßen ist, mit dem man eigentlich nichts zu tun hat, zur Seite geschoben wird. Dabei ginge es stattdessen selbstverständlich nicht darum, sich mit dem Nazismus zu identifizieren, sondern darum, sich nicht durch dessen Abspaltung selbst auf die Seite bloßer Zuschauer oder gar der Opfer zu stellen. Die Nazis waren furchtbar. Was haben wir (unsere Vorfahren) nicht alle unter ihnen gelitten! Diese „Bewältigungspolitik“ setzte schon 1945 ein. Wenn sie acht Jahrzehnte später immer noch den Kern der mit Stolz vollzigenen Erinnerunspolitik ausmacht, ist das entsetzlich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen