Dienstag, 20. November 2012

„Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen“

Zu Tausenden, Zehntausenden, Hunderttausenden haben sie am letzten Wochenende in Frankreich gegen den mariage pour tous demonstriert, gegen die von der Regierung vorgesehene Ausdehnung ehelicher Rechte, einschließlich des Rechtes auf Adoption, auf verschiedene Formen paarweisen Zusammenlebens, darunter auch gleichgeschlechtliche. Ich finde solche Demonstrationen gut, denn damit bekommt der Widerstand gegen die gesellschaftliche Integration homosexueller Lebensweisen wenigstens ein Gesicht. (Und es waren viele nette Gesichter darunter. nämlich die von mitgebrachten Kindern, die allerdings wohl nur schwerlich hätten beurteilen können, wogegen oder wofür ihre Erziehungsberechtigten sie da demonstrieren ließen.) Immerhin sind zwar Umfragen zu Folge 52 Prozent der Französinnen und Franzosen für den mariage pour tous, aber das heißt ja, dass 48 Prozent es nicht sind, und das ist ja auch fast die Hälfte.
Es waren, wie man hört, keine Demonstrationen ausschließlich von Katholikinnen und Katholiken, aber diese dürften die treibende Kraft hinter der Kampagne sein. Und auch das ist völlig in Ordnung. Immerhin sind Katholiken bekanntlich Menschen mit in sexualmoralischer Hinsicht vorbildlicher Lebensführung. Katholiken befriedigen sich nicht selbst, sie haben keinen Geschlechtsverkehr vor oder außerhalb der Ehe, aber auch in der Ehe verüben sie den Beischlaf nur, wenn dabei ein Kind gezeugt werden kann, sie verwenden keine Verhütungsmittel und treiben selbstverständlich nicht ab. Katholische Familien, das weiß man doch, sind Horte des Friedens und der Harmonie. In ihnen wird niemals psychische oder physische Gewalt gegen Kinder ausgeübt, auch die Erwachsenen gehen immer respektvoll und fürsorglich miteinander um, es gibt weder Streit noch Unterdrückung. Niemand geht aus solchen Familien mit Traumata und Störungen hervor. Darum sind Katholikinnen und Katholiken — die im Übrigen ja auch weder lügen noch stehlen noch morden — wie niemand sonst berufen, über anderer Leute Lebensweise zu urteilen.
Und das Urteil steht fest, es lautet: Kinder brauchen zwei gegengeschlechtliche Elternteile, also einen Vater und eine Mutter. Sonst, ja sonst, man weiß es nicht, irgendwas läuft dann schief, die Kinder werden drogensüchtig oder Massenmörder oder sowas, irgendetwas Schreckliches passiert dann jedenfalls, das weiß man doch, und man sieht es ja auch überall. Die Gesellschaft zerfällt, die Kleinfamilie, Ideal aller Ideale, zerbröckelt, und schuld ist nicht etwa der Kapitalismus, der die Lebensweisen, die er hervorgebracht hat, auch wieder auflöst, sondern schuld sind die, die nicht als Mama-Papa-Kind zusammenleben wollen oder können. Das kann nicht gut gehen.
Folgerichtig wären (auch wenn dies nicht Thema der jüngsten Demonstrationen war) den aus welchen Gründen auch immer alleinerziehenden Müttern oder Vätern entweder die Kinder wegzunehmen oder zwangsweise ein Ehemann bzw. eine Ehefrau beizugesellen. Dasselbe gilt für lesbische und schwule Paare, die jetzt schon, auch ohne Trauschein und rechtliche Absicherung, gemeinsam Kinder großziehen. Oder auch für Paare von Mütter und Großmütter, Väter und Großväter, denn auch wenn die keinen Sex miteinander haben, fehlt ihnen doch ein Geschlecht. Wie mit Heimkindern und Kindern in SOS-Kinderdörfern zu verfahren ist, ist noch unklar, das aber aus denen nichts werden kann, steht fest.
Denn das sind nun einmal die Tatsachen: Wer mit Vater und Mutter aufwächst, wird ein guter Mensch, wem ein Geschlechtsteil fehlt, nein, äh, so rum: wem ein Elternteil eines bestimmten Geschlechtes fehlt (etwa weil er oder sie ein Elternteil mit schon vorhandenem Geschlecht zu viel hat), wird zwangsläufig ein Taugenichts.
Und Taugenichtse will man nicht. Darum steht auf den bei dem Demonstrationen mitgeführten Transparenten auch eine deutliche Botschaft: „La France a besoin des enfant, pas des homosexuels.“ (Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen.) Das stellt klar: Kinder sind nicht homosexuell und sie werden es auch nicht, wenn sie in einer Kleinfamilie nach katholischem Zuschnitt aufwachsen. Wo diese ganze Homosexualität herkommt, man weiß es nicht. Wahrscheinlich kommt’s vom Fernsehen und den Computerspielen. Oder, klassisch, von Pornographie und Verführung. Und vor allem natürlich daher, dass es in Kindheit und Jugend an der starken Hand des Vaters oder der zarten, aber nicht zu zarten Hand der Mutter gefehlt hat. Dem muss Einhalt geboten werden. Von Natur aus ist jeder Mensch heterosexuell, wer es nicht ist, bei dem läuft was falsch.
Noch gibt es meines Wissens, keine Vorschläge, was mit den Homosexuellen, die Frankreich so ganz und gar nicht braucht, zu tun ist. Arbeitslager? Umsiedlung nach Madagaskar? Vergasung? Irgendwas wird sich schon finden. Vielleicht sogar Toleranz. Sollen die doch untereinander machen, was sie wollen, aber unsere Kinder kriegen die nicht. Und auch nicht ihre eigenen. Die Kinder gehören Frankreich, und das macht mit ihnen, was es will. Anständige Heterosexuelle sollen sie sein, brav arbeiten und konsumieren und weitere brav arbeitende und konsumierende Heterosexuelle zeugen, Generation um Generation.
Ja, es ist gut und richtig, dass die Gegnerschaft gegen den mariage pour tous ein Gesicht, also viele Gesichter bekommt. Es sind die von aufgesetzter Fröhlichkeit und ehrlicher Sorge gezeichneten Gesichter verzweifelter Heterosexueller, die Angst haben, ihre auf verdrängten und unterdrückten Möglichkeiten, also auf unbewusster psychischer Kastration beruhende Normalität sei plötzlich nichts mehr wert. Wozu all die lebenslange Selbstgerechtigkeit und all die aufwändige Heuchelei, wenn dann irgendwelche Taugenichtse daherkommen und mir nichts, dir nichts dieselben Ideale haben und dieselben Rechte fordern, wie man selbst!
Denn das ist ja die große Pointe an dem Gerangel um Eheöffnung und Homo-Ehe und mariage à tous und wie das alles heißt: Die Lesbenundschwulen, die unbedingt heiraten und über Kinder verfügen wollen, repräsentieren dieselben bürgerlichen Wunschvorstellungen wie ihre Gegner. Der Unterschied ist ein ganz kleines bisschen Traditionalismus, mehr nicht. Aber auch derlei soll sich zeigen dürfen. Je mehr Bilder es davon gibt, desto besser sogar. Denn die Kinder, die heute von ihren Eltern gegen die Homosexuellen ausgespielt und zu Demonstrationen mitgeschleppt werden, werden, wenn sie erwachsen sind, darüber lachen, so oder so, sei es, weil sie sich gern an das Spielen mit den rosafarben und himmelblauen Luftballons erinnern, sei es, weil sie die Borniertheit ihrer Eltern nur noch lächerlich finden können. Und dann werden sie sich anderen Problemen zuwenden.

