Donnerstag, 23. Oktober 2025
Was sie sagen und was sie meinen
Dienstag, 21. Oktober 2025
Leute (38)
Doch was zum Unmöglichen
Über Trump zu schreiben, halte ich für unter meiner Würde. Derlei besudelt einen. Dass man auch nur an ihn denken muss, ist schlimm, ist beleidigend genug. Worte können gar nicht fassen, wie ekelhaft und nichtig dieses sinnlose Phänomen ist.
Lächerlich, dumm, hässlich, ungebildet, maßlos eingebildet und selbstsüchtig, gierig, rücksichtslos, gleichgültig, zerstörerisch, böse: Damit ist alles gesagt und nichts. Immer neue Einzelheiten versuchen freilich, einen hineinzuziehen in den Realitätsverlust, der sehr reale Folgen hat, in diese Simulation von Politik, die alles flachredet und hinterrücks über Leben und Tod entscheidet.
Wieso existiert so etwas? Darf das möglich sein? So etwas darf es doch eigentlich gar nicht geben. Aber dass es das gibt, ist kein Zufall, sondern Ausdruck. Das Internet ist voller Anekdoten über dumme, unwissende, überhebliche US-Amerikaner, die sich nicht nur im Ausland unmöglich benehmen, die in Unkenntnis sind über ihr eigenes Land und den Rest der Welt sowieso, die alles für einen sich um sie drehenden Supermarkt oder Vergnügungspark halten, die nichts wissen, aber über alles urteilen, die sich nicht vorstelle können, dass etwas anders sein könnte, als sie es gewohnt sind und es haben möchten, die völlig befangen sind in der Illusion nationaler Grandiosität und gefangen in Kommerzialisierung und Ausbeutung.
Es gibt gewiss Ausnahmen, aber die Masse scheint so zu sein, wie es die Vorurteile besagen, die in der konkreten Begegnung zu unvermeidlichen Urteilen werden. Einer von diesen unmöglichen Leuten ist auch Trump, nur dass er sich die anderen zu nutze zu machen versteht, indem er schamlose, skrupelloser, „unmöglicher“ ist als sie, also einerseits zur Identifikation und Projektion einlädt, andererseits zur Bewunderung seiner Überlegenheit ― er ist noch schlimmer, als man selbst.
Die Zumutung besteht also nicht nur im Schurken und seinen Komplizen, die von ihm profitieren, sondern in der freiwilligen Zustimmung so vieler, die sich zwar irren und täuschen (weil er eben nicht will, was sie wollen, es sei denn, sie wollten betrogen, ausgenutzt und ausgebeutet werden), aber andererseits doch wieder nicht: Er verspricht, dass andere für seine Politik einen hohen Preis zahlen werden, und das hält er. Dass er dabei auch seinen Wählern auf den Kopf scheißt, scheint diese nicht zu stören. Mehr davon!
Trump ist durchaus wie Hitler: ein Nichts mit erheblicher Wirkung, eine Null ohne Persönlichkeit (nur mit Persönlichkeitsstörungen), ein plärrender Niemand, der es schafft, Begehrlichkeiten vieler auf sich zu ziehen, ihnen Hass zu erlauben und schlechtes Benehmen und sie von der Wirklichkeit abzuspalten, von Verantwortung, Gewissen, Mitgefühl sowieso. Trump hat keine Lösungen für irgendein reales Problem, seine Methode ist immer Lüge und Gewalt. Das kann man nur gut finden, wenn man böse ist oder wenn man sich selbst und andere belügt; aber Lügen ist eben auch böse.
Die Existenz eines Phänomens wie Trump ist durch nichts zu entschuldigen und nur damit zu erklären, dass der Zustand der Welt in den Zentren noch beschissener ist als an den Peripherien. Die USA sind das führende shithole country. Und diesen entsetzlichen Umstand verkörpert Trump perfekt.
Pflicht oder nicht?
So heißt es vielfach, Freiwilligkeit sei selbstverständlich besser als Zwang (also Wehrpflicht). Ach so? Dann wäre ja aber auch die Schulpflicht abzuschaffen und der Schulbesuch als bloßes Angebot zu behandeln, oder? Und Steuern sollte dann auch nur noch zahlen, wer will, Überhaupt, die ganze Rechtsordnung, da müsste doch auch Freiwilligkeit besser sein als Verpflichtung, wer sich an die Gesetze halten möchte, soll das gerne tun, aber wer nicht, der tut es halt nicht.
