Sonntag, 3. April 2011

Man sah erst schwarz, dann rot

Ich sagte es schon oft und sage es gerne wieder: Der Deutsche als solcher — den es selbstverständlich gar nicht gibt und der, wenn es ihn doch geben sollte, nicht nur in Deutschland vorkommt —, der Deutsche als solcher also hat als hervorstechendsten Charakterzug die Lust, Vorschriften zu machen, Vorschriften zu kennen und andere zur Einhaltung von Vorschriften anzuhalten. (Die berüchtigte deutsche Gründlichkeit und Ordentlichkeit, deren man in Deutschland allerdings in Wahrheit nur selten ansichtig wird, ist übrigens, wo sie ausnahmsweise doch mal vorkommt, nur ein Nebenprodukt dieser Vorschriftenmacherei und Vorschrifteneinhalterei.) Nicht zuletzt liegen dem Deutschen Vorschriften am Herzen, die Sprache und die politische Einstellung betreffen. Wenn er es „politische Korrektheit“ nennt, ist er zwar dagegen, aber  so nennt er es nur bei anderen, er selbst verhält sich einfach regelkonform und erwartet das auch von anderen. 
Was denkt also solch ein mit allen einschlägigen Vorschriften gewappneter Durchschnittsdeutscher beispielsweise, wenn er irgendwo einen „Neger“ sieht? Er denkt: Neger darf ich nicht sagen, ich sage lieber Schwarzer oder, um’s deutlicher zu machen, Schwarzafrikaner, denn irgendwie muss man die Hautfarbe ja kennzeichnen dürfen,  gerade weil sie ohne Bedeutung ist, alle Menschen sind gleich, auf die Farbe der Haut kommt’s nicht an, also doch lieber bloß Afrikaner sagen und die Erwähnung Farbe weglassen, keinesfalls irgendwie darauf anspielen, das wäre ja rassistisch, und rassistisch will ich nicht sein. Jetzt muss ich nur noch aufpassen, dass auch niemand anderer rassistisch ist.
Und nun stellen wir uns vor, so ein Durschnittsdeutscher (der, wie ich zu unterstellen wage, vorzugsweise eine Durschnittsdeutsche ist) kommt zum Bäcker und sieht dort ein für Schokoladenkuchen, genauer: eine Schoko-Vanille-Sahne-Schnitte namens „Schoko-Traum“ werbendes Plakat, auf dem ein fast nacktes Negerkind, äh, ein ein sehr dunkelhäutiges Kleinkind, dessen Hautfarbe keine Rolle spielt, zu sehen ist. Rassismus pur, denkt die antirassistische Durchschnittsdeutsche, empört sich lautstark und randaliert.
All das hat es, wie berichtet wird, tatsächlich gegeben. Die Bäckerei (mit Filialen in drei ostdeutschen Bundesländern, insgesamt 100 in ganz Deutschland) und die Werbung (auch im Internet), die antirassistische Empörung (ausgerechnet in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt), das Anpöbeln von Bäckereiwarenfachverkäuferinnen und das Zerstören der Plakate. Und nun kommt die Pointe: Das abgebildete Kind war nicht irgendein Kind, sondern das Kind einer Mitarbeiterin. Die Bäckereikette pflegt, wie man hört, immer wieder die Bilder von Kindern von Mitarbeiterinnen zu Werbezwecken einzusetzen, mit dem Einverständnis der Eltern, versteht sich. Diesmal nun, in der Aktionswoche für „Schoko-Traum“, war die Tochter einer Frau mit namibischem Migrationshintergrund zu sehen. Gewiss kein Zufall, denn die Kleine ist nun einmal süß und dunkelbraun, und der angepriesene Kuchen wohl auch. Von Rassismus also keine Spur.
Es sei denn, man nähme an, dass für Schokoladenkuchen auf keinen Fall mit einem schokoladenbraunen Mädchen geworben werden dürfte. Aber warum nicht? Darf auch für rosaroten Marzipankuchen nicht mit einem schweinchenfarbenen Kind geworben werden? Ist man nur dann nicht rassistisch, wenn man so tut, als gäbe es keine unterschiedlichen Körpermerkmale? Ist nicht erst die Abwertung auf Grund von „Hautfarbe“ rassistisch, sondern bereits jede Anspielung auf Pigmentierung?
Tatsächlich war nicht die werbende Bäckereikette rassistisch (die, wie man hört, in Namibia etwa 50 Mitarbeiter hat und dort auch Schulen und Entwicklungsprojekte unterstützt), sondern rassistisch waren die Empörer, die nämlich ihren eigenen, vorschriftsmäßig unterdrückten Rassismus auf das Plakat projizierten. Gewiss, über Reklame kann man oft so oder so denken, auch in diesem Fall. Aber man sollte keine Einstellungen unterstellen, die man nur unterstellen kann, weil man sie, wenn auch in der Gestalt der Negation, teilt. Ist es nicht eine besonders perfide Art von Rassismus, Menschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit nur noch als Rassismusopfer wahrzunehmen? — Das kleine Mädchen heißt übrigens Sofihya. Was es vom „Schoko-Traum“ hält, wurde nicht berichtet.

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