Stell dir vor, es ist Demokratie und die Mehrheit bleibt weg. Ausgerechnet im für die Sparsamkeit seiner Bewohner berüchtigten Baden-Württemberg leistete man sich am ersten Sonntag im Advent ein ebenso teures wie sinnloses Plebiszit. Herauskam bloß eine Bestätigung des längst Beschlossenen. Einst hatte der Streit um das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ die Gemüter aufgewühlt und letztlich sogar dazu beigetragen, die frühere badisch-württembergische abzuwählen und Deutschlands ersten grünen Ministerpräsidenten zu installieren. Nun aber, da die Bürgerinnen und Bürger die Chance gehabt hätten, in der Sache mitzuentscheiden, blieben sie mehrheitlich einfach zu Hause. Und die Mehrheit derer, die mitstimmten, erteilte dem Wutbürgertum eine Absage und stimmte mit „Nein“, also für das Milliardengrab, äh, die Bahnhofsgrube. Das sei „ein großer Schritt in die Zukunft der Bürgergesellschaft“, kommentierte Regierungschef Kretschmann. Und auch alle anderen scheinen sich darin einig, dass mit der vox populi nun quasi die vox dei gesprochen habe und das Resultat somit sakrosankt sei. Sogar von dezidierten S21-Gegnern ist jetzt zu hören, der Widerstand gegen das Projekt sei damit zu Ende. Aber im Ernst, macht das Votum von 28,4 Prozent der Stimmberechtigten wirklich eine fragwürdige Sachentscheidung zu einer fraglosen? Die Logik, wonach man echte oder vermeintliche Fehlentscheidungen gewählter Mandatsträger kritisieren, gegen sie protestieren und ihnen sogar Widerstand entgegensetzen darf, aber alles gefälligst gehorsam hinzunehmen hat, was irgendeine Abstimmungsmehrheit zufällig befürwortet, erschließt sich mir nicht. Stell dir vor, es ist Demokratie und alles wird gut? Gewiss, es schmeichelt der Eitelkeit der Befragten, dass sie angeblich etwas entscheiden dürfen, aber direkte Demokratie, die im Ergebnis auch bloß auf dasselbe hinausläuft wie repräsentative Demokratie oder autoritäres Handeln, ist bloß ein politisches Placebo und damit für den Allerwertesten.
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