X. hat sich impfen lassen. Das hat er mir jetzt nach einigem Zögern gestanden. Er habe kapituliert und sei zu Kreuze gekrochen. Aber nur praktisch-persönlich. Was das Politische betreffe, so sei er durchaus immer noch höchst skeptisch, gar ausgesprochen kritisch. Nach wie vor halte er die Maßnahmen gegen die Pandemie für überzogen, die Bedrohung durch das Virus für übertrieben, die Impfstoffe für bedenklich und eine Impflicht für unangemessen und verfassungswidrig. Er sei also sozusagen immer noch ein „Impfgegner“, nur jetzt eben ein geimpfter.
Nun, das ist seine Sache. Ich mache ihm da keinen Vorwurf. Den Menschen Kohärenz von Überzeugung und Handeln abverlangen zu wollen, will ich mir schon lange abgewöhnen, es bringt ja doch nichts. Es gibt immer gute Gründe für alles.
X. hat zuletzt einiges durchgemacht. Besonders schmerzlich und belastend war in diesem Jahr die unschöne Trennung von seiner Lebensgefährtin nach über dreißig Jahren (sie hatte sich einen Jüngeren gesucht). Dann die letzten Monate der Berufstätigkeit unterm Coronaregime mir täglicher Testung und an Mobbing grenzenden firmeninternen Zusatzregeln. Und schließlich pünktlich zum Antritt des Ruhestandes sder „Lockdown“ für die Ungeimpften ― gefolgt von einem allgemeinen „Lockdown“: Nicht nur keine Geschäfte (außer für Lebensmittel, Klopapier, Medikamente und dergleichen), sondern auch kein Kaffeehaus, kein Museum, keine Bibliothek, kein Theater, kein Kino. X. hat das hart getroffen, einerseits wegen der erschreckend leeren Wohnung nach dem Auszug der Freundin, anderseits weil er gern viel Zeit mit seiner kleinen Enkelin verbringt (er hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung), mit der er als Ungeimpfter vieles nicht mehr unternehmen kann. Kein Zoo, kein Schwimmbad, kein Kasperltheater, keine Sporthalle, kein Kindermuseum, keine Leihbücherei usw. usf. Damit konnte X. sich nicht abfinden, aber ändern konnte er auch nichts. Außer eben, sich impfen zu lassen.
X. war eigentlich vehement gegen das Impfen. Aus ähnlichen Gründen wie ich: Erstens, weil gelogen und betrogen wird, was die Gefährlichkeit des Erregers und der von ihm bewirkten Krankheit betrifft; sie Statistiken geben, korrekt interpretiert, immer noch nicht mehr als eine starke Grippe her. Zweitens, weil die Impfungen gentechnische Experimente sind, die sicher nicht für alle gut ausgehen und womöglich unübersehbare Folgen haben, etwa auch als Präzedenzfälle für künftige Forderungen nach Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit. Und drittens, weil der Staat einem Gesundheit nicht vorschreiben oder eine nutzlose Körperverletzung nicht anordnen darf.
X. war empört darüber, in welchen Machtrausch des Verordnens und Entmündigens sich unfähige und zum Teil korrupte Politiker hineingesteigert haben, ungehindert von freiwillig gleichgeschalteten Medien. X. interessierte sich für alles, was dazu Gegenmeinungen vertrat, las und hörte viel, ging sogar zu Demos und hoffte auf Spuren von Liberalität bei politischen Kräften, die ihm zuvor eher verdächtig erschienen waren. Aber zuversichtlich war er nicht. Er sei nie ein grundsätzlicher Systemgegner gewesen, hatte er zu mir gesagt, kein Anarchist wie ich, er habe immer an die Reformierbarkeit des Systems geglaubt, an kleine Schritte der Verbesserung. Als Arbeiterkind habe er ja selbst erlebt, wie ihm Reformen des Bildungswesens und der sozialen Absicherung erlaubt hätten, ein freieres, selbstbestimmteres Leben als seine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zu führen und beruflich Karriere zu machen. Jetzt aber, das war noch das Letzte gewesen, was ich von ihm vor seinem Impfgeständnis gehört hatte, sei er völlig desillusioniert, bitter enttäuscht von jeder Partei, die er einmal gewählt hatte oder zu wählen sich überhaupt vorstellen konnte. Die Übergriffigkeit des Staates erinnere ihn an die schlimmsten Zeiten der Geschichte, nicht weil man deren Niveau schon erreicht habe, sondern weil dieselbe erschreckende Widerstandslosigkeit der Massen und der Institutionen herrsche und sich die Möglichkeit von noch Schlimmerem abzeichne. X. war enttäuscht und verbittert und pessimistisch. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte, außer dass es mir ähnlich geht und nur die Wut über die irrsinnige Dummheit und lächerliche Bösartigkeit der Herrschenden und ihrer Untertanen mich meine Heiterkeit bewahren lässt und meinen Widerspruchsgeist anstachelt.
Jetzt also ist X. geimpft. Wieder einer weniger, der noch mit mir durchhält. Schade. Er hat wohl einfach die Nerven weggeschmissen. Und sich entschieden. Seine Einsichten und Einschätzungen nicht verraten, aber faktisch erst einmal hintangestellt. Die kleinen und großen Zumutungen fürs Erste gegen eine gewisse Bequemlichkeit eingetauscht. X. würde wohl die Formulierung zurückweisen, als Geimpfter habe er nun gewisse Privilegien, weil er gewiss darauf bestände, dass es sich schlicht um Grundrechte handelt. Die Ungeimpften verwehrt werden. Was soll’s. X. wollte einfach, so verstehe ich es, seine Normalität zurückhaben. Viele wollen das. Und wer könnte ihnen diesen Wunsch verdenken! Ich fürchte nur, die Normalität war so normal schon vorher nicht und wird auch künftig nicht mehr so selbstverständlich sein, wie mancher vielleicht hofft.
Wer sich impfen lässt, das darf ich ja vielleicht doch noch kritisch anmerken, macht sich zum Komplizen; das verschafft gewiss ein paar kleine Vorteile (die das Leben deutlich erleichtern). Dass aber die Ganovenehre der Gangsterbosse wirklich eine Garantie dafür ist, dass sie einem am Ende nicht doch das Fell über die Ohren ziehen, wage ich zu bezweifeln.
Nun, das ist seine Sache. Ich mache ihm da keinen Vorwurf. Den Menschen Kohärenz von Überzeugung und Handeln abverlangen zu wollen, will ich mir schon lange abgewöhnen, es bringt ja doch nichts. Es gibt immer gute Gründe für alles.
X. hat zuletzt einiges durchgemacht. Besonders schmerzlich und belastend war in diesem Jahr die unschöne Trennung von seiner Lebensgefährtin nach über dreißig Jahren (sie hatte sich einen Jüngeren gesucht). Dann die letzten Monate der Berufstätigkeit unterm Coronaregime mir täglicher Testung und an Mobbing grenzenden firmeninternen Zusatzregeln. Und schließlich pünktlich zum Antritt des Ruhestandes sder „Lockdown“ für die Ungeimpften ― gefolgt von einem allgemeinen „Lockdown“: Nicht nur keine Geschäfte (außer für Lebensmittel, Klopapier, Medikamente und dergleichen), sondern auch kein Kaffeehaus, kein Museum, keine Bibliothek, kein Theater, kein Kino. X. hat das hart getroffen, einerseits wegen der erschreckend leeren Wohnung nach dem Auszug der Freundin, anderseits weil er gern viel Zeit mit seiner kleinen Enkelin verbringt (er hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung), mit der er als Ungeimpfter vieles nicht mehr unternehmen kann. Kein Zoo, kein Schwimmbad, kein Kasperltheater, keine Sporthalle, kein Kindermuseum, keine Leihbücherei usw. usf. Damit konnte X. sich nicht abfinden, aber ändern konnte er auch nichts. Außer eben, sich impfen zu lassen.
