Dienstag, 30. April 2019

Bevölkerungsaustausch

100 + 1 = 101. Das sollte man in der Schule vorm zehnten Lebensjahr mal gelernt haben. Die Rechten aber rechnen: 100 + 1 = 1, weil die 100 gegen die 1 „ausgetauscht“ wird …

Samstag, 20. April 2019

Glosse LXXII

Wenn man lesen muss, dass jemand zur Beerdigung seiner verstorbenen Mutter reist, dann möchte man anmerken, dass zur Beerdigung der noch quicklebendigen Mutter anzureisen ja wohl auch reichlich pietätlos (und zudem hoffentlich vergeblich) wäre.

Sonntag, 14. April 2019

Christ oder nicht

Es gibt Menschen, die haben noch nie etwas vom Evangelium Jesu Christi gehört. Oder nichts Richtiges. Es gibt Menschen, die hängen einer bestimmten Religion an und können oder wollen sich darum nicht entschließen, Christus nachzufolgen. All das ist bedauerlich, aber verständlich. Es gibt aber auch Menschen, die haben sehr wohl von Jesus Christus gehört und praktizieren auch keine Religion, die sie davon abhielte, die Lehren des Evangeliums zu hören und seinen Geboten zu folgen, ja, sie sind vielleicht sogar getauft und haben noch dazu Religionsunterricht erhalten, einen wie guten oder schlechten auch immer, aber trotzdem erklären diese Leute, sie könnten mit dem Christentum nichts anfangen oder seien sogar dagegen. Das ist zwar vielleicht erklärbar, aber unverzeihlich.
Gewiss täte die Kirche gut daran, die Schuld dafür zunächst und vor allem bei sich selbst zu suchen. Die Schuld dafür, dass unter Christen und in „christlich geprägter Kultur“ aufgewachsene Christen de facto gar keine Christen sind und auch keine sein wollen. Gläubige Christen könnten ohne Abstrich übernehmen, was Protestanten 1945 über ihr Verhältnis zum und ihr Verhalten im Nationalsozialismus formulierten („Stuttgarter Schuldbekenntnis“): „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Die Gemeinschaft der Jünger Jesu Christi muss sich nämlich fragen: Warum glaubt man uns nicht? Warum ist, was wir sagen, nicht verbindlich? Warum unser Tun und Lassen nicht vorbildlich? Warum ist es nicht attraktiv, Christ zu sein? Warum interessieren sich die Leute nicht für die Vergebung der Sünden und das ewige Leben? Warum sind sie gelangweilt und abgestoßen? Was sollen wir tun?
Die Kirche als hierarchisch geordnete Gemeinschaft der Gläubigen muss sich also fragen: Was für ein Vorbild sind wir? Folgen wir Christus nach? Treten wir immer und überall für das Evangelium ein? Erlebt man auch als Außen- und Fernstehender, dass wir unseren Nächsten lieben und Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit unserem ganzen Denken und mit unserer ganzen Kraft? Glauben wir wirklich, was glaube zu sollen wir behaupten? Halten wir uns an die Gebote, die wir als von Gott gegeben betrachten? Halten wir uns an die Gebote, die wir uns selbst gegeben haben? Oder sind wir nur ein Traditionsverein mit schwindender Kraft und mehr oder minder sinnlos gewordenen Riten? Macht es einen Unterschied, ob man Christ ist oder nicht? Gehen wir miteinander wir Brüder um? Erkennt man an unserer Freude, unserem Enthusiasmus, unserer Demut, unserer Weisheit, das wir Erlöste sind?
Gott hat die Welt geschaffen und erhält sie. Die Menschen haben sich von Gott abgewandt und in ihren Sünden verloren. Gott ist Mensch geworden, um sie zu befreien. Der Menschensohn starb am Kreuz und erstand von den Toten auf. Damit sind Tod und Sünde überwunden. Christus ging zum Vater und wird wiederkommen, um die Leben und die Toten zu richten. In der Zwischenzeit sind das Evangelium und die Heil wirkenden Sakramente der Kirche anvertraut, um die Menschen zu Gott zu führen — und in der Gemeinschaft mit Gott zu halten. Wenn sie das nicht leistet, hat sie versagt.
Auf der anderen Seite ist jeder Mensch, Erbsünde hin oder her, für sich selbst verantwortlich. Wenn man ihm schon anbietet, frei zu werden, der Sündenverstrickung zu entkommen und die ewige Seligkeit geschenkt zu bekommen, dann sollte er das vernünftigerweise auch annehmen. Oder wenigstens verantwortbare Gründe vorbringen, warum er es nicht tut. Also mehr als ein: Laaangweilig! Ich mag nicht. Mir gibt das nichts. Aber die Kreuzzüge. Aber die Inquisition. Aber der Kindesmissbrauch. Ich lasse mir keine Vorschriften machen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich brauche keine Kirche, ich bin spirituell. Lauter Scheißdreck.
Jeder einzelne Mensch muss sich vor Gott verantworten. Er wird gefragt (und gefragt werden): Liebst du mich? Kannst du das beweisen, hast du es bewiesen? „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“
Wer nicht gegen Gott ist, ist für ihn. (Das sind die, die noch nicht zur Wahrheit gelangt sind.) Wer nicht für Gott ist, ist gegen ihn. (Das sind die, die sich von der Wahrheit abgewandt haben.) Wer für Gott ist, den erwartet der Himmel, wer gegen Gott ist, der kommt in die Hölle. Das ist nicht Lohn und Strafe im buchhalterischen Sinne. Das ist einfach Folge der Entscheidungen des Menschen: Wer sich für das Gute entschieden hat, der wird es bekommen. Wer sich gegen das Gute entschieden hat, der wird es nicht bekommen. Es ist schlicht nicht zu verstehen, warum solch einfache Wahrheiten nicht jedem einleuchten und nicht jeder seine Konsequenzen daraus zieht. Und es ist, wie gesagt, unverzeihlich. Denn wer sich gegen das Verzeihen entscheidet, wird schon sehen, was er davon hat.

