Freitag, 30. November 2012
Oscar Wildes 112. Todestag
Aus Anlass der 112. Wiederkehr von Oscar Wildes Todestag erlaube ich mir, auf zwei alte Texte von mir hinzuweisen: Auf den Vortrag „Arbeit, Sklaverei und Kunst bei Friedrich Nietzsche und Oscar Wilde“ und den Zeitungsartikel „So eine Art Anarchist“.
Montag, 26. November 2012
Schwarze, Schwule, Schweinereien
Vermutlich kann nichts einen Schwulen so sehr aufregen wie ein anderer
Schwuler, der auf andere Weise „sein Schwulsein“ lebt als er selbst. Der
Blogger „Steven Milverton“ jedenfalls hat sich sehr aufgeregt
über den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn von der CDU, der dem
„Spiegel“ sein, so Spahn selbst, „erstes und letztes Interview“ zum
Thema seiner sexuellen Orientierung gab. Mit nichts, was Spahn dort
sagt, kann er es Milverton recht machen. „Steven Milverton“ ist Spahns Schwulsein
viel zu anständig und sauber, und darum bringt er die Position des
konservativen Politikers in die polemische Schlagzeile: „Spahn will kein
Ferkel sein.“ Schweinerei!
Im Grunde sagt Jens Spahn in dem Interview allerdings auch nichts anderes als das, was schon vor langer Zeit von Klaus Wowereit und anderen zu hören war, dass man nämlich ein schwuler Politiker sei, aber kein Schwulenpolitiker. Spahn erklärt, sein Schwulsein habe nichts damit zu tun, wie er sich als Politiker definiere. Er mache keine schwule Klientelpolitik, sondern wolle als Gesundheitsexperte die Probleme unserer Zeit lösen. Seine Art zu leben und zu lieben solle keine größere Rolle spielt als seine inhaltliche Arbeit.
Ist daran, für sich genommen, etwas auszusetzen? Muss bei einem homosexuellen Politiker seine sexuelle Orientierung mehr Beachtung finden als bei einem heterosexuellen Politiker? Meiner Meinung nach nicht; ich finde es richtig, Politiker nach ihrer Politik zu beurteilen und nicht nach ihre erotischen Vorlieben. Mir ist das zu amerikanisch. Dieses Herumschnüffeln im Schlafzimmer ist mir zuwider. Mich interessiert ja nicht einmal die Frisur oder das Kostüm der jeweiligen Charge (so kritikwürdig derlei abseits des Politischen sein mag), mich interessiert an den Politikmachern nur, was von ihnen geplant und bewirkt wird.
Ich möchte also gar nicht wissen — schrecklicher Gedanke! —, ob die Merkel lieber oben oder unten liegt beim Sex oder ob der Steinbrück gern Rollenspiele macht. Doch selbst wenn mir diese Menschen sympathischer wären, als sie es sind: Ob langweilig oder versaut, das Liebesleben heterosexueller Politiker geht niemanden etwas an außer den Beteiligten. Darf also nicht auch ein schwuler Politiker, egal von welcher Partei, sein Schwulsein als Privatsache betrachten und bloß nach seinem politischen Agieren beurteilt werden wollen? „Steven Milverton“ findet das nicht. Er befindet vielmehr: Spahn habe seine Schwulsein „wegdefiniert“. Um überhaupt in der CDU sein und bleiben zu können, der „Steven Milverton“, dazu komme ich noch, massive Schwulenfeindlichkeit unterstellt, und um für die CDU um Wähler, auch schwule, werben zu können, müsse Spahn einen Unterschied zwischen guten und schlechten Homosexuellen machen, also zwischen solchen wie Spahn mit wegdefiniertem Schwulsein und solchen wie „Steven Milverton“ selbst (mit einem, wie man annehmen darf, wohldefinierten Schwulsein):
„Mit den dreckigen schwulen Männern, die Schwänze lutschen, die tief und innig küssen, die vielleicht auf Pisse stehen und den Duft von Achseln, Füßen und ungewaschenen Schwänzen geil finden, die Analverkehr haben, aktiv wie passiv, und vielleicht sogar darüber reden, mit denen will Spahn nichts zu tun haben. Mit jemandem wie mir würde Spahn nicht einmal gesehen werden wollen — auch nicht im Darkroom. Spahn träumt davon Kanzler zu werden, ich träume von langen, dicken, spritzenden Männerschwänzen. Das eine verträgt sich nicht mit dem anderen.“
Wirklich nicht? Mir scheint es nicht so gewiss, wie anscheinend „Steven Milverton“, dass sich seine Träume und der Traum, den er Spahn unterstellt, ausschließen. Ich könnte mir, auch wenn ich es nicht möchte, ganz gut vorstellen, dass, zumindest in der Phantasie, sexuelle Aktivität jeglicher Art mit Politik jeglicher Art vereinbar ist. Ich weiß ja aber in Wahrheit gar nicht, wovon Jens Spahn träumt. Ich weiß nicht, ob er darkrooms aufsucht und ob man ihn dort mit jemandem sehen kann. Und ich glaube auch nicht, dass das „Steven Milverton“ oder mich etwas angeht.
Jens Spahn ist, wenn ich es richtig verstehe, ein Vertreter des Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen. (Aufschrei von „Steven Milverton“ — aber dazu, wie gesagt, später.) Er sieht nicht ein, warum er als Schwuler sein Sexualleben öffentlich zelebrieren muss, wenn es doch heterosexuelle Politiker auch nicht tun. Und darin gebe ich ihm Recht. Ich kann der Vorstellung nichts abgewinnen, gute Schwule seien nur solche, die dauernd über Achsel- und Fußschweiß, Schwänze und Ärsche, Küsse und Pisse schwadronieren, während böse Schwule solche sind, die ihre Mitteilungsfreudigkeit den Gegebenheiten anpassen. Ich spreche und schreibe gern über Lüste, aber nicht immer und überall ist das mein vordringlichstes Thema. Zugegeben, zuweilen muss man sich über manches gerade dort äußern, wo es stört. Aber als Schwuler immer nur über Schwules reden zu sollen, ist doch bloß die Forderung nach Erfüllung einer Erwartung. Es mag also sein, dass Spahn kein Ferkel, „Steven Milverton“ hingegen eine, sit venia verbo, Sau sein will. Aber kommt es darauf an, wenn von Politik die Rede ist? Ist Sexualverhalten und das Reden über Intimes das entscheidende Kriterium des Politischen?
Nein, denn worauf auch „Steven Milverton“ mit seiner Attacke auf den CDU-Politiker Spahn ja eigentlich hinaus will, so scheint mir, und damit kommen wir zu einem anderen, wichtigeren Aspekt der Thematik von Anständigkeit und Unanständigkeit, ist das Missverhältnis zwischen Schwulsein des Parteimitgliedes und Parteifunktionärs Spahn einerseits und der Politik der „Schwarzen“ gegenüber Schwulen (und Lesben) andererseits.
Hier fährt Milverton schweres Geschütz auf. Spahn habe beim „erbärmliche[n] Schachern um grundlegende Rechte für schwule und lesbische Menschen“ seine Stimme „konsequent gegen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung“ abgegeben. Ich gestehe, ich staune. Hab ich was verpasst? Grundlegende Rechte? Haben die CDU/CSU/FDP etwa den Paragraphen 175 wieder eingeführt (und auf Frauen ausgedehnt)? Oder hat Schwarzgelb zumindest die von Rotgrün geschaffene Registrierungspartnerschaft wieder abgeschafft? Nun, gemach, gemach, nichts dergleichen ist geschehen. Die „grundlegenden Rechte“, über die im Bundestag abgestimmt wurde, betrafen meines Wissens lediglich Details des Steuerrechts, nämlich das sogenannte Ehegatten-Splitting und die Frage seiner Anwendung auch auf Verpartnerte. Das haben CDU, CSU und FDP abgelehnt. Die existenzielle Dramatik, die Milverton anscheinend in dieser Nebensache sieht, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Sehr wohl aber, wer könnte es leugnen, gibt es in der CDU und der CSU einige Politiker und Politikerinnen, denen die „Homo-Ehe“ ein Dorn im Auge ist. „Steven Milverton“ nennt die Namen Geis, Reiche und Steinbach. Dass diese drei Dunkelschwarzen höchst unerfreuliche Erscheinungen in der politischen Landschaft sind, darüber wird man sich, wenn man nicht ziemlich weit rechts steht, rasch einigen können. Dennoch sollte man bei aller berechtigten Gegnerschaft zu diesen Gestalten vielleicht erst einmal ihre Aussagen genauer ansehen, bevor man sie verwirft. Wenn man freilich, wie „Steven Milverton“, in den Unionsparteien nichts weiter als einen Wahlverein von „alten und neuen Nazis, Katholiken, Ewiggestrigen und dergleichen“ sieht, erübrigt sich das. Der Preis für solche Realitätsverweigerung ist eine Hysterisierung des Diskurses.
Die „Schwulenfeindlichkeit in der CDU/CSU“ äußert sich, „Steven Milverton“ zufolge, darin, dass auf schwule Menschen eingeschlagen wird. „Zunächst soll dieses [E]inschlagen natürlich nur verbal stattfinden, allerdings wissen wir von Reiche, dass das nicht das Endziel der CDU ist. Die von der Partei gewünschte Zukunft, frei von schwulen Menschen, lässt sich nicht allein durch fiese Bemerkungen und handfeste Verleumdungen erreichen. Erika Steinbach springt dieser Tage Reiche & Co bei und macht deutlich, dass schwule Menschen ein Problem für das Überleben des Deutschen Volks seien.“
Ach du liebe Zeit, da hört wohl jemand schon die Deportationszüge rollen und den Baulärm der Kazetts dröhnen! Aber keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, man lasse sich nicht bange machen. Vorläufig droht keine Gefahr. Die Bahn bekommt derzeit nicht einmal genügend ICE auf die Reihe, geschweige denn Viehwaggons für Lesben- und Schwulentransporte; und angesichts der Umweltauflagen gibt’s für Vernichtungslager auch so rasch keine Baugenehmigung.
Um nicht missverstanden zu werden: Ja, es stimmt, die CDU und die CSU propagieren einen Vorrang heterosexueller Lebensweisen vor homosexuellen und tendieren mehrheitlich dazu, die Homo-Ehe und die Homo-Familie gegenüber Hetero-Ehe und die Hetero-Familie abzuwerten und rechtliche Gleichstellungen zu unterlassen. Das mag für manche unangenehm sein, aber für niemanden lebensbedrohlich. Man mag eine solche von der eigenen forschrittlichen Weltsicht abweichende Werthaltung als Schweinerei betrachten, sie stellt aber weder eine unmittelbare Schwulenverfolgung dar, noch muss umgekehrt die Integration homosexueller Lebensweisen in Hetero-Modelle der Verrechtlichung unbedingt als emanzipatorisches Projekt gedeutet werden.
Ohne Zweifel: Wenn die grässliche Erika Steinbach in einem Interview, auf das „Steven Milverton“ verlinkt, sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, weil nur die Familie die Gesellschaft stabilisiert und das Überleben eines Volkes sichert“, dann klingt das widerlich. Das Problem besteht nun allerdings darin, dass die lautstarken Berufshomosexuellen und ihre Kampfgenossen ja genau dasselbe wollen: Ehe und Familie, nur halt nicht bloß als Papa-Mama-Kind, sondern auch als Papa-Papa-Kind und Mama-Mama-Kind. Und nicht aus Gründen des Überlebens irgendeines Volkes, sondern weil sie sich damit bürgerliche Anständigkeit und konsumistische Wunscherfüllung versprechen: Normalität und heile Welt. Dass die Homo-Ehe samt Zubehör (Steuervorteile, mietrechtliche Begünstigung, Adoptionsrecht usw. usf.) die von Steinbach gewünschte Stabilisierung der Gesellschaft befördert und die herrschenden Verhältnisse gerade nicht in Frage stellt, daran zweifle ich jedenfalls nicht im geringsten.
In wessen Interesse derlei ist, kann sich jeder selbst ausrechnen. Außerdem ist es noch sehr die Frage, ob die Heteronormativierung der Schwulen (und Lesben) durch staatlich regulierte Institutionalisierung überhaupt deren Wünschen entspricht. Und so hat Frau Steinbach, auch wenn man über Zahlen streiten könnte, wohl nicht völlig Unrecht, wenn sie sagt: „Nur ein kleiner Teil, nämlich ein Prozent aller Homosexuellen, lebt in einer eingetragenen Partnerschaft. Das heißt: 99 Prozent wollen das offenkundig nicht.“ Dass sie ausnahmsweise mal ein richtiges Argument vorbringt, macht Erika Steinbach nicht weniger unerträglich, aber dass es von ihr angeführt wird, macht das Argument auch nicht falsch.
Zu Katherina Reiche gibt „Steven Milverton“ keinen Link an, täte ich auch nicht, denn eine ihrer bekanntesten Aussagen wurde bekanntlich in einem ausgewiesenen Drecksblatt veröffentlicht: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ Auch hier wieder: Die konservative Politikerin konstruiert einen Gegensatz, der nicht besteht. Die Befürworter und Befürworterinnen der rechtlichen Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensgemeinschaften wollen ja gerade „Familie“ um jeden Preis. Und sie wollen auch Kinder. Sei es adoptierte oder mehr oder minder selbstgemachte. Will man also Frau Reiche widersprechen, darf man nicht auf die angebliche Gegensätzlichkeit von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und Familien hereinfallen. Man müsste vielmehr das Ideal, die Norm des Paares und der Kleinfamilie in Frage stellen.
Aber auch „Steven Milverton“ tut das, zumindest an dieser Stelle nicht. Er ist so fasziniert vom Ausschluss der Homos aus dem Hetero-Idyll, dass er aus diesem Ausschluss einen Vernichtungswillen extrapoliert, statt das Idyll zu kritisieren. Ich finde das ein merkwürdiges Argument: Wenn die Heteros uns, die Homos, nicht so sein lassen wollen, wie sie, die Heteros, sind, dann wollen sie die Homos auslöschen. Als ob die letzte Bestimmung der Schwulen (und Lesben) darin läge, eines Tages endlich so zu werden, wie die Nichtschwulen (und Nichtlesben) jetzt schon sind.
Nun ist freilich Logik ohnehin nicht jedermanns Sache. So etwa meint bekanntlich Norbert „Ich würde niemals einen homosexuellen Menschen verunglimpfen!“ Geis, man müsse zwar sagen dürfen, dass Homosexualität eine Perversion ist — weil „der Sexualität eine natürliche Funktion innewohnt, die Homosexualität nicht erfüllen kann“ —, will damit aber nicht gesagt haben, was man ihm bloß unterstellt habe, dass nämlich Homosexuelle pervers seien. Zieh den Schwulen den Pelz ab, aber mach sie nicht nackt … Dass nun selbst ein Hardcore-Heterokrat wie Geis öffentlich eine solch absurde Unterscheidung wie die zwischen perverser Homosexualität und nichtperversen Homosexuellen machen muss, zeigt, dass Schwulenfeindlichkeit, anders als „Steven Milverton“ es suggeriert, von den Schwarzen keineswegs zur offiziellen Politik erhoben wurde. Und wohl auch nicht mehr werden wird.
Geis, Reiche, Steinbach sind nicht repräsentativer für ihre Partei und deren Wähler als Merkel, Schröder oder Spahn. Die Verschiedenheit der Positionen, auch die der verschiedenen Parteien, verweist zudem lediglich auf den gesamtgesellschaftlichen Widerspruch. Eine mehrheitlich heterosexuell geprägte Bevölkerung sucht nach einem Umgang mit einer von ihr hinsichtlich der sexuellen Orientierung abweichenden Minderheit, für deren Verfolgung sie keine glaubwürdigen Argumente mehr vorzubringen weiß, gegen deren bis zum völligen Verschwinden jeder Differenz gehende Gleichheit jedoch spricht, dass Heterosexualität, individuell wie strukturell, eben auf der Unterdrückung vom Homosexualität beruht. Zumindest, wenn — wovon ich überzeugt bin — nicht die Biologisten, die sich auf Gene und Hormone berufen, Recht haben, sondern jene Psychologen, die sagen, jeder Mensch beginne als polymorph-perverses Wesen, weshalb sich die Frage stellt: Wieso zum Teufel sind so schrecklich viele Menschen exklusiv heterosexuell? (Die biologistische Phantasie halte ich, beiläufig sei’s vermerkt, nicht für eine Erklärung, sondern für eine selbst erklärungsbedürftige Folge der Heteronormativität.)
