A: Kommt das Elend unserer Zeit nicht auch daher, dass die vorherrschende Identitätspolitik dazu geführt hat, dass jeder sich fragen soll, wer er sein möchte, statt danach zu fragen, von wem er begehrt werden möchte?
B: Ich sehe da keinen Widerspruch. Das Bedürfnis jemand zu sein im Sinne einer wiederkennbaren, klassifizierbaren „Identität“ ist nichts anderes, als der Wunsch begehrt zu werden. Daher stammt das Elend dieser Zeit und aller Zeiten: Dass die Menschen geliebt werden wollen, statt ihr Glück darin zu finden, lieben zu dürfen.
A: Das Identitäts- und Liebesbedürfnis ist also keine Folge der Identitätspolitik?
B: Ach, „Identitätspolitik“ ist ein beliebter Popanz, mehr nicht. „Identitätspolitik“ treiben immer die anderen, man selbst verwendet einfach die realistischen Kategorien. Man übersieht die eigene Identitätspolitik und wirft anderen „Identitätspolitik“ vor. Nach der Devise: Weiber, Schwuchteln, Neger — das sind doch alles Randthemen, worauf es ankommt, ist das proletarische Klassenbewusstsein (alternativ: die realen Sorgen der kleinen Leute). Oder man weist die Gefährdung der überkommenen Rationalität durch Toiletten für ein dritte Geschlecht als identitätspolitischen Irrsinn zurück, setzt aber zugleich auf vorzuschreibende Leitkultur, ethnisierten Nationalstaat und repressives „Wir gegen die (die draußen bleiben müssen)“.
A: Anders gesagt, faktisch bilden die Alternative zu „Identitätspolitik“ lediglich andere Identitätspolitiken?
B: Ja, und es gälte aus dieser Logik auszubrechen. Genau das aber geht nicht, weil scheinbar ohne „Identitäten“ der Liebesentzug droht.
A: Wie das?
B: Um begehrt und um geliebt werden zu können, muss ich als begehrenswert und liebenswert erkennbar und wiederkennbar sein. Ich muss eine kontinuierliche Form haben (und ich meine selbstverständlich nicht in erster Linie die äußere Erscheinung, sondern die soziokulturelle „Intelligibilität“), die kategorisierbar ist. Man muss wissen, womit man es zu tun hat, wenn man es mit mir zu tun hat, sonst lässt sich niemand auf mich ein. Ich muss also Erwartungen erfüllen und zugleich innerhalb des Erwartbaren dieses wenigstens insofern überschreiten, um von anderen, die dieselben Strategien verfolgen, halbwegs unterscheidbar zu bleiben. Zumindest für eine definierbare Zielgruppe: Das Begehrt- und Geliebtwerdenwollen ist im Idealfall ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Ich liebe dich, weil du mich liebst, und du liebst mich, weil ich dich liebe.
A: Sie setzen mir da Begehren und Liebe allzu rasch in eins, aber seis’s drum, jedenfalls für den Moment. Ich möchte aber noch kurz bei der „intelligiblen“ Identität bleiben, anders gesagt: beim Individuum und seinem Konformismus.
B: An das moderne Individuum wird eine doppelte Forderung gerichtet. Einerseits: Sei du selbst, einzigartig und unverwechselbar. Andererseits: Sei wie alle, sei normal, weiche nicht zu sehr ab. Das scheint ein Widerspruch, und ist es auch, wird aber in der Praxis einfach zur wechselseitigen Regulierung der Ansprüche auf Autonomie und Zugehörigkeit. Das Individuum versucht, originell zu sein, stellt sich diese Originalität aber aus vorgefundenen Versatzstücken zusammen. Je ausgearbeiteter sein „style“ ist, desto mehr ist es dem Aktuellen und Konsumierbaren verhaftet. Das sich selbst fabrizierende Individuum bricht nicht mit den Kategorien (das führte zu seiner Pathologisierung), es arrangiert sich mit ihnen, indem es sie für sich in einem Wechselspiel von Nachahmung und Abgrenzung in begrenztem Rahmen rearrangiert. Wenn alle „individualistisch“ sind, ist Individualismus freilich eine Ausprägung des Konformismus.
B: Ich sehe da keinen Widerspruch. Das Bedürfnis jemand zu sein im Sinne einer wiederkennbaren, klassifizierbaren „Identität“ ist nichts anderes, als der Wunsch begehrt zu werden. Daher stammt das Elend dieser Zeit und aller Zeiten: Dass die Menschen geliebt werden wollen, statt ihr Glück darin zu finden, lieben zu dürfen.
A: Das Identitäts- und Liebesbedürfnis ist also keine Folge der Identitätspolitik?