Wer Freiwilligkeit über Zwang stellt, hat nicht verstanden, wie Staatlichkeit funktioniert. Wer glaubt, alles oder doch das Wesentliche im staatlich organisierten Zusammenleben beruhe auf den freien Entscheidungen der Beteiligten, glaubt wahrscheinlich auch an Weihnachtsmann und Klapperstorch.
Strafbewehrter Zwang ist überall, gerade das macht den Staat aus. Dagegen kann man durchaus sein, das wäre dann wohl irgendwie Anarchismus, aber man kann nicht in vielen Dingen Zwang als vernünftig und selbstverständlich akzeptieren, aber ausgerechnet beim Thema „Wehrpflicht“ verwerfen.
Selbstverständlich sind viele junge Menschen dagegen, dass sie zum Dienst an der Waffe, der Bettpfanne oder dem Rollstuhl verpflichtet werden sollen. So ein Pflichtjahr (oder mehr) wäre eine unangenehme Unterbrechung ihres konsumistischen Hedonismus. Miltärdienst stört beim Kiffen und Influencen. Oma Meyer den Arsch auszuwischen, ergibt kein imponierendes selfie, da kann man so viele Filter drüberlegen, wie man will. Das entsprcht nicht dem selbstbestimmten Lebensentwurf, den sich die Infantilindividuen haben zu können einbilden, weil ihnen die Reklame das sagt.
Egal. Kinder fragt auch keiner, ob sie zur Schule gehen wollen. Sie müssen. (Ich selbst wollte eigentlich nie, aber ich bin ja auch Anarchist, immer schon gewesen.) So sind die regeln und die meisten sind dafür. Wenn man aber die Schulpflicht in Ordnung findet, gibt es keinen Grund, eine Pflicht zu wahlweise Wehrdienst oder sozialen Diensten deshalb abzulehnen, weil Freiwilligkeit besser als Zwang sei. Punkt. Debatte beendet. Vernünftig betrachtet. (Es folgen aber noch mindestens 500 Talkshows zum selben Thema.)
Sonntag, 19. Oktober 2025
Keiner von denen
Ich bin keiner von denen. Ich stehe für mich. Meine Art zu schreiben imitiert niemanden. das könnte ich gar nicht. Und habe es auch niemals probiert. Wozu auch? Man wird vielleicht Ähnlichkeiten finden und vielleicht sogar Vorbilder, von denen ich nichts weiß, aber das macht nichts, ich brauche das nicht, meine ich, aber wenn andere meinen, es für mich zu brauchen, wenn sie also etwas besser wissen mich als ich, dann umso besser, wenn es denn etwas erklärt.
Ich denke mir Schriftsteller immer wieder als Nonkonformisten, Abweichler, Außenseiter. Aber mir ist klar, damit liege ich in den meiste Fällen völlig falsch. Ich hingegen bin tatsächlich ein Außenseiter, ein Abweichler, einer, der nicht konform gehen will oder kann. Ich gehöre zu nichts niemandem dazu. Eben auch nicht zu irgendwelchen anderen Schriftstellern und ihren Gruppen und Vereinen, Strömungen und Cliquen. Ich bin keiner von denen. Wer aber nicht zu den Schriftstellern gehört, ist keiner. Könnte man sagen und sagt es wohl auch.
Mir liegt daran nichts. Ob ich ein Schriftsteller bin oder nicht, was soll die Frage, da geht es um eine soziale Rolle, eine einzunehmende Stellung, ein kulturelles Muster. Das interessiert mich nicht, längst nicht mehr. Wem soll ich etwas beweisen, wem muss ich einen Beruf vorweisen, wem will ich das Recht zugestehen, meinem Lebensinhalt, dem Schreiben, ein Etikett aufzukleben? Schriftsteller oder nicht: Ich schreibe. Dafür muss ich niemanden um Erlaubnis fragen.
