Donnerstag, 31. Dezember 2020

Ein Jahr der Enttäuschungen

Das Jahr 2020 war für mich ein Jahr der menschlichen Enttäuschungen. Der großen menschlichen Enttäuschungen. Gleich mehrere „Freunde“ und „Freundinnen“ auf Facebook haben mir entweder implizit oder explizit die „Freundschaft“gekündigt, das heißt: sie haben mich entweder aus ihrer „Freundes“-Liste gelöscht oder kommunizieren einfach nicht mehr mit mir. (Ich muss dazu sagen, dass ich mit niemandem davon, mit einer Ausnahme, im sogenannten realen Leben befreundet oder auch nur bekannt bin; das macht solche Zurückweisungen zwar belangloser, aber seltsamerweise auch radikaler.)
Darunter waren einige, deren Urteil ich schätzte, deren Humor ich mochte, deren Weltsicht mich interessierte (und teilweise mit meiner übereinzustimmen schien), die mir mit anderen Worten recht sympathisch waren.
Gerade darum hat mich ihre Reaktion so überrascht. Ich bin es gewohnt, dass man nicht mit mir einer Meinung ist. Ich scheine mit meinen Gedanken und ihrer Äußerung regelmäßig quer zu liegen zu dem, was andere so denken, wovon sie überzeugt sind ― manchmal ohne es sich klar zu machen ― und was sie für wahr halten möchten. Ich halte meine Interventionen darum, wenn man sich auf sie einlässt, für heilsam, für aufklärerisch im besten Sinne, für eine Möglichkeit, das eigene Denken auf Fehler und Vorurteile oder zumindest auf unbegründete Annahmen hin zu prüfen. Ich erwarte dabei weder Dank noch Lob, noch dass ich jemanden überzeuge. Aber ich erwarte Respekt.
Und der sollte sich, meine ich, auch dadurch äußern, dass man mir, wenn ich etwas Falsches behaupten sollte, dies auch nachweist, und nicht einfach wie ein störrisches Kleinkind sich (virtuell) die Ohren zuhält, wenn ich etwas sage, was einem nicht in den Kram passt.
Selbstverständlich ging es in all den Fällen, auf die ich mich hier beziehe, um „Corona“. Schon früh wandte ich mich gegen Panikmache und Hysterie. Gegen Zahlentickserei und Horrorbilder. Gegen „Experten“, die dauernd ihre Einschätzungen korrigieren mussten, deren unbegründeten Schreckensszenearien aber zur Grundlage unvernünftiger Politik gemacht wurden. Dabei setzte ich auf selbständiges Denken (Ist jeder positiv Getestete, auch wenn er gar nicht krank ist, sinnvollerweise als „Fall“ zu betrachten?) und eigene Recherche (Wie viele Leichen können im Krematorium Bergamo pro Tag verbrannt werden?), aber selbstverständlich auch auf Material, das von Fachleuten, die sich wie ich schon früh gegen Hysterie und Panikmache wandten, zur Verfügung gestellt wurde.
Ich solle aufhören, solchen Quatsch zu verbreiten, wurde ich beschieden. Kein Argument, keine Widerlegung, nicht einmal im Ansatz. Einfach nur ein Urteil: Das ist Quatsch, du verbreitest Quatsch. Andere machten sich nicht einmal die Mühe, das Urteil auszusprechen, sondern verschwanden einfach, was ja wohl heißt: Mit einem wie dir will ich nichts zu tun haben.
Manche versuchten es mit moralischem Druck. Einer erzählte, er kenne jemanden, der jemanden kenne und der sei „an Corona“ gestorben. Als ob ich je geleugnet hätte, dass SARS-CoV-2 zu Erkrankungen führen kann, an denen man auch sterben kann. Wenn nun aber jemand entgegen jeder statistischen Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall in seinem (weit gefassten) Bekanntenkreis hat, dann ist das für Betroffene gewiss traurig, aber doch kein Argument für oder gegen etwas. schon gar kein Grund, mich zu eliminieren. Als ob ich die Leute getötet hätte, als ob dazu betrüge, dass Menschen sterben oder als ob ich Tote verhöhnt hätte. (Nichts davon ist der Fall, falls das mal ausdrücklich erwähnt werden muss.)
In einigen Fällen von „Entfreundern“ war ich wirklich erstaunt darüber, dass sie alles, was sie, wie ich meinte, an der Theoriebildung zu Biopolitik, zur Metaphorisierung von Krankheit, zur Kritik der Einheit von Wissen und Macht und nicht zuletzt an der systematischen Kritik der Medizin und ihrer Verschränkung mit den herrschenden Verhältnissen gewusst hatten, mir nichts dir nichts außer Acht ließen und das hegemoniale „Narrativ“ einfach übernahmen: Corona ist neuartig, extrem gefährlich, viele werden sterben, wenn wir nicht tun, was der Staat verlangt.
Ich finde das verrückt. Dasselbe Gesindel, das seit jeher eine Politik durchsetzt, die die national und global eine Wirtschafts- und Gesellschaftordnung unterstützt, die zu Ausbeutung, Zerstörung und Verblödung führt, die darauf beruht, Menschen zu verachten, und darauf zielt, Reiche reicher zu machen und alle anderen in Schach zu halten, dasselbe kapitalistische Gesindel also soll plötzlich nur noch von dem Wunsch beseelt sein, Menschenleben zu retten? Und während sonst so ziemlich alles, was dieses Gesindel statuiert, Lüge und Gewalt ist, sollen jetzt die „Maßnahmen“ im „Krieg gegen die Pandemie“ (bei dem es um „Kontrolle“ und „Sieg“ geht, Ausdrücke, die bei den theoriegeschulten Entfreundern anscheinend keinen mehr Verdacht mehr erregen), sollen die tief in Grundrechte und alle Lebensbereiche eingreifenden Maßnahmen also im Großen und Ganzen durchdacht, begründet und alternativlos sein?