B: Ach, „Identitätspolitik“ ist ein beliebter Popanz, mehr nicht. „Identitätspolitik“ treiben immer die anderen, man selbst verwendet einfach die realistischen Kategorien. Man übersieht die eigene Identitätspolitik und wirft anderen „Identitätspolitik“ vor. Nach der Devise: Weiber, Schwuchteln, Neger — das sind doch alles Randthemen, worauf es ankommt, ist das proletarische Klassenbewusstsein (alternativ: die realen Sorgen der kleinen Leute). Oder man weist die Gefährdung der überkommenen Rationalität durch Toiletten für ein dritte Geschlecht als identitätspolitischen Irrsinn zurück, setzt aber zugleich auf vorzuschreibende Leitkultur, ethnisierten Nationalstaat und repressives „Wir gegen die (die draußen bleiben müssen)“.
A: Anders gesagt, faktisch bilden die Alternative zu „Identitätspolitik“ lediglich andere Identitätspolitiken?
B: Ja, und es gälte aus dieser Logik auszubrechen. Genau das aber geht nicht, weil scheinbar ohne „Identitäten“ der Liebesentzug droht.
A: Wie das?
B: Um begehrt und um geliebt werden zu können, muss ich als begehrenswert und liebenswert erkennbar und wiederkennbar sein. Ich muss eine kontinuierliche Form haben (und ich meine selbstverständlich nicht in erster Linie die äußere Erscheinung, sondern die soziokulturelle „Intelligibilität“), die kategorisierbar ist. Man muss wissen, womit man es zu tun hat, wenn man es mit mir zu tun hat, sonst lässt sich niemand auf mich ein. Ich muss also Erwartungen erfüllen und zugleich innerhalb des Erwartbaren dieses wenigstens insofern überschreiten, um von anderen, die dieselben Strategien verfolgen, halbwegs unterscheidbar zu bleiben. Zumindest für eine definierbare Zielgruppe: Das Begehrt- und Geliebtwerdenwollen ist im Idealfall ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Ich liebe dich, weil du mich liebst, und du liebst mich, weil ich dich liebe.
A: Sie setzen mir da Begehren und Liebe allzu rasch in eins, aber seis’s drum, jedenfalls für den Moment. Ich möchte aber noch kurz bei der „intelligiblen“ Identität bleiben, anders gesagt: beim Individuum und seinem Konformismus.
B: An das moderne Individuum wird eine doppelte Forderung gerichtet. Einerseits: Sei du selbst, einzigartig und unverwechselbar. Andererseits: Sei wie alle, sei normal, weiche nicht zu sehr ab. Das scheint ein Widerspruch, und ist es auch, wird aber in der Praxis einfach zur wechselseitigen Regulierung der Ansprüche auf Autonomie und Zugehörigkeit. Das Individuum versucht, originell zu sein, stellt sich diese Originalität aber aus vorgefundenen Versatzstücken zusammen. Je ausgearbeiteter sein „style“ ist, desto mehr ist es dem Aktuellen und Konsumierbaren verhaftet. Das sich selbst fabrizierende Individuum bricht nicht mit den Kategorien (das führte zu seiner Pathologisierung), es arrangiert sich mit ihnen, indem es sie für sich in einem Wechselspiel von Nachahmung und Abgrenzung in begrenztem Rahmen rearrangiert. Wenn alle „individualistisch“ sind, ist Individualismus freilich eine Ausprägung des Konformismus.
A: Ein Konformismus aber nicht des Erscheinungsbildes, sondern der Ansprüche, Erwartungen, Wünsche. Alle wollen, dasselbe, nämlich von einander verschieden sein.
B: Sehr richtig. Alle wollen sich von einander unterscheiden und erkennen einander als demselben Unterscheidungsbedürfnis verhaftet an. Letztlich ist es in einer solchen Gesellschaft nicht mehr möglich, nonkonformistisch zu sein, weil auch alle möglichen verschiedenen Typen des „Nonkonformisten“ bereits zur Verfügung stehen und Teil des Sortiments annehmbarer Identitäten sind.
A: Ein System, mit dem man nicht brechen kann?
B: So scheint es. Es sei denn, man hörte auf, an der eigenen Identität zu arbeiten.
A: Wie soll das gehen? Sie sagten, man müsse identifizierbar sein.
B: Man müsste aufhören, geliebt werden zu wollen.
A: Also führt der einzig mögliche Bruch mit dem System der „individualistischen“ Identitäten zur Einsamkeit?
B: Vermutlich. Zumindest zur Anachorese.
