Sonntag, 26. Februar 2023

Rezeptionsgeschichte

Sofern man schreibt, um gelesen zu werden, macht man Erfahrungen mit Lesern. Ich schreibe immer schon, wenn auch lange Zeit selten, und  seit gut dreißig Jahren werden meine Texte (allgemein zugänglich) veröffentlicht. Meine Erfahrungen lauten, zusammengefasst:
Die meisten lesen nicht, was du geschrieben hast, sondern was sie, aus welchen Gründen auch immer, annehmen, dass du geschrieben hättest. Sie erheben gegen deinen Text Einwände, die du darin schon vorweggenommen und (aus deiner Sicht) widerlegt hast. Sie kritisieren dich für etwas, was du nicht geschrieben hast. Sie beanstanden das Fehlen von etwas, was du durchaus geschrieben hast. Und sie (vor allem die, die selbst nichts veröffentlichen) können dir immer recht genau sagen, was du statt dessen, was du geschrieben hast, hättest schreiben sollen.
Das alles passiert einem nicht zuletzt dann, wenn man so schreibt, dass man es den Lesern überlässt,  was sie davon zu halten haben, und auf kritisches Denken hofft.
Gewiss, es gibt Schreibende, die tun das nicht, die schreiben so, dass  sie ihre Leser gleichsam am Ring in der Nase durch die Manege führen, sie appellieren an Affekte, manipulieren Gedanken, drücken die richtigen Knöpfe und erreichen so die Zustimmung, an der sie verdienen (wollen). Niemals überfordern sie ihre Leser. Kritisches Denken fordern sie weder ein noch fördern sie es.
Das kann ich nicht, will ich nicht, werde ich nicht. 
Darum beklage mich auch nicht, ich will es ja so, wie es ist, jedenfalls was mein Schreiben betrifft, und was das Lesen der anderen betrifft, so ist es eben, so lesen sie, ich kann daran nichts ändern, ich wüsste nicht wie. Ich wünschte, es verhielte sich anders. bedaure das Missverhältnis, aber es ist, wie es ist und kann wohl gar nicht anders sein.
Also werden die allermeisten, die mich überhaupt lesen, weiter an meinen Texten vorbeilesen und  sie nicht so würdigen, wie sie es (aus meiner Sicht) verdienen. Ich will ja nichts Geringeres, als die Leben der Lesenden zu verändern, und daran scheitere ich, wie nicht anders zu erwarten. Denn genau die Bedingungen (des Lebens und auch des Lesens) gegen die ich anschreibe, bedingen ja, dass sie so gelesen werden, wie sie gelesen werden, nämlich unzureichend. Mag sein, dass auch meine Texte in mancherlei Hinsicht unzureichend, aber so unzureichend, wie sie gelesen werden, sind sie jedenfalls nicht.
Warum trotzdem schreiben und veröffentlichen? Weil da ja vielleicht doch irgendwann irgendwo einer ist oder ganz wenige sind, die lesen, was da steht, und denken: Das wurde für mich geschrieben. Das habe ich gebraucht. Ich muss mein Leben ändern.
Das wäre zu schön, um wahr zu werden. Aber versuchen muss ich es.

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