„In
den 70er Jahren haben die Schwulen über ihre Verhältnisse gelesen.“ Mit
diesen Worten hat Joachim Bartholomae einmal Martin Dannecker zitiert.
(Der sich auf Nachfrage nicht daran erinnern konnte, das je gesagt,
geschweige denn geschrieben zu haben.) Das ist ein wunderbarer Satz, ein
schrecklicher. Wunderbar, weil er eine retrospektive Utopie benennt,
schlichter gesagt: eine ehemalige Möglichkeit anderer Zustände. „Über
ihre Verhältnisse“. das kann ja beides meinen: darüber, wie ihre
Verhältnisse sind; und: mehr, als ihnen eigentlich hätte möglich sein
sollen, mehr, als eigentlich zu erwarten war, mehr, als ihnen
zugestanden wurde (analog zu „jemand lebt über seine Verhältnisse“).
Es gab also Zeiten, da war das geschriebene Wort, auch und gerade das in Bücher gedruckte, ein wesentliches Medium der Verständigung und Selbstverständigung, Teil jener Selbstermächtigung, die Emanzipation sein wollte. Nicht nur für einzelne, versprengte, verborgene Leser, sondern für „die Schwulen“ überhaupt, also — ohne den etwas haltlosen und zu Recht aus anderer Sprache geborgten Ausdruck „community“ bemühen zu wollen — für eine unbestimmte, aber spürbare Zahl von solchen, die gerade als Leser und wohl eben unter anderem auch durch ihre Leserschaft aus der Vereinzelung, Versprengung, Verborgenheit heraustraten und zu einem wenigstens imaginären Kollektiv wurden, das nach und nach eine Geschichte bekam und damit womöglich auch eine Zukunft hatte. Das also ist das Wunderbare an dem zitierten Satz, dass es offenbar eine Zeit gab, in der Schwule über ihre Verhältnisse lasen; das Schreckliche daran ist, dass es damit offensichtlich vorbei ist. Und zwar nicht erst seit heute.
Als Inizialzündung dessen, was sich als Bewegung begriff, gilt in Deutschland ein Film. Aber ohne Zeitschriften und Bücher wäre nichts weiter passiert. Und nicht ohne die Orte, an denen ganz besondere Zeitschriften und Bücher nicht nur verkauft, sondern vermittelt wurden. Der schwule Buchladen als Ort der Begegnung, ausnahmsweise nicht primär zwecks sexueller Kontaktaufnahme, sondern der emotionalen und intellektuellen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der solche Läden Inseln, Schutzräume und Archive waren, mit anderen und mit sich selbst; der schwule Buchladen als harmloseste Form der Kommerzialisierung des Begehrens; der schwule Buchladen als natürliches Biotop für ein studentisches Milieu ebenso wie als Anlaufstelle für bildungswilliges Bürgertum; der schwule Buchladen als Symbol und Realität einer gewissen Präsenz wenigstens in gewissen Großstädten — der schwule Buchladen also war unersetzbar.
Das blieb er nicht. Die Themen wurden andere, die Vergesellschaftungsformen, die gesellschaftlichen Reaktionen, das Kaufverhalten. Die AIDS-Krise kam, die Entpolitisierung, das Reaktionärwerden des Politischen. Emanzipation als Ansatz, der immer viel Rhetorik, Analyse und erwerbbare Kenntnisse voraussetzt, also auch Bücher, wurde durch Integration als Ziel ersetzt, das sich als voraussetzungslos gibt und mehr praktisch veranlagt ist. Literatur hörte auf, Herausforderung für wen auch immer durch was auch immer zu sein und kehrte dazu zurück, das zu sein, was sie im behaglich eingerichteten Bürgertum immer gewesen war: Sie wurde wieder zu Dekoration. Kleine Buchläden jedweder Ausrichtung und auch ohne irgendeine wurden von Ladenketten und dem Internet verdrängt, geschluckt, ersetzt. Niemand braucht heutzutage mehr schwule Buchläden, außer allenfalls den Buchhändlern, versteht sich, und einer Handvoll leicht anachronistischer Stammkunden.
Kaum jemand hat heutzutage noch Interesse, Bedürfnis, Kraft und Lust, über seine Verhältnisse zu lesen. Das Buch ist kein Schatz mehr, den man auf Grund besonderer Berufung an verstecktem Ort entdeckt, und dessen märchenhafter Reichtum einen aus den gegebenen Verhältnissen herauszureißen verspricht. Es ist Ware, Accessoire, Unterhaltungsstoff, Informationsmedium. Der Zauber ist verflogen. Der schwule Buchladen ist funktionell von der Filiale der Buchhandelskette nicht zu unterscheiden. Das Geschäft findet vor allem im Netz statt.