Die mehrheitlich heterosexuelle Bevölkerung jedenfalls verwickelt sich im Umgang mit der homosexuellen Minderheit für gewöhnlich in Widersprüche. Umfragen zufolge ist beispielsweise zwar einerseits eine Mehrheit für die Öffnung der Ehe, aber andererseits gegen ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Man ist zwar einerseits in höchstem Maße gegen Benachteiligung von Lesben oder Schwulen am Arbeitsplatz, aber anderseits wünscht eine gewaltige Mehrheit auf keinen Fall, dass das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre.
Die Schwarzseher des Politspektrums sind in noch weiteren Widersprüchen gefangen. Man will Ehe und Familie „schützen“, das heißt: als eine Norm bewahren, der die Lebenswirklichkeit vieler, aber längst nicht mehr aller entspricht. Man unternimmt nichts, um Schwule oder Lesben zu verfolgen, auch nicht, wenn sie zusammenleben (auch ohne Trauschein kommt sowas vor!) und sogar Kinder großziehen. Aber man will die Abweichungen vom Papa-Mama-Kind-Idyll, obwohl sie nichts anderes sind als Familie und nochmals Familie, und obwohl sie auf ihre Weise das Kinderkriegen und Kindererziehen verwirklichen, von dem angeblich alles abhängt, man will also mit homosexuellen Lebensweisen vereinbare Familienformen ohne guten Grund nicht (oder zumindest vorläufig nicht) in eine dadurch realitätstüchtigere erweiterte Form des Idylls einbeziehen.
Ich halte das für ideologische Scheuklappen, die freilich durchaus dem verkorksten Selbstbild vieler in einer von nichtehelichem Sex, Ehebruch, Scheidung, körperlicher, seelischer und geistiger Gewalt nicht nur gegen Kinder, von Kinder- und Familienarmut im Inland und (durch die wichtige Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaftsordnung) auch im Ausland geprägten Gesellschaft der Heuchler und Selbstgerechten entsprechen. Das ist eine einzige große Sauerei. Ich halte es aber nicht für Schwulenverfolgung.
Zugespitzt könnte man sogar sagen: Nicht CDU und CSU, die an gewissen Diskriminierungen festhalten wollen, drohen die Homosexuellen zum Verschwinden zu bringen, sondern die, die ihn ihrem Gleichstellungswahn Homosexualität zu einer Art Para-Heterosexualität ummodeln möchten. Wer trotzdem nicht heiraten und Kinder haben möchte, und viele Schwule und Lesben wollen das tatsächlich nicht, wird nicht von der CDU diskriminiert, sondern von den selbsternannten Homo-Vertretern, die längst jedes andere schwulenpolitische Thema als die Heiraterei verdrängt und unterdrückt haben.
Zurück zu Jens Spahn. „Steven Milverton“ sieht ihn als „tragische Figur“, weil für ihn, „Steven Milverton“, Schwulsein und Schwarzsein nicht zusammenpassen, es sei denn um den Preis einer Verkürzung, ja Beschneidung des Schwulseins selbst. Ich sage: Schön wär’s, wenn’s so wäre. In Wahrheit unterscheidet sich das, was die CDU als Ideal propagiert, also Monogamie und Kleinfamilie, nicht von den Forderungen derjenigen Schwulen und Lesben, die von „grundlegenden Rechten“ reden und Steuervorteile meinen (darunter auch der Blogger „Steven Milverton“). Spahn verkörpert die Widersprüche, die auch sonst in der Gesellschaft bestehen, mehr nicht. Tragisch wäre es, wenn einem an ihm nur zu kritisieren einfiele, dass er nicht ferkelhaft genug ist und sich nicht fürs Ehegatten-Splitting bei Verpartnerten einsetzt. Mich stören an den Schwarzen (und Gelben und Roten und Grünen und ...) andere Schweinereien weit mehr.
Was mich betrifft, ich bin gegen Parteien wie die CDU, weil sie für Kapitalismus sind, also für eine ungerechte Gesellschaft. Und wenn, viel fehlt ja nicht daran, die Unionspolitiker und Unionspolitikerinnen eines Tages ihre Liebe zu den Schwulen entdeckten und täten, was sich „Steven Milverton“ anscheinend von ihnen wünscht, nämlich einzutreten für die diskriminierungsfreie Integration auch der Nichtheterosexuellen in die ansonsten unverändert weiterbestehenden herrschenden Verhältnisse? Auch dann wäre ich immer noch dagegen.
Im Grunde sagt Jens Spahn in dem Interview allerdings auch nichts anderes als das, was schon vor langer Zeit von Klaus Wowereit und anderen zu hören war, dass man nämlich ein schwuler Politiker sei, aber kein Schwulenpolitiker. Spahn erklärt, sein Schwulsein habe nichts damit zu tun, wie er sich als Politiker definiere. Er mache keine schwule Klientelpolitik, sondern wolle als Gesundheitsexperte die Probleme unserer Zeit lösen. Seine Art zu leben und zu lieben solle keine größere Rolle spielt als seine inhaltliche Arbeit.
Ist daran, für sich genommen, etwas auszusetzen? Muss bei einem homosexuellen Politiker seine sexuelle Orientierung mehr Beachtung finden als bei einem heterosexuellen Politiker? Meiner Meinung nach nicht; ich finde es richtig, Politiker nach ihrer Politik zu beurteilen und nicht nach ihre erotischen Vorlieben. Mir ist das zu amerikanisch. Dieses Herumschnüffeln im Schlafzimmer ist mir zuwider. Mich interessiert ja nicht einmal die Frisur oder das Kostüm der jeweiligen Charge (so kritikwürdig derlei abseits des Politischen sein mag), mich interessiert an den Politikmachern nur, was von ihnen geplant und bewirkt wird.
Ich möchte also gar nicht wissen — schrecklicher Gedanke! —, ob die Merkel lieber oben oder unten liegt beim Sex oder ob der Steinbrück gern Rollenspiele macht. Doch selbst wenn mir diese Menschen sympathischer wären, als sie es sind: Ob langweilig oder versaut, das Liebesleben heterosexueller Politiker geht niemanden etwas an außer den Beteiligten. Darf also nicht auch ein schwuler Politiker, egal von welcher Partei, sein Schwulsein als Privatsache betrachten und bloß nach seinem politischen Agieren beurteilt werden wollen? „Steven Milverton“ findet das nicht. Er befindet vielmehr: Spahn habe seine Schwulsein „wegdefiniert“. Um überhaupt in der CDU sein und bleiben zu können, der „Steven Milverton“, dazu komme ich noch, massive Schwulenfeindlichkeit unterstellt, und um für die CDU um Wähler, auch schwule, werben zu können, müsse Spahn einen Unterschied zwischen guten und schlechten Homosexuellen machen, also zwischen solchen wie Spahn mit wegdefiniertem Schwulsein und solchen wie „Steven Milverton“ selbst (mit einem, wie man annehmen darf, wohldefinierten Schwulsein):
„Mit den dreckigen schwulen Männern, die Schwänze lutschen, die tief und innig küssen, die vielleicht auf Pisse stehen und den Duft von Achseln, Füßen und ungewaschenen Schwänzen geil finden, die Analverkehr haben, aktiv wie passiv, und vielleicht sogar darüber reden, mit denen will Spahn nichts zu tun haben. Mit jemandem wie mir würde Spahn nicht einmal gesehen werden wollen — auch nicht im Darkroom. Spahn träumt davon Kanzler zu werden, ich träume von langen, dicken, spritzenden Männerschwänzen. Das eine verträgt sich nicht mit dem anderen.“
Wirklich nicht? Mir scheint es nicht so gewiss, wie anscheinend „Steven Milverton“, dass sich seine Träume und der Traum, den er Spahn unterstellt, ausschließen. Ich könnte mir, auch wenn ich es nicht möchte, ganz gut vorstellen, dass, zumindest in der Phantasie, sexuelle Aktivität jeglicher Art mit Politik jeglicher Art vereinbar ist. Ich weiß ja aber in Wahrheit gar nicht, wovon Jens Spahn träumt. Ich weiß nicht, ob er darkrooms aufsucht und ob man ihn dort mit jemandem sehen kann. Und ich glaube auch nicht, dass das „Steven Milverton“ oder mich etwas angeht.
Jens Spahn ist, wenn ich es richtig verstehe, ein Vertreter des Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen. (Aufschrei von „Steven Milverton“ — aber dazu, wie gesagt, später.) Er sieht nicht ein, warum er als Schwuler sein Sexualleben öffentlich zelebrieren muss, wenn es doch heterosexuelle Politiker auch nicht tun. Und darin gebe ich ihm Recht. Ich kann der Vorstellung nichts abgewinnen, gute Schwule seien nur solche, die dauernd über Achsel- und Fußschweiß, Schwänze und Ärsche, Küsse und Pisse schwadronieren, während böse Schwule solche sind, die ihre Mitteilungsfreudigkeit den Gegebenheiten anpassen. Ich spreche und schreibe gern über Lüste, aber nicht immer und überall ist das mein vordringlichstes Thema. Zugegeben, zuweilen muss man sich über manches gerade dort äußern, wo es stört. Aber als Schwuler immer nur über Schwules reden zu sollen, ist doch bloß die Forderung nach Erfüllung einer Erwartung. Es mag also sein, dass Spahn kein Ferkel, „Steven Milverton“ hingegen eine, sit venia verbo, Sau sein will. Aber kommt es darauf an, wenn von Politik die Rede ist? Ist Sexualverhalten und das Reden über Intimes das entscheidende Kriterium des Politischen?
Nein, denn worauf auch „Steven Milverton“ mit seiner Attacke auf den CDU-Politiker Spahn ja eigentlich hinaus will, so scheint mir, und damit kommen wir zu einem anderen, wichtigeren Aspekt der Thematik von Anständigkeit und Unanständigkeit, ist das Missverhältnis zwischen Schwulsein des Parteimitgliedes und Parteifunktionärs Spahn einerseits und der Politik der „Schwarzen“ gegenüber Schwulen (und Lesben) andererseits.
Hier fährt Milverton schweres Geschütz auf. Spahn habe beim „erbärmliche[n] Schachern um grundlegende Rechte für schwule und lesbische Menschen“ seine Stimme „konsequent gegen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung“ abgegeben. Ich gestehe, ich staune. Hab ich was verpasst? Grundlegende Rechte? Haben die CDU/CSU/FDP etwa den Paragraphen 175 wieder eingeführt (und auf Frauen ausgedehnt)? Oder hat Schwarzgelb zumindest die von Rotgrün geschaffene Registrierungspartnerschaft wieder abgeschafft? Nun, gemach, gemach, nichts dergleichen ist geschehen. Die „grundlegenden Rechte“, über die im Bundestag abgestimmt wurde, betrafen meines Wissens lediglich Details des Steuerrechts, nämlich das sogenannte Ehegatten-Splitting und die Frage seiner Anwendung auch auf Verpartnerte. Das haben CDU, CSU und FDP abgelehnt. Die existenzielle Dramatik, die Milverton anscheinend in dieser Nebensache sieht, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Sehr wohl aber, wer könnte es leugnen, gibt es in der CDU und der CSU einige Politiker und Politikerinnen, denen die „Homo-Ehe“ ein Dorn im Auge ist. „Steven Milverton“ nennt die Namen Geis, Reiche und Steinbach. Dass diese drei Dunkelschwarzen höchst unerfreuliche Erscheinungen in der politischen Landschaft sind, darüber wird man sich, wenn man nicht ziemlich weit rechts steht, rasch einigen können. Dennoch sollte man bei aller berechtigten Gegnerschaft zu diesen Gestalten vielleicht erst einmal ihre Aussagen genauer ansehen, bevor man sie verwirft. Wenn man freilich, wie „Steven Milverton“, in den Unionsparteien nichts weiter als einen Wahlverein von „alten und neuen Nazis, Katholiken, Ewiggestrigen und dergleichen“ sieht, erübrigt sich das. Der Preis für solche Realitätsverweigerung ist eine Hysterisierung des Diskurses.
Die „Schwulenfeindlichkeit in der CDU/CSU“ äußert sich, „Steven Milverton“ zufolge, darin, dass auf schwule Menschen eingeschlagen wird. „Zunächst soll dieses [E]inschlagen natürlich nur verbal stattfinden, allerdings wissen wir von Reiche, dass das nicht das Endziel der CDU ist. Die von der Partei gewünschte Zukunft, frei von schwulen Menschen, lässt sich nicht allein durch fiese Bemerkungen und handfeste Verleumdungen erreichen. Erika Steinbach springt dieser Tage Reiche & Co bei und macht deutlich, dass schwule Menschen ein Problem für das Überleben des Deutschen Volks seien.“
Ach du liebe Zeit, da hört wohl jemand schon die Deportationszüge rollen und den Baulärm der Kazetts dröhnen! Aber keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, man lasse sich nicht bange machen. Vorläufig droht keine Gefahr. Die Bahn bekommt derzeit nicht einmal genügend ICE auf die Reihe, geschweige denn Viehwaggons für Lesben- und Schwulentransporte; und angesichts der Umweltauflagen gibt’s für Vernichtungslager auch so rasch keine Baugenehmigung.
Um nicht missverstanden zu werden: Ja, es stimmt, die CDU und die CSU propagieren einen Vorrang heterosexueller Lebensweisen vor homosexuellen und tendieren mehrheitlich dazu, die Homo-Ehe und die Homo-Familie gegenüber Hetero-Ehe und die Hetero-Familie abzuwerten und rechtliche Gleichstellungen zu unterlassen. Das mag für manche unangenehm sein, aber für niemanden lebensbedrohlich. Man mag eine solche von der eigenen forschrittlichen Weltsicht abweichende Werthaltung als Schweinerei betrachten, sie stellt aber weder eine unmittelbare Schwulenverfolgung dar, noch muss umgekehrt die Integration homosexueller Lebensweisen in Hetero-Modelle der Verrechtlichung unbedingt als emanzipatorisches Projekt gedeutet werden.
Ohne Zweifel: Wenn die grässliche Erika Steinbach in einem Interview, auf das „Steven Milverton“ verlinkt, sagt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, weil nur die Familie die Gesellschaft stabilisiert und das Überleben eines Volkes sichert“, dann klingt das widerlich. Das Problem besteht nun allerdings darin, dass die lautstarken Berufshomosexuellen und ihre Kampfgenossen ja genau dasselbe wollen: Ehe und Familie, nur halt nicht bloß als Papa-Mama-Kind, sondern auch als Papa-Papa-Kind und Mama-Mama-Kind. Und nicht aus Gründen des Überlebens irgendeines Volkes, sondern weil sie sich damit bürgerliche Anständigkeit und konsumistische Wunscherfüllung versprechen: Normalität und heile Welt. Dass die Homo-Ehe samt Zubehör (Steuervorteile, mietrechtliche Begünstigung, Adoptionsrecht usw. usf.) die von Steinbach gewünschte Stabilisierung der Gesellschaft befördert und die herrschenden Verhältnisse gerade nicht in Frage stellt, daran zweifle ich jedenfalls nicht im geringsten.
In wessen Interesse derlei ist, kann sich jeder selbst ausrechnen. Außerdem ist es noch sehr die Frage, ob die Heteronormativierung der Schwulen (und Lesben) durch staatlich regulierte Institutionalisierung überhaupt deren Wünschen entspricht. Und so hat Frau Steinbach, auch wenn man über Zahlen streiten könnte, wohl nicht völlig Unrecht, wenn sie sagt: „Nur ein kleiner Teil, nämlich ein Prozent aller Homosexuellen, lebt in einer eingetragenen Partnerschaft. Das heißt: 99 Prozent wollen das offenkundig nicht.“ Dass sie ausnahmsweise mal ein richtiges Argument vorbringt, macht Erika Steinbach nicht weniger unerträglich, aber dass es von ihr angeführt wird, macht das Argument auch nicht falsch.
Zu Katherina Reiche gibt „Steven Milverton“ keinen Link an, täte ich auch nicht, denn eine ihrer bekanntesten Aussagen wurde bekanntlich in einem ausgewiesenen Drecksblatt veröffentlicht: „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ Auch hier wieder: Die konservative Politikerin konstruiert einen Gegensatz, der nicht besteht. Die Befürworter und Befürworterinnen der rechtlichen Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Lebensgemeinschaften wollen ja gerade „Familie“ um jeden Preis. Und sie wollen auch Kinder. Sei es adoptierte oder mehr oder minder selbstgemachte. Will man also Frau Reiche widersprechen, darf man nicht auf die angebliche Gegensätzlichkeit von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und Familien hereinfallen. Man müsste vielmehr das Ideal, die Norm des Paares und der Kleinfamilie in Frage stellen.
Aber auch „Steven Milverton“ tut das, zumindest an dieser Stelle nicht. Er ist so fasziniert vom Ausschluss der Homos aus dem Hetero-Idyll, dass er aus diesem Ausschluss einen Vernichtungswillen extrapoliert, statt das Idyll zu kritisieren. Ich finde das ein merkwürdiges Argument: Wenn die Heteros uns, die Homos, nicht so sein lassen wollen, wie sie, die Heteros, sind, dann wollen sie die Homos auslöschen. Als ob die letzte Bestimmung der Schwulen (und Lesben) darin läge, eines Tages endlich so zu werden, wie die Nichtschwulen (und Nichtlesben) jetzt schon sind.
Nun ist freilich Logik ohnehin nicht jedermanns Sache. So etwa meint bekanntlich Norbert „Ich würde niemals einen homosexuellen Menschen verunglimpfen!“ Geis, man müsse zwar sagen dürfen, dass Homosexualität eine Perversion ist — weil „der Sexualität eine natürliche Funktion innewohnt, die Homosexualität nicht erfüllen kann“ —, will damit aber nicht gesagt haben, was man ihm bloß unterstellt habe, dass nämlich Homosexuelle pervers seien. Zieh den Schwulen den Pelz ab, aber mach sie nicht nackt … Dass nun selbst ein Hardcore-Heterokrat wie Geis öffentlich eine solch absurde Unterscheidung wie die zwischen perverser Homosexualität und nichtperversen Homosexuellen machen muss, zeigt, dass Schwulenfeindlichkeit, anders als „Steven Milverton“ es suggeriert, von den Schwarzen keineswegs zur offiziellen Politik erhoben wurde. Und wohl auch nicht mehr werden wird.
Geis, Reiche, Steinbach sind nicht repräsentativer für ihre Partei und deren Wähler als Merkel, Schröder oder Spahn. Die Verschiedenheit der Positionen, auch die der verschiedenen Parteien, verweist zudem lediglich auf den gesamtgesellschaftlichen Widerspruch. Eine mehrheitlich heterosexuell geprägte Bevölkerung sucht nach einem Umgang mit einer von ihr hinsichtlich der sexuellen Orientierung abweichenden Minderheit, für deren Verfolgung sie keine glaubwürdigen Argumente mehr vorzubringen weiß, gegen deren bis zum völligen Verschwinden jeder Differenz gehende Gleichheit jedoch spricht, dass Heterosexualität, individuell wie strukturell, eben auf der Unterdrückung vom Homosexualität beruht. Zumindest, wenn — wovon ich überzeugt bin — nicht die Biologisten, die sich auf Gene und Hormone berufen, Recht haben, sondern jene Psychologen, die sagen, jeder Mensch beginne als polymorph-perverses Wesen, weshalb sich die Frage stellt: Wieso zum Teufel sind so schrecklich viele Menschen exklusiv heterosexuell? (Die biologistische Phantasie halte ich, beiläufig sei’s vermerkt, nicht für eine Erklärung, sondern für eine selbst erklärungsbedürftige Folge der Heteronormativität.)
Die mehrheitlich heterosexuelle Bevölkerung jedenfalls verwickelt sich im Umgang mit der homosexuellen Minderheit für gewöhnlich in Widersprüche. Umfragen zufolge ist beispielsweise zwar einerseits eine Mehrheit für die Öffnung der Ehe, aber andererseits gegen ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Man ist zwar einerseits in höchstem Maße gegen Benachteiligung von Lesben oder Schwulen am Arbeitsplatz, aber anderseits wünscht eine gewaltige Mehrheit auf keinen Fall, dass das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre.
Die Schwarzseher des Politspektrums sind in noch weiteren Widersprüchen gefangen. Man will Ehe und Familie „schützen“, das heißt: als eine Norm bewahren, der die Lebenswirklichkeit vieler, aber längst nicht mehr aller entspricht. Man unternimmt nichts, um Schwule oder Lesben zu verfolgen, auch nicht, wenn sie zusammenleben (auch ohne Trauschein kommt sowas vor!) und sogar Kinder großziehen. Aber man will die Abweichungen vom Papa-Mama-Kind-Idyll, obwohl sie nichts anderes sind als Familie und nochmals Familie, und obwohl sie auf ihre Weise das Kinderkriegen und Kindererziehen verwirklichen, von dem angeblich alles abhängt, man will also mit homosexuellen Lebensweisen vereinbare Familienformen ohne guten Grund nicht (oder zumindest vorläufig nicht) in eine dadurch realitätstüchtigere erweiterte Form des Idylls einbeziehen.
Ich halte das für ideologische Scheuklappen, die freilich durchaus dem verkorksten Selbstbild vieler in einer von nichtehelichem Sex, Ehebruch, Scheidung, körperlicher, seelischer und geistiger Gewalt nicht nur gegen Kinder, von Kinder- und Familienarmut im Inland und (durch die wichtige Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaftsordnung) auch im Ausland geprägten Gesellschaft der Heuchler und Selbstgerechten entsprechen. Das ist eine einzige große Sauerei. Ich halte es aber nicht für Schwulenverfolgung.
Zugespitzt könnte man sogar sagen: Nicht CDU und CSU, die an gewissen Diskriminierungen festhalten wollen, drohen die Homosexuellen zum Verschwinden zu bringen, sondern die, die ihn ihrem Gleichstellungswahn Homosexualität zu einer Art Para-Heterosexualität ummodeln möchten. Wer trotzdem nicht heiraten und Kinder haben möchte, und viele Schwule und Lesben wollen das tatsächlich nicht, wird nicht von der CDU diskriminiert, sondern von den selbsternannten Homo-Vertretern, die längst jedes andere schwulenpolitische Thema als die Heiraterei verdrängt und unterdrückt haben.
Zurück zu Jens Spahn. „Steven Milverton“ sieht ihn als „tragische Figur“, weil für ihn, „Steven Milverton“, Schwulsein und Schwarzsein nicht zusammenpassen, es sei denn um den Preis einer Verkürzung, ja Beschneidung des Schwulseins selbst. Ich sage: Schön wär’s, wenn’s so wäre. In Wahrheit unterscheidet sich das, was die CDU als Ideal propagiert, also Monogamie und Kleinfamilie, nicht von den Forderungen derjenigen Schwulen und Lesben, die von „grundlegenden Rechten“ reden und Steuervorteile meinen (darunter auch der Blogger „Steven Milverton“). Spahn verkörpert die Widersprüche, die auch sonst in der Gesellschaft bestehen, mehr nicht. Tragisch wäre es, wenn einem an ihm nur zu kritisieren einfiele, dass er nicht ferkelhaft genug ist und sich nicht fürs Ehegatten-Splitting bei Verpartnerten einsetzt. Mich stören an den Schwarzen (und Gelben und Roten und Grünen und ...) andere Schweinereien weit mehr.
Was mich betrifft, ich bin gegen Parteien wie die CDU, weil sie für Kapitalismus sind, also für eine ungerechte Gesellschaft. Und wenn, viel fehlt ja nicht daran, die Unionspolitiker und Unionspolitikerinnen eines Tages ihre Liebe zu den Schwulen entdeckten und täten, was sich „Steven Milverton“ anscheinend von ihnen wünscht, nämlich einzutreten für die diskriminierungsfreie Integration auch der Nichtheterosexuellen in die ansonsten unverändert weiterbestehenden herrschenden Verhältnisse? Auch dann wäre ich immer noch dagegen.
Donnerstag, 22. November 2012
Mehr als ein Regime
Wer diese Unsitte aufgebracht hat, weiß ich nicht, und wie sie sich so weit verbreiten konnte, auch nicht. Dass sie es bis zur Ehre des Duden-Eintrages gebracht hat, weiß ich, halte das aber in keiner Hinsicht für ein Argument. Es ist und bleibt unschöner Unsinn. Doch leider würden auf die Frage, wie die Mehrzahl von „Regime“ lautet, die meisten angeblich des Deutschen Mächtigen antworten: „Regime“.
Hier liegt der eigentümliche und (da mir kein weiteres Beispiel einfällt, behaupte ich:) in der deutschen Sprache und Schreibe einzigartige Fall vor, dass ein und derselbe Buchstabe an ein und derselben Stelle in ein und demselben Wort und ohne jede sonstige Veränderung des Schriftbildes einmal stumm ist und einmal einen Laut repräsentiert: Man schreibt beide Male „Regime“ und sagt erstaunlicherweise einmal „Reschiem“ und ein andermal „Reschieme“.
Diese absurde Doppelfunktion des E ist das eine, was mich stört, die Willkür, ausgerechnet hier, wo im Schriftbild am Ende schon ein E steht, eine Mehrzahlbildung mit E durchzusetzen, das andere. Und das hört ja beim Nominativ nicht auf, hemmungslos wird dekliniert: „die Regime, der Regime, den Regimen, die Regime“. Schrecklich.
Niemandem fiele wohl ein, es mit dem aus dem Englischen entnommen Wort „Team“ ebenso zu halte: „das Team, die Teame“. Hier sagt man stets „die Teams, der Teams, den Teams, die Teams“. Nur bei dem aus dem französischen stammenden „régime“ — dem man ohnehin schon seinen accent aigu geraubt hat — bildet man sich ein, anders verfahren zu können, zu sollen, vielleicht gar zu müssen. Warum bloß?
Der Grund ist vermutlich der bedauerliche Vorrang des Schriftdeutschen vor der gesprochenen Sprache. Man sieht das End-E und meint, es könne auch ein Plural-E sein. Und dann „spricht man es aus“. (In Wahrheit werden nicht Buchstaben gesprochen, sondern Sprache wird aufgeschrieben, aber das auszuführen führte hier zu weit.)
Nein, nein und nochmals nein, ich mache diesen Quatsch nicht mit. Für mich heißt es „das Regime“ und „die Regimes“ (sowie „der Regimes, den Regimes, die Regimes“). Das ist für mich die einzig korrekte Sprech- und Schreibweise. Nur sie ist sprachbewusst, geschichtsbewusst, gebildet und formschön. Spricht aus Ihrer Sicht irgendetwas dagegen? Haben Sie irgendein Argument für die falsche Form (außer dem Nicht-Argument „Alle machen es so“)? Nein? Dann übernehmen Sie doch bitte ausnahmsweise einmal meine Sicht der Dinge. Danke.
Hier liegt der eigentümliche und (da mir kein weiteres Beispiel einfällt, behaupte ich:) in der deutschen Sprache und Schreibe einzigartige Fall vor, dass ein und derselbe Buchstabe an ein und derselben Stelle in ein und demselben Wort und ohne jede sonstige Veränderung des Schriftbildes einmal stumm ist und einmal einen Laut repräsentiert: Man schreibt beide Male „Regime“ und sagt erstaunlicherweise einmal „Reschiem“ und ein andermal „Reschieme“.
Diese absurde Doppelfunktion des E ist das eine, was mich stört, die Willkür, ausgerechnet hier, wo im Schriftbild am Ende schon ein E steht, eine Mehrzahlbildung mit E durchzusetzen, das andere. Und das hört ja beim Nominativ nicht auf, hemmungslos wird dekliniert: „die Regime, der Regime, den Regimen, die Regime“. Schrecklich.
Niemandem fiele wohl ein, es mit dem aus dem Englischen entnommen Wort „Team“ ebenso zu halte: „das Team, die Teame“. Hier sagt man stets „die Teams, der Teams, den Teams, die Teams“. Nur bei dem aus dem französischen stammenden „régime“ — dem man ohnehin schon seinen accent aigu geraubt hat — bildet man sich ein, anders verfahren zu können, zu sollen, vielleicht gar zu müssen. Warum bloß?
Der Grund ist vermutlich der bedauerliche Vorrang des Schriftdeutschen vor der gesprochenen Sprache. Man sieht das End-E und meint, es könne auch ein Plural-E sein. Und dann „spricht man es aus“. (In Wahrheit werden nicht Buchstaben gesprochen, sondern Sprache wird aufgeschrieben, aber das auszuführen führte hier zu weit.)
Nein, nein und nochmals nein, ich mache diesen Quatsch nicht mit. Für mich heißt es „das Regime“ und „die Regimes“ (sowie „der Regimes, den Regimes, die Regimes“). Das ist für mich die einzig korrekte Sprech- und Schreibweise. Nur sie ist sprachbewusst, geschichtsbewusst, gebildet und formschön. Spricht aus Ihrer Sicht irgendetwas dagegen? Haben Sie irgendein Argument für die falsche Form (außer dem Nicht-Argument „Alle machen es so“)? Nein? Dann übernehmen Sie doch bitte ausnahmsweise einmal meine Sicht der Dinge. Danke.
Dienstag, 20. November 2012
„Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen“
Zu Tausenden, Zehntausenden, Hunderttausenden haben sie am letzten Wochenende in Frankreich gegen den mariage pour tous demonstriert, gegen die von der Regierung vorgesehene Ausdehnung ehelicher Rechte, einschließlich des Rechtes auf Adoption, auf verschiedene Formen paarweisen Zusammenlebens, darunter auch gleichgeschlechtliche. Ich finde solche Demonstrationen gut, denn damit bekommt der Widerstand gegen die gesellschaftliche Integration homosexueller Lebensweisen wenigstens ein Gesicht. (Und es waren viele nette Gesichter darunter. nämlich die von mitgebrachten Kindern, die allerdings wohl nur schwerlich hätten beurteilen können, wogegen oder wofür ihre Erziehungsberechtigten sie da demonstrieren ließen.) Immerhin sind zwar Umfragen zu Folge 52 Prozent der Französinnen und Franzosen für den mariage pour tous, aber das heißt ja, dass 48 Prozent es nicht sind, und das ist ja auch fast die Hälfte.
Es waren, wie man hört, keine Demonstrationen ausschließlich von Katholikinnen und Katholiken, aber diese dürften die treibende Kraft hinter der Kampagne sein. Und auch das ist völlig in Ordnung. Immerhin sind Katholiken bekanntlich Menschen mit in sexualmoralischer Hinsicht vorbildlicher Lebensführung. Katholiken befriedigen sich nicht selbst, sie haben keinen Geschlechtsverkehr vor oder außerhalb der Ehe, aber auch in der Ehe verüben sie den Beischlaf nur, wenn dabei ein Kind gezeugt werden kann, sie verwenden keine Verhütungsmittel und treiben selbstverständlich nicht ab. Katholische Familien, das weiß man doch, sind Horte des Friedens und der Harmonie. In ihnen wird niemals psychische oder physische Gewalt gegen Kinder ausgeübt, auch die Erwachsenen gehen immer respektvoll und fürsorglich miteinander um, es gibt weder Streit noch Unterdrückung. Niemand geht aus solchen Familien mit Traumata und Störungen hervor. Darum sind Katholikinnen und Katholiken — die im Übrigen ja auch weder lügen noch stehlen noch morden — wie niemand sonst berufen, über anderer Leute Lebensweise zu urteilen.
Und das Urteil steht fest, es lautet: Kinder brauchen zwei gegengeschlechtliche Elternteile, also einen Vater und eine Mutter. Sonst, ja sonst, man weiß es nicht, irgendwas läuft dann schief, die Kinder werden drogensüchtig oder Massenmörder oder sowas, irgendetwas Schreckliches passiert dann jedenfalls, das weiß man doch, und man sieht es ja auch überall. Die Gesellschaft zerfällt, die Kleinfamilie, Ideal aller Ideale, zerbröckelt, und schuld ist nicht etwa der Kapitalismus, der die Lebensweisen, die er hervorgebracht hat, auch wieder auflöst, sondern schuld sind die, die nicht als Mama-Papa-Kind zusammenleben wollen oder können. Das kann nicht gut gehen.
Folgerichtig wären (auch wenn dies nicht Thema der jüngsten Demonstrationen war) den aus welchen Gründen auch immer alleinerziehenden Müttern oder Vätern entweder die Kinder wegzunehmen oder zwangsweise ein Ehemann bzw. eine Ehefrau beizugesellen. Dasselbe gilt für lesbische und schwule Paare, die jetzt schon, auch ohne Trauschein und rechtliche Absicherung, gemeinsam Kinder großziehen. Oder auch für Paare von Mütter und Großmütter, Väter und Großväter, denn auch wenn die keinen Sex miteinander haben, fehlt ihnen doch ein Geschlecht. Wie mit Heimkindern und Kindern in SOS-Kinderdörfern zu verfahren ist, ist noch unklar, das aber aus denen nichts werden kann, steht fest.
Denn das sind nun einmal die Tatsachen: Wer mit Vater und Mutter aufwächst, wird ein guter Mensch, wem ein Geschlechtsteil fehlt, nein, äh, so rum: wem ein Elternteil eines bestimmten Geschlechtes fehlt (etwa weil er oder sie ein Elternteil mit schon vorhandenem Geschlecht zu viel hat), wird zwangsläufig ein Taugenichts.
Und Taugenichtse will man nicht. Darum steht auf den bei dem Demonstrationen mitgeführten Transparenten auch eine deutliche Botschaft: „La France a besoin des enfant, pas des homosexuels.“ (Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen.) Das stellt klar: Kinder sind nicht homosexuell und sie werden es auch nicht, wenn sie in einer Kleinfamilie nach katholischem Zuschnitt aufwachsen. Wo diese ganze Homosexualität herkommt, man weiß es nicht. Wahrscheinlich kommt’s vom Fernsehen und den Computerspielen. Oder, klassisch, von Pornographie und Verführung. Und vor allem natürlich daher, dass es in Kindheit und Jugend an der starken Hand des Vaters oder der zarten, aber nicht zu zarten Hand der Mutter gefehlt hat. Dem muss Einhalt geboten werden. Von Natur aus ist jeder Mensch heterosexuell, wer es nicht ist, bei dem läuft was falsch.
Noch gibt es meines Wissens, keine Vorschläge, was mit den Homosexuellen, die Frankreich so ganz und gar nicht braucht, zu tun ist. Arbeitslager? Umsiedlung nach Madagaskar? Vergasung? Irgendwas wird sich schon finden. Vielleicht sogar Toleranz. Sollen die doch untereinander machen, was sie wollen, aber unsere Kinder kriegen die nicht. Und auch nicht ihre eigenen. Die Kinder gehören Frankreich, und das macht mit ihnen, was es will. Anständige Heterosexuelle sollen sie sein, brav arbeiten und konsumieren und weitere brav arbeitende und konsumierende Heterosexuelle zeugen, Generation um Generation.
Ja, es ist gut und richtig, dass die Gegnerschaft gegen den mariage pour tous ein Gesicht, also viele Gesichter bekommt. Es sind die von aufgesetzter Fröhlichkeit und ehrlicher Sorge gezeichneten Gesichter verzweifelter Heterosexueller, die Angst haben, ihre auf verdrängten und unterdrückten Möglichkeiten, also auf unbewusster psychischer Kastration beruhende Normalität sei plötzlich nichts mehr wert. Wozu all die lebenslange Selbstgerechtigkeit und all die aufwändige Heuchelei, wenn dann irgendwelche Taugenichtse daherkommen und mir nichts, dir nichts dieselben Ideale haben und dieselben Rechte fordern, wie man selbst!
Denn das ist ja die große Pointe an dem Gerangel um Eheöffnung und Homo-Ehe und mariage à tous und wie das alles heißt: Die Lesbenundschwulen, die unbedingt heiraten und über Kinder verfügen wollen, repräsentieren dieselben bürgerlichen Wunschvorstellungen wie ihre Gegner. Der Unterschied ist ein ganz kleines bisschen Traditionalismus, mehr nicht. Aber auch derlei soll sich zeigen dürfen. Je mehr Bilder es davon gibt, desto besser sogar. Denn die Kinder, die heute von ihren Eltern gegen die Homosexuellen ausgespielt und zu Demonstrationen mitgeschleppt werden, werden, wenn sie erwachsen sind, darüber lachen, so oder so, sei es, weil sie sich gern an das Spielen mit den rosafarben und himmelblauen Luftballons erinnern, sei es, weil sie die Borniertheit ihrer Eltern nur noch lächerlich finden können. Und dann werden sie sich anderen Problemen zuwenden.
Es waren, wie man hört, keine Demonstrationen ausschließlich von Katholikinnen und Katholiken, aber diese dürften die treibende Kraft hinter der Kampagne sein. Und auch das ist völlig in Ordnung. Immerhin sind Katholiken bekanntlich Menschen mit in sexualmoralischer Hinsicht vorbildlicher Lebensführung. Katholiken befriedigen sich nicht selbst, sie haben keinen Geschlechtsverkehr vor oder außerhalb der Ehe, aber auch in der Ehe verüben sie den Beischlaf nur, wenn dabei ein Kind gezeugt werden kann, sie verwenden keine Verhütungsmittel und treiben selbstverständlich nicht ab. Katholische Familien, das weiß man doch, sind Horte des Friedens und der Harmonie. In ihnen wird niemals psychische oder physische Gewalt gegen Kinder ausgeübt, auch die Erwachsenen gehen immer respektvoll und fürsorglich miteinander um, es gibt weder Streit noch Unterdrückung. Niemand geht aus solchen Familien mit Traumata und Störungen hervor. Darum sind Katholikinnen und Katholiken — die im Übrigen ja auch weder lügen noch stehlen noch morden — wie niemand sonst berufen, über anderer Leute Lebensweise zu urteilen.
Und das Urteil steht fest, es lautet: Kinder brauchen zwei gegengeschlechtliche Elternteile, also einen Vater und eine Mutter. Sonst, ja sonst, man weiß es nicht, irgendwas läuft dann schief, die Kinder werden drogensüchtig oder Massenmörder oder sowas, irgendetwas Schreckliches passiert dann jedenfalls, das weiß man doch, und man sieht es ja auch überall. Die Gesellschaft zerfällt, die Kleinfamilie, Ideal aller Ideale, zerbröckelt, und schuld ist nicht etwa der Kapitalismus, der die Lebensweisen, die er hervorgebracht hat, auch wieder auflöst, sondern schuld sind die, die nicht als Mama-Papa-Kind zusammenleben wollen oder können. Das kann nicht gut gehen.
Folgerichtig wären (auch wenn dies nicht Thema der jüngsten Demonstrationen war) den aus welchen Gründen auch immer alleinerziehenden Müttern oder Vätern entweder die Kinder wegzunehmen oder zwangsweise ein Ehemann bzw. eine Ehefrau beizugesellen. Dasselbe gilt für lesbische und schwule Paare, die jetzt schon, auch ohne Trauschein und rechtliche Absicherung, gemeinsam Kinder großziehen. Oder auch für Paare von Mütter und Großmütter, Väter und Großväter, denn auch wenn die keinen Sex miteinander haben, fehlt ihnen doch ein Geschlecht. Wie mit Heimkindern und Kindern in SOS-Kinderdörfern zu verfahren ist, ist noch unklar, das aber aus denen nichts werden kann, steht fest.
Denn das sind nun einmal die Tatsachen: Wer mit Vater und Mutter aufwächst, wird ein guter Mensch, wem ein Geschlechtsteil fehlt, nein, äh, so rum: wem ein Elternteil eines bestimmten Geschlechtes fehlt (etwa weil er oder sie ein Elternteil mit schon vorhandenem Geschlecht zu viel hat), wird zwangsläufig ein Taugenichts.
Und Taugenichtse will man nicht. Darum steht auf den bei dem Demonstrationen mitgeführten Transparenten auch eine deutliche Botschaft: „La France a besoin des enfant, pas des homosexuels.“ (Frankreich braucht Kinder, keine Homosexuellen.) Das stellt klar: Kinder sind nicht homosexuell und sie werden es auch nicht, wenn sie in einer Kleinfamilie nach katholischem Zuschnitt aufwachsen. Wo diese ganze Homosexualität herkommt, man weiß es nicht. Wahrscheinlich kommt’s vom Fernsehen und den Computerspielen. Oder, klassisch, von Pornographie und Verführung. Und vor allem natürlich daher, dass es in Kindheit und Jugend an der starken Hand des Vaters oder der zarten, aber nicht zu zarten Hand der Mutter gefehlt hat. Dem muss Einhalt geboten werden. Von Natur aus ist jeder Mensch heterosexuell, wer es nicht ist, bei dem läuft was falsch.
Noch gibt es meines Wissens, keine Vorschläge, was mit den Homosexuellen, die Frankreich so ganz und gar nicht braucht, zu tun ist. Arbeitslager? Umsiedlung nach Madagaskar? Vergasung? Irgendwas wird sich schon finden. Vielleicht sogar Toleranz. Sollen die doch untereinander machen, was sie wollen, aber unsere Kinder kriegen die nicht. Und auch nicht ihre eigenen. Die Kinder gehören Frankreich, und das macht mit ihnen, was es will. Anständige Heterosexuelle sollen sie sein, brav arbeiten und konsumieren und weitere brav arbeitende und konsumierende Heterosexuelle zeugen, Generation um Generation.
Ja, es ist gut und richtig, dass die Gegnerschaft gegen den mariage pour tous ein Gesicht, also viele Gesichter bekommt. Es sind die von aufgesetzter Fröhlichkeit und ehrlicher Sorge gezeichneten Gesichter verzweifelter Heterosexueller, die Angst haben, ihre auf verdrängten und unterdrückten Möglichkeiten, also auf unbewusster psychischer Kastration beruhende Normalität sei plötzlich nichts mehr wert. Wozu all die lebenslange Selbstgerechtigkeit und all die aufwändige Heuchelei, wenn dann irgendwelche Taugenichtse daherkommen und mir nichts, dir nichts dieselben Ideale haben und dieselben Rechte fordern, wie man selbst!
Denn das ist ja die große Pointe an dem Gerangel um Eheöffnung und Homo-Ehe und mariage à tous und wie das alles heißt: Die Lesbenundschwulen, die unbedingt heiraten und über Kinder verfügen wollen, repräsentieren dieselben bürgerlichen Wunschvorstellungen wie ihre Gegner. Der Unterschied ist ein ganz kleines bisschen Traditionalismus, mehr nicht. Aber auch derlei soll sich zeigen dürfen. Je mehr Bilder es davon gibt, desto besser sogar. Denn die Kinder, die heute von ihren Eltern gegen die Homosexuellen ausgespielt und zu Demonstrationen mitgeschleppt werden, werden, wenn sie erwachsen sind, darüber lachen, so oder so, sei es, weil sie sich gern an das Spielen mit den rosafarben und himmelblauen Luftballons erinnern, sei es, weil sie die Borniertheit ihrer Eltern nur noch lächerlich finden können. Und dann werden sie sich anderen Problemen zuwenden.
Donnerstag, 15. November 2012
Deutsch's
Heißt es richtig „des Deutschen“ oder „des Deutschs“? Je nachdem, was gemeint ist. Wie aus dem unten angeführten Zitat* — kein „deutscher“ Text ohne Fußnote! — hervorgeht, handelt es sich um diesen Bedeutungsunterschied: Ist die deutsche Sprache als solche gemeint, ist die erste Form zu bilden, meint man eine bestimmte Weise, die deutsche Sprache zu gebrauchen oder zu beherrschen, gilt die zweite Form als korrekt. Es heißt also „Im Deutschen gibt es verschiedene Deklinationen“, aber „Die mangelhafte Beherrschung der Deklinationen blieb eine Schwäche seines Deutsch“.
Im Unterschied zu dem von mir — den Einwänden Karl Krausens zum Trotz — sonst als Autorität verehrten Gustav Wustmann neige ich bei der endungslosen Form zur Undeklinierbarkeit. Mir scheint „die mangelhafte Flüssigkeit meines Französisch“ angenehmer als die Form „meines Französischs“. Aber ich sagte und schriebe, wenn es dazu käme, auch ohne Zögern „des Rutsches“ und des „Klatsches“, um das tschs zu vermeiden. Da sind die Geschmäcker eben verschieden. (Völlig unmöglich ist selbstverständlich „des Deutsches“!)
Im Unterschied zu dem von mir — den Einwänden Karl Krausens zum Trotz — sonst als Autorität verehrten Gustav Wustmann neige ich bei der endungslosen Form zur Undeklinierbarkeit. Mir scheint „die mangelhafte Flüssigkeit meines Französisch“ angenehmer als die Form „meines Französischs“. Aber ich sagte und schriebe, wenn es dazu käme, auch ohne Zögern „des Rutsches“ und des „Klatsches“, um das tschs zu vermeiden. Da sind die Geschmäcker eben verschieden. (Völlig unmöglich ist selbstverständlich „des Deutsches“!)
Falsch wäre es jedenfalls, von „Varietäten des Deutschs“ zu sprechen, während „Varietäten des heutigen Deutschs“ durchaus richtig wäre.
Das alles wollte ich hier noch rasch gesagt haben, bevor sich demnächst womöglich die Schreibweise „Deutsch’s“ durchsetzt und in den Duden Eingang findet …
* Die Sprach- und Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: das Deutsche und das Deutsch, das Englische und das Englisch, das Blaue (ins Blaue hinein reden) und das Blau (das Himmelblau), das Weiße (im Auge) und das Weiß (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. Das Deutsche bezeichnet die Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das Hochdeutsche, das Plattdeutsche usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das heutige Deutsch, ein fehlerhaftes Deutsch, das beste Deutsch, Goethes Deutsch, mein Deutsch, dieses Deutsch, das Juristendeutsch, das Tintendeutsch (Goethe im Faust: in mein geliebtes Deutsch zu übertragen; der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht).
Die längere Form: das Deutsche, das Blaue muß natürlich schwach dekliniert werden: der Lehrer des Deutschen, die beste Zensur im Deutschen, ein Kirchlein steht im Blauen, Willkommen im Grünen! Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben: des Juristendeutsch, eines feurigen Rot. Sie steht aber durchaus auf einer Stufe mit andern endungslosen substantivierten Neutren, wie: das Gut, das Übel, das Recht, das Dunkel, das Klein (für Kleinod, Kleinet, z.B. Gänseklein), das Wild, und es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: des Eigelbs, des Tintendeutschs. An das tschs braucht sich niemand zu stoßen, sonst dürfte man nicht sagen: des Erdrutschs, des Stadtklatschs. (Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 4. Aufl., Leipzig 1908, S. 35)
Das alles wollte ich hier noch rasch gesagt haben, bevor sich demnächst womöglich die Schreibweise „Deutsch’s“ durchsetzt und in den Duden Eingang findet …
* Die Sprach- und Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: das Deutsche und das Deutsch, das Englische und das Englisch, das Blaue (ins Blaue hinein reden) und das Blau (das Himmelblau), das Weiße (im Auge) und das Weiß (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. Das Deutsche bezeichnet die Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das Hochdeutsche, das Plattdeutsche usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das heutige Deutsch, ein fehlerhaftes Deutsch, das beste Deutsch, Goethes Deutsch, mein Deutsch, dieses Deutsch, das Juristendeutsch, das Tintendeutsch (Goethe im Faust: in mein geliebtes Deutsch zu übertragen; der Deutsche ist gelehrt, wenn er sein Deutsch versteht).
Die längere Form: das Deutsche, das Blaue muß natürlich schwach dekliniert werden: der Lehrer des Deutschen, die beste Zensur im Deutschen, ein Kirchlein steht im Blauen, Willkommen im Grünen! Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben: des Juristendeutsch, eines feurigen Rot. Sie steht aber durchaus auf einer Stufe mit andern endungslosen substantivierten Neutren, wie: das Gut, das Übel, das Recht, das Dunkel, das Klein (für Kleinod, Kleinet, z.B. Gänseklein), das Wild, und es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: des Eigelbs, des Tintendeutschs. An das tschs braucht sich niemand zu stoßen, sonst dürfte man nicht sagen: des Erdrutschs, des Stadtklatschs. (Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 4. Aufl., Leipzig 1908, S. 35)
Mittwoch, 14. November 2012
Sieben kleine Wörter
Und jetzt zur Abwechslung mal was Lobenswertes. Das sich, wer hätte das gedacht, in Schleswig-Holstein ereignet hat. Dort hat nämlich der Landtag eine Verfassungsänderung beschlossen. Fortan soll der zweite Satz des zweiten Absatzes des fünften Artikels lauten: „Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti
und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und
Förderung.“ Die Veränderung ist hier durch Kursivsetzung hervorgehoben.
Zu Recht spricht man von einem historischen Akt. Zum ersten Mal bekennt sich eine deutsche Verfassung ausdrücklich zur Schutz- und Förderwürdigkeit der Roma und Sinti. Das sollte Schule machen.
Gewiss, „sieben kleine Worte“ (so Ministerpräsident Torsten Albig, Worte und Wörter verwechselnd) sind noch keine andere Politik, sind noch lange kein ander gesellschaftlicher Umgang mit einer jahrhundertelang verachteten und verfolgten Minderheit. Aber sie sind ein Symbol. Wofür genau, wird freilich erst die Zukunft zeigen.
Heterosexualität als Sicherheitsrisiko
Nicht, dass mir nicht herzlich egal ist, welcher ranghohe US-General an welche Tussi welche „unangemessenen“ E-Mails geschickt oder welcher welche gevögelt hat. Mir genügt zu wissen, dass sich da gerade ein bisschen supermächtige Wehrkraft zersetzt. Darüber hinaus aber amüsiert es mich, mir vorzustellen, Herr Petreaus hätte seine Ehefrau nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann betrogen, oder Herr Allen hätte seine Ergüsse — und womöglich vertrauliche bis geheime Informationen — nicht an eine Gespielin, sondern einen Liebhaber versendet. Holla, da wäre aber das Geschrei groß! Traditionell gelten ja Schwule in Streitkräften als Sicherheitsrisiko. Weil sie erpressbar seien. Dass sie nur erpressbar sind, solange sie diskriminiert (etwa als Sicherheitsrisiko behandelt) werden, wird dabei meist ignoriert. Außerdem sind Schwule bekanntlich so triebgesteuert, dass sie sich nicht im Griff haben. Nun, wie sehr sich heterosexuelle Oberbefehlshaber und Geheimdienstchefs im Griff haben, kommt ja jetzt ans Licht. Trotzdem gilt: Wären homosexuelle Avancen und Akte Gegenstand des Skandals, stünde die homosexuelle Neigung als solche am patriotischen Pranger. Da es aber nur um Heterosexuelle geht, ist von Heterosexualität folgerichtig gar nicht erst die Rede. Einmal mehr wird die berüchtigte Maxime Don’t ask, dont tell befolgt, nur hier in ihrer re-invertierten, also heterosexuellen Variante. Über Heterosexualität als solche spricht man nicht. Nicht einmal dann, wenn die nationale Sicherheit betroffen ist. Oder gerade dann nicht. Das Risiko wäre zu hoch.
Samstag, 10. November 2012
Ein Zettel
Diesen Zettel habe ich gestern auf dem Gehsteig gefunden. Ob ihn der Wind dorthin geweht oder ihn jemand weggeworfen hat, weiß ich nicht. Wer ihn für wen geschrieben hat, auch nicht. (An mich war er selbstverständlich nicht gerichtet: Ich habe gar kein Auto.) Aber man kann sich die Umstände gut vorstellen: Irgendjemand hat sein Kraftfahrzeug so abgestellt, das es anderen im weg steht, jemand anderes ärgert sich darüber, und um dem Ärger Luft zu machen, wird ein Blatt aus dem Kalender gerissen, beschrieben und hinter den Scheibenwischer geklemmt.
Was mich an dem Text anspricht, ist, dass er in seiner Schlichtheit, ja Banalität doch auf sehr grundsätzliche Weise allen ernsthaften Texten ähnelt, die je verfasst wurden. Alles, was nicht bloß in technischer Absicht oder für den raschen und folgenlosen Konsum geschrieben wird, entsteht nämlich wohl nach demselben Muster. Es gibt einen auslösenden Impuls — hier Wut; auch sonst nicht der schlechteste aller Gründe, um zu schreiben; es gibt eine Adressierung — die Texte immer haben, mag sie noch so diffus sein; und es gibt ein Moment der Reflexion auf Form und Inhalt — hier die Gänsefüßchen bei „normal“, was wohl anzeigen soll, dass die Formulierung bewusst gewählt wurde, um sich kurz und knapp verständlich zu machen, zugleich aber auch, dass die Wortwahl problematisch ist.
Mir gefällt der Text, weil er nicht einfach eine Feststellung trifft und sich auf eine nicht befolgte Regel beruft: „So können Sie hier nicht parken!“ Oder: „So wie Sie hier parken, das ist verboten!“ Vielmehr wird eine Frage formuliert, die implizit an die Selbstkritik des oder der Angesprochen appelliert. Allerdings ist wohl keine sinnvolle Antwort zu erwarten. Und auch darin gleicht der Zettel dem, was ich oben „ernsthafte Texte“ nannte: Der Verfasser wollte ihn unbedingt schreiben, war sich aber dabei der Vergeblichkeit seines Tuns bewusst. Mit nichttechnischen, nichtkommerziellen Texten erreicht man nichts. Der Zweck des Geschriebenen ist aber auch gar nicht eine Verhaltensänderung bei den Lesenden (denn die ist realistischerweise nicht zu erwarten), sondern das Geschriebensein selbst. Der Text soll existieren, weil das, was er besagt, gesagt sein soll. Weil es besser ist, dass es gesagt wird, als dass es ungesagt bleibt. Was dann daraus wird, liegt nicht mehr in der Verantwortung des Autors.
Was mich an dem Text anspricht, ist, dass er in seiner Schlichtheit, ja Banalität doch auf sehr grundsätzliche Weise allen ernsthaften Texten ähnelt, die je verfasst wurden. Alles, was nicht bloß in technischer Absicht oder für den raschen und folgenlosen Konsum geschrieben wird, entsteht nämlich wohl nach demselben Muster. Es gibt einen auslösenden Impuls — hier Wut; auch sonst nicht der schlechteste aller Gründe, um zu schreiben; es gibt eine Adressierung — die Texte immer haben, mag sie noch so diffus sein; und es gibt ein Moment der Reflexion auf Form und Inhalt — hier die Gänsefüßchen bei „normal“, was wohl anzeigen soll, dass die Formulierung bewusst gewählt wurde, um sich kurz und knapp verständlich zu machen, zugleich aber auch, dass die Wortwahl problematisch ist.
Mir gefällt der Text, weil er nicht einfach eine Feststellung trifft und sich auf eine nicht befolgte Regel beruft: „So können Sie hier nicht parken!“ Oder: „So wie Sie hier parken, das ist verboten!“ Vielmehr wird eine Frage formuliert, die implizit an die Selbstkritik des oder der Angesprochen appelliert. Allerdings ist wohl keine sinnvolle Antwort zu erwarten. Und auch darin gleicht der Zettel dem, was ich oben „ernsthafte Texte“ nannte: Der Verfasser wollte ihn unbedingt schreiben, war sich aber dabei der Vergeblichkeit seines Tuns bewusst. Mit nichttechnischen, nichtkommerziellen Texten erreicht man nichts. Der Zweck des Geschriebenen ist aber auch gar nicht eine Verhaltensänderung bei den Lesenden (denn die ist realistischerweise nicht zu erwarten), sondern das Geschriebensein selbst. Der Text soll existieren, weil das, was er besagt, gesagt sein soll. Weil es besser ist, dass es gesagt wird, als dass es ungesagt bleibt. Was dann daraus wird, liegt nicht mehr in der Verantwortung des Autors.
Im Fall des von mir gefundenen Zettels ist aus dem Text ein Anlass für einen weiteren Text geworden. Und das ist ja oft das beste, was einem Text passieren kann.
Donnerstag, 8. November 2012
Positive Wörter
Es gibt Texte, deren Lektüre lässt mich einmal mehr ahnen, dass ich die Welt nicht verstehe. Oder zumindest nicht verstehe, wie andere sie zu verstehen scheinen. „Kaffee verbessert positive Wahrnehmung“ lautet eine Überschrift in der FAZ. Und während ich noch rätsle, was denn wohl „negative Wahrnehmung“ sein könnte (Wegschauen?), lese ich weiter, und es kommt noch übler: „Einer Studie zufolge fallen positive Wörter schneller auf, wenn der Leser Kaffee getrunken hat. Die Forscher spekulieren nun über eine Verbindung von positiven Informationen und der linken Hirnhälfte.“ Was um Himmels willen sind „positive Wörter“?
Eigentlich pflege ich ja Artikel, in deren Einleitung Vokabeln wie „Information“ und „Hirnhälfte“ vorkommen, ab genau solchen Stellen nicht weiterzulesen, weil erfahrungsgemäß sowieso nur Quatsch drinstehen kann. Aber ich bin so fasziniert von dem für mich völlig nichtssagenden Ausdruck „positive Wörter“, dass ich zu gerne wissen möchte, was wohl damit gemeint ist. Ich kann es mir schlechterdings nicht vorstellen und könnte wohl selbst bei angestrengtestem Nachdenken nicht herausbekommen, was das denn sein soll.
Sind nicht alle Wörter, einfach weil es sie gibt, positiv, nämlich Gegebenheiten der Sprache? Und was wäre das Gegenteil eines positiven Worts? Etwas Ungesagtes? Wörter, mit denen man Negationen formuliert? Mit denen man Begriffe des Mangels bezeichnet? Rätselhaft.
Ich lese: „Forscher der Universität Bochum haben jetzt herausgefunden, dass Koffein die Wahrnehmung von positiven Begriffen in Texten verbessert. 66 Probanden sollten am Computerbildschirm echte Wörter von sinnlosen Begriffen unterscheiden. Dies klappte bei positiven Begriffen wie Flirt, Humor und Reichtum unter Koffeineinfluss deutlich besser als bei negativen oder neutralen Wörtern.“
Ach du liebe Zeit. Mal ganz abgesehen davon, dass hier offensichtlich „Begriff“ und „Wort“ fälschlich als verschiedene Ausdrücke desselben Begriffs gelten sollen: immerhin werden hier drei Beispiele gegeben — Flirt, Humor, Reichtum. Das also sind positive Wörter? Na, ich weiß nicht. Gibt es denn, diesseits abstrakter Analysen, derlei überhaupt: einzelne Wörter? Oder haben Wörter Bedeutungen nicht immer nur in (möglichen) Sätzen? Und Sätze in Situationen? „Das ist ein Flirt der CDU mit dem rechten Rand.“ „Sein ätzender Humor pflegt seine Freunde zu vergraulen.“ „Ihr Reichtum gründet auf der Ausbeutung ihrer Mitarbeiterinnen.“ Positive Wörter? Hm.
Ich verlasse die Seiten der FAZ und google. Da muss doch mehr herauszubekommen sein. Ich finde aber bloß noch irgendwo „Szene“ als neutrales Wort angegeben und „Schleim“ als negatives. Auch nicht sehr aussagekräftig. Es hilft nichts, ich muss „Plos One“ aufrufen, die Online-Fachzeitschrift in der der Herr Kuchinke und Frau Lux ihre Studie publiziert haben sollen. (Übrigens: Ist Bochum ein positives, neutrales oder negatives Wort?)
Oh weh. So wichtig ist mir die Angelegenheit auch wieder nicht, dass ich jetzt das ganze Gebrabbel durchlese. Ich überfliege ein paar Absätze und entdecke einen Verweis auf eine „Berlin Affective Word List“. Das klingt doch informativ, das sehe ich mir an. Aber wie zu erwarten: Es handelt sich wieder um einen Text, dessen gründliche Lektüre ich mir sicher nicht antun will. Schon gar nicht, wenn ich im ersten Absatz lesen darf: „Picture yourself lying on a pristine beach listening to the waves rolling in. You probably have positive emotions.“ Nein. Ich hasse Strände und das Meer geht mir auf die Nerven. (Ein Minderheitsvotum, ich weiß.)
Immerhin meine ich aber doch noch herauszubekommen, dass es um eine „valence“ geht, die von „pleasant“ bis „unpleasant“ reicht. Na, Psychologie ist aber einfach. Warum hab ich nicht sowas studiert, sondern Philosophie? Hätte mir Jahrzehnte des Nachdenkens erspart. Eine echt Liste mit Wörtern entdecke ich allerdings nicht. Egal, mir schwant schon, wie der Hase laufen soll.
Mit „positiv“ ist wohl gemeint: mit angenehmen Assoziationen verbunden. Aha. Und was einem gefällt, erkennt man eher und merkt es sich besser. Soso. Was Sie nicht sagen. Weil ich persönlich aber nicht daran glaube, dass Assoziationen und affektive Besetzungen immer bei allen gleich sind (und es gar nicht sein können) — meine von den Bildern der Werbeindustrie und den Urlaubssehnsüchten meiner Mitmenschen deutlich abweichende Einstellung zu Sonne, Strand und Palmen ist mir dafür ein Beleg unter vielen —, scheint mir der Aufwand, auf der Grundlage ungenauer Begriffe, aber mit viel „wissenschaftlichem“ Getue, in einer vorweg zurechtgelegten Empirie herumzustochern, in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn zu stehen, sondern bloß aufgemotzte Kaffeesatzleserei zu sein. Und die lehne ich als passionierter Teetrinker ab.
Eigentlich pflege ich ja Artikel, in deren Einleitung Vokabeln wie „Information“ und „Hirnhälfte“ vorkommen, ab genau solchen Stellen nicht weiterzulesen, weil erfahrungsgemäß sowieso nur Quatsch drinstehen kann. Aber ich bin so fasziniert von dem für mich völlig nichtssagenden Ausdruck „positive Wörter“, dass ich zu gerne wissen möchte, was wohl damit gemeint ist. Ich kann es mir schlechterdings nicht vorstellen und könnte wohl selbst bei angestrengtestem Nachdenken nicht herausbekommen, was das denn sein soll.
Sind nicht alle Wörter, einfach weil es sie gibt, positiv, nämlich Gegebenheiten der Sprache? Und was wäre das Gegenteil eines positiven Worts? Etwas Ungesagtes? Wörter, mit denen man Negationen formuliert? Mit denen man Begriffe des Mangels bezeichnet? Rätselhaft.
Ich lese: „Forscher der Universität Bochum haben jetzt herausgefunden, dass Koffein die Wahrnehmung von positiven Begriffen in Texten verbessert. 66 Probanden sollten am Computerbildschirm echte Wörter von sinnlosen Begriffen unterscheiden. Dies klappte bei positiven Begriffen wie Flirt, Humor und Reichtum unter Koffeineinfluss deutlich besser als bei negativen oder neutralen Wörtern.“
Ach du liebe Zeit. Mal ganz abgesehen davon, dass hier offensichtlich „Begriff“ und „Wort“ fälschlich als verschiedene Ausdrücke desselben Begriffs gelten sollen: immerhin werden hier drei Beispiele gegeben — Flirt, Humor, Reichtum. Das also sind positive Wörter? Na, ich weiß nicht. Gibt es denn, diesseits abstrakter Analysen, derlei überhaupt: einzelne Wörter? Oder haben Wörter Bedeutungen nicht immer nur in (möglichen) Sätzen? Und Sätze in Situationen? „Das ist ein Flirt der CDU mit dem rechten Rand.“ „Sein ätzender Humor pflegt seine Freunde zu vergraulen.“ „Ihr Reichtum gründet auf der Ausbeutung ihrer Mitarbeiterinnen.“ Positive Wörter? Hm.
Ich verlasse die Seiten der FAZ und google. Da muss doch mehr herauszubekommen sein. Ich finde aber bloß noch irgendwo „Szene“ als neutrales Wort angegeben und „Schleim“ als negatives. Auch nicht sehr aussagekräftig. Es hilft nichts, ich muss „Plos One“ aufrufen, die Online-Fachzeitschrift in der der Herr Kuchinke und Frau Lux ihre Studie publiziert haben sollen. (Übrigens: Ist Bochum ein positives, neutrales oder negatives Wort?)
Oh weh. So wichtig ist mir die Angelegenheit auch wieder nicht, dass ich jetzt das ganze Gebrabbel durchlese. Ich überfliege ein paar Absätze und entdecke einen Verweis auf eine „Berlin Affective Word List“. Das klingt doch informativ, das sehe ich mir an. Aber wie zu erwarten: Es handelt sich wieder um einen Text, dessen gründliche Lektüre ich mir sicher nicht antun will. Schon gar nicht, wenn ich im ersten Absatz lesen darf: „Picture yourself lying on a pristine beach listening to the waves rolling in. You probably have positive emotions.“ Nein. Ich hasse Strände und das Meer geht mir auf die Nerven. (Ein Minderheitsvotum, ich weiß.)
Immerhin meine ich aber doch noch herauszubekommen, dass es um eine „valence“ geht, die von „pleasant“ bis „unpleasant“ reicht. Na, Psychologie ist aber einfach. Warum hab ich nicht sowas studiert, sondern Philosophie? Hätte mir Jahrzehnte des Nachdenkens erspart. Eine echt Liste mit Wörtern entdecke ich allerdings nicht. Egal, mir schwant schon, wie der Hase laufen soll.
Mit „positiv“ ist wohl gemeint: mit angenehmen Assoziationen verbunden. Aha. Und was einem gefällt, erkennt man eher und merkt es sich besser. Soso. Was Sie nicht sagen. Weil ich persönlich aber nicht daran glaube, dass Assoziationen und affektive Besetzungen immer bei allen gleich sind (und es gar nicht sein können) — meine von den Bildern der Werbeindustrie und den Urlaubssehnsüchten meiner Mitmenschen deutlich abweichende Einstellung zu Sonne, Strand und Palmen ist mir dafür ein Beleg unter vielen —, scheint mir der Aufwand, auf der Grundlage ungenauer Begriffe, aber mit viel „wissenschaftlichem“ Getue, in einer vorweg zurechtgelegten Empirie herumzustochern, in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn zu stehen, sondern bloß aufgemotzte Kaffeesatzleserei zu sein. Und die lehne ich als passionierter Teetrinker ab.
Aufgeschnappt (bei einem Multimilliardär)
We should have a revolution in this country!
Donald Trump (Wähler)
Sonntag, 4. November 2012
Huch, wo sind die Schwuchteln hin (3): Zahlen und Antworten
Identifizieren Sie persönlich sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender? Was für eine merkwürdige Frage. Was soll man drauf antworten? Was sind das überhaupt für Kategorien? Niemand ist doch lesbisch und schwul und bisexuell. Und wer „transgender“ oder — der Begriff fehlt hier, wird aber sonst oft der Aufreihung angefügt — „intersexuell“ ist oder zu sein meint, kann ebenso gut heterosexuell wie homosexuell oder bisexuell oder asexuell sein (oder auf Sex mit Tier stehen oder mit leblosen Gegenständen oder …). Warum wird hier Identität mit Orientierung durcheinandergebracht? Und was ist mit der möglicherweise recht diversifizierten Praxis? Was mit den Offenheiten und Widersprüchen, den Veränderungen und Zielen?
Die die merkwürdige Frage haben stellen lassen, haben zugegeben, dass deshalb so und nicht anders gefragt wurde, weil die Vierfaltigkeit von LGBT „commonly used in current American discourse“, also gängig im gegenwärtigen amerikanischen Diskurs sei. Oben habe ich denselben Ausdruck mit „üblicherweise in der aktuellen amerikanischen Diskussion verwendet“ übersetzt, hier kommt es mir darauf an, das Augenmerk auf die Diskurs genannte Verbindung von Macht und Wissen, aus das den wahrheitsproduzierenden Effekt diskursiver Praktiken zu richten.
Man erhält nämlich eine ganz andere „Wahrheit“ je nach dem, ob man fragt, was jemand tut oder tun will, um daraus (wie zuverlässig oder unzuverlässig auch immer) auf sein Sein zu schließen, oder ob man eine Selbstidentifizierung in engem Begriffsrahmen abfragt. Ostentativ hat die Gallup-Umfrage auf die Erhebung von Präferenzen und Praktiken verzichtet und (von einer Frage nach der Selbsteinschätzung der wirtschaftlichen Zukunft abgesehen) lediglich Seinskategorien ermittelt: Alter, Geschlecht, „Rasse“, Einkommensklasse, Bildungsschicht — und eben auch „sexuelle Identität“. Damit fällt ihr Erkenntniswert weit hinter alle sexualwissenschaftlichen Studien seit Kinsey zurück.
Wer nämlich auf die Frage, ob er sich selbst als LBGT identifiziere, mit Ja antwortet, sagt im Grunde nichts über sein Sexualleben aus, geschweige denn über seine Wünsche und Möglichkeiten, sondern akzeptiert schlicht die Zugehörigkeit zu einer imaginären „community“. Statt aber selbstgewähltes Kürzel eines „strategischen Essenzialismus“ zu sein — man nennt sich „schwul“, um zu markieren, dass man auf eine noch näher zu bestimmende Weise von der Heteronorm abweicht —, wird das Etikett LBGT so zu einer identitätspolitischen Selbstverpflichtung auf ein bestimmtes Bild, das andere (und durch diese das sich so identifizierende Subjekt selbst) davon haben, was es heißt, ausdrücklich nicht oder nicht richtig heterosexuell zu sein.
Niemand aber „ist“ LBGT und niemand kann es sein. Wer diese Identität zu haben meint, verwechselt sein ureigenstes Selbstsein mit einer sozial verordneten „Individualität“. Es gibt gute Gründe für diese Verwechslung. Um sich selbst zu verstehen und anderen verständlich zu machen, muss jedes Subjekt auf ihm eigentlich unangemessene, weil zu allgemeine Kategorien zurückgreifen. Das ist nicht weiter schlimm, sofern der Prozess der Verständigung nicht stehen bleibt, sondern fortschreitet. Diskursive Praktiken aber, denen es bloß um handhabbare Etikettierungen zu tun ist, stellen das Verstehen still. Sie simulieren ein Verständnis, das freilich ein Verstehen von nahezu nichts, da in Wahrheit kein lebender Mensch mit seiner „Identität“ identisch ist.
Die Schwulenfeinde* reiben sich also etwas zu früh die Hände. Es stimmt, der von Gallup erfragte Wert von 3,4 % der US-amerikanischen Bevölkerung, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender ist erstaunlich gering, geringer jedenfalls als die meisten früher erhobenen oder geschätzten Zahlen von homosexuell betätigenden Menschen. Das bedeutet aber nicht, dass es weniger „Lesben“, „Schwule“, „Bisexuelle“ (und „Transgender-Personen“) gibt, als bisher angenommen, sondern nur, dass zwischen der Zwangsidentität „LBGT“ — und der auf ihr angeblich beruhenden „community“ samt ihren selbsternannten Repräsentanten — und dem wirklichen Leben nur ein ziemlich loser Zusammenhang besteht.
Es bedeutet aber auch, dass die vorherrschende Identitätspolitik ins Leere läuft. So zu tun, als seien LBGT (oder LBGTI*Q) eine Gruppe, ein Stamm, eine Ethnie oder wenigsten ein Bevölkerungsteil wie Mormonen oder Juden, Irischstämmige oder „Schwarze“, Linkshänder oder Legastheniker, war von Anfang an verfehlt. Indem man sich an Feminismus und Bürgerrechtsbewegung orientierte, konstruiert man ein Subjekt, das den „Frauen“ oder den „Afro-Amerikanern“ zu korrespondieren hatte und dessen Befreiung oder Emanzipation man anstrebte, auch wenn man am Ende nicht mehr wusste, in was anderem diese bestehen sollte als in der Integration in die ansonsten unverändert weiterbestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Der für europäische Aufbrüche so wichtige (wenn auch letztlich wirkungslose) Gedanke einer Veränderung der Gesellschaft als ganzer ging im amerikanischen Modell der konsumistisch-hedonistischen Nischenexistenz völlig verloren. Man kümmerte sich darum, die Homosexuellen zu „befreien“, das heißt: sie zu gleichberechtigten Marktteilnehmern zu machen, statt die Homosexualitäten zu befreien, das heißt: die außerhalb (und in Wahrheit letztlich auch innerhalb) des Homosexuellseins der Homosexuellen unangetastet bleibende hegemoniale Heterosexualität in Frage zu stellen und, wo möglich, zu bekämpfen.
Man tat, dem amerikanischen Modell folgend, was andere Sondergruppen auch tun, man wählte Parade und Flagge, um sich „sichtbar“ zu machen, also einschätzbar, zuordenbar, ungefährlich. Was den Irischstämmigen ihr St Patrick’s Day, ist den LGBTI*Q ihr Christopher Street Day, und zeigen jene Grün, so diese den Regenbogen. Schwul oder lesbisch zu sein hörte, nach einem kurzen Moment revolutionärer Gestimmtheit, auf, ein Anspruch zu sein — nämlich einer nicht bloß auf individuelles oder paarweises Glück, sondern auf Gerechtigkeit und Freiheit für alle und jeden —, und wurde zur Identität. Darin nicht prinzipiell unterschieden von Veganertum oder der Vorliebe für country music.
Damit wurde aber, ein scheinbar paradoxer Effekt, diese Marke für alle diejenigen uninteressant oder gar abstoßend, die zwar gleichgeschlechtliche Erfahrungen haben oder haben wollen, aber nicht willens sind, sich deswegen mit der Vorgabe, wie man als LGBT-Person gefälligst zu sein hat, zu identifizieren, die sich also nicht wiederkennen in den lesbischundschwulenundsoweiter Repräsentationen der Regenbogengemeinschaft und die deshalb den Schritt nicht machen, der als obligatorisch gilt, um etwas anderes als heterosexuell sein zu dürfen: Raus aus dem Schrank und rein in die Homonormativität.
Am Rande sei vermerkt, dass sexualwissenschaftliche Studien darauf hinweisen, dass unter Jugendlichen, die früher doch als besonders wenig festgelegt und offen für Selbsterfahrung galten, homosexuelle Aktivitäten (wie übrigens auch Masturbation) auf dem Rückzug sind. und das in einer sich als immer liberaler, immer toleranter, immer permissiver verstehenden Gesellschaft! Doch die Erklärung liegt nahe: In demselben Maße, in dem Homosexualität erlaubt, aber an die Selbstbestimmung als Homosexueller gebunden wird, wird sie für die meisten zur Unmöglichkeit. Der eine oder andere Jugendliche würde wohl ganz gern mit seinem Kumpel rummachen, aber schwul, nein, schwul ist er selbstverständlich nicht. Es ist okay, wenn du schwul bist, lautet die Drohbotschaft, aber dann sei es auch gefälligst. Homosexualität auf das Homosexuellsein der Homosexuellen zu reduzieren, hat also den gewünschten Effekt der Beschränkung durch Ab- und Ausgrenzung.
Die 3,4 % der erwachsenen US-amerikanischen Bevölkerung jedenfalls, die bei der Gallup-Umfrage angaben, sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender zu identifizieren, sind nicht oder nur zum Teil die, die jemand wie ich meint, wenn er von Schwulen (oder Schwulen und Lesben) spricht. Die sind nämlich noch viel weniger. Und so soll es auch sein. Die sind nämlich gar nicht abzählbar. Schwulsein ist nicht messbar. Und umgekehrt gilt: Was abzählbar und messbar ist, hat mit Homosexualität, wie ich alte Emanzipationsschwuchtel sie verstehe, nichts zu tun.
Die die merkwürdige Frage haben stellen lassen, haben zugegeben, dass deshalb so und nicht anders gefragt wurde, weil die Vierfaltigkeit von LGBT „commonly used in current American discourse“, also gängig im gegenwärtigen amerikanischen Diskurs sei. Oben habe ich denselben Ausdruck mit „üblicherweise in der aktuellen amerikanischen Diskussion verwendet“ übersetzt, hier kommt es mir darauf an, das Augenmerk auf die Diskurs genannte Verbindung von Macht und Wissen, aus das den wahrheitsproduzierenden Effekt diskursiver Praktiken zu richten.
Man erhält nämlich eine ganz andere „Wahrheit“ je nach dem, ob man fragt, was jemand tut oder tun will, um daraus (wie zuverlässig oder unzuverlässig auch immer) auf sein Sein zu schließen, oder ob man eine Selbstidentifizierung in engem Begriffsrahmen abfragt. Ostentativ hat die Gallup-Umfrage auf die Erhebung von Präferenzen und Praktiken verzichtet und (von einer Frage nach der Selbsteinschätzung der wirtschaftlichen Zukunft abgesehen) lediglich Seinskategorien ermittelt: Alter, Geschlecht, „Rasse“, Einkommensklasse, Bildungsschicht — und eben auch „sexuelle Identität“. Damit fällt ihr Erkenntniswert weit hinter alle sexualwissenschaftlichen Studien seit Kinsey zurück.
Wer nämlich auf die Frage, ob er sich selbst als LBGT identifiziere, mit Ja antwortet, sagt im Grunde nichts über sein Sexualleben aus, geschweige denn über seine Wünsche und Möglichkeiten, sondern akzeptiert schlicht die Zugehörigkeit zu einer imaginären „community“. Statt aber selbstgewähltes Kürzel eines „strategischen Essenzialismus“ zu sein — man nennt sich „schwul“, um zu markieren, dass man auf eine noch näher zu bestimmende Weise von der Heteronorm abweicht —, wird das Etikett LBGT so zu einer identitätspolitischen Selbstverpflichtung auf ein bestimmtes Bild, das andere (und durch diese das sich so identifizierende Subjekt selbst) davon haben, was es heißt, ausdrücklich nicht oder nicht richtig heterosexuell zu sein.
Niemand aber „ist“ LBGT und niemand kann es sein. Wer diese Identität zu haben meint, verwechselt sein ureigenstes Selbstsein mit einer sozial verordneten „Individualität“. Es gibt gute Gründe für diese Verwechslung. Um sich selbst zu verstehen und anderen verständlich zu machen, muss jedes Subjekt auf ihm eigentlich unangemessene, weil zu allgemeine Kategorien zurückgreifen. Das ist nicht weiter schlimm, sofern der Prozess der Verständigung nicht stehen bleibt, sondern fortschreitet. Diskursive Praktiken aber, denen es bloß um handhabbare Etikettierungen zu tun ist, stellen das Verstehen still. Sie simulieren ein Verständnis, das freilich ein Verstehen von nahezu nichts, da in Wahrheit kein lebender Mensch mit seiner „Identität“ identisch ist.
Die Schwulenfeinde* reiben sich also etwas zu früh die Hände. Es stimmt, der von Gallup erfragte Wert von 3,4 % der US-amerikanischen Bevölkerung, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender ist erstaunlich gering, geringer jedenfalls als die meisten früher erhobenen oder geschätzten Zahlen von homosexuell betätigenden Menschen. Das bedeutet aber nicht, dass es weniger „Lesben“, „Schwule“, „Bisexuelle“ (und „Transgender-Personen“) gibt, als bisher angenommen, sondern nur, dass zwischen der Zwangsidentität „LBGT“ — und der auf ihr angeblich beruhenden „community“ samt ihren selbsternannten Repräsentanten — und dem wirklichen Leben nur ein ziemlich loser Zusammenhang besteht.
Es bedeutet aber auch, dass die vorherrschende Identitätspolitik ins Leere läuft. So zu tun, als seien LBGT (oder LBGTI*Q) eine Gruppe, ein Stamm, eine Ethnie oder wenigsten ein Bevölkerungsteil wie Mormonen oder Juden, Irischstämmige oder „Schwarze“, Linkshänder oder Legastheniker, war von Anfang an verfehlt. Indem man sich an Feminismus und Bürgerrechtsbewegung orientierte, konstruiert man ein Subjekt, das den „Frauen“ oder den „Afro-Amerikanern“ zu korrespondieren hatte und dessen Befreiung oder Emanzipation man anstrebte, auch wenn man am Ende nicht mehr wusste, in was anderem diese bestehen sollte als in der Integration in die ansonsten unverändert weiterbestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Der für europäische Aufbrüche so wichtige (wenn auch letztlich wirkungslose) Gedanke einer Veränderung der Gesellschaft als ganzer ging im amerikanischen Modell der konsumistisch-hedonistischen Nischenexistenz völlig verloren. Man kümmerte sich darum, die Homosexuellen zu „befreien“, das heißt: sie zu gleichberechtigten Marktteilnehmern zu machen, statt die Homosexualitäten zu befreien, das heißt: die außerhalb (und in Wahrheit letztlich auch innerhalb) des Homosexuellseins der Homosexuellen unangetastet bleibende hegemoniale Heterosexualität in Frage zu stellen und, wo möglich, zu bekämpfen.
Man tat, dem amerikanischen Modell folgend, was andere Sondergruppen auch tun, man wählte Parade und Flagge, um sich „sichtbar“ zu machen, also einschätzbar, zuordenbar, ungefährlich. Was den Irischstämmigen ihr St Patrick’s Day, ist den LGBTI*Q ihr Christopher Street Day, und zeigen jene Grün, so diese den Regenbogen. Schwul oder lesbisch zu sein hörte, nach einem kurzen Moment revolutionärer Gestimmtheit, auf, ein Anspruch zu sein — nämlich einer nicht bloß auf individuelles oder paarweises Glück, sondern auf Gerechtigkeit und Freiheit für alle und jeden —, und wurde zur Identität. Darin nicht prinzipiell unterschieden von Veganertum oder der Vorliebe für country music.
Damit wurde aber, ein scheinbar paradoxer Effekt, diese Marke für alle diejenigen uninteressant oder gar abstoßend, die zwar gleichgeschlechtliche Erfahrungen haben oder haben wollen, aber nicht willens sind, sich deswegen mit der Vorgabe, wie man als LGBT-Person gefälligst zu sein hat, zu identifizieren, die sich also nicht wiederkennen in den lesbischundschwulenundsoweiter Repräsentationen der Regenbogengemeinschaft und die deshalb den Schritt nicht machen, der als obligatorisch gilt, um etwas anderes als heterosexuell sein zu dürfen: Raus aus dem Schrank und rein in die Homonormativität.
Am Rande sei vermerkt, dass sexualwissenschaftliche Studien darauf hinweisen, dass unter Jugendlichen, die früher doch als besonders wenig festgelegt und offen für Selbsterfahrung galten, homosexuelle Aktivitäten (wie übrigens auch Masturbation) auf dem Rückzug sind. und das in einer sich als immer liberaler, immer toleranter, immer permissiver verstehenden Gesellschaft! Doch die Erklärung liegt nahe: In demselben Maße, in dem Homosexualität erlaubt, aber an die Selbstbestimmung als Homosexueller gebunden wird, wird sie für die meisten zur Unmöglichkeit. Der eine oder andere Jugendliche würde wohl ganz gern mit seinem Kumpel rummachen, aber schwul, nein, schwul ist er selbstverständlich nicht. Es ist okay, wenn du schwul bist, lautet die Drohbotschaft, aber dann sei es auch gefälligst. Homosexualität auf das Homosexuellsein der Homosexuellen zu reduzieren, hat also den gewünschten Effekt der Beschränkung durch Ab- und Ausgrenzung.
Die 3,4 % der erwachsenen US-amerikanischen Bevölkerung jedenfalls, die bei der Gallup-Umfrage angaben, sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender zu identifizieren, sind nicht oder nur zum Teil die, die jemand wie ich meint, wenn er von Schwulen (oder Schwulen und Lesben) spricht. Die sind nämlich noch viel weniger. Und so soll es auch sein. Die sind nämlich gar nicht abzählbar. Schwulsein ist nicht messbar. Und umgekehrt gilt: Was abzählbar und messbar ist, hat mit Homosexualität, wie ich alte Emanzipationsschwuchtel sie verstehe, nichts zu tun.
* Etwa der Family Research Council, der auf seiner Website mitteilt: When Gallup asked people to estimate how many Americans were homosexual in 2011, most guessed 25%. Turns out, they were about 22% off. The actual number, Gallup reports today, is about 3.4%—a startling statistic for most people who just naturally assumed the media saturation was driven by a big population. (…) For years, these 3.4% have seemed to enjoy 100% accommodation. As a community, they’ve gone out of their way to demand special treatment—even trampling the freedom and values of the other 97% to secure it.
Huch, wo sind die Schwuchteln hin (2): Zahlen und Zahlen
Zunächst einmal scheint ein Anteil von 3,4 % von sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender Identifizierenden gering zu sein im Vergleich mit früher genannten Zahlen. War nicht immer von zehn Prozent Homosexuellen die Rede gewesen? Nun, diese Phantasiezahl hatte wohl immer nur einen symbolischen Wert. Sie ist eine von vielen, oft sehr unterschiedlichen Zahlen, die mit zum Teil grundverschiedenen Mitteln herausgefunden worden sein sollen.
Der erste, der an die Sache wissenschaftlich heranging, war bekanntlich der Biologe Alfred C. Kinsey, der mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zunächst das „Sexualverhalten des menschlichen Männchens“ und später auch das „Sexualverhalten des menschlichen Weibchens“ gründlich studierte und dazu 1948 und 1953 Zahlen veröffentlichte. Diese alten Zahlen können allerdings mit den jetzigen der Gallup-Umfrage ganz einfach deshalb nicht verglichen werden, weil jeweils eine ganz andere Sichtweise zu Grunde liegt.
Kinsey fragte nicht nach Selbstkategorisierung, sondern nach wirklichem Verhalten und wirklichem Begehren. Er teilte auch nicht einfach ein in „LBGT“ und „nicht-LBGT“, sondern entwarf bekanntlich eine komplexe Skala, die von 0 = ausschließlich heterosexuell, 1 = überwiegend heterosexuell, nur gelegentlich homosexuell, 2 = überwiegend heterosexuell, aber mehr als nur gelegentlich homosexuell, 3 = gleichermaßen hetero- und homosexuell, 4 = überwiegend homosexuell, aber mehr als nur gelegentlich heterosexuell, 5 = homosexuell, nur gelegentlich heterosexuell bis 6 = ausschließlich homosexuell reichte (und später um x = asexuell erweitert wurde).
Kinseys bahnbrechende (aber oft vergessene) Entdeckung ist, dass es nicht bloß Schwarz und Weiß gibt, sondern viel Grau, dass also die Menschen nicht einfach heterosexuell oder homosexuell sind, sondern sich je nach Akten und Phantasien, nach Gelegenheiten und Gewohnheiten unterschiedlich zuordnen lassen. Es kann einer von Sex mit Männer phantasieren, ohne ihn je zu haben, es kann eine, etwa aus gewerblichen Gründen, mit vielen Männern schlafen, um schließlich mit einer Frau die große Liebe zu finden. Kinseys Skala ist der Versuch, die empirische Vielfalt, die mit der berühmten Einsicht von Wilhelm Fließ und Sigmund Freud in die bisexuelle Natur des Menschen korrespondiert, in abzählbare Verhältnisse zu bringen.
Naturgemäß sind diese Zahlen kritisiert, nachgerechnet, verworfen und bestätigt worden. Darauf kommt es nicht an. Für die Sexualwissenschaft entscheidend ist, um es nochmals zu sagen, dass nicht einer überwältigenden Zahl von exklusiv Heterosexuellen eine winzige Zahl von exklusiv Homosexuellen gegenübersteht, sondern dass Ausschließlichkeit als solche minoritär ist — wenn auch, als Imagination und Ideal, vorherrschend — und Abweichungen von der Exklusivitätsnorm in großer Zahl vorkommen.
Hier ein paar Daten aus Kinseys Untersuchungen: „37 % der gesamten männlichen Bevölkerung haben zumindest einige physische homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus zwischen Pubertät und Greisenalter. Dies bedeutet nahezu zwei von fünf Männern. 50 % der Männer, die bis zum Alter von 35 ledig bleiben, haben vom Beginn der Pubertät an physisch homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus. 13 % der Männer reagieren erotisch auf andere Männer ohne tatsächliche homosexuelle Kontakte nach Beginn der Pubertät zu haben. 30 % aller Männer haben zumindest einzelne homosexuelle Erlebnisse oder Reaktionen (Werte 1-6) über eine Periode von mindestens drei Jahren zwischen dem Alter von 16 und 55 Jahren. Es handelt sich also um einen von drei Männern, die die frühen Jahre der Pubertät überschritten haben. 25 % der männlichen Bevölkerung haben mehr als einzelne Erlebnisse oder Reaktionen (Werte 2-6) über mindestens drei Jahre zwischen dem Alter von 16 bis 55 Jahren. In Durchschnittszahlen heißt das, dass etwa einer von vier Männern derart deutliche und fortgesetzte homosexuelle Erlebnisse entweder gehabt hat oder haben wird. 18 % der Männer haben mindestens genau so viele homosexuelle wie auch heterosexuelle Erlebnisse in ihrer Geschichte (Werte 3-6) über mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Dies ist mehr als einer von sechs in der weißen männlichen Bevölkerung. 13 % der Bevölkerung weisen stärkere Homosexualität als Heterosexualität auf (Werte 4-6) über mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Das bedeutet einer von acht aus der weißen männlichen Bevölkerung. 10 % der Männer sind mehr oder weniger ausschließlich homosexuell (Werte 5 oder 6) durch mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Das ist einer von zehn der weißen Bevölkerung. 8 % der Männer sind ausschließlich homosexuell (Wert 6) durch mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren, das heißt einer von dreizehn Männern. 4 % der weißen Männer sind ihr ganzes Leben hindurch ausschließlich homosexuell (nach Beginn der Pubertät).” [Zitiert nach meinem Vortrag „Schwarz, Weiß und Grau“; siehe dort die Quellenangaben, St.B.]
Was Kinseys Zahlenmaterial insgesamt abzubilden versucht, ist ein komplexes Feld. Nicht persönliche Selbstzuschreibung einer einmal angenommenen Identität ist das Thema, sondern eine möglichst objektive Erkundung von sich aus teils vorübergehenden, teils lebenslangen Verhaltensweisen und Begehrensformen zusammensetzenden Sexualbiographien.
Was nun die Prozentzahlen als solche betrifft, so fällt ein Vergleich, falls er überhaupt sinnvoll versucht werden kann, sehr schwer. Den 4 % weißer Exklusivhomosexueller bei Kinsey stehen bei Gallup 3,3 % weißer Männer gegenüber, die sich selbst als „lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender“ identifizieren. Da von dem Gallup-Wert noch die nicht exklusiv homosexuellen Transgender-Personen und die Bisexuellen abzuziehen wären (und die rein theoretisch mögliche Zahl weißer Männer, die eine lesbische Identität zu haben meinen …), bleibt von den 3,3 % nicht mehr allzu viel übrig, jedenfalls deutlich weniger als 4.
Das ist verblüffend. Hat sich der Anteil der Schwulen an der weißen Bevölkerung der USA seit den 40er Jahren etwa stark reduziert? Und das trotz sexueller Revolution, trotz schwuler Emanzipationsbewegung, trotz permissiver Gesellschaft? Und was ist aus den 18 % geworden, die laut Kinsey gleich viele homosexuelle wie auch heterosexuelle Erlebnisse haben, also wohl als bisexuell zu bezeichnen wären? Und aus den 13 %, die mehr homosexuelle als heterosexuelle Erlebnisse haben? Ging von denen keiner ans Telefon oder hat man sie bloß in einer „falschen“, nämlich doch überwiegend heterosexuellen Phase erwischt?
Das Rätsel um die Zahlen ist gar keines. Kinsey und seine Mitarbeiter wollten anhand objektiver Kriterien mit objektivierbaren Methoden objektive Fakten über das Sexualverhalten ermitteln. (Ob ihnen das gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt.) Die Gallup-Umfrage verlangte nach einer subjektiven Identifizierung. Der Kinsey-Report beschrieb die Vielfalt und wohl auch Widersprüchlichkeit sexueller Praktiken und Wünsche. Was das Gallup-Institut herausgefunden hat — weil es auch gar nichts anderes herausfinden wollte —, ist lediglich, wer bereit ist, sich einer vorgegebenen Kategorie zuzuordnen. Hier rechnerische Vergleiche anzustellen, hieße Äpfel mit Birnen zu verrechnen.
Der erste, der an die Sache wissenschaftlich heranging, war bekanntlich der Biologe Alfred C. Kinsey, der mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zunächst das „Sexualverhalten des menschlichen Männchens“ und später auch das „Sexualverhalten des menschlichen Weibchens“ gründlich studierte und dazu 1948 und 1953 Zahlen veröffentlichte. Diese alten Zahlen können allerdings mit den jetzigen der Gallup-Umfrage ganz einfach deshalb nicht verglichen werden, weil jeweils eine ganz andere Sichtweise zu Grunde liegt.
Kinsey fragte nicht nach Selbstkategorisierung, sondern nach wirklichem Verhalten und wirklichem Begehren. Er teilte auch nicht einfach ein in „LBGT“ und „nicht-LBGT“, sondern entwarf bekanntlich eine komplexe Skala, die von 0 = ausschließlich heterosexuell, 1 = überwiegend heterosexuell, nur gelegentlich homosexuell, 2 = überwiegend heterosexuell, aber mehr als nur gelegentlich homosexuell, 3 = gleichermaßen hetero- und homosexuell, 4 = überwiegend homosexuell, aber mehr als nur gelegentlich heterosexuell, 5 = homosexuell, nur gelegentlich heterosexuell bis 6 = ausschließlich homosexuell reichte (und später um x = asexuell erweitert wurde).
Kinseys bahnbrechende (aber oft vergessene) Entdeckung ist, dass es nicht bloß Schwarz und Weiß gibt, sondern viel Grau, dass also die Menschen nicht einfach heterosexuell oder homosexuell sind, sondern sich je nach Akten und Phantasien, nach Gelegenheiten und Gewohnheiten unterschiedlich zuordnen lassen. Es kann einer von Sex mit Männer phantasieren, ohne ihn je zu haben, es kann eine, etwa aus gewerblichen Gründen, mit vielen Männern schlafen, um schließlich mit einer Frau die große Liebe zu finden. Kinseys Skala ist der Versuch, die empirische Vielfalt, die mit der berühmten Einsicht von Wilhelm Fließ und Sigmund Freud in die bisexuelle Natur des Menschen korrespondiert, in abzählbare Verhältnisse zu bringen.
Naturgemäß sind diese Zahlen kritisiert, nachgerechnet, verworfen und bestätigt worden. Darauf kommt es nicht an. Für die Sexualwissenschaft entscheidend ist, um es nochmals zu sagen, dass nicht einer überwältigenden Zahl von exklusiv Heterosexuellen eine winzige Zahl von exklusiv Homosexuellen gegenübersteht, sondern dass Ausschließlichkeit als solche minoritär ist — wenn auch, als Imagination und Ideal, vorherrschend — und Abweichungen von der Exklusivitätsnorm in großer Zahl vorkommen.
Hier ein paar Daten aus Kinseys Untersuchungen: „37 % der gesamten männlichen Bevölkerung haben zumindest einige physische homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus zwischen Pubertät und Greisenalter. Dies bedeutet nahezu zwei von fünf Männern. 50 % der Männer, die bis zum Alter von 35 ledig bleiben, haben vom Beginn der Pubertät an physisch homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus. 13 % der Männer reagieren erotisch auf andere Männer ohne tatsächliche homosexuelle Kontakte nach Beginn der Pubertät zu haben. 30 % aller Männer haben zumindest einzelne homosexuelle Erlebnisse oder Reaktionen (Werte 1-6) über eine Periode von mindestens drei Jahren zwischen dem Alter von 16 und 55 Jahren. Es handelt sich also um einen von drei Männern, die die frühen Jahre der Pubertät überschritten haben. 25 % der männlichen Bevölkerung haben mehr als einzelne Erlebnisse oder Reaktionen (Werte 2-6) über mindestens drei Jahre zwischen dem Alter von 16 bis 55 Jahren. In Durchschnittszahlen heißt das, dass etwa einer von vier Männern derart deutliche und fortgesetzte homosexuelle Erlebnisse entweder gehabt hat oder haben wird. 18 % der Männer haben mindestens genau so viele homosexuelle wie auch heterosexuelle Erlebnisse in ihrer Geschichte (Werte 3-6) über mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Dies ist mehr als einer von sechs in der weißen männlichen Bevölkerung. 13 % der Bevölkerung weisen stärkere Homosexualität als Heterosexualität auf (Werte 4-6) über mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Das bedeutet einer von acht aus der weißen männlichen Bevölkerung. 10 % der Männer sind mehr oder weniger ausschließlich homosexuell (Werte 5 oder 6) durch mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Das ist einer von zehn der weißen Bevölkerung. 8 % der Männer sind ausschließlich homosexuell (Wert 6) durch mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren, das heißt einer von dreizehn Männern. 4 % der weißen Männer sind ihr ganzes Leben hindurch ausschließlich homosexuell (nach Beginn der Pubertät).” [Zitiert nach meinem Vortrag „Schwarz, Weiß und Grau“; siehe dort die Quellenangaben, St.B.]
Was Kinseys Zahlenmaterial insgesamt abzubilden versucht, ist ein komplexes Feld. Nicht persönliche Selbstzuschreibung einer einmal angenommenen Identität ist das Thema, sondern eine möglichst objektive Erkundung von sich aus teils vorübergehenden, teils lebenslangen Verhaltensweisen und Begehrensformen zusammensetzenden Sexualbiographien.
Was nun die Prozentzahlen als solche betrifft, so fällt ein Vergleich, falls er überhaupt sinnvoll versucht werden kann, sehr schwer. Den 4 % weißer Exklusivhomosexueller bei Kinsey stehen bei Gallup 3,3 % weißer Männer gegenüber, die sich selbst als „lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender“ identifizieren. Da von dem Gallup-Wert noch die nicht exklusiv homosexuellen Transgender-Personen und die Bisexuellen abzuziehen wären (und die rein theoretisch mögliche Zahl weißer Männer, die eine lesbische Identität zu haben meinen …), bleibt von den 3,3 % nicht mehr allzu viel übrig, jedenfalls deutlich weniger als 4.
Das ist verblüffend. Hat sich der Anteil der Schwulen an der weißen Bevölkerung der USA seit den 40er Jahren etwa stark reduziert? Und das trotz sexueller Revolution, trotz schwuler Emanzipationsbewegung, trotz permissiver Gesellschaft? Und was ist aus den 18 % geworden, die laut Kinsey gleich viele homosexuelle wie auch heterosexuelle Erlebnisse haben, also wohl als bisexuell zu bezeichnen wären? Und aus den 13 %, die mehr homosexuelle als heterosexuelle Erlebnisse haben? Ging von denen keiner ans Telefon oder hat man sie bloß in einer „falschen“, nämlich doch überwiegend heterosexuellen Phase erwischt?
Das Rätsel um die Zahlen ist gar keines. Kinsey und seine Mitarbeiter wollten anhand objektiver Kriterien mit objektivierbaren Methoden objektive Fakten über das Sexualverhalten ermitteln. (Ob ihnen das gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt.) Die Gallup-Umfrage verlangte nach einer subjektiven Identifizierung. Der Kinsey-Report beschrieb die Vielfalt und wohl auch Widersprüchlichkeit sexueller Praktiken und Wünsche. Was das Gallup-Institut herausgefunden hat — weil es auch gar nichts anderes herausfinden wollte —, ist lediglich, wer bereit ist, sich einer vorgegebenen Kategorie zuzuordnen. Hier rechnerische Vergleiche anzustellen, hieße Äpfel mit Birnen zu verrechnen.
Huch, wo sind die Schwuchteln hin (1): Fragen und Zahlen
121.290 erwachsenen Bewohnerinnen und Bewohner der USA hat das Gallup Institute zwischen 1. Juli und 30. September 2012 telephonisch diese Frage stellen lassen (auf Englisch oder Spanisch): Identifizieren Sie persönlich sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender? Darauf antworteten 3,4 % mit Ja, 92, 2 % mit Nein und Rest gab keine Antwort.
Weitere Ergebnisse der Umfrage sind, dass sich 3,6 % der Frauen und 3,3 % der Männer als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich 3,2 % der „Non-Hispanic Whites“, 4,6 % der „Blacks“, 4,0 % der „Hispanics“ und 4,3 % der „Asians“ als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich Befragte im Alter von 18 bis 29 Jahren zu 6,4 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, solche im Alter von 30 bis 49 Jahren zu 3,2 %, im Alter von 50 bis 64 zu 2,6 % und die, die 65 Jahre alt oder älter sind, zu 1,9 %; dass sich von den 18- bis 29-jährigen Frauen 8,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren und 4,6 % der Männer derselben Altersgruppe; dass von denen, die allenfalls eine high school besucht haben, 3,5 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen, die ein college besucht, aber keinen Abschluss gemacht haben 4,0 %, von denen, die allenfalls einen College-Abschluss haben, 2,8 % und von denen, die nach dem college noch weitere Bildungseinrichtungen besucht haben, 3,2 %; dass von denen, die ein Einkommen von weniger als 24.000 Dollar im Jahr haben, sich 5,1 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen mit einem Einkommen zwischen mindestens 24.000 und weniger als 60.000 Dollar 3,6 %, von denen mit einem Einkommen von mindestens 60.000 und weniger als 90.000 Dollar 2,8 % und von denen mit 90.000 Dollar oder mehr 2,8 %; dass sich von den Verheirateten 1,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von den Verwitweten 1,9 %, von den Geschiedenen 2,8 %, von den Getrennten 3,7 &, von den in einer Lebensgemeinschaft (domestic partnership) 12,8 % und von denen, die alleine leben und nie verheiratet warten (single, never married) 7,0 %.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer sich in den USA als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifiziert, ist tendenziell eher weiblich, eher jung, eher „nicht-weiß“, eher einkommensschwach und eher von geringer formeller Bildungsqualifikation. (Ein Drittel derer, die die Frage, ob sie sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, mit Ja beantwortet haben, ist „nicht-weiß“, unter den Nein-Sagern sind es 27 %.)
So weit die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage. Deren Gültigkeit kann und soll hier nicht in Frage gestellt werden. Es ist in jedem Falle bemerkenswert, dass es eine solch umfangreiche Umfrage gegeben hat, und die Ergebnisse sind durchaus interessant. Es stellen sich allerdings einige Fragen.
Erstens, warum wurden Umfragen solchen Umfanges nicht schon früher in Auftrag gegeben? Warum jetzt erst? Wie wurde diese Umfrage finanziert und von wem und was ist die dahinter stehende Absicht?
Zweitens, warum wurde, wenn man die Leute schon am Hörer hatte, nur nach Selbstidentifizierung (sowie „Rassenzugehörigkeit“, Geschlecht, Einkommen, Bildung) gefragt, nicht aber nach sexueller Praxis oder erotischer Präferenz?
Drittens, warum wurde nur nach der Einheitskategorie „lesbisch, schwul, bisexuell, transgender“ gefragt, aber nicht wenigstens ob lesbisch/schwul oder bisexuell?
Bei Gallup antwortet man, vorgwegnehmend, auf die hier zuletzt gestellte Frage: „Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, lesbische, schwule oder bisexuelle Orientierung und Transgender-Status zu messen. Sexuelle Orientierung kann bestimmt werden, indem man Identität misst oder sexuelle Verhaltensweisen und Vorlieben.“ [Übersetzung hier und im Folgenden von mir, St.B.] Und man setzt hinzu: „Gallup hat den breit angelegten Maßstab einer persönlichen Identifizierung als LGBT [lesbisch, schwul, bisexuell, transgender] gewählt, weil diese Zusammenstellung von vier Zuordnungen (statuses) üblicherweise in der aktuellen amerikanischen Diskussion verwendet wird und im Ergebnis eine maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung hat. Eine offensichtliche Begrenztheit dieses Ansatzes besteht darin, dass es nicht möglich ist, Unterschiede zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Individuen zu untersuchen. Eine weitere Einschränkung ist, dass dieser Ansatz Selbstidentifizierung im weitesten Sinne misst und nicht aktuelles oder in der Vergangenheit liegendes sexuelles oder sonstiges Verhalten.“ Man ist sich also bei Gallup des Problematischen der Fragestellung sehr wohl bewusst — und hat doch genau so gefragt, wie man gefragt hat.
Entsprechend problematisch sind die Antworten. Damit stellt sich viertens die Frage, ob denn diese neueste Umfrage im Vergleich zu anderen, methodisch zum teil grundverschiedenen Umfragen und Studien, etwas Neues oder Anderes ermittelt hat. Und fünftens, und das ist wohl die entscheidende Frage, worin denn eigentlich die, um die Formulierung aufzugreifen, „maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung“ (important cultural and political significance) besteht, wenn man eine demoskopisch fundierte Zahl nennen kann, wie viele Männer und Frauen in den USA sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren.
Weitere Ergebnisse der Umfrage sind, dass sich 3,6 % der Frauen und 3,3 % der Männer als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich 3,2 % der „Non-Hispanic Whites“, 4,6 % der „Blacks“, 4,0 % der „Hispanics“ und 4,3 % der „Asians“ als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren; dass sich Befragte im Alter von 18 bis 29 Jahren zu 6,4 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, solche im Alter von 30 bis 49 Jahren zu 3,2 %, im Alter von 50 bis 64 zu 2,6 % und die, die 65 Jahre alt oder älter sind, zu 1,9 %; dass sich von den 18- bis 29-jährigen Frauen 8,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren und 4,6 % der Männer derselben Altersgruppe; dass von denen, die allenfalls eine high school besucht haben, 3,5 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen, die ein college besucht, aber keinen Abschluss gemacht haben 4,0 %, von denen, die allenfalls einen College-Abschluss haben, 2,8 % und von denen, die nach dem college noch weitere Bildungseinrichtungen besucht haben, 3,2 %; dass von denen, die ein Einkommen von weniger als 24.000 Dollar im Jahr haben, sich 5,1 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von denen mit einem Einkommen zwischen mindestens 24.000 und weniger als 60.000 Dollar 3,6 %, von denen mit einem Einkommen von mindestens 60.000 und weniger als 90.000 Dollar 2,8 % und von denen mit 90.000 Dollar oder mehr 2,8 %; dass sich von den Verheirateten 1,3 % als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, von den Verwitweten 1,9 %, von den Geschiedenen 2,8 %, von den Getrennten 3,7 &, von den in einer Lebensgemeinschaft (domestic partnership) 12,8 % und von denen, die alleine leben und nie verheiratet warten (single, never married) 7,0 %.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer sich in den USA als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifiziert, ist tendenziell eher weiblich, eher jung, eher „nicht-weiß“, eher einkommensschwach und eher von geringer formeller Bildungsqualifikation. (Ein Drittel derer, die die Frage, ob sie sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren, mit Ja beantwortet haben, ist „nicht-weiß“, unter den Nein-Sagern sind es 27 %.)
So weit die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage. Deren Gültigkeit kann und soll hier nicht in Frage gestellt werden. Es ist in jedem Falle bemerkenswert, dass es eine solch umfangreiche Umfrage gegeben hat, und die Ergebnisse sind durchaus interessant. Es stellen sich allerdings einige Fragen.
Erstens, warum wurden Umfragen solchen Umfanges nicht schon früher in Auftrag gegeben? Warum jetzt erst? Wie wurde diese Umfrage finanziert und von wem und was ist die dahinter stehende Absicht?
Zweitens, warum wurde, wenn man die Leute schon am Hörer hatte, nur nach Selbstidentifizierung (sowie „Rassenzugehörigkeit“, Geschlecht, Einkommen, Bildung) gefragt, nicht aber nach sexueller Praxis oder erotischer Präferenz?
Drittens, warum wurde nur nach der Einheitskategorie „lesbisch, schwul, bisexuell, transgender“ gefragt, aber nicht wenigstens ob lesbisch/schwul oder bisexuell?
Bei Gallup antwortet man, vorgwegnehmend, auf die hier zuletzt gestellte Frage: „Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, lesbische, schwule oder bisexuelle Orientierung und Transgender-Status zu messen. Sexuelle Orientierung kann bestimmt werden, indem man Identität misst oder sexuelle Verhaltensweisen und Vorlieben.“ [Übersetzung hier und im Folgenden von mir, St.B.] Und man setzt hinzu: „Gallup hat den breit angelegten Maßstab einer persönlichen Identifizierung als LGBT [lesbisch, schwul, bisexuell, transgender] gewählt, weil diese Zusammenstellung von vier Zuordnungen (statuses) üblicherweise in der aktuellen amerikanischen Diskussion verwendet wird und im Ergebnis eine maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung hat. Eine offensichtliche Begrenztheit dieses Ansatzes besteht darin, dass es nicht möglich ist, Unterschiede zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Individuen zu untersuchen. Eine weitere Einschränkung ist, dass dieser Ansatz Selbstidentifizierung im weitesten Sinne misst und nicht aktuelles oder in der Vergangenheit liegendes sexuelles oder sonstiges Verhalten.“ Man ist sich also bei Gallup des Problematischen der Fragestellung sehr wohl bewusst — und hat doch genau so gefragt, wie man gefragt hat.
Entsprechend problematisch sind die Antworten. Damit stellt sich viertens die Frage, ob denn diese neueste Umfrage im Vergleich zu anderen, methodisch zum teil grundverschiedenen Umfragen und Studien, etwas Neues oder Anderes ermittelt hat. Und fünftens, und das ist wohl die entscheidende Frage, worin denn eigentlich die, um die Formulierung aufzugreifen, „maßgebliche kulturelle und politische Bedeutung“ (important cultural and political significance) besteht, wenn man eine demoskopisch fundierte Zahl nennen kann, wie viele Männer und Frauen in den USA sich selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender identifizieren.
Samstag, 3. November 2012
Aufgeschnappt (bei einer Zeichentrickfigur) (3)
Liebe deinen Nächsten? Das klingt wie ein Schwulenporno.
Homer J. Simpson (created by Matt Groening)
Christian Charity? What does a porn star have to do with it?
Abonnieren
Posts (Atom)