Manchen
passt nicht, was Jesus nach dem Zeugnis der Evangelien sagte, sie
hätten gern, dass anderes gesagt worden wäre oder das Gesagte
anders. Neuerdings hätte man gern, das Jesus die Gleichheit von
Männern und Frauen propagiert hätte, die Mütterlichkeit Gottes,
das weibliche Priestertum, dass er Ehebruch und andere Unzucht
gutgeheißen hätte und überhaupt mehr dem vorgegriffen hätte, was
heute Zeitgeist ist.
Dem Einwand,
dass aber nun einmal geschrieben stehe, was geschrieben stehe, und
dass man entweder am Zeugnis der Schrift festhalten oder sich
willkürlich ein anderes Evangelium erfinden müsse, begegnen die
ganz Schlauen damit, dass sie behaupten, Jesus habe eben zu seiner
Zeit nicht alles sagen können, was er habe sagen wollen, seine
Zeitgenossen hätten ihn sonst nicht verstanden und wären vor den Kopf
gestoßen gewesen.
Wer so
argumentiert, sagt implizit zweierlei. Zum einen, dass wir heute so
schrecklich viel klüger sind als Jesu Zeitgenossen, wir sind
aufgeklärt und vorurteilsfrei und wissen es einfach besser, als
jene, die gewürdigt wurden, dass der Sohn Gottes unter ihnen lebte,
und von denen die Schriften stammen, die Leben und Lehre, Tod und
Auferstehung Jesu bezeugen. Erst wir Heutigen sind in der Lage,
richtig zu verstehen, was Jesus sagte und was er eigentlich hätte
sagen sollte.
Und zum
anderen ist mit der Behauptung, Jesus habe nicht alles sagen können, was er hätte sagen sollen, mitgesagt: Jesus war nicht Gottes Sohn. Er hatte keine Vollmacht von
oben, er verkündete nicht den Willen Gottes, sondern er lehrte, was
gut ankam, was die Leute hören wollten, nichts, was sie hätte überfordern müssen. Ebenso wenig wie den
Propheten vor ihm war es ihm möglich, etwas zu verkünden, was den
Vorstellungen seiner Zeitgenossen widersprochen hätte. Jesus war ein Kind
seiner Zeit und ihr verhaftet. Kurzum, selbst wenn er wollte, könnte
Gott sich nicht gegen die Vorurteile der Menschen durchsetzen.
Beides ist
selbstverständlich falsch. Auch wenn Jesus zu einer bestimmten Zeit
an bestimmten Ort lebte und in bestimmten Sprachen sprach, so war
seine Rede doch nicht gebunden an beschränkte Vorstellungen und
herrschende Vorurteile. Mehr als einmal stieß er, nach dem Zeugnis
der Schrift, seine Zuhörer vor den Kopf. Letztlich wurde er wegen
seiner Lehre getötet. Aber was er lehrte, war zu allen Zeiten
überall allen Menschen guten Willens zugänglich, es ist einfach und
klar. Wo es zum Verständnis des historischen Kontextes und zur
Deutung des theologischen Wissens bedarf, so wurde beides zu allen
Zeiten von der Überlieferungsgemeinschaft, auch Kirche genannt, mit
größter Achtsamkeit und penibler Sorgfalt im Rahmen des Möglichen bereitgestellt.
Es braucht
also kein anderes Evangelium. Nicht die Wünsche und Vorurteile
irgendwelcher jeweils Heutiger sind das Maß der Verkündigung,
sondern die Menschen aller Zeiten müssen sich an dem messen lassen, was Jesus verkündigte
und denen, die an ihn glauben, zur Verkündigung auftrug.
Alle Christen müssen wissen: Wo die Kirche sich dem Zeitgeist unterwirft, verrät sie Christus, wo sie Christus folgt, wird sie dem Zeitgeist widersprechen müssen.
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