Dienstag, 7. Oktober 2025

Skandal im längst entlaubten Blätterwald

Die österreichische Tageszeitung „Kurier“ schafft ihre wöchentlichen Buchbesprechungen ab und entlässt die zuständige Redakteurin. Das löst in der österreichischen Literatuszene Empörung aus und mich erreicht eine e-mail, in der von allerhand mehr oder minder gut im Geschäft stehenden Autoren und Autorinnen die sofortige „Rücknahme der Entscheidung“ des privaten Mediums gefordert wird.
Ich würde (wenn man mich denn fragte) einen solchen Protest nicht unterschreiben. Einerseits wegen der indiskutablen Sprache („canceln“, „Qualitätsmedium“). Andererseits wegen der Unterzeichner (darunter die Literaturnobelpreisträgerin und, wie sie genannt wurde, „dümmste Frau Europas“). Vor alle aber, weil mir scheißegal ist, was im „Kurier“ steht oder nicht. Ich lese derlei nicht. Genauso wenig wie die „Krone“ oder „Heute“ oder wie auch immer der Dreck* heißt.
Wer derlei freiwillig konsumiert, weiß, worauf er sich einlässt. Er will miesen Journalismus und bekommt ihn. Wie groß dabei je das Bedürfnis nach und das Interesse an Buchbesprechungen war ist und sein wird, weiß ich nicht. Fehlt der Leserschaft jetzt vielleicht die qualifizierte Beratung bei Kaufentscheidungen im Falle extremer Langweile nahe am Hirntod? Ich mache mir die Mühe, suche im Internet nach Buchbesprechungen im „Kurier“ und finde solche Überschriften: „Anleitung zum Nichtstun“, „Von der Blumenhändlerin zur Kranführerin, „Mordsbrise, ein Ostfrieslandkrimi“, „Ferdinand von Schirach …“, „Isolde Charim …“, „Schauspieler Michael Dangel verzichtet aufs Ich“, „Wolfgang Schüssel: Wendekanzler bringt neues Buch heraus“ und „10 Bücher, die ähnlich sind wie Harry-Potter-Romane“. ― Mir scheint, der Verlust ist sehr gering.
Das erwähnte Protestschreiben weist übrigens auch den Vorschlag „mit aller Entschiedenheit“ zurück, künftig Buchbesprechungen von der Funke-Mediengruppe zuzukaufen. „In diesem Kontext spielen österreichische Autor/inn/en, Bücher und Verlage und anspruchsvolle Literatur nicht die geringste Rolle.“
Ja klar, weil die Piefke bekanntlich nur Piefke lesen (und Ösis auf dem Literaturmarkt voll benachteiligt werden; siehe auch Nobelpreis) …
Jedenfalls machen die Empörten damit sehr deutlich, worum es ihnen geht: Eine österreichische Zeitung soll österreichische Literatur ― also auch die der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Protests ― bewerben. Der Markt ist klein, der Schreibwilligen sind viele, da muss man sehen, wo man bleibt. Und mit jeder Besprechung, selbst in einem Scheißhausblatt (aka Qualitätsmedium), verkauft man ein paar Bücher mehr. Das darf nicht anders werden.
Dass der Buchmarkt längst bestimmt wird vom Internet, unter anderem von einschlägigen influencers, und nur sehr wenig vom papiernen oder papieroiden Feuilleton (zumal Leser heutzutage eher Analphabeten sind), ist den etablierten Literaturproduzenten alter Schule vermutlich nur undeutlich bewusst, wenn überhaupt. In ihrer Jugend war das nicht so, da war der „Kurier“ wichtig, also soll das so bleiben.
Wie gesagt, ich würde es nicht unterschreiben, aber mich fragt ja zum Glück auch keiner.
 
* Vielleicht ein zu starker Ausdruck und viel zu pauschal. Man wird mir vorrechnen, wie viel besser doch diese Zeitung sei als jene. Nun, Scheiße ist auch nicht gleich Scheiße, aber ich interessiere mich nicht für Stuhlproben. (Jetzt hab ich’s auch noch schlimmer gemacht.)

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