Die Wahrheit sei immer das erste Opfer des Krieges, heißt es. Es seinen so viele Bilder, so schrecklich viele schreckliche Bilder, dass man gar nicht mehr wisse, was man da sehe, heißt es. Instagram, Facebook, Twitter, TikTok, Telegram usw. usf. überschwemmten einen mit Informationen, heißt es. Dabei seien dann und Lüge, Fakt und Fake nur noch schwer oder gar nicht mehr zu unterscheiden, heißt es. Längst seien Bilder und Wörter Teil der Kriegsführung geworden, heißt es.
All das stimmt. Irgendwie. Aber irgendwie auch wieder nicht. Man muss nämlich zwischen dem unterscheidem, was tastsächlich ununterscheidbar ist, und dem, was hingegen sehr wohl unterscheidbar ist und einen Unterschied macht. Niemand, der freien Zugang zu verschiedenen Medien hat, ist der Lüge hilflos ausgeliefert. Darum braucht auch niemand alles für Propaganda und darum gleichermaßen einseitig oder vermutlich unwahr zu erklären.
Darum stellt sich mir die Frage: Warum bestehen manche mit solch doktrinärer Inbrunst auf der Ununterscheidbarkeit von Wahrheit und Unwahrheit? Was haben sie davon? Wem nützt es?
Es stimmt jedenfalls nicht, dass die kritischer Medienkonsum und damit die Differenzierung gar so schwer ist. In vielen Fällen ist es sogar sehr leicht, Fake und Fakt zu unterscheiden. Vorausgesetzt allerdings, man scheidet routiniert zuverlässige von unzuverlässige Quellen, vergleicht verschiedene Quellen miteinander, hat Vorwissen und Allgemeinbildung (wo liegt Odessa?) und wendet nüchtern seinen Verstand an. Wahlloser Medienkonsum hingegen ― wer ist eigentlich dieses oft behauptete „Wir“ das sich zwanghaft und wehrlos mit Bildern von Instagram, Facebook, Twitter, TikTok, Telegram bespült? ― macht vermutlich wirklich aus jedem Gerücht eine Nachricht und stuft in der Folge alle Meldungen zu bloßen Gerüchten hinunter. Aber wer sagt, denn, dass man mehr schauen als lesen, dass man alles (oder nichts) glauben, das man etwas nur deshalb gesehen haben muss, bloß weil es jemand zeigen will?
Wenn affektbesetzte „Nachrichten“ nur noch ein beliebiges Format unter beliebigen anderen Medienwaren sind, dann ist man zwar vielleicht ein tüchtiger Kunde der Bewusstseinsindustrie, aber man darf sich dann auch nicht beschweren, dass einem die elaborierte Kritikfähigkeit abhanden gekommen und faktische Kritiklosigkeit zum wesentlichen Element des eigenen Konsumverhaltens geworden ist. Anders gesagt: Wer sich jedes Bild reinzieht, das irgendwo auftaucht, kann wohl tatsächlich irgendwann Echtheit und Betrug nicht mehr unterscheiden, doch das liegt dann nicht nur an den Bildern, sondern vor allem auch an der Maßlosigkeit des eigenen Bilderverbrauchs.
Intelligent reduzierter Informationskonsum überhaupt und besonders Askese beim Bilderschauen lassen mehr wissen und verstehen, nicht weniger. Aber vielleicht muss man auch schon im Voraus eine gewisse Immunisierung gegen Propaganda mitbringen, um mittdendrin nicht alles mitzumachen, was an Affektangeboten so aufpoppt.
Im Übrigen ist es bemerkenswert, dass jetzt im Krieg (der aber nicht erst jetzt stattfindet) besonders solche sich um die Reichweite der eigenen Erkenntnisfähigkeit sorgen, die seit Beginn der sogenannten Coronkrise auf kritisches Denken, Nachfragen, Infragestellen weitestgehend verzichtet hatten. Da marschierte sie stets brav mit den stärkeren Bataillonen und schossen aus vollen Rohren gegen alles, was gegen Pharma-Propaganda, Politikgefasel Medizinermärchen und Impflüge Einwände zu erheben wagte. Da wussten sie immer ganz genau, was Fakt ist (was die Obrigkeit sagt und Profit bringt) und was Fake (jedes Querdenken).
Und nun gibt man sich verwirrt und unsicher. Eine komfortable Position, die davor bewahrt, für etwas einstehen zu müssen. Plötzlich ist es mit den Gewissheiten wieder vorbei und nichts Genaues weißm man nicht. Was ist Wahrheit?, fragt man mit dem unschlüssigen Herrn Pilatus. Und kein Tag vergeht, an dem nicht über etwas Offensichtliches gesagt würde, es gäbe dafür keine „unabhängige“ Bestätigung dafür. Was auch immer „unabhängig“ heißen soll. Ein Krieg ist kein Fußballspiel, bei dem es einen Unparteischen braucht.
Tatsächlich ist es im Falle des russischen Krieges gegen die Ukraine (der übrigens 2014 begann) sogar leichter als sonst, zu klaren Unterscheidungen zu kommen. Die Ukrainer haben gar keinen Grund zu lügen, weil die Ungeheuerlichkeiten, die von russischer Seite begangen werden, gar nicht übertrieben werden können, während umgekehrt Tatsachenverdrehung, Tatsachenleugnung und Tatsachenerfindung Teil der russischen Kriegführung sind. Die Angegriffenen haben ebenso wie das Recht die Wahrheit auf ihrer Seite. Es wäre dumm von den Ukrainern zu lügen, denn die Wahrheit arbeitet für sie.
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