Mittwoch, 25. März 2020

Notiz über Staat und Gesundheit

Das staatliche (oder private, vom Staat reglementierte) Gesundheitssystem ist eine wunderbare Einrichtung, wenn es funktioniert, in reichen Ländern naturgemäß besser als in armen, denn es rettet Leben, und das ist gut so, aber auch dann, wenn alle Teile der Bevölkerung einigermaßen gleichen Zugang zu Behandlung und Medikamenten haben, ohne sich gleich maßlos verschulden zu müssen, bleibt der Staat, der das fördert, ein Staat und ist als solcher böse. Zweck des modernen Staates ist die Sicherstellung von Ausbeutung, Zerstörung und Verdummung, das Reicherwerden der Reichen und das In-Schach-Halten der Armen. In den Gesellschaften des globalen Nordwestens wird dazu die Mittelschicht mit dem Zuckerbrot des relativen Wohlstandes und der Peitsche von Abstiegsangst und Sinnlosigkeit gefügig gemacht. Hedonistischer Konsumismus und individualistischer Konformismus gehören zusammen. Der Staat ist also, klassisch formuliert, nach wie vor ein Instrument der Klassenherrschaft. Manche profitieren von ihm. Viele nicht. Moralisch gesehen niemand.
Trotzdem gibt es, gerade in der Krise, Leute, die dem Staat unbedingt vertrauen und von ihm Rettung erwarten. Was dieselben Politiker, die sich sonst als Schwätzer und leicht zu korrumpierende Handlanger von Wirtschaftssinteressen erweisen, plötzlich zu klugen Ratgebern und legitimen Bestimmern über Tun und Lassen machen soll, ist freilich unerfindlich.
Seid solidarisch und bleibt zu Hause“, fordert der Staat. Dass das paradox ist, fällt sogar einer Frau Merkel auf. Ohnehin klingt es obszön, wenn eine Politikerin, die sonst Tag für Tag die Entsolidarisierung und Segmentierung der Gesellschaft vorantreibt, von „Solidarität“ spricht.
Die Verminderung von Sozialkontakten soll Leben retten, glauben viele. Das ist Unsinn. Es geht darum, die Zahl der Neuinfektionen langsamer ansteigen zu lassen: die berühmte „Abflachung der Kurve“. Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod sind Zahlen, die sich zu einer Statistik (von nlat. status „der Stand, der Staat“) fügen, die, als Diagramm anschaulich gemacht, die Realität weniger abbildet als vorgibt. Die absoluten Zahlen der Infektionen und Toten bleiben in diesem Modell gleich. Es wird also keineswegs, wie das Gerede besagt, „das Virus gestoppt“, noch werden „Leben gerettet“. Es geht nur darum, die Zahl derer, die in Krankenhäusern behandelt werden, auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, weil ansonsten womöglich die Kapazitäten an Personal, Betten und Geräten nicht ausreichen. Dann sterben Menschen voraussichtlich nicht wegen der Pandemie, sondern wegen des überlasteten Gesundheitssystems.
Der Staat „schützt“ also niemanden vor dem Virus und dem Tod durch Erkrankung ― zumal es kein Heilmittel gibt, die Behandlung in den Krankenhäusern also allenfalls Symptome lindern und das Sterben, wenn es denn ansteht, hinauszögern kann. Er will nur vor den zusätzlichen Toten „schützen“, die das von ihm unterhaltene Gesundheitssystem produziert. Zu Recht weisen Kritiker darauf hin, dass die neoliberale Logik, wonach Krankenhäuser Betriebe sind, die Profit erwirtschaften müssen, erst zu einer Ausdünnung und Unterbezahlung des ärztlichen und pflegerischen Personals geführt hat, die sich nun, in der „Krise“ rächt.

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