Freitag, 30. April 2021

Dienstag, 27. April 2021

Glosse LXXIX

Ach, all ihr „Dschornalisten“, „Dschornalistinnen“ und andere Hirnzwerge, hört doch bitte auf, von Webseiten zu plappern. „Site“ bedeutet „Ort“ oder „Stelle“. „Seite“ hingegen heißt auf Englisch „page“.

Sonntag, 18. April 2021

Über „Handyhalterungen“

„Handyhalterungen fürs Fahrrad können klobig sein und einfach unschön aussehen!“

Oft macht mich unerbetene Reklame (und ich kenne gar keine andere) auf ungeahnte Nöte und Sorgen im Leben anderer Leute aufmerksam. Nie hätte ich nämlich gedacht, dass man auch beim Fahrradfahren sein Mobiltelephon dabeihaben muss, obwohl das, wenn ich darüber nachdenke, eigentlich völlig selbstverständlich ist. Was denn sonst! Wenn man sich radelnd vom Gerät entfernte, hieße das ja, dass man es nicht dabei hat, und ohne es geht es nicht. Also für mich schon, ich nütze weder Fahrrad noch Mobiltelephon, aber wer bin ich schon. Die meisten anderen, eigentlich alle, dürfen sich, soweit ich das mitbekomme, nicht allzu weit entfernen von dem Ding, von dem sie technisch, psychisch und anscheinend zunehmend auch physisch abhängig sind.
Mensch und Maschine in Symbiose. Wobei das ein ungleiches Miteinander ist, bei dem das tote Ding die angeblichen Möglichkeiten verkörpert, die sich die lebendige Wirklichkeit unterordnen. Wer ist noch Herr (oder Herrin) des Geräts? Wer schon Knecht (oder Magd)?
Weil man es also immer dabei haben muss, wird man auch damit gesehen und sieht sich selbst dabei, wie man von anderen gesehen wird. Etwa beim Radfahren, wo man die Hände nicht frei haben soll, und darum das eine Gerät mit dem anderen verbinden wollen wird. Klobig und unschön geht da gar nicht! Schließlich handelt es sich eben nicht um eine Frage bloßer Zweckmäßigkeit, sondern um bewusste und nachhaltig zu gestaltende Lebensweisen. Man muss dem Ding Respekt erweisen, es hat verdient, dass man dafür Geld ausgibt. Nur so kann man zeigen, dass man bei der Selbstoptimierung mitzuhalten versteht. Zum Glück gibt es dafür Lösungen, die man kaufen kann. Und schon hat man ein gutes Gewissen und eine zierliche und schöne Halterung!

Notiz zu Schreiben und Tippen

Es fing damit an, dass sie aufhörten zu schreiben, um nur noch tippten. Den Unterschied begriffen sie nicht, und wenn doch, dann als Fortschritt oder einfach als Zug der Zeit. Was sollte man machen, es galt immerhin, Geräte zu bedienen. So war es ja auch einfacher und schneller. Wer irgendwo stand, ging, saß und dabei tippte, fiel nicht auf; wer irgendwo saß und schrieb, war schon ungewöhnlich.
Auch und vielleicht gerade die, als deren Beruf das Schreiben galt, nicht bloß das Zusammenstellen von Texten aus Versatzstücken, das Texten zwecks gewerblicher oder behördlicher Informationsweitergabe, sondern das schöne Schreiben, das Schreiben um der Wahrheit willen ― auch die Akademiker und Belletristen also tippten nur noch. Viele verstanden schon nicht mehr, worum es ging, hielten das für austauschbar, für unterschiedslos, mit freilich einem deutlichen Vorteil an Zweckmäßigkeit beim Gebrauch der Tastatur an Stelle eines Griffels. Textbearbeitung, früher ein Vorgang des Schreibens und Überschreibens und Neuschreibens, erwies sich als so viel einfacher mit Klick und Klack, mit einem Zug der Maus, mit dem Speichern von Versionen.
Reaktionär, sentimental, selbststilisierend muss demgegenüber vorkommen, wer am Gebrauch der Handschrift festhielt oder ihn neu zu entdecken vorgab. Ein Luxus für wenige (obwohl doch alle ihn einmal erlernt hatten). Der Handel kam dem immer weiter entgegen, und je armseliger und schulkindlicher das Angebot an einfachem Schreibgerät, Heften, Blöcken und so weiter wurde, desto aufwendiger und womöglich teurer wurden Notizbücher, Briefpapiere und Kolbenfüller.