8 Kommentare:

  1. Das Beruhigende an Frankreich ist, dass es von Zeit zu Zeit auch mit der römisch-katholischen Kirche macht was es will.

    Über "Lesbenundschwulen" reden wir gelegentlich noch.)

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    1. Meinen Sie zum Beispiel das Zeitalter des Massenmordes und der Kulturvernichtung, genannt Französische Revolution? Wenn derlei Sie beruhigt, müssen Sie ja beim Kulturkampf Bismarcks, beim Kirchenkampf Hitlers und bei den Atheismusorgien Stalins, Maos, Pol Pots usw. geradezu einschlafen.

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  2. Nein, dass meinte ich nicht. Sie wissen doch, dass ich ein ganz schlichtes Gemüt bin (und habe). Ich freue mich nur jedesmal, wenn ich auf fantastischen C-C-Orgeln spielen darf, dass diese Instrumente dem französischen Staat gehören und in Kirchen stehen, die ebenfalls dem französichen Staat gehören und ich deshalb nicht die hohe Pfarrgeistlichkeit um Genehmigung ersuchen muss, um meiner Leidenschaft zu fröhnen. Nebenbei finde ich, dass das Loi relative à la séparation des Eglises et de l’Etat eines der besten Gesetze der europäischen Rechtsgeschichte ist.