Wer das glauben kann, oder will und darum kann, dem muss selbstverständlich Skepsis und Kritik als Quatsch und Verschwörungstheorie erscheinen. Nun gibt es zweifellos auch Quatschköpfe und Verschwörungstheoretiker unter denen, die die offiziellen Behauptungen und Maßnahmen in Frage stellen und verwerfen. Das kommt denen, die am Ruder sind, sehr zupass. Wenn Neonazis sich als „Cororonagegner“ positionieren, dann ist es mit ein bisschen Hilfe der Journaille leicht, alle Kritiker und Skeptiker als rechte Spinner hinzustellen. Ob das stimmt, muss man dann gar nicht mehr fragen. Es funktioniert und immunisiert die eigene Position, darauf kommt es an. Dass Politiker und ihre medialen Helfershelfer dieses Spiel spielen, verstehe ich, aber warum spielen es Leute, mit denen ich einmal „befreundet“ war, mit?
Ich publiziere seit über einem Vierteljahrhundert. Viele Texte von mir sind Internet (auch auf meiner Website, in meinem Blogs oder eben als Facebook-Postings und Kommentare) leicht nachzulesen. Wer das, was ich geschrieben und veröffentlicht habe, auch nur ein bisschen kennt, mag alles oder manches davon für Unsinn halten ― warum er oder sie dann mit mir „befreundet“ war, verstehe ich nicht; habe ich mich aufgedrängt? ―, aber nichts davon kann wohl redlicherweise als „rechts“ oder „Verschwörungstheorie“ qualifiziert werden.
Ich bin Anarchist, also ein Gegner der Herrschaft von Menschen über Menschen, und darum gegen den Staat, insbesondere den Nationalstaat, und gegen alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung, die staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Gewalt bewirkt. Ich bin für die Schwachen gegen die Mächtigen, für das Leben gegen alle Varianten von Krieg, Mord, Vergiftung und Abtreibung, ich bin für Bildung als Möglichkeit zur Befreiung des Denkens und für Zusammenarbeit statt Gegeneinander unter Wohlgesinnten; Dummheit und Bosheit aber müssen bekämpft werden.
Ich habe meine Haltung und meine Überzeugungen in der sogenannten „Coronakrise“ nicht geändert. Das ist jederzeit nachlesbar. Wenn ich mich gegen Panikmache und Hysterie ausspreche, und man mir erwidert, es gehe darum, Schaden und Leid von Menschen abzuwenden, dann kann ich nur sagen, was ich im Grunde immer schon gesagt habe: Kein Zweck heiligt ein Mittel. Die Mittel müssen vielmehr den Zwecken so angepasst werden, dass beide für sich genommen gerechtfertigt sind. Man rettet nichts und niemanden, wenn man systematisch die Unwahrheit verbreitet, sondern man schädigt die Menschen in ihrer Würde, macht sie dumm und ängstlich und unterwürfig.
Das will ich nicht. Wenn andere das wollen, weil sie sich irgendetwas davon etwas versprechen, dann ist das ihre Sache, aber macht für sie wohl wirklich keinen Sinn, mit mir „befreundet“ zu sein, und wär’s nur auf Facebook.
Es gäbe über manche „Entfreunder“ noch manches zu sagen, etwa über autoritäre „Linke“, die ganz feucht im Höschen werden, wenn der Staat Grundrechte suspendiert und die Polizei patrouilliert und perlustriert, oder über Schwule, die einmal mehr Vorreiter des politischen und kulturellen Konformismus sein möchten, weil sie dem guten Vater Staat seine jahrhundertelange Verfolgung vergeben haben, ihn von der AIDS-Krise her (sofern sie sie überlebten) in bester Erinnerung zu haben scheinen und ihm offenkundig unendlich dankbar dafür sind, ihnen als braven Spießern das reaktionäre Rechtsinstitut der Homo-Ehe geschenkt zu haben. Mit solchen Leuten habe ich mich früher gestritten und werde nicht aufhören, sie politisch und theoretisch zurückzuweisen. Aber hier genug davon.
Es gibt Leute, mit denen kann man nicht reden. Ich bin keiner davon. Viele berufen sich, wenn ihnen die Argumente, sofern sie je welche hatten, ausgehen, darauf, dass sie das und das eben so sähen, wie sie es sehen, und basta. So jemand bin ich nicht. Ich bin oft sehr rücksichtslos, was die Gefühle anderer angeht, die sie mit ihren Überzeugungen verbinden, das stimmt. Ich bedenke oft nicht, dass jemand etwas nicht sagt, weil er es für richtig hält ― und deshalb hören möchte, wenn es falsch ist ―, sondern weil er etwas für richtig halten möchte, und wenn er es dann sagt, nicht hören will, dass es falsch ist, weil er sich dadurch persönlich angegriffen fühlt. Daran arbeite ich. Ein rhetorisches Problem, kein Sachproblem.
Dass ich, wie ich eingangs sagte, enttäuscht bin, menschlich enttäuscht, von denen, die mir explizit oder implizit die Facebook-„Freundschaft“ aufgekündigt haben, ist sicher kein schönes Gefühl. Ich scheine etwas falsch gemacht zu haben, offensichtlich kannte ich die falschen Leute. Das ist unangenehm, zumal ich nicht sicher bin, ob ich die richtigen Leute je kennenlernen werde. Aber Ent-Täuschung heißt ja, dass man einer Täuschung weniger unterliegt. Und das ist gut, wenn auch zuweilen schmerzlich.
Ich mag mich weiterhin bei diesem oder jenem täuschen oder in diesem oder jenem irren, aber wichtiger als angenehme Gefühle, weil man nicht aneckt und gemocht wird, ist mir nun einmal das Streben nach Wahrheit. Nach dem, was ich ehrlicherweise für wahr halten kann, wofür ich Gründen angeben kann, was mir erlaubt, mich selbst als redlichen Menschen zu achten. Wenn andere mich deswegen verachten, zurückweisen, beschimpfen, dann ist das eben so. Ich kann nicht anders, als das Richtig dem Falschen vorziehen zu wollen und ungebrochen zu hoffen, dass andere das eines Tages auch so sehen werden. Und mir dann Recht geben. ― Eine Bitte um Entschuldigung für verweigerten Respekt erwarte ich schon gar nicht mehr …