Freitag, 16. April 2021

Ein Versuch über das Kaffeehaus

Es begann, wie es immer begonnen hatte, er saß im Kaffeehaus, trank Tee, las und schrieb. Das heißt, er saß in Wirklichkeit nicht im Kaffeehaus, es gab ja gewissermaßen gar keine Kaffeehäuser, er stellte sich nur vor, in einem zu sitzen, Tee zu trinken, zu lesen und zu schreiben. Er schrieb aber auf, dass er im Kaffeehaus saß, Tee trank, las und schrieb, und damit war es dann sozusagen Wirklichkeit, dass er im Kaffeehaus saß, Tee trank, las und schrieb, zumindest war es nicht weniger wirklich als er selbst, der er doch auch nur etwas Geschriebenes war.
Ich schreibe er, damit man das Geschriebene für Literatur hält. Schriebe ich ich, verwechselte man mich wohl leichter mit mir. Gewiss, auch ihn könnte man mit mir verwechseln, aber vielleicht nicht so leicht, denn über ihn kann ich manches schreiben, was ihn als jemand anderen als mich erscheinen lässt, was ich aber über mich oder vielmehr den, den ich jeweils ich nenne, nicht schreiben kann, weil man mich sonst erst recht für mich statt für ihn hielte. So oder so, auch ich bin, wenn ich über mich schreibe, nur ein Geschriebener.
Ich saß also im Kaffeehaus, trank Tee, las und schrieb. Oder ich stellte mir zumindest vor, im Kaffeehaus zu sein, Tee zu trinken, zu lesen und zu schreiben. Zumindest habe ich das geschrieben.
Wenn ich aus irgendeinem Grund schon zu lange nicht in einem Kaffeehaus war, stelle ich mir zuweilen vor, in einem Kaffeehaus zu sein. In einem, in dem ich schon einmal war, oder einem, das ich zu diesem Zweck erfinde. Manchmal geht das eine mit dem anderen eine Verbindung ein.
Er stellte sich vor, in dem Kaffeehaus neben den königlichen Gärten in Venedig zu sitzen, Tee und frisch gepressten Orangensaft zu trinken, zu schreiben und zu lesen. Er genoss die Erinnerung an das schöne, recht neue und vom winterlichen Tageslicht angenehm erhellte Kaffeehaus, durch dessen bodentiefe Fenster man auf das Markus-Becken sehen konnte, wobei einem leider der schwimmende Anleger des Dampfbötchens und ein paar Verkaufshütten den Blick auf die Georgsinsel und das Alte Zollgebäude verstellten. Er stellte sich vor, dass der Blick nicht verstellt würde und frei über das glitzernde Wasser der Lagune schweifen könnte. Er genoss diese Vorstellung. Aber auch so war es schön gewesen, erinnerte er sich, dort zu sitzen, Tee und frisch gepressten Orangensaft zu trinken, zu lesen und zu schreiben.
Ich sitze nicht im Kaffeehaus und so weiter und so fort, ich stelle es mir bloß vor und schreibe darüber. Ich schreibe oft über Kaffeehäuser. Wahrscheinlich sogar zu viel. In dem, was ich bisher so alles geschrieben habe, sitzt immer mal wieder jemand im Kaffeehaus, oft Tee trinkend, lesend und schreibend. Immer mal wieder. Geradezu zwanghaft. Als wären für mich Literatur und Kaffeehaus eine feste Verbindung eingegangen. Immer schon. Fast alle Einfälle zu Romanen, die ich dann nicht oder nicht zu Ende geschrieben habe, hatte ich in Kaffeehäusern. Ich bin ein Kaffeehausliterat.
Er war ein Kaffeehausliterat. Er schrieb, wenn er schrieb, im Kaffeehaus. Sagte er. Mehr, als dass er schrieb, redete er freilich bloß darüber, dass er schreiben werde. Oder was andere geschrieben hätten oder schreiben hätten sollen. Er ging ins Kaffeehaus um der Literatur willen. Um zu schreiben und nicht zu schreiben, vor allem aber, um zu reden. Oft las er auch im Kaffeehaus, Zeitungen sowieso, vor allem die sogenannten Feuilletons, die heutzutage oft mit Kultur überschrieben waren und von Kino, Fernsehen und Internet berichteten, sämtlich Literaturbeilagen, die noch existierten, und alle einschlägigen Zeitschriften, sofern sie greifbar waren, was selten der Fall war. Zu Hause las er nur Bücher. Bücher las er auch im Kaffeehaus, aber oft kam er nicht zum Lesen, weil er mit jemandem redete. Nicht nur über Literatur, aber vorzugsweise über Literatur. Literatur und Kaffeehaus, das gehörte für ihn zusammen. Ob es solche Kaffeehausliteraten wirklich noch gab?
Ich gehe nie ins Kaffeehaus, um Kaffee zu trinken. Ich trinke nicht gern Kaffee. Ich bin ein Teetrinker. Ich gehe selten ins Kaffeehaus, um nicht zu lesen und nicht zu schreiben. Wenn ich ins Kaffeehaus gehe, habe ich fast immer etwas zum Lesen und zum Schreiben dabei.
Das Kaffeehaus ist nicht immer ein guter Ort zum Lesen. Manche Kaffeehäuser sind zu unruhig, zu laut, als dass ich in ihnen lesen könnte, allenfalls Zeitungen, aber ich lese fast nie Zeitungen im Kaffeehaus, die überlasse ich anderen. Ich halte mich lieber an das mitgebrachte Buch oder die mitgebrachten Bücher. Oft, wenn ich ein Buch kaufe oder eines aus einer Bibliothek leihe, sage ich mir: So, jetzt gehe ich in ein Kaffeehaus und fange an, dieses Buch zu lesen.