Wahrscheinlich war es ein Fehler mich nicht abhängig gemacht zu haben von der Anerkennung anderer. Wenn überhaupt galt mir nur mein Selbstverständnis etwas, nicht das Urteil anderer, und ich arbeitete unverantwortlicherweise nie darauf hin, von ihnen oder von noch anderen als einer von denen anerkannt zu werden. Ein Fehler war das und ist das insofern, als es vielleicht einiges leichter gemacht hätte, angenehmer, beruhigender, galtter. Aber eben auch, nun ja, sozusagen gewissermaßen unreiner. Weil es das Schreiben verfälscht, wenn das Kriterium nicht der Text selbst ist, sondern der Effekt, den er in sozialer und ökonomischer Hinsicht hat.
Geld zu verdienen mit Schreiben, ich hab’s gemacht, es war gut, als es war, ich kann mir auch vorstellen, es wieder zu machen, aber es nicht machen zu müssen, ist besser. Keine Rücksicht nehmen zu müssen auf Vorgaben, Erwartungen und Wünsche, scheint mit ein kleines Stück Freiheit, das kaum zu hoch zu bezahlen ist.
Erfolg? Was heißt schon Erfolg? Geschnittenes Brot und warme Semmeln, aber das Metier des Schreibens ist von anderer Art. Der Ausdruck „Beststeller“ war mir immer schon zuwider. Dass es sich gut verkauft, ist kein Kriterium für den Wert eines Buches, es lässt (bei mir) nur Vermutungen aufkommen, wie maßgeschneidert, also angepasst und systemkomplizenhaft das Ding sein muss. Pfui gack.
Ich sage nicht: Wenn ich nur wollen würde, könnte ich das auch. Ich sage: Ich habe das nie gewollt, hätte das nie über mich und nie zu Stande gebracht. Ich will und kann nicht schreiben, was ich nicht lesen will. Ich bin unweigerlich mein erster Leser, um mein Urteil geht es vor allem, und selbst wenn das bedeuten müsste, mein einziger Leser zu bleiben, kann und will ich mich nicht verstellen, verdrehen, verstecken, verderben. Und das müsste ich wohl, um einer von denen zu sein, die „Erfolg“ haben. Oder ist alles nur Zufall? Könnte ich ebenso gut berühmt sein?
Selbstverständlich hätte ich nie etwas dagegen gehabt, umjubelt und auf Händen getragen zu werden. Viele Leser zu haben, das wäre womöglich besser, als ganz, ganz wenig zu haben, weil es unter Umständen die Chance erhöhte, dass darunter ein paar richtige wären. Aber es ist, wie es ist.
Ich bin keiner von denen, die ihren Zeitgenossen vertrauen. Was wissen die schon? Zu oft schon lagen, geschichtlich gesehen, Zeitgenossen völlig falsch.
Und wie immer sage ich an dieser Stelle: Kafka. Hat der etwa zu Lebzeiten Bestseller geschrieben? Hätte man ihm, von ganz, ganz wenigen seiner Zeitgenossen abgesehen, überhaupt zugestanden, ein Schriftsteller zu sein? Veröffentlicht hatte er am Ende nur wenig, unvollendet hinterlassen viel, und hätte Brod auftragsgemäß nach Kafkas Tod alles Hinterlassene vernichtet, der Name „Franz Kafka“ tauchte allenfalls in einem längst vergriffenen Speziallexikon zu deutschsprachigen Prager Autoren auf. Wenn überhaupt. Auch gänzliches Vergessen wäre möglich gewesen. War Kafka also denn nun zu Lebzeiten tatsächlich ein Schriftsteller? Oder wurde er es erst post mortem und rückwirkend? Und was war er denn, wenn er kein Schriftsteller war, als er schrieb? Selbstverständlich war er, missachtet und verkannt, auch von sich selbst, kaum etwas veröffentlichend, keinen Erfolg erwartend oder wünschend, weil ihm jeder erfolg als quälendes Misstverständnis vorkommen musste, sondern nur für wenige und für sich selbst schreibend, ein Schrifststeller. Was denn sonst? Ein bedeutender sogar, wie heute alle überzeugt sind. Aber er war eben keiner von denen. Q. E. D.
Freilich, ich bin nicht Kafka und schreibe nicht wie er. Überhaupt nicht. Umso besser. Ich schreibe wie ich selbst. Wie ein Eigenbrötler. Ein Einzelgänger. Ein Wichtigtuer. Ein Spinner. Wie einer von denen, auf die man nicht achten muss. Aber ich bin keiner von denen.