Sonntag, 27. Dezember 2020

Endsieg über die Pandemie

„Der Endsieg ist nahe!“, verkünden Politik und willfährige Medien und lächeln selig. Sie haben es geschafft, der Pharmaindustrie ein Milliardengeschäft zuzuschanzen, und diese liefert dafür Impfstoffe, von denen man sich ― nicht auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern dessen, was ich „magischen Szientismus“ nenne ― verspricht, dass sie die Pandemie beendet. Hurra! Bald ist die Krise vorüber, und wir sind wieder so frei und glücklich, wie wir vorher waren.
Freilich ist, was man „Corona-Krise“ nennt, gar kein medizinisches, sondern ein politisches Thema. Nicht irgendein Virus hat Menschen gezwungen, das Gesicht zu verhüllen, Abstand zu halten und Begegnungen einzuschränken, nicht irgendein Virus hat Grundrechte eingeschränkt, nicht irgendein Virus hat Geschäfte und Lokale geschlossen, Veranstaltungen abgesagt und auch sämtliche Orte der Bildung und Unterhaltung zugesperrt, nicht ein Virus hat Arbeitslosigkeit und Pleiten befördert und die Staatsschulden in neue Höhen getrieben ― während übrigens zur gleichen Zeit Superreiche noch reicher wurden ―, sondern all das waren politische Entscheidungen. Nicht irgendein Virus hat Hysterie und Panik verbreitet, das waren „die Medien“, die sich zu Handlanger der Politiker machen lassen wollten.
Wenn aber die Krise keine medizinische war und ist, dann kann auch die Lösung der Krise kein medizinischer Vorgang sein, das Impfen, sondern muss ein politischer sein. Und so verhält es sich ja auch wirklich. Aus der Sicht des nichthysterischen, nichtpanischen Menschenverstandes ist diese Impfung (nicht Impfen überhaupt!) keineswegs angeraten.
Viel zu wenig ist über die Wirkung der Impfstoffe bekannt. Die meisten Menschen, die sich impfen lassen wollen ― oder die andere impfen lassen wollen ―, haben ja nicht einmal verstanden, dass die gespritzten Substanzen in ihr Erbgut eingreifen sollen. Das ist etwas völlig anderes als das, was Impfen bisher war. Die Folgen sind nicht absehbar. Es war ja auch keine Zeit, sie langfristig zu untersuchen. In Ruckzuck-Verfahren wurden auf Grund von politischem Druck „Zulassungen“ erteilt, die in der Sache so viel Wert sind wie Gerichtsurteile in Russland: einen Dreck.
In jedem anderen Fall würde jeder halbwegs vernünftige Mensch sagen: Da sind nicht medizinische Interessen ausschlaggebend, sondern politische und ökonomische, das tue ich meinem Körper nicht an. Zumal die Gefahr, sich tatsächlich mit SARS-Cov-2 zu infizieren, gering ist, die meisten Krankheitsverläufe sehr milde sind und das Risiko, an Covid-19 zu sterben, nur bei wenigen besteht.
Es stimmt, es sind in der sogenannten „Corona-Krise“ Menschen gestorben. Auch an den Folgen des Virus. Auch an den Folgen anderer Viren. Auch an anderen Krankheiten. Auch, weil sie durch Angst, Einsamkeit, Maskentragen geschwächt waren. Auch, weil sie von Ärzten und Pflegerinnen nicht behandelt wurden oder falsch. Nun ist es gewiss bedauerlich, dass Menschen sterben, aber so ist das Leben in der Welt nach dem Sündenfall, es endet mit dem Tod. Politik könnte dazu beitragen, dass außermedinzinische Faktoren den Todeszeitpunkt nicht nach vorn verlegen. Sie kann aber auch das Gegenteil bewirken. Etwa im Krieg. Und wurde nicht ein „Krieg gegen das Virus“ ausgerufen?
Es stimmt allerdings auch, dass man den offiziellen Sterbefallzahlen nicht trauen kann. Wenn jeder, der einen positiven PCR-Test hatte (oder in den USA: vielleicht hätte haben können), als „Corona-Toter“ in die Statistik aufgenommen wird, egal, was auch immer die tatsächliche Todesursache war, treibt das die Zahlen nach oben und gibt den Angstmachern und Krisenerzeugern Recht, hat aber mit der medizinischen Realität nichts zu tun.
Aber gerade darum bin ich zuversichtlich, dass die Impfung, dieses „Geschenk des Himmels“ (O-Ton einer ösiländischen Provinzpolitikerin), tatsächlich den „Sieg über die Pandemie“ (O-Ton eines ösiländischen Bundespolitikers) bringen wird. Wiederum hilft die Statistik.
So, wie man bisher Menschen, die an etwas anderem verstorben, aber positiv getest waren, als „Corona-Tote“ gezählt hat, könnte man von heute an einfach Menschen, die geimpft sind, nicht mehr als „an Corona“ Verstorbene zählen. Ich weiß nicht, ob sich die Krisenmacher auch das noch trauen, aber zutrauen würde ich es ihnen.
Nein, das ist vorauseilend kritisch gedacht. Misstrauen gegen die Obrigkeit. Verschwörungstheorie. Irgendwie extrem. Pfui gack.
Der Endsieg ist nahe. Wer’s nicht glaubt, ist ein Defätist, und wer nicht geimpft werden will, ein Deserteur. Und sollte entsprechend behandelt werden. Eine Impflicht ist nicht vorgesehen, heißt es. Noch. Aber Wegsperren in der Psychiatrie war schon mal vorgeschlagen. Eine gute Möglichkeit wären auch Berufsverbote und Öffentlichkeitsverbote für Ungeimpfte. Wer zum Endsieg nichts beiträgt, darf auch nicht davon profitieren, dass alle anderen gehorsam und tapfer sind bis zum Tod.