Das Kaffeehaus ist ein guter Ort zum Schreiben. Im Kaffeehaus fällt mir immer etwas ein. Wenn mir einmal doch nichts einfällt, schreibe ich darüber, dass mir nichts einfällt, und schon fällt mir dazu viel ein. Ich notiere dies und das, oft kleine Beobachtungen, wie sie sich wahrscheinlich nicht nur im Kaffeehaus machen ließen, aber die ich eben dort mache.
Er beobachtete im Kaffeehaus Menschen. Nicht um sie zu studieren, ethnologisch, soziologisch, psychologisch oder womöglich, um ihre Eigenarten irgendwann irgendwie literarische zu verwerten, sondern bloß, um sich zu vergewissern, dass sie sind, wie sie sind. Dass junge Männer hübsch sind oder nicht hübsch genug. Dass Frauen zwitschern, gackern, gurren und krächzen, was misogyne Beschreibungen sind, die er gern notierte. Dass den beiden wuchtigen Kellnern mit den schönen schwarzen Bärten nur nur die Schabbesdeckeln fehlen, damit sie aussähen wie konservative Rabbiner. Dass der Piccolo blass und pickelig ist, aber überraschend geschickt, wenn er ein volles Tablett balanciert, und übrigens auch ein liebes Lächeln hat, wenn man ihn mit einem Scherz zum Lachen bringt. Dass es die feinen alten Damen immer noch gibt, die miteinander über Oper und Burgtheater plaudern. Dass der kleine amerikanische Junge Torte in sich hineinschaufelt und dabei mit der Gabel hantiert, als wäre es seine erste und niemand habe ihm gezeigt, wie man sie manierlich hält. Dass am Nebentisch einer mit seinen politischen Kontakten oder Urlaubsreisen oder Bauprojekten angibt oder mit allem zusammen, während der ehemalige Schulkollege, den er beeindrucken möchte, anscheinend bloß Lehrer geworden ist; wenn der Angeber aufs Klo geht, verlangt der Lehrer die Rechnung und wird dann sagen, er müsse jetzt los, aber man sollte sich unbedingt mal wieder treffen. Kurzum, all diese völlig belanglosen Beobachtungen, an die man, wenn man denn wollte, Geschichten knüpfen könnte, die man aber vorderhand nur aufschreibt, um irgendetwas geschrieben zu haben, als man im Kaffeehaus saß.
Manchmal treffe ich mich mit jemandem im Kaffeehaus. Dann beobachte ich fast nichts (und lese und schreibe nichts), weil ich mich ganz der Person widme, die mir gegenübersitzt. Nur den Kellner behalte ich ab und zu im Auge, wenn ich etwas bestellen will. Ein zweites, drittes Kännchen Tee oder ein Bier. Oder ein zweites, drittes Bier.
Er saß gern im Kaffeehaus, trank Tee, las und schrieb. Er saß gern im Kaffeehaus, trank Bier und redete und hörte zu. Das Kaffeehaus war ein guter Ort zum Reden. Ein gutes Kaffeehaus war überhaupt ein guter Ort. Kein Ort, an dem man wohnt, aber einer, an dem man sich wohlfühlen möchte. Behagen und Fremdheit in schönstem Gleichgewicht. Man ist zu Gast, aber verfügt frei über sich selbst. Das gefiel ihm.
Er ging gern immer wieder in die Kaffeehäuser, die er schon kannte, oft seit vielen Jahren, er probierte aber auch immer gern neue Kaffeehäuser aus, nicht nur auf Reisen. Unwohl fühlte er sich in einer fremden Stadt, wenn er kein Kaffeehaus fand, wo er sitzen und Tee trinken, lesen und schreiben mochte. Dann waren Museumscafés oft seine Rettung. Dort immerhin konnte man vor oder nach oder vor und nach dem Schauen Tee trinken, lesen und schreiben. Gute Museen mochte er ebenso gern wie gute Kaffeehäuser. Museum und Kaffeehaus gehörten für ihn fast so fest zusammen wie Kaffeehaus und Literatur (oder Literatur und Museum). Eine Stadt ohne Kaffeehauskultur war keine Stadt, in der er sich wohlfühlen konnte.
Ich schreibe gern im Kaffeehaus, aber ich schreibe fast nie über Kaffeehäuser, um ihre Eigenarten zu beschreiben, ich verfasse ja keine Reiseführer. Ich schreibe auf, was mir gerade einfällt. Als Kaffeehausliterat notiere ich mir, was ich für mich und das, was ich noch zu schreiben vorhabe, brauchen zu können meine. Auch mein Versuch über das Kaffeehaus kann also nur mein Versuch sein, eigenwillig, ohne jeden Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit, Vollständigkeit oder etwas Drittes, das mir gerade nicht einfällt. Bloß ein Versuch also, Fremdheit und Behagen auszubalancieren. Ich hätte diesen Versuch gern im Kaffeehaus geschrieben, zum Beispiel in dem schönen, hellen neben den königlichen Gärten in Venedig, durch dessen bodentiefe Fenster der Blick frei über das glitzernde Wasser des Markus-Beckens hinüber zur Georgsinsel und dem Alten Zollgebäude schauen könnte, wenn einem der schwimmende Anleger des Dampfbötchens und ein paar Verkaufshütten den Blick nicht verstellten. Ich stelle mir vor, ich hätte es getan. Ich wäre dort gesessen, hätte Tee getrunken (und frisch gepressten Orangensaft), hätte gelesen und geschrieben. Wenigstens habe ich es geschrieben.