Montag, 13. Oktober 2025
Balken & Splitter (120)
So geht es also zu in der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“, in der wohl tatsächlich der rechtsextreme Pöbel das Sagen hat und die liberale Mitte alles mitmacht, einem Staat mit wahlen also, der aber ganz sicher kein Rechtsstaat ist, sondern eine rassistische Okkupationsmaschine. Man kann eben nicht beides sein: rechtsstaatliche Demokratie und ethnischer Staat.
Wieso sollen jetzt eigentlich andere Staaten für den Wiederaufbau dessen bezahlen, was Israel zerstört hat? Man könnte doch auch die Zionisten und Israelfreunde überall in der Welt zur Kasse bitten, da käme schon schön was zusammen.
Samstag, 11. Oktober 2025
How to annoy some MAGA guy
ME: In the U.S. - Because Jesus does not have U.S. citizenship, no legal documents at all, but works there every day and night. (He even criticizes the rich!) So ICE and MAGA try to force him out of the country. Godless America.
ME: This is the heretical (protestant) view. Real Christians (catholics, orthodox) are convinced, that Jesus ist present in flesh and blood under the forms of bread and wine. Nothing easer for ICE than to break into a church and crack a tabernacle. And, don't you know, Jesus is present in the "least of his brothers"; and who could be more "less" than an "undocumented alien"?
HE: Where does Jesus say that it's acceptable to deceive people, break their laws, enter their countries without permission, and immediately start using their taxpayer funded services?
ME: Everywhere. (Especially in Palestine ...) According to the Gospels he says: Do the will of God. That implies: Never ever do the will of the State. States are evil, their laws are evil, boarders are evil, police is evil.
And even if you dont't agree to the anarchist views of Jesus (and me): Shoudn't tax money, if taxes shall be paid at all, being spent for your neighbours (whom your shall love) - instead for tyrants, oligarchs, the military-industrial complex (as Eisenhower called) and bad stuff like the forementioned?
The U. S. A. are exploiting the people of so many countries in the world and their natural ressources. Your life style destroys the earth. Shouldn't it at least be time to pay back a little (e. g. by let some "aliens" earn money through slavework in your imperialist shithole country)?
Unterwegs (32)
Donnerstag, 9. Oktober 2025
Notiz zur Zeit (261)
Und auch die Armen sollen, höre ich, ihr Fett wegkriegen. Wortwörtlich: ihre bekanntlich so schrecklich fetten Jahre sind bald vorbei. Das Bürgergeld soll nämlich in Mindestsicherung umbenannt werden. Nehmt das, ihr Schmarotzer! ― Politiker haben ja weder Phantasie noch Humor. Sonst wäre doch „Minderleister-Sicherung“ eine herrlich diskriminierende Bezeichnung.
Dienstag, 7. Oktober 2025
Skandal im längst entlaubten Blätterwald
Ich würde (wenn man mich denn fragte) einen solchen Protest nicht unterschreiben. Einerseits wegen der indiskutablen Sprache („canceln“, „Qualitätsmedium“). Andererseits wegen der Unterzeichner (darunter die Literaturnobelpreisträgerin und, wie sie genannt wurde, „dümmste Frau Europas“). Vor alle aber, weil mir scheißegal ist, was im „Kurier“ steht oder nicht. Ich lese derlei nicht. Genauso wenig wie die „Krone“ oder „Heute“ oder wie auch immer der Dreck* heißt.
Wer derlei freiwillig konsumiert, weiß, worauf er sich einlässt. Er will miesen Journalismus und bekommt ihn. Wie groß dabei je das Bedürfnis nach und das Interesse an Buchbesprechungen war ist und sein wird, weiß ich nicht. Fehlt der Leserschaft jetzt vielleicht die qualifizierte Beratung bei Kaufentscheidungen im Falle extremer Langweile nahe am Hirntod? Ich mache mir die Mühe, suche im Internet nach Buchbesprechungen im „Kurier“ und finde solche Überschriften: „Anleitung zum Nichtstun“, „Von der Blumenhändlerin zur Kranführerin, „Mordsbrise, ein Ostfrieslandkrimi“, „Ferdinand von Schirach …“, „Isolde Charim …“, „Schauspieler Michael Dangel verzichtet aufs Ich“, „Wolfgang Schüssel: Wendekanzler bringt neues Buch heraus“ und „10 Bücher, die ähnlich sind wie Harry-Potter-Romane“. ― Mir scheint, der Verlust ist sehr gering.
