Die
Verwunderung über Aung San Suu Kyi wundert mich. Wie könne die
Friedensnobelpreisträgerin nur den Völkermord an den Rohingya
kleinreden und so tun, als hätten sich die massakrierenden Soldaten
nur ganz legitim gegen Terroristen gewehrt, mit vielleicht hie und da
ein paar unschönen Übereifrigkeiten?
Von
der Person von Aung San Suu Kyi ganz abgesehen (die immer schon
autoritär und nationalistisch war) liegt da ein Denkfehler zu
Grunde. Die Unterdrückten sind nicht die besseren Menschen. Bloß
weil etwa die Myanmarer unter einer Militärdiktatur litten, heißt
das nicht, dass sie, wenn diese Diktatur an Macht eingebüßt hat,
nun in engelsgleicher Unschuld lebten.
Keine
Bevölkerung, keine Klasse, keine Gruppe verkörpert deshalb, weil
sie unterdrückt wird oder wurde das Gute „an sich“.
Unterdrückung, Verfolgung, versuchte Auslöschung machen niemanden
zu einem besseren Menschen. Nicht von sich aus. Manche wachsen
durch Unrecht, das ihnen widerfuhr, über sich hinaus (Nelson
Mandela). Aber das ist selten und nicht die Regel.
Schon
mal was von Foucaults Kritik an der Repressionshypothese gehört? Die
bezieht sich zwar auf das Thema Sexualität, ist aber auch erweitert
anwendbar. Herrschende gesellschaftliche Verhältnisse sind nie
einfach bloß restriktiv, sondern immer auch produktiv. Sie bringen
Subjekte (also Untertanen) hervor, ermöglichen und fördern
Lebensweisen, affektive Bindungen, Weltsichten. Sie erziehen zur
Systemimmanenz, nicht zu geistiger Unabhängigkeit und souveräner
Widersetzlichkeit. Wer in einem Herrschaftsapparat „unten“ ist,
hat genau so seine notwendige Funktion wie der, der „oben“ ist;
die meisten sind eh irgendwo mittendrin.
Es
ist dieser Denkfehler, der dazu verführte, vom Proletariat die
Befreiung zu erwarten. Das ist selbstverständlich Unsinn. Die
Geschichte hat es gezeigt: Die Unterdrückten mögen ein Unbehagen
verspüren und manchmal revoltieren, aber sie wirken im Großen und
Ganzen zwangsläufig an ihrer Unterdrückung mit, sie sind ein
systemrelevanter und systemstabilisierender Faktor.
Manche
haben ihre Hoffnungen von der Arbeiterklasse auf die Kolonialisierten
übertragen, und sind darum immer enttäuscht, wenn postkoloniale
Gesellschaften nicht von Demokratie, Solidarität und Achtung der
Menschenrechte geprägt sind, sondern von Korruption, Machtmissbrauch
und mörderischem Nationalismus. Derselbe Denkfehler. Die
Unterdrückten sind, auch nach Aufhebung der Unterdrückung (an der
sie mitwirken mussten) nicht Spezialisten in Sachen Freiheit und
Würde.
Besonders
trauriges Beispiel: Drei Jahre nach der Endes Nazismus und seiner
millionenfachen Entwürdigung, Entrechtung, Verfolgung,
Verschleppung, Folter und Ermordung von Menschen mit der
„Begründung“, dass es Juden und Jüdinnen seien, gründeten
Menschen mit der Begründung, dass sie Juden und Jüdinnen seien,
einen Staat auf die vieltausendfache Entwürdigung, Entrechtung,
Verfolgung, Vertreibung, Folter und Ermordung von Menschen.
„Aus
der Geschichte lernen?“ Gern, aber das sollen die anderen machen,
die haben es nötiger. „Niemals wieder?“ Gern, aber nur nie
wieder (solches Unrecht) an uns, sehr wohl aber (solches Unrecht)
durch uns.
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