Erschienen auch in Litera[r]t | April 2021 | Seite 8.

Mittwoch, 14. April 2021

Glosse LXXVIII

… Handlungen verschiedener Aktoren … Da doch wohl klar sein sollte, dass „Aktoren“ nur ein Blähwort für „Handelnde“ ist, geht es also bloß um Handlungen von Handelnden, und es bleibt ein Geheimnis des sprachmächtigen Großdenkers, was zum Teufel eigentlich Handlungen von Nichthandelnden wären, egal, ob diese nun verschieden oder dieselben sind.

Sonntag, 11. April 2021

Glosse LXXVII

Dein Wohnzimmer wird zum dschüm, sagt die Reklametussi im Reklamefilmchen. Und so sehr derlei auch in den Ohren schmerzt, ist es andererseits doch erfreulich, dass dem Fanatismus in der Verwendung englischer Wörter immer noch keine Liebe zu deren halbwegs korrekter Aussprache entspricht.

Samstag, 10. April 2021

Verrückt oder ganz normal?

Sind denn alle verrückt geworden? Den Eindruck könnte man haben. Aber sie sind nicht verrückt geworden, sie waren es vorher schon. Schon vorher waren sie Konformisten und orientierten sich bei der Ausgestaltung ihres ach so individualistischen Lebensstils an dem, was sie für die Praktiken und die Erwartungen anderer hielten. Schon vorher waren sie leichtgläubig und ließen sich von „Medien“ „informieren“, deren Geschäftsmodell Affirmation des Bestehenden und Ablenkung davon durch Unterhaltung und oberflächliche und lückenhafte Berichterstattung war. Schon vorher waren sie, die sich immer für selbständig, gar kritisch hielten, autoritätshörig und jederzeit bereits, sich der Obrigkeit zu unterwerfen. Schon vorher wollten sie glauben, dass die Politiker, deren Unvermögen und kleinliche Gier unübersehbar waren, irgendwie doch das Beste für alle wollten, und das das „repräsentative“ System, in dem der Einzelne nichts, intermediäre Instanzen, die fest im Griff von Einflüsterern stehen, alles zu entscheiden haben, das unüberbietbar beste politische System sei. Schon vorher vertrauten sie einerseits der Apparate- und Klassenmedizin ihr Leben an, hofften aber zugleich auf diese und jene exotische Scharlatanerie, was sie heute zu willigen Opfern und Nachplapperern einer in der Sache hilflosen, in der Deutung aber aber vollmundigen Expertenclique macht. Schon vorher pflegten sie einen rücksichtslosen Lebensstil (Automobil, Fernreisen, Wasser, Energie, Müll) und gaben vor, auf technologische Innovationen zu warten, die die Probleme lösen würden, die es ohne das allgemeine Fehlverhalten gar nicht gäbe. Schon vorher interessierten sie sich nicht für die Menschen außerhalb ihrer Kreise, nicht für Armut und Ausbeutung, Elend und Vergiftung, Unbildung und Perspektivlosigkeit. Schon vorher forderten sie „Solidarität“, wenn sie Konformität meinten, und verwarfen Kritik als Spinnerei und Terrorismus.
Darum ist die „Normalität“, zu der sie zurückwollen, nie normal gewesen, sondern war immer schon ein universelles Irresein. Die Leute sind nicht verrückt geworden, sondern die verrückten Zustände, die sie zuließen und betrieben, haben lediglich einen gewissen Wandel erfahren. Dasselbe Personal hat in derselben Anstalt nur neue Zwangsjacken verteilt und die Gummizellen kleiner gemacht. Aber nach wie vor gelten die, die sich einen Rest Vernunft bewahrt haben, als besonders gefährliche Irre.