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    1. Pas du tout! Einmal mehr sind wir grundverschiedener Meinung. Der Laizismus ist das Einfallstor des Faschismus und anderer Totalitarismen, denn die "Trennung" von Religion und Staat meint in Wahrheit ja nichts anderes als die Überordnung von diesem über jene. Davon kommt nur Unheil.

      Was übrigens spielen Sie auf den geraubten Orgeln? Doch nicht etwa Bach, Gounod, Bruckner oder Pärt ... Gibt es denn genug laizistisch-atheistische Orgelliteratur für Sie?

      Sie merken: Ich weiß im Grunde gar nichts über Sie, und an ein schlichtes Gemüt hätte ich sicher zuletzt gedacht.

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    2. Es geht mir wie Ihnen, ich weiß kaum etwas über Sie. Deshalb vermag ich nicht zu beurteilen, ob wir grundverschiedener Meinung sind. Vielleicht sind nur die Standpunkte und damit die Sichtweisen, mit denen wir uns einem Thema nähern, unterschiedlich. Das zu klären, wird hier in der Kommentarspalte aber kaum gelingen.

      Geraubte Orgeln? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wer soll sie denn geraubt haben?

      Ich spiele, unterstellt, die Frage war ernstgemeint, vorzugsweise Werke von den Komponisten der französischen Orgelromantik: Franck, Vierne (beide), Dupré, Guilmant, Saint-Saens und Boellmann(sehen Sie es mir nach, die Tastatur meines Netbooks erlaubt nicht, die Namen richtig zu schreiben), Lefébure-Wély, ... und, allen voran, Charles-Marie Widor.

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    3. Wenn jemand jemand anderem etwas mit Gewalt wegnimmt und dann behauptet, es gehöre von nun an ihm, nennt man das wohl Raub, oder? Wenn die französischen Kirchengebäude mitsamt den darin befindlichen Orgeln durch ein "Gesetz" nicht mehr ihrer rechtmäßigen Eigentümerin, der Kirche, sondern dem Staat "gehören", ist das dann etwa kein Raub, bloß weil der Staat sich anmaßt, mittels Gewalt Recht zu setzen? Ich sage ja: Laizismus ist der direkte Weg in den Totalitarismus. Was die frz. Antiklerikalen 1905 begannen, setzten Bolschewisten und Nazis fort. (Geschichte ist oft drastisch ...)

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    4. Ja, Sie haben Recht, Geschichte ist oft drastisch. Und sie wird oft drastisch falsch verstanden.

      Vielleicht könnte die Kirche ja einmal darlegen, dass sie das Eigentum an dem, was da geraubt worden sein soll, rechtmäßig erworben hat. Also ohne Betrug, ohne Täuschung, ohne Erpressung, ohne extralegale Abgabenerhebung, ohne Vorspiegelung falscher Tatsachen, ohne Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen, ohne Ausnutzung der Unwissenheit anderer, ohne Versprechungen, die zu halten sie gar nicht in der Lage ist.

      Nein, es ist wohl eher so, dass der Kirche etwas weggenommen wurde, das sie selbst nur geraubt hatte. Dem beraubten Räuber steht es aber nicht zu, den neuerlichen Raub zu beklagen.

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    5. Füt gewöhnlich ist es ja wohl der Kläger, der seine Vorwürfe beweisen, nicht der Beschuldigte, der seine Unschuld nachweisen muss ... Ihr Kirchenbild scheint mir doch arg ideologisch verzerrt. Betrug, Täuschung, Extralegalität usw.? Da muss ich etwas verpasst haben. Ausgerechnet die Kirche, die größte Bildungsinstitution in der abendländischen Geschichte der Ausnutzung der Unwissenheit zu zeihen, ist schon eine dreiste Verdrehung der Tatsachen. Und was die unhaltbaren Versprechungen betrifft, so wäre ich an einem Beweis, dass es derlei gibt, sehr interessiert. Wenn Sie damit beispielsweise die Verheißung ewigen Lebens meinen, sprechen wir uns besser wieder, wenn wir beide tot sind.

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