Samstag, 26. Dezember 2020

Harte Maßnahmen um der Menschlichkeit willen

Sie bitten und betteln seit Wochen, seit Monaten ― die österreichische Bischofskonferenz, der Kardinal und Erzbischof von Wien, weitere Diözesanbischöfe und auch Vertreter der protestantischen „Kirchen“: Liebe österreichische Regierung, sei doch gut, lass Flüchtlinge ins Land und trag damit dazu bei die unmenschlichen Bedingungen in den Lagern zu beenden.
Die Regierung hält sich die Ohren zu.
Die Kirchenleute seufze gottergeben und bitten halt weiter. Was sollen sie denn sonst machen?
Als ob das so schwer wäre. Zeichen setzen! Ein Interdikt muss her! Bis diese Regierung nicht Menschlichkeit beweist und Flüchtlinge ins Land lässt, betritt keines ihrer Mitglieder mehr eine Kirche. Ausschluss vom Gottesdienst, vom Empfang der Sakramente, Verweigerung kirchlicher Begräbnisse. Hilft das nichts, dann Ausweitung auf sämtliche Parlamentsabgeordnete. Dann auf die führenden und dann auf sämtliche Mitglieder der Parteien der Regierungskoalition. Bis sie nachgeben. Und wenn es Jahre dauert.
Kurzum, wenn es Österreichs Bischöfen ernst ist in der Flüchtlingsfrage und sie mit bloßen Worten nichts erreichen, müssen sie zum Mittel des Interdikts greifen. Und wenn der Staat Gegenmaßnahmen ergreift? Sei’s drum. Dann eben wieder „Kirchenkampf“, wie unter den Nazis.
Alles lässt sich ertragen, nur nicht die Heuchelei und das bloße Lippenbekenntnis.

Freitag, 25. Dezember 2020

Keine Weihnachtsbotschaft

Weihnachten 2020: Kirchenleute reden von Hoffnung vor fast leeren Kirchen. Die diesmal ausnahmsweise nicht leer sind, weil keiner hätte kommen wollen, sondern weil man so viele ausschloss (um staatliche Vorgaben zu befolgen).
Wie soll man das nennen, wenn nicht Heuchelei?
Glaubten diese Leute, was sie sagen, hätten sie selbst wirklich Vertrauen auf Gott, dann würden sie nicht zulassen, dass der Staat darüber bestimmt, wie viele Menschen zu Gottesdiensten kommen und was sie dort tun dürfen oder lassen müssen (das Singen zum Beispiel). Dann nähmen sie, um in würdiger Form Gott Lob und Dank sagen zu können, alle möglichen Folgen in Kauf: auch Verfolgung durch die weltliche Gewalt bis hin zum Tod. Lieber das Leben verlieren, als Gott an den Staat verraten.
„Amen, das sage ich euch: Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort! ― und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.“ (Mt 17,20)
Aber anscheinend ist der Glaube der Kirchenleute kleiner als ein Senfkorn …
Vom Papst abwärts huldigen sie der neue Staatsreligion, die vorschreibt der Göttin Corona jedes Opfer zu bringen: Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit. Nur keine Ansteckungen! Jeder Mensch ist eine Bedrohung jedes anderen Menschen! Schütze dich selbst und andere! Her mit dem neuen Sakrament, der heilbringenden Impfung!
Längst gilt nicht mehr: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29) oder „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ (Mt 16,29) oder gar „Wenn sie Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden; und die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden“ (Mk 16,18).
Doch unverdrossen wird, auf offensichtlich unglaubwürdige Weise ― weil das Tun den Worten widerspricht ―, von Hoffnung gepredigt.
Wenn aber die, die in der Kirche das Sagen haben, nicht mehr glauben, was sie sagen, wozu sind sie, wozu ist ihre Kirche dann noch gut?
„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.“ (Mt 5,13)

