Sonntag, 21. September 2025

Mehr Kapitalismus wagen (wie immer)

„Rufe nach Lohnzurückhaltung werden lauter: Retten wir damit unsere Industrie?“ Fragt eine österreichische Tageszeitung. Und leider muss die Antwort lauten: Nein, selbstverständlich nicht. Es muss nämlich noch viel weiter gehen. Arbeitnehmer und Innen müssen endlich gratis arbeiten. Oder noch besser: Dafür zahlen, dass sie einen Arbeitsplatz haben dürfen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Plan der sozialen Marktwirtschaft ― die Reichen müssen reicher werden ― erfüllt und übererfüllt wird.
Inflation, Schminflation. Alles wird teurer? Ja, aber Kaviar und Jachten doch auch. Eben. Man kann doch nicht dauernd die Löhne erhöhen, bloß weil man dauernd die Preise erhöht.
Die Industrie muss gerettet werden. Auch wenn ihre Arbeitsweise die Umwelt ruiniert und ihre Produktion in lauter sinnlosen Waren besteht. Gerade dann. Wir brauchen mehr Autos und Maschinen für den Autobau, mehr elektronisches Spielzeug (mit dem erwünschen Nebeneffekt der Überwachung) und mehr Wegwerfkram. Das Heil liegt im Konsumieren.
Wer das nicht einsieht, ist ein linker Spinner. Wir haben die Erde von unseren Enkeln nur geliehen, die müssen also selbst sehen, wo sie bleiben, die einen kriegen ja eh Vermögen vererbt und die anderen nur Altlasten.
Umverteilung ist pfui gack. Leistung darf sich lediglich dann lohnen, wenn damit eigentlich rücksichtslose Ausbeutung gemeint ist. Mehr Geld für gleiche Arbeit? Das wäre ungerecht. Mehr Geld für dieselben Waren? Das ist der Lauf der Dinge, das freie Spiel von gesteuerter Nachfrage und überteuertem Angebot.
Also: Nicht so gierig sein, sondern sich bescheiden zurückhalten, ihr Gewerkschafter und Innen! Wir müssen die Industrie retten. Arbeitsplätze retten. Profite retten. Wir müssen auf das Klima scheißen und hohen Energieverbrauch belohnen. Nur wenn es den Ausbeutern gut geht, geht es allen gut. Oder den meisten. Oder einigen. Oder wenigen. Eigentlich nur den Ausbeutern. Das müssen doch alle einsehen. Qualitätsjournalismus hilft dabei.
 
Nachtrag. Inzwischen haben Verhandlungen stattgefunden und Verträge sind geschlossen worden. Das gute alte Wort „Arbeiterverräter“ kommt einem in den Sinn, wenn man erfährt, wie eilig es die angeblichen Arbeitnehmervertreter hatten, den Arbeitgebervertretern zu willfahren und Lohnerhöhungen unter dem Inflationsausgleich zuzustimmen. Wer von solch dreisten Gewerkschaftlern vertreten wird, darf also nicht nur wie alle die von den Unternehmen festgelegten höheren Preise zahlen, er muss auch noch für de facto weniger Geld arbeiten. So geht Sozialpartnerschaft.

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