Sonntag, 2. Dezember 2012

Müssen Vegetarier Fleischessen für vegetarisch halten?

Über die römisch-katholische Kirche kann man immer alles behaupten, es wird immer gern geglaubt oder zumindest weitererzählt, es mag noch so unglaubwürdig sein, Hauptsache, es ist boshaft. „Homo-Ehe unterstützt: Katholische Kirche verstößt 17-Jährigen“, titelte beispielsweise im November queer.de. Ach, du heilige Inquisition!, das klingt wirklich übel. Man sieht vorm geistigen Auge geradezu eine Prozession von Männern in Kapuzenkutten, die unterwegs sind, einen Scheiterhaufen zu entzünden, auf den ein unschuldiger junger Mensch gefesselt ist, dessen einziges Verbrechen darin bestanden hat, eine vom überholten Dogma der Amtskirche abweichende Auffassung zu vertreten. Darf derlei in unserem schönen 21. Jahrhundert denn noch sein?
Leider stellt sich der Fall dann im Text unterhalb des reißerischen Titels sehr undramatisch dar. Der 17-jährige Lennon Cihak aus Minnesota habe im Vorfeld der US-amerikanischen Präsidentenwahl, bei der in seinem Bundesstaat auch eine gegen die „Homo-Ehe“ gerichtete Volksabstimmung stattfinden sollte, sich selbst neben einem verbotsbefürwortenden Plakat, das er mit einem verbotsgegnerischen Text überschriebenen habe, photographiert und das Bild auf Facebook gepostet. „Mehrere seiner Schulfreunde haben den ‘Gefällt-mir’-Button geklickt, aber nicht sein Pfarrer. Hochwürden ließ den Bub[en] wissen, dass er mit dieser politischen Einstellung kein guter Katholik sei[,] und verweigerte ihm das Sakrament der Firmung.“
Was denn, wegen dieses einen harmlosen Fotos kein guter Katholik? Das ist mal wieder typisch für diesen reaktionären Verein. Und queer.de zitiert die Mutter des Ungefirmten (nach dem „Grand Forks Herald“): „Wir kennen ja die katholischen Ansichten, aber ich hätte nie gedacht, dass jemandem die Firmung verweigert wird, wenn er kein Hunder[t]prozentiger ist. Das hat mich wirklich schockiert.“
Ach,. die Arme. Ja, wirklich, das kommt überraschend, dass diese bornierten Pfaffen erwarten, dass man das Bekenntnis zu den Lehren der Kirche, das man bei der Firmung ablegt, auch ernst nehmen müsse. Wer rechnet denn mit sowas!
Ein Schönheitsfehler des Berichtes auf queer.de ist allerdings, dass im Text von der im Titel behaupteten Verstoßung keine Rede mehr ist. Ein Firmkandidat wurde für ungeeignet befunden, gefirmt zu werden, mehr hat eigentlich nicht stattgefunden. Unter journalistischem Gesichtspunkt kommt es allerdings noch schlimmer. Denn da queer.de sich nicht die Mühe machte, bei der Recherche auch die Sichtweise der anderen, in diesem Falle: beschuldigten Seite wahrzunehmen, entpuppt sich, wenn man das nachholt, der ganze Artikel als Falschmeldung. Man könnte auch sagen: als kirchenfeindliche Hetze.
Der angebliche Bösewicht in der Geschichte stellt die Sache jedenfalls in einem entscheidenden Punkt anders dar. Pfarrer Gary LaMoine berichtete von der Angelegenheit in einem offenen Brief an seine Gemeinde. Darin heißt es, einige Firmkandidaten hätten sich entschieden, nicht in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche einzutreten, weil sie nicht mit den Lehren der Kirche hinsichtlich der Ehe übereinstimmten. Der Pfarrer hebt hervor, dass es die Entscheidung dieser Kandidaten war, nicht gefirmt zu werden, die sie ausdrücklich gegenüber einer oder mehreren Personen, die den Firmunterrichts abhielten, geäußert hatten.
Einer dieser Kandidaten habe seinen Wunsch, gefirmt zu werden, nach dem Überschmieren eines Pro-Marriage-Plakates und dem Posten einer Aufnahme davon bei Facebook zurückgezogen. Er, LaMoine, habe den jungen Mann zur Rede gestellt, warum er derlei mache, wenn doch wisse, dass er damit zentrale Lehren der Kirche über die Ehe ablehne, worauf der Junge auf persönliche Gründe für seine Ablehnung verwiesen und gesagt habe, er wolle nicht mehr gefirmt werden. Das stehe, so der Geistliche, im Widerspruch zu späteren Äußerungen des Kandidaten und seiner Familie. Es stimme aber nicht, dass, wie behauptet, das Sakrament der Firmung verweigert worden sei, vielmehr habe der Kandidat selbst Abstand davon genommen. Diese Aussage LaMoines ist insofern glaubwürdig, als er zugleich erklärt: Wenn der Firmkandidat nicht selbst auf den Wunsch, gefirmt zu werden, verzichtet hätte, hätte er, der Gemeindepfarrer, ihn von Gewährung des Firmsakramentes ausgeschlossen.