A: Das ist mir jetzt zu deprimierend. — Ich möchte noch einmal auf die „Identitätspolitik“ zurückkommen …
B: Die Identitäten, um die es dabei für gewöhnlich geht, sind ja keine individuellen. Es sind im Grunde Gruppenzugehörigkeiten. Im weitesten Sinne also „Rasse, Klasse, Geschlecht“ und ihre immer weiter verfeinerbaren Unterscheidungen. Eine Identität zu haben heißt dann: Einer von denen zu sein. Bestenfalls eben von einer anerkannten Gruppe. Noch besser, wenn diese Anerkennung prekär ist, erst ausgehandelt werden muss, wenn es noch Diskriminierung und einen vorzeigbaren Opferstatus gibt. Das „identitätspolitische“ Individuum bezieht sein Selbstverständnis im Ringen um Anerkennung aus der Zugehörigkeit zu einer Kategorie. Es will also streng genommen nicht mit sich selbst identisch sein — und man könnte fragen: Mit wem denn sonst? —, sondern „Identität“ heißt wiederkennbare und einordenbare Zugehörigkeit. Bloß kein Einzelfall sein, sondern unbedingt ein Fall von X.
A: Ließe sich damit brechen?
B: Aber ja. Statt bestimmte Rechte als Angehöriger eine Gruppe, als Fall von X einzufordern, muss es politisch darum gehen, dass Rechte zugesprochen werden und ausgeübt werden können unabhängig von „Identitäten“. Das ist ein altes theologisches Prinzip: Gott sieht nicht auf die „Person“ (im Sinne des Status, der „Identität“), sonder darauf, was eine Person tut oder lässt. Die Moderne hat das sehr gelungen zu dem emanzipatorischen Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz säkularisiert: Egal, ob Mann oder Frau (oder beides oder keins von beidem), ob alt oder jung, ob behindert oder nicht, ob weiß oder schwarz, ob alteingesessen oder zugewandert, ob dies oder das usw. usf. — vor dem Gesetz sind alle gleich und werden nur nach dem beurteilt, was sie tun oder lassen, und nicht nach ihrem „Sein“.
A: Ein System, mit dem man nicht brechen kann?
B: So scheint es. Es sei denn, man hörte auf, an der eigenen Identität zu arbeiten.
A: Wie soll das gehen? Sie sagten, man müsse identifizierbar sein.
B: Man müsste aufhören, geliebt werden zu wollen.
A: Also führt der einzig mögliche Bruch mit dem System der „individualistischen“ Identitäten zur Einsamkeit?
B: Vermutlich. Zumindest zur Anachorese.
A: Das ist mir jetzt zu deprimierend. — Ich möchte noch einmal auf die „Identitätspolitik“ zurückkommen …
B: Die Identitäten, um die es dabei für gewöhnlich geht, sind ja keine individuellen. Es sind im Grunde Gruppenzugehörigkeiten. Im weitesten Sinne also „Rasse, Klasse, Geschlecht“ und ihre immer weiter verfeinerbaren Unterscheidungen. Eine Identität zu haben heißt dann: Einer von denen zu sein. Bestenfalls eben von einer anerkannten Gruppe. Noch besser, wenn diese Anerkennung prekär ist, erst ausgehandelt werden muss, wenn es noch Diskriminierung und einen vorzeigbaren Opferstatus gibt. Das „identitätspolitische“ Individuum bezieht sein Selbstverständnis im Ringen um Anerkennung aus der Zugehörigkeit zu einer Kategorie. Es will also streng genommen nicht mit sich selbst identisch sein — und man könnte fragen: Mit wem denn sonst? —, sondern „Identität“ heißt wiederkennbare und einordenbare Zugehörigkeit. Bloß kein Einzelfall sein, sondern unbedingt ein Fall von X.
A: Ließe sich damit brechen?
B: Aber ja. Statt bestimmte Rechte als Angehöriger eine Gruppe, als Fall von X einzufordern, muss es politisch darum gehen, dass Rechte zugesprochen werden und ausgeübt werden können unabhängig von „Identitäten“. Das ist ein altes theologisches Prinzip: Gott sieht nicht auf die „Person“ (im Sinne des Status, der „Identität“), sonder darauf, was eine Person tut oder lässt. Die Moderne hat das sehr gelungen zu dem emanzipatorischen Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz säkularisiert: Egal, ob Mann oder Frau (oder beides oder keins von beidem), ob alt oder jung, ob behindert oder nicht, ob weiß oder schwarz, ob alteingesessen oder zugewandert, ob dies oder das usw. usf. — vor dem Gesetz sind alle gleich und werden nur nach dem beurteilt, was sie tun oder lassen, und nicht nach ihrem „Sein“.
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