Montag, 5. April 2021

Wellenverbrecher

Sollte stimmen, was „die Medien“ gerne berichten, dass nämlich eine Mehrheit der Bevölkerung für noch härtere Maßnahmen ist, so wäre das nicht überraschend und sehr bezeichnend. Die Politiker und ihre Handlanger in den Massenmedien haben den Leuten monatelang nicht nur eingehämmert, sie würden von einer „Welle“ bedroht, sondern es sei möglich und notwendig, diese zu brechen. Zwei Phantasmen, das einer tödlichen Bedrohung und das von deren Abwendung durch Zwang und Unterdrückung, verbinden sich. Da dürfen die immer noch nicht verstummten Stimmen nichts gelten, die sagen, so schlimm stehe es gar nicht, jedenfalls nicht schlimmer als sonst bei der saisonalen Ausbreitung von Infektionskrankheiten, und staatliche Maßnahmen seien nachweislich nutzlos, aber schädlich.
Realität und Wissenschaft, die diese nüchtern beschreibt, gelten nichts, wenn man eine Überwirklichkeit will, die von Szenarien, Modellen, Prognosen und düsteren Prophezeiungen gestützt wird.
Dies ist offenkundig die Stunde der Aufwiegler, nicht der Abwiegler. Aber nicht gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Verdummung und Zerstörung wird aufgewiegelt, sondern dafür. Wer Schlimmes vorhersagt wird weit eher gehört als der, der beruhigen kann, sofern sich mit der Vorhersagen nur die Feststellung der Notwendigkeit das Kasteiung verbindet.
Ja, die Leute wollen wohl, dass ihre Grundrechte eingeschränkt werden, dass sie gegängelt werden, dass man ihnen vorschreibt, wo sie wann sein dürfen und welchem „hygienischen“ Regularien und medizinischen Eingriffen sie sich zu unterwerfen haben. So sehr das moderne Individuum immer auf seiner Freiheit bestand, als Mitglied des Kollektivs war ihm diese Freiheit immer unangenehm, glaubte es immer schon an die Unentbehrlichkeit von Regeln, die Erlaubtes von Unerlaubtem scharf Scheiden und Fehlverhalten sanktionieren; das moderne Individuum und der moderne Staat gehören zusammen. Das Zusammenleben darf eben nicht von Sitte und Herkommen, Vernunft und Takt bestimmt werden, sondern, so die klassische Formel des Liberalismus, die Freiheit des einen hört dort auf, wo die des anderen anfängt, was ja nur heißt, dass ich die Bedingung der Unfreiheit des anderen bin und umgekehrt er die der meinen: Jeder gegen jeden und der Staat über allen.
Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder machte, was er wollte! Freiheit ist also Unordnung und Unordnung ist schlecht fürs Geschäft. Oder die Gesundheit. Denn die ist ja bekanntlich das Wichtigste, ohne diesen Wert keine anderen Werte. Wobei gar nicht mehr direkt die Gesundheit des Individuums zählt, sondern die große oder kleine Zahl entscheidet, die sich aus den Messungen und Zählungen und Hochrechnungen ergibt. Denn das ist die biopolitische Wende: Nicht was dieser oder jener in Bezug auf seine Gesundheit oder die von anderen tut oder lässt, sondern was alle Einzelnen insgesamt tun und lassen zusammengerechnet ergibt den Zustand der Gesellschaft, aus dem allenfalls der Status eines Individuums herausgerechnet werden kann.
