Freitag, 11. September 2015

Ungleiches Recht für Flüchtlinge

Letztens diskutierte ich auf facebook darüber, ob man zwischen „tatsächlichen“ und „sogenannten“ Flüchtlingen unterscheiden müsse. Manche meinen ja, man müsse da strikt unterscheiden und die einen abweisen und zurückschicken, um den anderen helfen zu können. Ich selbst bin gegen eine von außen an Menschen herangetragene und ihnen (mit existenziellen Folgen) auferlegte Unterscheidung, stattdessen soll jeder selbst seine Migrationsgründe definieren dürfen, die nämlich auch dann legitim sein können, wenn es nicht um Krieg oder politische Verfolgung, sondern um das ganz „normale“ Elend, um Chancen- und Perspektivlosigkeit in wirtschaftlich darniederliegenden Weltgegenden geht.
Insbesondere habe ich Bedenken, wenn die Kategorisierung von Menschen in Not zum Zwecke entweder Abhilfe zu schaffen oder die Not zu perpetuieren durch nationalstaatliche Bürokratien erfolgt. Staaten sind Teil des Problems, nicht der Lösung.
Bestätigt fühle ich mich in dieser Einschätzung durch folgende Meldung: „Um das Flüchtlingslager Traiskirchen zu entlasten, will Niederösterreich jugendliche Asylwerber nicht mehr in Jugend-Einrichtungen mit spezieller Betreuung unterbringen, sondern wie Erwachsene. Die Grenze für die Volljährigkeit soll dazu auf 17 Jahre herabgesetzt werden. LH [Landeshauptmann] Pröll sagt, es sei im Sinne einer effizienteren Unterbringung, Minderjährige in Quartiere zu geben, die auch Österreichern zugemutet werden.“ (ORF-Text)
Durch einen Verwaltungsakt minderjährige Flüchtlinge gleichsam für volljährig zu erklären, zumindest was ihre Pflichten, nicht aber irgendwelche Rechte betrifft, ist ein Beispiel für genau jene bürokratische Willkür, die ich immer erwartet, befürchtet und abgelehnt habe.
Was hindert denn daran, per Dekret Flüchtlinge schon mit 16 für volljährig zu erklären und aus den Unterkünften für Minderjährige zu werfen, um damit Geld zu sparen? Oder mit 15? Oder 14? Auf derselben Linie liegen Vorschläge, für Flüchtlinge die Schulpflicht „auszusetzen“. Damit sollen Schulen „entlastet“ werden.
Im Namen von Sparsamkeit und Effizienz werden willkürliche Grenzen gezogen, die immer auf die Ungleichbehandlung von Gleichem hinauslaufen, also, wiewohl oft gesetztes „Recht“, durchaus unbillig sind. Dies kann man, weil man die Macht dazu hat, weil die, über deren Leben man verfügt, nur passive Objekte staatlich-bürokratischen Handelns sind, nicht gleichberechtigte Subjekte und Teilhaber am gesellschaftlichen Prozess. „Wir“ definieren uns „die“ zurecht, bis sie unseren Bedürfnissen entsprechen (oder eben nicht entsprechen und dann zu verschwinden haben). Die Betroffenen selbst, deren Bedürfnisse aus der Not erwachsen, haben kein Mitspracherecht. Sie gehören hier eigentlich nicht hin, nur unsere Großzügigkeit duldet sie vorübergehend.
Und immer wieder taucht dabei das Argument auf, man müsse eben Abstriche machen, Standards absenken, die Unterstützung der einen reduzieren oder verweigern, um anderen helfen zu können: Eine Logik der Segregation und des Ausspielens der einen Hilfsbedürftigen im Namen der anderen und der angeblich beschränkten Möglichkeiten.
Wenn einen zur Widerlegung solcher „Logik“ schon das Argument nicht überzeugt, dass Not Not ist und die Gründe dafür sekundär — weil es gilt, die Not zu beheben; erst wenn man die Gründe bekämpfen wollte, müsste man sie unterscheiden —, so sollte man doch ein Unbehagen verspüren angesichts der massiven politischen Bereitschaft, so lange an geltendem Recht herumzuschrauben, bis es Unrecht wird. Denn gewiss ist die Volljährigkeitsgrenze bei 18 Jahren willkürlich. Doch wenn sie für Österreicher gilt, muss sie auch für nach Österreich Geflohene gelten. Wer zwischen „tatsächlichen“ Minderjährigen und „sogennanten“ unterscheiden will, um sich der Verantwortung zu entziehen und Geld zu sparen, das anderswo verpulvert wird, tut Unrecht.

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