Wenn
einer verkündet, er sei jetzt ein Baum oder eine Telefonzelle, dann
muss ich ihm nicht unbedingt widersprechen, aber glauben muss ich ihm
auch nicht. Schon gar nicht muss ich „seine Entscheidung respektieren“.
Dabei geht’s gar nicht in erster Linie um das Konstrukt „Natur“, sondern
darum, dass die Vorstellung, jeder müsse die Kategorien, denen andere
ihn zuordnen müssen, selbst bestimmen dürfen, bescheuert ist. So
funktioniert Gesellschaft nicht. So funktioniert Realität nicht. Wenn X
sagt, er sei in Wirklichkeit Y, dann mag das für ihn gelten, aber es
verpflichtet mich nicht dazu, seine Überzeugung, wie ausgeprägt auch
immer sie sich geben mag, zu teilen. Es ist ja auch absurd: Wieso sollte
er ein unbedingtes Recht (zur Kategorienauswahl) und ich nur eine
unbedingte Pflicht (zur Anerkennung seiner Wahl) haben? Habe ich nicht
selbst auch ein Recht auf Wahrnehmung von Wirklichem und Feststellung
von Wahrem? Sogar dann, wenn der zur Rede stehende Gegenstand etwas
Subjektives ist? Und zumal wenn dieses als etwas Objektives behauptet
wird? Gewiss ist es höflich und rücksichtsvoll, anderer Leute
Lebensführung irgendwie hinzunehmen, sofern sie einen nicht betrifft.
Daraus folgt aber nun wirklich keine Verpflichtung, alles, was jemand
haben oder sein will, als legitimen Anspruch unterstützen zu müssen.
Weder praktisch noch theoretisch. Wenn es einen Vorteil
konstruktivistischer Analyse gibt, dann doch den, dass gewisse
Unbedingtheiten in Frage gestellt werden können. Diskursiv
hervorgebrachte Wahrheit ergibt nachweislich nur im gesellschaftlichen
Kontext Sinn. Gerade darum sollte man nicht denselben Fehler wie die
Verächter des Sozialkonstruktivismus machen, und aus der faktischen
Konstruiertheit holterdipolter zur beliebig ausgestaltbaren
Konstruierbarkeit übergehen. Ausgerechnet aus der gesellschaftlichen
Bestimmtheit des Seins den unzulässigen Schluss zu ziehen, man könne
jederzeit sein, was man wolle, und jeder müsse einem das bestätigen, ist
essenzialistischer Infantilismus. Den lasse ich mir nicht aufnötigen,
von keinem Baum und von keiner Telefonzelle.
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