Der Einzelne weiß sich folglich nicht mehr so sehr davon bedroht, wie er sein Leben führt (das wäre allerdings ein anderes Thema: die Selbstoptimierung) oder was ein anderer Einzelner, mit dem er wirklich zu tun hat, macht oder nicht macht, sondern vor allem davon, ob allgemein ein Wohlverhalten gemäß den jeweiligen Regeln stattfindet. Mit anderen Worten: Gesundheit und deren Bedrohung oder Bewahrung wird abhängig vom Maß der Konformität und Repression in der Gesellschaft.
Hinzukommt die Logik der Verschärfung: Viel hilft viel. Unter der völlig realitätsfernen Prämisse, dass gegenseitige Abschottung samt Schließung von Orten der Begegnung etwas gegen Einfluss haben müsse auf das „Infektionsgeschehen“ (was wissenschaftlich widerlegt ist, um es nochmals zu betonen), wünscht man noch mehr Abschottung und eine lückenlosere Schließung. „Wellenbrechen“ um jeden Preis, also auch, wenn Krieg gegen das Virus mehr kosten sollte als jeder Friedensschluss.
Diese „Logik“ ― möge der Staat uns peinigen, damit uns das Heil werde ― erinnert unweigerlich an die Geißlerzüge aus Pestzeiten, deren völlig fanatisierte Teilnehmer darauf setzten, dass Schmerz und blutige Striemen den Beistand des Himmels erzwingen müssten. Sie wollten das Ende der Pest herbeiführen, auch wenn sie daran zu Grunde gehen sollten. Die Kirche verwarf damals diese Theorie und Praxis. Heute gibt es fast niemanden mehr, der dem biopolitischen Flagellantentum („Wir müssen eben Einschränkungen in Kauf nehmen“) etwas entgegensetzen will.
So wird denn der aktuelle Fanatismus, zusammengerührt aus Bedrohungsangst, Unterdrückungslust, Desinformation, massiven wirtschaftlichen Interessen, staatlichem Machtrausch und vagen medizinischen Versprechungen, zur eigentlichen Welle, die durch die Köpfe der Menschen schwappt und letzte Reste kritischen Denkvermögens herausspült.

Sonntag, 4. April 2021

Ja, bin ich denn hier von lauter Verrückten umgeben!“, schrie er, als sie ihn nach dem Gespräch mit der Anstaltsleitung wieder zurück in seine Zelle brachten.

Donnerstag, 1. April 2021

Nur so ein Gedanke (über Realität)

Kundin, beim Bezahlen: „Ich glaub, ich hab die falsche Nummer eingetippt.“
Verkäuferin: „Wir werden ja gleich sehen, ob’s funktioniert hat.“
Ich, der Nächste in der Reihe: „Hoffentlich!“
Das ist tatsächlich etwas, wovor ich mich ein wenig fürchte: Dass ich irgendwo eine Nummer oder ein Passwort eingebe und den erwünschten Zugang erhalte ― und dass mir dann einfällt, dass Nummer oder Passwort nachweislich falsch sind und gar nicht hätten funktionieren dürfen. Im Traum kann einem so etwas passieren, davon kann man dann aufwachen, weil man merkt, dass man nur träumt. Wenn es aber passierte, wenn man unzweifelhaft wach ist und nicht aufwachen kann, wäre das schlimm. Was bräche dann ein? Einfach nur das System von Identitäten, Codes und Passwörtern, das unsere Zugriffe auf die Realität regelt und kontrolliert? Oder die Realität selbst, die sich dann als widerspruchsvoll und willkürlich erwiese, als gar nicht so verlässlich aus Widerständen und der Notwendigkeit, diese auszuräumen oder zu umgehen, aufgebaut? Ein Alptraum wäre das, so oder so.