Gewiss kann man versuchen, zu retten, was zu retten ist. Viele mussten aufgeben, wenige halten sich noch. Vielleicht noch ein bisschen länger. Aber man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Wenn man draufschaut, sieht man, wie spät es ist. Schon so spät? Zu spät gar? Früher war nicht alles besser, aber es ging um anderes. Die Uhr der Lesenden geht immer ein bisschen nach, aber das macht nichts, weil sie nie nur die heutige Zeit anzeigt. Eine Zukunft ganz ohne schwule Buchläden ist vorstellbar. Aber wer will sie?
Es gab also Zeiten, da war das geschriebene Wort, auch und gerade das in Bücher gedruckte, ein wesentliches Medium der Verständigung und Selbstverständigung, Teil jener Selbstermächtigung, die Emanzipation sein wollte. Nicht nur für einzelne, versprengte, verborgene Leser, sondern für „die Schwulen“ überhaupt, also — ohne den etwas haltlosen und zu Recht aus anderer Sprache geborgten Ausdruck „community“ bemühen zu wollen — für eine unbestimmte, aber spürbare Zahl von solchen, die gerade als Leser und wohl eben unter anderem auch durch ihre Leserschaft aus der Vereinzelung, Versprengung, Verborgenheit heraustraten und zu einem wenigstens imaginären Kollektiv wurden, das nach und nach eine Geschichte bekam und damit womöglich auch eine Zukunft hatte. Das also ist das Wunderbare an dem zitierten Satz, dass es offenbar eine Zeit gab, in der Schwule über ihre Verhältnisse lasen; das Schreckliche daran ist, dass es damit offensichtlich vorbei ist. Und zwar nicht erst seit heute.
Als Inizialzündung dessen, was sich als Bewegung begriff, gilt in Deutschland ein Film. Aber ohne Zeitschriften und Bücher wäre nichts weiter passiert. Und nicht ohne die Orte, an denen ganz besondere Zeitschriften und Bücher nicht nur verkauft, sondern vermittelt wurden. Der schwule Buchladen als Ort der Begegnung, ausnahmsweise nicht primär zwecks sexueller Kontaktaufnahme, sondern der emotionalen und intellektuellen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der solche Läden Inseln, Schutzräume und Archive waren, mit anderen und mit sich selbst; der schwule Buchladen als harmloseste Form der Kommerzialisierung des Begehrens; der schwule Buchladen als natürliches Biotop für ein studentisches Milieu ebenso wie als Anlaufstelle für bildungswilliges Bürgertum; der schwule Buchladen als Symbol und Realität einer gewissen Präsenz wenigstens in gewissen Großstädten — der schwule Buchladen also war unersetzbar.
Das blieb er nicht. Die Themen wurden andere, die Vergesellschaftungsformen, die gesellschaftlichen Reaktionen, das Kaufverhalten. Die AIDS-Krise kam, die Entpolitisierung, das Reaktionärwerden des Politischen. Emanzipation als Ansatz, der immer viel Rhetorik, Analyse und erwerbbare Kenntnisse voraussetzt, also auch Bücher, wurde durch Integration als Ziel ersetzt, das sich als voraussetzungslos gibt und mehr praktisch veranlagt ist. Literatur hörte auf, Herausforderung für wen auch immer durch was auch immer zu sein und kehrte dazu zurück, das zu sein, was sie im behaglich eingerichteten Bürgertum immer gewesen war: Sie wurde wieder zu Dekoration. Kleine Buchläden jedweder Ausrichtung und auch ohne irgendeine wurden von Ladenketten und dem Internet verdrängt, geschluckt, ersetzt. Niemand braucht heutzutage mehr schwule Buchläden, außer allenfalls den Buchhändlern, versteht sich, und einer Handvoll leicht anachronistischer Stammkunden.
Kaum jemand hat heutzutage noch Interesse, Bedürfnis, Kraft und Lust, über seine Verhältnisse zu lesen. Das Buch ist kein Schatz mehr, den man auf Grund besonderer Berufung an verstecktem Ort entdeckt, und dessen märchenhafter Reichtum einen aus den gegebenen Verhältnissen herauszureißen verspricht. Es ist Ware, Accessoire, Unterhaltungsstoff, Informationsmedium. Der Zauber ist verflogen. Der schwule Buchladen ist funktionell von der Filiale der Buchhandelskette nicht zu unterscheiden. Das Geschäft findet vor allem im Netz statt.
Gewiss kann man versuchen, zu retten, was zu retten ist. Viele mussten aufgeben, wenige halten sich noch. Vielleicht noch ein bisschen länger. Aber man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Wenn man draufschaut, sieht man, wie spät es ist. Schon so spät? Zu spät gar? Früher war nicht alles besser, aber es ging um anderes. Die Uhr der Lesenden geht immer ein bisschen nach, aber das macht nichts, weil sie nie nur die heutige Zeit anzeigt. Eine Zukunft ganz ohne schwule Buchläden ist vorstellbar. Aber wer will sie?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen