Sonntag, 3. November 2024

Demokratie als Alptraum

Es waren einmal zwei Menschenfresser, die wollten beide Häuptlinge ihres Meschenfresserdorfes werden und stellten sich darum, wie es sich gehörte, zur Wahl. Der eine Menschenfresser versprach, wenn er zum Häuptling gewählt werde, würden jeden Tag Menschen gefressen werden. Der andere Menschenfresser versprach, wenn er gewählt werde, würden nur montags, mittwochs, freitags und an jedem zweiten Samstag Menschen gefressen werden. Den Ausgang der Wahl erwarteten alle, die fressen, und alle, die gefressen werden würden, mit großer Spannung.

Obwohl ich bekanntermaßen von Wahlen nichts halte und mir Wahlresultate meist ziemlich gleichgültig sind, bin doch, mit Verlaub, nicht dumm, sondern mir bewusst, dass der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA erhebliche Auswirkungen haben wird (irgendwie sogar auf mich), auch wenn sich selbstverständlich im Grundsatz nichts ändern, sondern der Kapitalismus bleiben wird ― und mit dieser ungerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auch deren unvermeidliche Wirkungen Ausbeutung, Zerstörung und Verdummung.
Auch wenn also diese Wahlen nichts ändern, dessen Änderung erforderlich wäre, um ein besseres Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen, sind die Unterschiede zwischen dem, wofür Harris und Trump jeweils stehen, doch entscheidend.
Trump ist nicht nur lächerlich, hässlich, dumm und niederträchtig, er steht auch für Illiberalismus, Autoritarismus, Repression und Gewalt. Harris für Toleranz, Integration, Reformismus, Pluralismus. Beide verkörpern unterschiedliche Formen des Hedonismus und Konsumismus, aber den Unterschied möchte ich, wie man so schön sagt, Klavier spielen können ― und wäre ein international gefeierter Virtuose.
Und doch ist es insofern egal, wie die Wahl ausgeht, denn ob nun Trumps Wähler 50, 40 oder 25 ausmachen, eine Gesellschaft, in der überhaupt „mündige Bürger“ in relevanter Zahl etwas so Dummes und Bösartiges und Abstoßendes zu wählen bereit sind (und es zu nicht geringem Teil sogar fanatisch als Erlösergestalt feiern), muss durch und durch verrottet sein.
Dieser Widerspruch zwischen offensichtlich unerträglicher Erscheinung (zur Mahnung: auch Hitler, Mussolini et cetera waren alberne Clowns) und der völligen Leugnung des Offensichtlichen, die zudem mit dem Akzeptieren widerlicher Botschaften und Pläne einhergeht, ist nicht leicht aufzulösen. Der Irre schwärmt von Ausbeutung, und seine Anhänger, selbst Ausgebeutete, jubeln. Er präsentiert sich als Rassist, und seine gar nicht so unbunt zusammengewürfelten Fans stoßen sich nicht daran. Er ist nachweislich ein Lügner, verurteilter Verbrecher und ein Ehebrecher, und seine Jünger verehren ihn als Heilsbringer und Erneuerer der Moral. Wie soll einem da nicht in den Sinn kommen: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber.“
Wie geht das zu, dass Menschen ihre politischen Entscheidungen entgegen ihren Interessen treffen, dass sie jemandem ihre Stimme geben, der zwar das Blaue vom Himmel verspricht, dabei aber immer wieder verrät, dass er die Lebensbedingungen aller verschlechtern, die Umweltzerstörung vorantreiben und demokratische Mitbestimmung einschränken will?
Selbst wenn Harris also die Wahl gewinnt, bleiben die, die sie nicht gewählt, haben und vor allem die, die den bösen Clown gewählt haben und immer weder solche Leute wählen werden, doch zahlreich und mächtig. Moralisch enthemmt stellen sie im Namen der Moral ihre Affekte über jede Rationalität. Solche Leute braucht der Populismus. Sie sind nicht nur dumm, sie stellen sich dumm, sie empfinden höchste Lust dabei, dumm und bösartig zu sein. Sie lieben es, gegen andere zu sein, deren Rechte und Wünsche eigentlich nicht geringer zu achten wären als ihre eigenen, aber sie agieren eben auch gegen ihre eigenen Rechte und Interessen. Es begeistert sie, in einem Fest der zerstörerischen „Selbstlosigket“ alle Vernunft über Bord zu werfen und das Schiff gegen den Eisberg steuern zu lassen.
Der Populismus ist der Alptraum der Demokratie. Sie kann ihn nicht verhindern, denn er ist im Prinzip mit ihr identisch, jedenfalls mit der modernen Massendemokratie: Unqualifizierter Pöbel trifft aus dem Bauch heraus dumme Entscheidungen, die alle benachteiligen ― alle außer den Superreichen, die gar nicht zur Wahl stehen und deren wenige Stimmen doch faktisch so viel mehr zählen als die von Millionen.
Populisten missbrauchen demokratische Verfahren, weil diese von vornherein darauf angelegt sind, missbraucht werden zu können. Wer Politik vom Votum der Masse abhängig macht, unterwirft sie denen, die die Massen zähmen oder entfesseln. In moderaten politischen Systemen binden Parteien und andere Institutionen die Leute ein und sorgen unter anderem dafür, dass Leidenschaften gedeckelt und Machtwechsel geordnet und harmlos bleiben. Man wählt, damit sich ab und zu etwas zu ändern scheint, während das Wesentliche gleich bleibt.
Der Populismus hingegen, als ein demokratisch maskierter Extremismus, setzt Kräfte frei, die Differenzen dramatisieren und Gewalt und Rechtsbruch als letzte Mittel zur Verwirklichung des Gewollten durchaus akzeptieren. Man wählt, um nicht mehr wählen zu müssen, um also das, was ohnehin gleich bleiben soll, endgültig unantastbar zu machen. Wobei freilich die Wähler glauben, es gehe um ihren Willen, und die Gewählten wissen, es geht darum, die Interessen der Profitmaximierer durchzusetzen.
Volksherrschaft ohne zivilisatorische Einhegung und Einschränkung ist unweigerlich Terror. Wenn die bestimmen, die mehrheitlich dumm und bösartig sind, kann nichts Gutes dabei herauskommen. Dann wird Demokratie auf ihre eigene größte Schwäche, das Mehrheitsprinzip, reduziert. Doch eigentlich ist Rechtsstaatlichkeit weit wichtiger als all die Abstimmerei, denn nur durch jene und nicht durch diese werden die Rechte der Einzelnen, dieser kleinstmöglichen Minderheiten, geschützt. Der Populismus als monströs hypertrophierte „Demokratie“ hasst jedoch Minderheiten (und darum Abweichungen und Dissidenz). „Wir sind die Mehrheit, wir bestimmen, wo’s lang geht“ ist freilich nur eine Abart des unrechten „Rechts“ des Stärkeren, also der Gewaltherrschaft.
Stark aber bleiben die Extremen ja eben auch, falls diesmal noch die gemäßigte Kandidatin die Wahl gewinnen sollte. Was ich hoffe, auch wenn ich mir von Harris lediglich verspreche, dass sie nicht Trump ist. Sollte der aber wieder gewählt werden, dann gute Nacht! Der Alptraum wird endlos.

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