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Gedanken zu einem Foto und einer Bildunterschrift

 

Ich denke mir: Es sind dieselben Lemuren (Merkel, kurz usw.), die solches himmelschreiende Unrecht durch ihre Politik aktiv herbeiführen, die auch für die sogenannte „Corona-Krise“ verantwortlich sind, also für Panikmache, Hysterie und Umverteilung (zu den Reichen) rund um eine für sich genommen unspektakuläre Pandemie. Selbstverständlich geht es den angefütterten Mittelschichten besser als den Unterschichten und den ganz und gar Elenden. Aber das ist ja auch die Funktion des relativen Wohlstandes, den man ihnen gewährt, nämlich sich sagen zu können: Uns geht's doch gut im System, seien wir also brav und machen wir, wie es uns gesagt wird. Wer auf Elendsbilder so reagiert, dass er sich sagt, ich kann mich im Vergleich gar nicht beschweren, was ist schon das bisschen Unrecht, das mir widerfährt gegen das Riesenunrecht in der Welt, ist schon voll darauf hereingefallen und hält schon mal affektiv (und dann wahrscheinlich auch praktisch) das ungerechte, menschenunwürdige System am Laufen.

Montag, 14. Dezember 2020

Konsumismus ohne Waren

Der mit dohendem Unterton vorgebrachte Vorschlag des deutschen Wirtschaftsministers, die Leute mögen doch vor dem mehrwöchigen allgemeinen Ladenschluss nur ja keine Weihnachtseinkäufe mehr machen, sondern besser Gutscheine verschenken, ist zukunftsweisend.
Bisher standen Unternehmen ja immer vor der Schwierigkeit, dass sie, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, irgendwelches Zeug produzieren lassen mussten, das die Leute haben wollen sollten, nicht weil sie es brauchten, sondern weil sich irgendein Glücksversprechen damit verband: Wenn ich mir das Ding kaufe, dann wird endlich alles gut. Oder zumindest besser.
So sehr nun aber die Firmen auch bei den Herstellungskosten (insbesondere den Löhnen) des diversen Krams sparten, ein bisschen was mussten sie ja doch aufwenden, um den sogenannten Verbraucherinnen und Verbrauchern etwas andrehen zu können. Da ist der Handel bloß mit Gutscheinen ein Schritt nach vorn. (Virtuell kostet so ein Gutschein fast gar nichts.)
Statt sinnlose Dinge die Möglichkeit des Glücks verheißen zu lassen, wird man künftig die bloße Möglichkeit des Dings, das möglicherweise Glück verspricht, für gutes Geld verhökern. Der Gutschein als Versprechen auf ein Versprechen ― genial. Einlösbar nach den Regeln des Kleingedruckten.
Galt bisher das Verschenken von Gutscheinen als armselig, peinlich, unpersönlich, nur eine Stufe über dem Verschenken von Bargeld, so muss sich das in Zukunft ändern. Ein neue Konsumkultur muss her. Der Kapitalismus verjüngt sich. Bleib zu Hause und gib dein Geld von dort aus, ist sein neues Motto. Konsumiere möglichst ohne Waren. Das ist auch noch umweltfreundlich. (Der nächste Schritt wäre dann übrigens, Lohnarbeit gleich mit Gutscheinen zu bezahlen. Ich wüsste dafür auch schon einen Namen: Geld. Das dann aber noch viel mehr Kleingedrucktes haben müsste: Einlösbar nur usw.)

Freitag, 4. Dezember 2020

Luxusproblem „Rassismus“

Die bundesdeutsche Verfassung mit dem dauerprovisorischen Namen „Grundgesetz“ ist ein Text, auf den man sich von allen Seiten her gern beruft. Die „Werte des Grundgesetzes“ sind ein politpolemischer Dauerbrenner, den man jedem um die Ohren hauen kann, dessen Ansichten einem nicht gefallen. Der Wortlaut des Gesetztes freilich ist nie von Dauer gewesen, sondern wurde an zahlreichen Stellen zigmal umgeschrieben. Was das mit den „Werten“ macht, wird freilich nie erörtert.
Ein gutes Beispiel ist der Grundrechtsartikel 16, dessen zweiter Absatz bei Inkraftreten 1949 lautete: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch verfolgte genießen Asylrecht.“ Den zweiten Satz tilgte man 1993 und fügte stattdessen den Artikel 16a ein, wo es im ersten Absatz zwar auch heißt: „Politisch verfolgte genießen Asylrecht“, aber dann folgen vier weitere Absätze, die festlegen, warum eigentlich doch nicht.
Wenn eine Verfassung die an sie Gebundenen darauf verpflichtet, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren, dann ist das viel wert. Wenn man allerdings eine solche Bestimmung einfach aushöhlen kann und ihre Anwendung zum Gegenstand bürokratischen Geschachers macht, was ist dann noch der Wert von Grundrechten überhaupt?
Seit einiger Zeit möchten manche wieder am Grundgesetz herumschreiben. Es geht dabei um den dritten Ansatz von Artikel 3, der da lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Einigen Schlaumeierinnen und Schlaumeiern ist daran vor einiger Zeit aufgefallen, dass es doch so etwas wie „Rasse“ gar nicht gibt ― also ist die Verwendung des Wortes „Rasse“ rassistisch! Das muss dringend geändert werden.
Komisch Logik. Wenn ich sage, niemand dürfe wegen seines Wolpertingerhaftigkeit benachteiligt oder bevorzugt werden, und es gibt gar keinen Wolpertinger, dann wird auch niemand deswegen benachteiligt oder bevorzugt, weil er oder sie oder es ein Wolpertinger ist, die von mir aufgestellte Norm ist somit eingehalten, wie sinnvoll oder unsinnig sie auch sein mag.
Wenn es kein Rassen gibt, wie man immer predigt, dann wird auch niemand wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt, die Grundrechtsnorm ist somit eingehalten und hat niemandem geschadet.
Denn den Nachweis bleiben die Befürworterinnen und Befürworte der Streichung des Wortes „Rasse“ aus dem Grundgesetz erstaunlicherweise schuldig: Dass die bisherige Formulierung irgendwelchen Schaden angerichtet, etwa indem sie Rassismus gefördert hätte. Ach ja, man sieht es richtig vor sich, wie Neonazis johlend das Grundgesetz schwingen, wenn sie „fremdrassige“ Menschen durch deutsche Innenstädten hetzen …
Mit anderen Worten: Dass der Nachweis, dass das Wort „Rasse“ im Grundgesetz je Unheil angerichtet hätte, nicht erbracht wird, ist selbstverständlich ganz und gar nicht erstaunlich, denn das Gegenteil ist der Fall: Nach allem, was bekannt ist, kam niemand je durch das Wörtchen Rasse in Art. 3, Abs. 3 GG zu Schaden.
Die Rasse-Hasserinnen und Rasse-Hasser berufen sich aber auch gar nicht auf eine unrechte Wirksamkeit der Rechtsnorm, sondern bloß darauf, dass „Rasse“ ein falscher Begriff sei. Denn so etwas wie Rassen gebe es im biologischen Sinne gar nicht. Das mag sein, wie es wolle, aber im Grundgesetz steht von biologischer Rasse auch nichts, da steht nur Rasse. Warum muss man damit etwas Biologisches meinen?
Die Änderungswilligen verwenden ja, kommt mir vor, selbst gern die Ausdrücke „schwarz“ und „weiß“, auf Menschen angewandt. Das sind gewiss keine biologischen, sondern soziokulturelle Kategorien. Aber bezeichnen sie als solche nicht genau das, was das Grundgesetz meint, wenn es Benachteiligung und Bevorzugung verbietet: Dass alle Menschen gleich sind, egal, welche „rassischen“ Zuschreibung in soziale und kultureller Hinsicht gemacht werden?
Nein, heißt es von Seiten der Formulierungsgegnerinnen und Gegner kategorisch, „Rasse“ werde im Deutschen (anders als „race“ im Englischen) immer und ausschließlich biologisch verstanden. Da fragt man sich doch: Wer legt das fest? Wer bestimmt, wie etwas verstanden wird und verstanden werden muss? Die Nazis beispielsweise, doch nun wirklich fanatische Biologisten, hoben stets hervor, dass „Rasse“ auch ein geistiger Begriff sei. Und wenn es darum ging, wer Jude ist und wer nicht, verließen sie sich nicht etwa auf körperliche Merkmale, sondern auf Ausweispapiere, Gemeindelisten und Grabsteine.
Zurück zur Gegenwart. Selbst wenn es so wäre ― das könnte man übrigens statistisch untersuchen ―, dass „Rasse“ oft, überwiegend oder fast immer als Biologisches verstanden würde, wer sagt, dass es so sein und so bleiben muss? Man sehe sich die Reihe der anderen Begriffe an: Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse und politische Überzeugung. Nichts darunter, was notwendigerweise biologisch interpretiert werden muss ― man dächte denn bei Geschlecht nur an sexus und nicht auch an genus ―, ganz im Gegenteil, es sind lauter Begriffe, die sozialer Konstruktion unterliegen: Wie grenzt man eine Sprache von einer anderen ab? Bestimmt das sex das gender oder umgekehrt? Wer kommt von wo und stammt von wem ab? Was, wenn man zum Beispiel Kind eines Portugiesen und einer Finnin ist, in Kapstadt geboren und in Yokohama aufgewachsen? Kommt sicher eher selten vor, aber das Grundgesetz sagt: Egal, die Person darf sowieso nicht deswegen benachteiligt werden; also können es durchaus weiche Begriffe sein, bei denen jede vernünftige Deutung der Intention des Diskriminierungsverbotes entspricht.
Aber nein, sagen die, die das unerträgliche Unwort endlich aus der Verfassungsbestimmung raushaben wollen, „Rasse“ kann man nur so verstehen, wie wir sagen, dass sie immer und überall verstanden wird: streng biologisch. Spätestens jetzt sollte man die Frage stellen dürfen, wer eigentlich gewisse Leute zu Expertinnen und Experten in Sachen Rassismus, Ideengeschichte und Linguistik gemacht hat. Ist ihr überlegenes Wissen etwa angeboren? Gar genetisch verankert? Nein, natürlich nicht, wird es vermutlich heißen, sondern es handelt sich um „von Rassismus Betroffene“ (und deren Mitläuferinnen und Mitläufer).
Vielleicht ist da die mit aller gebotenen Vorsicht zu stellende Folgefrage erlaubt: Heißt von einer Sache betroffen zu sein, immer auch, diese Sache zu verstehen? Und zwar umfassend, durchdringend und zweifelsfrei, sogar in wissenschaftlich überprüfbarer Weise? Wer Krebs hat, wird dadurch nicht zum Onkologen, wer einen Verkehrsunfall hatte, nicht zum Verkehrsexperten und Unfallchirurgen, und wer wegen seines Aussehens oder der Deutung seines Reisepasses diskriminiert wurde, weiß darum noch lange nicht alles, was es über Rassismus zu wissen gibt.
Von „Rassismus betroffen“ (gewesen) zu sein, ist gewiss eine je nachdem mehr oder minder üble Sache und verdient durchaus Anteilnahme und respektvollen Umgang (wie das Wohl und Wehe jedes Menschen), es begründet für sich allein allerdings noch kein anderes Spezialwissen als das über die eigene Erfahrung und vielleicht ähnliche Erfahrungen, von den man erzählt bekommen hat oder die man beobachtet zu haben meint. Persönliche Erfahrung kann den Anlass und Antrieb bilden, sich Sachwissen zu verschaffen, aber sie ersetzt es nicht. Wie nicht nur die Lebenserfahrung, sondern auch wissenschaftliche Studien lehren, kann persönliche Erfahrung sogar die Realitätswahrnehmung verzerren und falsche Deutungen begünstigen.
Das heißt im Umkehrschluss selbstverständlich nicht, wer sich als „von Rassismus betroffene“ Person versteht, könne kein soziologisches, psychologisches, historisches oder philosophisches Wissen haben. Es geht schlicht darum, dass die Untersuchung dessen, was Rassimus ist und was rassistische Praxis bewirkt, unabhängig davon stattfinden muss, ob der oder die Untersuchende nun „weiß“, „Schwarz“ oder sonstwie zugeschriebermaßen und selbstverständnismäßigerweise gefärbt ist.
Benachteiligung oder Bevorzugung auf Grund der Zuordnung zu einer „Rasse“ ist eine ernste und sehr hässliche Sache. Das Thema sollte nicht für Symbolpolitik und symbolische Kapitalakkumulation missbraucht werden, nach dem Motto: Ich habe ein antirassistische Anliegen, und wer es nicht unterstützt, ist ein Rassist. Das ist pseudomoralische Erpressung und keine Argument.
Warum aber will ich Argumente und fühle mich unwohl, wenn ich eine „antirassistische“ Agenda zu bemerken meine, die de facto an Rassismen nichts ändert? Ich bin kein Bürger der BRD, mir kann es herzlich egal sein, was in deren Verfassung steht. Nicht egal ist mir aber, welche politischen Debatten geführt werden und wie. Mich interessiert sehr wohl, ob in einer reichen und mächtigen Gesellschaft Scheindebatten über eine völlig belanglose Wortwahl stattfinden. Oder ob, möglich wäre es doch, der strukturelle Rassismus der herrschenden Weltwirtschaftsordnung thematisiert wird, der sich die allermeisten Bürger und Bürgerinnen der BRD in kollektiver Komplizenschaft verbunden fühlen.
Zweifellos kann man, wenn „der Gesetzgeber“ es denn will, in der Verfassung ein Wort streichen oder ersetzen. Ob damit irgendetwas gewonnen ist (außer eine symbolpolitische Mehrwertabschöpfung), ist eine andere Frage. Dass damit nichts daran geändert ist, dass man ein System forciert, das auch und gerade in globalem Maßstab einige wenige Reiche immer reicher werden lässt und viel zu viele Arme der Ausbeutung und den Folgen von Umweltzerstörung und Ressourcenkriegen unterwirft und sie in jeder Hinsicht unwürdigen Verhältnissen zu leben zwingt, scheint mir offensichtlich. Das Missverhältnis zwischen reichen und armen Teilgesellschaften und Gesellschaftsteilen der Weltgesellschaft ist aber immer auch „rassisch“ markiert („diesen Leuten dort unten darf es schlecht gehen, damit es unseren Leuten hier oben gut geht“). Ob es nicht recht und billig und ethisch geboten wäre, daran etwas zu ändern, ist allerdings eine Frage, die beim Herumformulieren an Art. 3 GG anscheinend niemand stellen will.