Warum sollte Hochwürden LaMoine in der Frage, ob er ausgeschlossen habe oder der Firmkandidat zurückgezogen, lügen, wenn er doch zugibt, er hätte ausgeschlossen, wenn nicht zurückgezogen worden wäre? Andererseits scheint die Familien Cihak das mediale Interesse zu genießen und der Kirche gern ans Bein zu pinkeln. Warum sie überhaupt noch weiter der katholischen Kirche angehören wollen, obwohl sie von ihr so offensichtlich nichts halten, bleibt rätselhaft. Eine Verstoßung fand jedenfalls nicht statt. Ein Firmkandidat wollte aus gutem Grund nicht mehr gefirmt werden. That’s it.
Uns selbst wenn es anders gewesen wäre, als es offensichtlich war, wenn also einem Kandidaten der Empfang des Firmsakramentes verweigert worden wäre, wieso ist das ein Problem? Und für wen?
Gehen wir die Sache grundsätzlich an: In einer pluralistischen Gesellschaft steht es jedem in fast jeder Hinsicht frei, für dieses oder gegen jenes zu sein. Wenn beispielsweise Lennon Cihak für die Homo-Ehe ist, dann ist das, zivilgesellschaftlich gesehen, sein gutes Recht. Viele, nicht alle, werden ihm zustimmen. Und wenn andererseits die katholische Kirche gegen die Homo-Ehe ist, dann ist das deren gutes Recht. Viele, nicht alle, werden ihr widersprechen.
Weder die Zustimmung der einen noch der Widerspruch der anderen macht eine Überzeugung zu einer richtigen oder falschen. Ob eine Überzeugung richtig oder falsch ist, spielt in einem die Freiheit der Meinungsäußerung schützenden Rechtsstaat auch keine Rolle hinsichtlich des Rechtes, sie zu vertreten. Und es betrifft auch nicht — und das ist der in unserem Fall entscheidende Punkt — das Recht eines Vereines, von seinen Mitgliedern zu erwarten und zu verlangen, dass sie die Überzeugungen, auf denen nach Meinung der zuständigen Vereinsinstanzen der Verein gegründet ist, teilen und ihnen nicht öffentlich widersprechen.
Um ein Beispiel zu bringen: Sollte ein Vegetarier-Verein es nicht überaus problematisch finden dürfen, wenn manche seiner Mitglieder darauf bestehen, das Essen von Fleisch müsse endlich als genauso vegetarisch gelten wie das Essen von Gemüse? Man mag die Haltung der katholischen Kirche zur Ehe für falsch halten. Das darf man auch durchaus sagen. Aber ist es berechtigt, sie zu diffamieren, weil sie von ihren Mitgliedern Konsequenz verlangt?
Ich persönlich, falls das jemanden interessiert, bin nicht Mitglied der römisch-katholischen Kirche. Aber ich achte deren Recht darauf, homosexuelle Betätigung für Sünde zu halten, wie ich auch das Recht von Vegetariern achte, Fleischverzehr für falsch zu halten, obwohl ich in beiden Angelegenheiten, Sexualität und Ernährung, ganz anderen Überzeugungen vertrete. Homosexualität nicht für Sünde zu halten hindert mich im Übrigen nicht, ein Gegner der Homo-Ehe zu sein, wie ich auch ein Gegner der Hetero-Ehe bin. Es ist eben alles nicht so einfach, wie man es sich bei queer.de denkt: Auf der einen Seite die Lesbenundschwulen, die alle für die Homo-Ehe sind, auf der anderen Seite die religiösen Reaktionäre, deren Homophobie zum Himmel schreit.
Vielmehr bedeuten Pluralismus, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit eben auch: Vegetarierer müssen Fleischesser nicht als Vegetarier akzeptieren. Die katholische Kirche muss Befürworter der Ehe-Öffnung nicht firmen. Und ich darf Fleisch und Gemüse essen, Männer lieben, ohne auch nur einen von ihnen heiraten zu wollen, die Rechte eines Vereins verteidigen, dem ich nicht angehöre und dessen Überzeugungen ich nicht teile — und ich darf den Ton von queer.de unnötig schrill und geradezu hetzerisch finden, wenn es um die katholische Kirche geht.

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