Montag, 29. November 2010

Diplomatenpost, na und?

Darf das wahr sein? Ist die Überraschung deutscher Medien angesichts des jüngsten Wikileaks-Coups, der Veröffentlichung von US-amerikanischer Diplomatenpost, echt oder gespielt? Hat man in Deutschland wirklich geglaubt, bei Figuren wie Merkel, Seehofer, Westerwelle & Co. handle es sich um international respektierte Persönlichkeiten? Man kann doch nicht eine solche Gurkentruppe als Regierung installieren und dann so tun, als fielen deren Unzulänglichkeiten und Lächerlichkeiten nur deutsche Kabarettisten auf.
Selbstverständlich hält der US-Botschafter in Deutschland Kanzlerin Merkel für unkreativ, risikoscheu. Das tut doch jeder, der nüchtern ihre Politik betrachtet. Selbstverständlich gilt Guido „Es ist Deutschland hier“ Westerwelle als aggressiv und außenpolitisch inkompetent. Als was denn sonst?
Wenn die mediale Überraschung über die Enthüllungen nicht einfach gespielt ist,. um die Sensationslust zu befeuern, ist sie der perfekte Ausdruck dessen, was seit jeher ein nationales deutsches Problem ist: Man kommt mit Fremdwahrnehmungen nicht zurecht. Man glaubt stets, eigentlich müsse alle Welt „die Deutschen“ liebhaben, befürchtet dabei jedoch zugleich immer, sie täte es nicht. Irgendwo zwischen Überheblichkeit und Minderwertigkeitskomlex siedelt das deutsche Nationalgefühl und geht allen auf die Nerven.
Jedenfalls kann es im ernst niemanden überraschen, dass Diplomaten sich nicht diplomatisch verhalten, wenn sie mit ihrer eigenen Regierung korrespondieren, noch dazu, wie sie glauben durfte, hinter vorgehaltener Hand. Warum hätten sie dabei lügen sollen? Was sie sagten, konnte sich ohnehin jeder denken. Auch ohne sie im Detail zu kennen, war klar, wie die Einschätzungen aussehen, die der amerikanischen Außenpolitik zu Grunde liegen.
Die Enthüllungen von Amtsgeheimnissen durch Wikileaks sind darum eher sensationell als weltbewegend. Manche Einzelheiten mögen für Historiker relevant sein, die großen Züge bieten nichts Neues. (Diese Einschätzung beruht freilich, ich geb’s zu, wie bei den meisten, die darüber reden, auf weitgehender Unkenntnis der Dokumente und also Inforamtionen aus zweiter und dritter Hand. Wer liest schon 250.000 Berichte … Und noch ist ja auch erst ein Teil davo im Netz.) Dass die Saudis das iranische Regime hassen hat eigentlich ebenso wenig Nachrichtenwert wie die Labilität und Paranoia Karsais.
Das jetzt präsentierte Material unterscheidet sich also prinzipiell von den „Afghan war Diaries“ und den „Iraq War Logs“, mit denen Wikileaks früher Aufsehen erregt hatte. Während in den beiden anderen Fällen unter Verschluss gehaltene Dokumente ans Licht gebracht wurden, die in die Öffentlichkeit gehören, damit Regierungshandeln beurteilt werden kann, werden jetzt Selbstverständlichkeiten preisgegeben, die in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben, weil es Diplomaten erlaubt sein muss, ohne diplomatische Rücksichten und also unöffentlich ihre Regierungen zu informieren.
Vielleicht wollte Wikileaks aber einfach zeigen, dass es die US-Regierung gehörig in Schwierigkeiten bringen kann, nachdem diese ihrerseits Wikileaks wegen früherer Veröffentlichungen unter Druck zu setzen versuchte, wozu auch die Kampagne gegen Wikileaks-Sprecher Julian Assange (einschließlich des schwedischen Haftbefehls wegen „Vergewaltigung“) gehört.

1 Kommentar:

  1. "Etliche US-Depeschen aus dem WikiLeaks-Fundus erschüttern den Glauben an den Rechtsstaat Russland." (Uwe Klußmann, Spiegel online 2. 12. 2010) Muss man, um sich so dum zu stellen, es vielleicht gar sein? Russland ein Rechtsstaat? Und vielleicht regiert vom Weihnachtsmann? Oder der Zahnfee?
    Jouranlisten und Politiker, die sich von Wikileaks-Enthüllungen zur US-Diplomatie erschüttert oder auch nur überrascht werden, sollten dringend über ihren bisherigen mangelnden Realitätssinn nachdenken. Die Details der Depeschen mögen erzählerisch etwas hergeben, im Großen und Ganzen kommt nichts ans Licht, was man sich nicht schon gedacht hat. Oder gedacht haben könnte, wenn man nicht in einer Scheinwelt lebte.

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