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Glosse LXXVI

Waterdrinkers schriftstellerische Laufbahn ist nicht nur vom Kampf gegen das Etablissement geprägt, sondern auch von politischen Querelen.
 
Ach du liebe Zeit! Um welchen Puff handelt es sich denn?
 

Sein Geburtstag

Heute wäre sein Geburtstag. Sein siebenundfünfzigster, wenn ich mich richtig erinnere. Aber er ist ja schon zweiunddreißig Jahre tot. Schwerer, selbstverschuldeter Autounfall, ein paar Tage im Koma, dann Exitus. Wir alle, seine Freunde und Studienkollegen, waren damals schwer getroffen. Nach dem Begräbnis saßen wir im Kaffeehaus und redeten. Noch wochenlang redeten wir, um das Unfassbare zu fassen. Immer wieder fielen dabei Sätze wie: „Er ist nicht tot, solange wir an ihn denken. In unseren Erinnerungen lebt er weiter.“ Und ich weiß noch, ich dachte mir: „Scheiße, das ist nicht genug.“
Nein, das war überhaupt nicht genug. Bei weitem nicht. Ich war in ihn verliebt gewesen. Sehr sogar. Selbstverständlich hatte ich ihm nichts davon gesagt. Das hätte ich nicht über mich gebracht. Und niemand hätte etwas davon gehabt, er hatte ja eine Freundin, stand nicht auf Männer. Ich hatte mich also damit begnügt, ihn heimlich anzuhimmeln und mich zu freuen, wenn wir miteinander Zeit verbrachten, etwa nebeneinander im Hörsaal saßen oder im Kaffeehaus diskutierten oder mit anderen aufs Land fuhren.
Sein Tod traf mich bis ins Mark. Zum ersten Mal starb ein Mensch, den ich geliebt hatte. Nicht wie man als Kind seine Oma liebt, die dann stirbt und die man sehr vermisst. Sondern er starb, und durch die Welt ging ein Riss, durch mich ging ein Riss. Es war fast unerträglich. Wie sollte ich danach weiterleben?
Und dann eben dieser falsche Trost, den die anderen sich und einander zusprachen. „In unseren Erinnerungen lebt er weiter. Er ist nicht tot, solange wir an ihn denken.“ Auch das war unerträglich. Soll das heißen, wenn wir uns nicht mehr erinnern, wenn keiner mehr an ihn denkt, gibt es ihn nicht mehr? Was ist das für ein ausgedachtes Weiterleben, das von so etwas unsicherem und vergänglichen wie Erinnerung abhängt?
Mir war das nicht genug. Nicht einmal ansatzweise. Ich begriff, dass ich mehr brauchte, viel mehr. Ich begriff, dass ich, wie schwach mein Glaube auch ansonsten sein mochte, an ein Leben nach dem Tode glauben musste, dass es also Gott geben musste, damit es ein solches wirkliches Weiterleben geben konnte. Selber weiterzuexistieren, und zu glauben, er existiert nicht mehr, das war inakzeptabel. Es war etwas, das ich, ich in jeder Hinsicht meiner Existenz, ablehnte: physisch, psychisch und intellektuell. Ich begriff, dass ich nicht anders konnte, als an Gott und die Unsterblichkeit der Seele zu glauben,
Ich konnte nicht anders, das heißt nicht: Ich musste mir etwas einreden, um das Unerträgliche auszuhalten. Ich studierte ja Philosophie und Theologie, und war mir selbst und allen „Wahrheiten“ gegenüber kritisch genug, denke ich, um es zu durchschauen, wenn ich mir bloß irgendwas zurechtgelegt hätte, irgendeinen billigen Realitätsersatz.
Nein, die Notwendigkeit des Daseins Gottes und des Lebens nach dem Tode war keine Idee, sondern eine existenzielle Erfahrung. Keine, die jemand anderer auch machen muss, aber eine, die jeder machen könnte, der liebt. Jemande zu lieben heißt doch, das Dasein des anderen ganz und gar zu bejahen, unbedingt zu wollen, dass es ihn gibt. Dass es ihn angeblich nicht mehr gäbe, ist nicht hinnehmbar. Wahre Liebe will Ewigkeit. Der Tod kann nicht das letzte Wort sein. Billiger Trost kann nicht das letzte Wort sein. Irgendwelche komischen Ideen von Weiterleben in der erinnerung oder Rückkehr in eine Weltseele und Wiedergeburt als Wasweißich können nicht das letzte Wort sein.
Das letzte Wort muss sein: Er lebt. Das glaube ich. Ich weiß nicht genau, was das heißt. Es gibt dazu Lehren, und ich habe keine Einwände gegen sie. Himmel, Fegefeuer, Hölle, das klingt doch recht plausibel. Jedenfalls für mich. Jeder bekommt, was er sich mit seinem Tun und Lassen aussucht: das Gute, das Ungute und dazwischen die Möglichkeit der Läuterung. Wie auch immer. Entscheidend ist: Es gibt ihn, es gibt ihn immer noch, er lebt, auch wenn er gestorben ist. Das ist wichtiger, als dass es mich gibt. Ich liebe ihn immer noch. Ohne ihn wäre alles völlig sinnlos. Er lebt. Und darum schreibe ich das hier an seinem Geburtstag und nicht an seinem Todestag. Um sein Leben zu feiern, das ich ein paar Monate lang ein bisschen begleiten durfte, was ich mein Leben lang nicht vergessen werde, weil es mich glücklich machte. Ihm begegnet zu sein, ihn gekannt, ihn geliebt zu haben, war ein Geschenk. Wie also sollte ich nicht auf jenes andere Geschenk hoffen: ihn wiederzusehen.