X. war eigentlich vehement gegen das Impfen. Aus ähnlichen Gründen wie ich: Erstens, weil gelogen und betrogen wird, was die Gefährlichkeit des Erregers und der von ihm bewirkten Krankheit betrifft; sie Statistiken geben, korrekt interpretiert, immer noch nicht mehr als eine starke Grippe her. Zweitens, weil die Impfungen gentechnische Experimente sind, die sicher nicht für alle gut ausgehen und womöglich unübersehbare Folgen haben, etwa auch als Präzedenzfälle für künftige Forderungen nach Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit. Und drittens, weil der Staat einem Gesundheit nicht vorschreiben oder eine nutzlose Körperverletzung nicht anordnen darf.
X. war empört darüber, in welchen Machtrausch des Verordnens und Entmündigens sich unfähige und zum Teil korrupte Politiker hineingesteigert haben, ungehindert von freiwillig gleichgeschalteten Medien. X. interessierte sich für alles, was dazu Gegenmeinungen vertrat, las und hörte viel, ging sogar zu Demos und hoffte auf Spuren von Liberalität bei politischen Kräften, die ihm zuvor eher verdächtig erschienen waren. Aber zuversichtlich war er nicht. Er sei nie ein grundsätzlicher Systemgegner gewesen, hatte er zu mir gesagt, kein Anarchist wie ich, er habe immer an die Reformierbarkeit des Systems geglaubt, an kleine Schritte der Verbesserung. Als Arbeiterkind habe er ja selbst erlebt, wie ihm Reformen des Bildungswesens und der sozialen Absicherung erlaubt hätten, ein freieres, selbstbestimmteres Leben als seine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zu führen und beruflich Karriere zu machen. Jetzt aber, das war noch das Letzte gewesen, was ich von ihm vor seinem Impfgeständnis gehört hatte, sei er völlig desillusioniert, bitter enttäuscht von jeder Partei, die er einmal gewählt hatte oder zu wählen sich überhaupt vorstellen konnte. Die Übergriffigkeit des Staates erinnere ihn an die schlimmsten Zeiten der Geschichte, nicht weil man deren Niveau schon erreicht habe, sondern weil dieselbe erschreckende Widerstandslosigkeit der Massen und der Institutionen herrsche und sich die Möglichkeit von noch Schlimmerem abzeichne. X. war enttäuscht und verbittert und pessimistisch. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte, außer dass es mir ähnlich geht und nur die Wut über die irrsinnige Dummheit und lächerliche Bösartigkeit der Herrschenden und ihrer Untertanen mich meine Heiterkeit bewahren lässt und meinen Widerspruchsgeist anstachelt.
Jetzt also ist X. geimpft. Wieder einer weniger, der noch mit mir durchhält. Schade. Er hat wohl einfach die Nerven weggeschmissen. Und sich entschieden. Seine Einsichten und Einschätzungen nicht verraten, aber faktisch erst einmal hintangestellt. Die kleinen und großen Zumutungen fürs Erste gegen eine gewisse Bequemlichkeit eingetauscht. X. würde wohl die Formulierung zurückweisen, als Geimpfter habe er nun gewisse Privilegien, weil er gewiss darauf bestände, dass es sich schlicht um Grundrechte handelt. Die Ungeimpften verwehrt werden. Was soll’s. X. wollte einfach, so verstehe ich es, seine Normalität zurückhaben. Viele wollen das. Und wer könnte ihnen diesen Wunsch verdenken! Ich fürchte nur, die Normalität war so normal schon vorher nicht und wird auch künftig nicht mehr so selbstverständlich sein, wie mancher vielleicht hofft.
Wer sich impfen lässt, das darf ich ja vielleicht doch noch kritisch anmerken, macht sich zum Komplizen; das verschafft gewiss ein paar kleine Vorteile (die das Leben deutlich erleichtern). Dass aber die Ganovenehre der Gangsterbosse wirklich eine Garantie dafür ist, dass sie einem am Ende nicht doch das Fell über die Ohren ziehen, wage ich zu bezweifeln.
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