Die Postmodernen (wer immer das sein mag) hätten mit ihrer Behauptung, es gäbe „die“ Wahrheit und „die“ Realität nicht, das Zeitalter des Postfaktischen herbeigeführt. Wenn für jeden etwas anderes wahr sein könne, dann hätten beispielsweise ja auch die Leugner des menschengemachten Klimawandels Recht. Heißt es.
Dazu zwei Bemerkungen. Erstens finde ich es seit nun mehr rund drei Jahrzehnten höchst ärgerlich, dass immer und immer wieder von „den postmodernen Denkern“, „der Postmoderne“, „dem Postmodernismus“ usw. die Rede ist, ohne dass gesagt würde, wer genau was in welchem Text geschrieben oder wo gesagt hätte. Ärgerlich ist es auch, wenn zwar Namen genannt werden (beliebt sind: Lyotard, Foucault, Derrida, Deleuze, Lacan Barthes, zuweilen auch Judith Butler), aber deren Zusammenstellung offensichtlich willkürlich und inhaltlich unsinnig ist, solange keine Gemeinsamkeit nachgewiesen wird. Und nicht minder ärgerlich, weil völlig absurd, ist der beliebte Trick, einzelnen Autoren (selbstverständlich ohne jeden Nachweis) Behauptungen zuzuordnen, die in deren Texten überhaupt nicht vorkommen und ohne völlige Willkür auch nicht hineingelesen werden können. (Etwa wenn es heißt, Foucault habe die Großen Erzählungen zurückgewiesen. Oder er habe geleugnet, dass es Wahrheit gebe; wie einer, der sich so eingehend mit der Wahrheitsproduktion in wissenschaftlichen Diskursen beschäftigt hat, geleugnet haben kann, dass es das Produzierte gibt, verstehe wer wolle.)
Zweitens ist die Herleitung des „Postfaktischen“ von „Postmodernen“ völlig absurd. Gelogen wurde schon immer. Und darüber, was wahr ist oder nicht, konnte man immer schon verschiedener Meinung sein und war es häufig auch. Ganz ohne Moderne oder Postmoderne.
Wahrheit kann strittig sein. Dafür spielt es keine Rolle, ob die „wahre Wahrheit“ jemandem bekannt ist oder aller irren. Jeder meint, mehr oder minder gute Gründe für „seine“ Wahrheit zu haben. Manche lassen sich von Argumenten überzeugen (oder ändern ihre Meinung aus anderen Gründen, etwa Gruppendruck), manche nicht. Dass eine Überzeugung sich durchsetzt, ist (außer für Pragmatisten wie Rorty; auch er ein Postmoderner?) kein Argument für deren Richtigkeit.
Manche sind überzeugt, es gebe den menschengemachten Klimawandel, manche bestreiten einen Klimawandel überhaupt oder sind zumindest überzeugt, er sei nicht von Menschen verursacht. Welchen Unterschied macht es in einer Debatte, ob die eine oder die andere Seite faktisch Recht hat? Keinen. Und keine Seite muss bestreiten, dass es nur eine einzige Wahrheit gibt, nur hält eben jede Seite ihre Überzeugung für wahr und die andere für falsch. Was ist daran „postmodern“ (was immer das heißen mag)? Wer vertritt schon eine Überzeugung, die er für falsch hält? Allenfalls ein Lügner oder ein Irrer. Wer aber ehrlich und geistig halbwegs gesund ist, glaubt an das, was er zu wissen beansprucht. Gerade in der „Klima-Debatte“ behauptet meines Wissens niemand, es sei zugleich wahr, dass es menschengemachten Klimawandel gibt und dass es ihn nicht gibt, nur sei für verschiedene Leute eben verschiedenes wahr. Im Gegenteil, jede Seite setzt vielmehr die Wahrheit ihrer Tatsachenbehauptungen voraus und erklärt andere Behauptungen für falsch und ihre Vertreter für Lügner, Getäuschte oder sich Irrende.
Selbstverständlich macht es einen entscheidenden Unterschied, welche Seite Recht hat, insofern davon politische Handlungen abgeleitet werden (sollen). Aber für eine Diskussion nicht. Solange X den Y nicht von A überzeugen kann und Y den X nicht von B, spielt es keine Rolle, ob A oder B wahr ist oder gar C. Die Strittigkeit von Wahrheit ist gerade keine Folge eines angeblichen „Wahrheitsrelativismus“, demzufolge auch einander widersprechende Wahrheitsansprüche berechtigt sein können. Denn wer „alles für wahr“ hielte (aber wer tut das schon?), hätte ja gar keinen Grund, mit anderen darüber zu streiten, was wahr ist.
Offensichtlich aber sind auch und gerade im Zeitalter des „Postfaktischen“ die Verkünder „alternativer Fakten“ eben nicht indifferent oder tolerant gegenüber anderen Überzeugungen, sondern vertreten, was sie für wahr halten oder zumindest als wahr ausgeben, mit großem Nachdruck und möchten alles Widersprechende zur Seite drängen und am liebsten zum Verstummen bringen. Ja, man darf annehmen, dass sie die von ihnen behaupteten „Fakten“ und „Wahrheiten“ vor allem oder ausschließlich deshalb vorbringen. Also nicht weil es ihnen darum geht, was wahr oder falsch geht, sondern weil sie Tatsachen schaffen wollen, die ihnen genehm sind.
Was das mit Foucault, Derrida e tutti quanti zu tun haben soll, wissen viele zu sagen, aber keiner hat dafür noch irgendeinen glaubwürdigen Nachweis erbracht. Mit der „Postmoderne“ stellt man vielmehr einen beliebten Strohmann auf, der an allem schuld sein soll, was einem nicht in den Kram passt. Man erfindet bedenkenlos etwas, was angeblich der und der gesagt oder doch gemeint oder was ein diffuser „Ismus“ hervorgebracht habe. Eine konkrete Auseinandersetzung mit den faktischen Texten erspart man sich, weil sie einfach nicht die gewünschten Ergebnisse erbringen könnte (außer durch gezielte Fehllektüre und Missinterpretation). Warum? Vermutlich scheut man einfach das, was die als „postmodern“ verschrienen Autoren und Autorinnen wirklich zu sagen haben, weil man es manches in Frage stellte, von dem man nicht wahrhaben will, dass man keine guten Argumente dafür hat.