Das erwähnte Protestschreiben weist übrigens auch den Vorschlag „mit aller Entschiedenheit“ zurück, künftig Buchbesprechungen von der Funke-Mediengruppe zuzukaufen. „In diesem Kontext spielen österreichische Autor/inn/en, Bücher und Verlage und anspruchsvolle Literatur nicht die geringste Rolle.“
Ja klar, weil die Piefke bekanntlich nur Piefke lesen (und Ösis auf dem Literaturmarkt voll benachteiligt werden; siehe auch Nobelpreis) …
Jedenfalls machen die Empörten damit sehr deutlich, worum es ihnen geht: Eine österreichische Zeitung soll österreichische Literatur ― also auch die der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Protests ― bewerben. Der Markt ist klein, der Schreibwilligen sind viele, da muss man sehen, wo man bleibt. Und mit jeder Besprechung, selbst in einem Scheißhausblatt (aka Qualitätsmedium), verkauft man ein paar Bücher mehr. Das darf nicht anders werden.
Wie gesagt, ich würde es nicht unterschreiben, aber mich fragt ja zum Glück auch keiner.
Sonntag, 5. Oktober 2025
Über das Mehrheitsprinzip
Tatsächlich gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund, warum die Mehrheit entscheiden soll. Und es wird darum in der politischen Theorie oder Alltagsdebatte auch nie einer genannt. „Die Mehrheit ist dafür, also soll es geschehen. Punkt.“
Ganz selten einmal merkt jemand an, dass ja vermutlich in einer größeren Zahl von Leuten „mehr kluge Köpfe“ vorhanden seien als in einer kleineren. Dieses statistische Argument ist absurd und widerspricht der Erfahrung. Außerdem geht es ja bei Wahlen und Abstimmungen nicht unbedingt darum, kluge Entscheidungen zu treffen, sondern überhaupt welche. Ob die Entscheidung aus kluger Erwägung oder irrationaler Vorliebe geschieht, spielt für das Mehrheitsprinzip keine Rolle. (Das ist es ja, was Popuisten ausnuützen können.)
Beispiel: Wenn fünf Leute gemeinsam ins Kino gehen wollen, sich aber nicht auf einen Film einigen können und dann abstimmen, ist der Film, für den drei stimmen, doch nicht in jedem Fall besser als der, für den nur zwei stimmen. (Blöd wäre es übrigens, wenn zwei A sehen wollen, zwei B und einer sagt, es sei ihm egal …)
In Wahrheit ist das Mehrheitsprinzip eine abstrakte Formalität, freilich eine mit unguter Herkunft. Denn es handelt sich dabei um nichts anderes als um die Durchsetzung der zahlenmäßig Stärken: „Wir sind mehr als ihr, wenn ihr also nicht macht, was wir wollen, können wir euch verdreschen.“ Das Mehrheitsprinzip ist nur die verdeckte, zivilisierte, meistens gewaltfreie Version davon.
Allerdings sieht jeder (der kein Faschist ist) ein, dass es ein „Recht des Stärkeren“ nicht gibt, dass bloße Durchsetzung von etwas nicht bedeutet, dass das Durchgesetzte richtig ist (weshalb nebebenbei bemerkt der Wahrheitsbegriff der Pragmatisten eigentlich faschistisch ist) und dass die ständige Aufteilung in Mehrheiten und Minderheiten zwar zuweilen durchaus stabile Verhältnisse schaffen kann (zumal wenn großzügig „Minderheitenrechte“ gewährt werden), dass es sich aber letztlich ein irrationales, auf Gewalt gegründetes Verfahren handelt, das dauernd die Vernunft und die Selbstbestimmungsrechte derer missachtet, die nicht mit der Herde blöken.
Was ist die Alternative? Konsens selbstverständlich. Jeder darf mitreden, jeder darf mitentscheiden. Nicht eine Mehrheit entscheidet, sondern alle, entweder einstimmig oder einmütig (also ohne Gegenstimmen).
„Iiih, wie langweilig, wie anstrengend. Dauernd über alles quatschen müssen, und dann kommt vielleicht doch nichts dabei heraus. Da ist abzustimmen und die Mehrheit entscheiden zu lassen viel effizienter.“
Tatsächlich ist die Effizienz von Konsensverfahren abhängig von der Bereitschaft aller zu Rücksichtnahme und Zurückhaltung, von einer hochentwickelten Diskussionskultur und einer Ethik des Kompromisses. Für eine Gesellschaft von Egoisten hingegen, die gern rasch ihren Willen durchsetzen (weshalb sie das wollen, von dem sie meinen, dass es alle wollen), ist das Mehrheitsprinzip genau das Richtige.
Leute (37)
Da denkt man, man kennt jemanden, und dann erfährt man, die Person liest Richard David Precht! Freiwillig, Um etwas daraus zu erfahren. Was kommt als nächstes? Helene Fischer hören? Die Bildzeitung abonnieren? Ich dachte es gäbe da einen Konsens unter den halbwegs Gebildeten: Precht geht gar nicht. Ein Dummschwätzer, der von Philosophie so viel Ahnung hat wie Dieter Bohlen von Musik. Ein Diskurspopulist, der die verunsichterten Bildungsbürger fortgeschrittenen Alters mit rechtslastigem, verlogenem Denkersatz versorgt. Aber gesagt hab ich besagter Person das nicht. Sie sei auf das Buch, das sie lese, durch den podcast Lanz & Precht gekommen. Lanz? Dieser Bodensatz der Fernsehunterhaltung, die mit Journalismus verwechselt werden will? Dieser Quasselonkel, der mit den anderen Quasseltanten zusammen durch lauter falsche Fährten von der Realität ablenken soll? Und überhaupt: podcasts? Für sowas habe ich keine Zeit. Das ist doch was für Analphabeten, für Gelangweiltee, die nicht mehr lesen können oder wollen. Wer was zu sagen hat, kann es auch schreiben, basta. Aber das ist naturgemäß nicht Konsens, und ich habe zu podcasts und Lanz nichts gesagt. Eigentlich kann ich zu Precht auch nichts sagen, denn abgesehen davon, dass ich weiß, wie er aussieht und redet (und beides finde ich zum Kotzen), kenne ich keine Texte von ihm. Einige Texte über sind mir allerdings untergekommen, die den Quatsch, den er redet, mit guten Argumenten in der Luft zerfetzen. Aber sag das mal jemandem, der Gefallen findet an dieser niedrigschwelligen Art der Verdummung durch Intellektualitätsimulation. Da giltst du ganz schnell als hochnäsig und vorturteilsbehaftet. Bin ich auch. Ich habe Philosophie studiert und kann ganz gut Geschwätz von genuinem Denken unterscheiden. Damit steht mein Urteil über Precht auch trotz recht geringer Empirie fest. Gesagt habe ich, wie gesagt, besagter Person das alles nicht. Aber ich kann ja schreiben.
Samstag, 4. Oktober 2025
Repräsentativ? Mehrheitlich? Demokratisch?
Man behilft sich mit Tricks. Zum einen beträgt die Anzahl der gewählten Abgeordneten immer 100 Prozent, auch wenn sehr viel weniger Menschen zur Wahl gehen (und gültig wählen). Zum anderen erklärt man alle Stimmen für de facto ungültig, weil de jure wirkungslos, die für Parteien abgegeben wurden, die „zu klein“ sind und „das Parlament zersplittern“ würden. Merke: Repräsentiert wird nur, wer große und mittlere Parteien wählt …
Die Absurdität der sogenannten Fünf-Prozent-Hürde kann man sich leicht vor Augen führen: Wenn ein Dutzend Parteien jeweils 4,9 Prozent der gültigen Stimmen auf sich vereinigten, wären das 58,8 Prozent ― und sie kämen doch nicht ins Parlament. (Eine Partei oder Koalition mit 21 Prozent ― bezogen auf eine Wahlbeteiligung von 80 Prozent: mit 16,5 Prozent) hätte dann im Parlament die absolute Mehrheit.)
Aber das System ist nicht nur quantitativ nicht repräsentativ, sondern auch qualitativ nicht. Denn die wählbaren Kandidaten und Kandidatinnen werden nicht von den Wahlberechtigten bestimmt, sondern von den Parteien. (Auf die Absurdität der Wahlkreiskandidaten, die die Verhältniswahl „personalisieren“ sollen“, soll hier nicht weiter eingegangen werden, nur so viel: Dort ist als Vertreter des Wahlkreises gewählt, wer mehr Stimmen als die anderen bekommt, das könnte rein theoretisch heißen, dass der Kandidat mit zwei Prozent Stimmen gewählt ist, wenn alle anderen nur jeweils 1 Prozent bekommen. Dann hätten 98 Prozent den Kandidaten nicht gewählt und er würde doch Abgeordneter …)
Selbstverständlich bedeutet Repräsentatitivät nicht, dass das Parlament ein exaktes demographisches Abbild der Bevölkerung sein muss (statt überwiegend aus Juristen und Beamten zu bestehen). Es muss also der Prozentsatz der rothaarigen lesbischen Krankenschwestern buddhistischen Glaubens und mit Glasauge im Parlament nicht dem Prozentsatz der rothaarigen lesbischen Krankenschwestern buddhistischen Glaubens und mit Glasauge in der Bevölkerung entsprechen. Sondern Repräsentativität hätte zu bedeuten, dass die stimmberechtigte Bevölkerung wirklich von genau denen vertreten wird, von denen sie vertreten werden will und die sie tatsächlich gewählt hat.
Eine Entscheidung der Wahlberechtigten darüber, wer (welche Personen) sie vertreten soll, und nicht nur was (welche Parteien), hätte die Grundlage der Repräsentation zu sein. Was ist denn daran demokratisch, wenn Parteien vorgeben, wer im Parlament sitzen kann und wer nicht? Wen werden die Aufgestellten wohl letztlich vertreten: die von denen sie tatsächlich abhängen, die ihre Karrieren und ihr Einkommen bestimmen: oder die, von deren Vertrauen sie eigentlich abhängen sollten, die aber bezüglich Karriere und Einkommen nicht zu melden haben?
Außerdem ist es ja so: Die Parteien können die Angeordneten nahezu nach Belieben austauschen. Irgendwer tritt zurück, jemand anderes rückt nach. Wahlen nicht erforderlich.
Aber es besteht durch solche Hinterzimmerverfahren ― selbst wo Parteitage Listen absegnen, wurden diese meistens schon anderswo zusammengestellt ― nicht nur keine Festlegung auf ein (persönlich gewähltes) Personal, sondern auch keine Verpflichtung auf eine bestimmte Programmatik. Im Wahlkampf wird X gesagt, beim Regieren dann Y gemacht: Das gilt als normal. Nun ist nichts dagegen einzuwenden, dass Parteien bekannt geben, was sie machen würden, wenn sie so könnten, wie sie wollten. Aber sie müssten, um sinnvoll wählbar zu sein, doch auch sagen, was sie bereit sind zu tun, wenn sie nicht so können, wie sie wollen. Dazu müssten sie vor der Wahl unter anderem auch sagen, mit wem sie nach der Wahl gegebenenfalls koalieren werden. Gerade das verweigern Politiker aber regelmäßig.
Es ist doch so: Das Wahlvolk soll der Politik einen Blankoscheck ausstellen. „Wählt uns erst mal, wir machen das dann schon für euch“: Das ist Entmündigung unter dem Vorwand der Volkswillens.
Man könnte also zusammenfassend sagen: Weil die indirekte, repräsentative Demokratie nicht wirklich repräsentativ ist, kann sie auch nicht demokratisch sein, und weil sie nicht demokratisch sein will, braucht sie auch nicht repräsentativ zu sein. Man muss nicht gleich ein staatsfeindlicher Anarchist sein ― wie ich es bin ―, um zu sehen, dass sehr viel mehr Repräsentativität und echte Demokratie möglich wäre, nämlich eine, die die Wahlberechtigten (deren übrigens mehr sein könnten durch den Nicht-Ausschluss großer Teile der „nichtdeutschen“ Wohnbevölkerung) ernst nähme, sie nicht entmündigte und ihnen nichts vorgaukelte.
Freitag, 3. Oktober 2025
Balken & Splitter (119)
Donnerstag, 2. Oktober 2025
Faschismus, Katechismus, alles dasselbe
Doch weil hinter der Dummheit der Maschinen immer auch die Dummheit der Menschen steckt, merke ich an, dass es die „Kirchenkritiker“ bedenklich stimmen sollte, dass ihre Vorurteile, die wahrscheinlich für selbstgewählte Überzeugungen halten, so ohne weiteres mit der kontingenten Blödheit von manipulativ-kommerziellen Algorithmen zusammenstimmen.