Donnerstag, 11. April 2019

Sollen ungeborene Kinder darauf getestet werden, ob bei ihnen mit Krankheit oder Behinderung zu rechnen ist?

Der Denkfehler der Heterosexuellen (und heteroiden Buchstabensternchen-Eltern): Dass ein Kind etwas sei, was man planen und herstellen müsse, nicht etwas, was man geschenkt bekommt. Dass es ein Recht auf Planungssicherheit und Qualitätskontrolle in der Produktion gebe. Ich wiederhole es gerne zum millionsten Mal (diesmal bitte mitschreiben!): Eltern haben gar keine Rechte (nämlich keine, die über jedermanns Rechte gegen jedermann hinausgingen), sondern nur Pflichten gegenüber ihrem Kind. Wer schnackselt (oder in vitro das Schnackseln imitieren lässt) und dabei zeugt und empfängt, wer austrägt und gebiert, hat unbedingte Verantwortung (was diesmal wirklich Rechtfertigungspflicht bedeutet, nicht Macht) gegenüber dem unmündigen Wesen, das ihm anvertraut ist, und zwar unter weitgehender Hintanstellung der eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Punkt. Basta. Nächste Debatte.

* * *

Auf die Nachfragen einer Leserin: „1. Was hat ‘heterosexuell’ damit zu tun? 2. Was ist heteroid mit Buchstabensternchen? 3 Sind nur jene Eltern gute Eltern, die alles immer und zu jeder Zeit richtig machen? Ist es nicht normaler, etwas weniger gottgleich zu sein?“ antworte ich:
1. Bienen und Blümchen. Mann, Frau, Hetero-Sex. Sonst keine Fortpflanzung. (Im Labor: Eizelle, Samenzelle, dieselben Geschlechter, nur andere Umstände.) Das Fortpflanzugsbegehren („Kinderwunsch“) ist a priori heterosexuell. 2a. Heteroid meint „den Heterosexuellen ähnlich“, also an das Ideal des Heterospießerehepaars mit 1,5 Kindern und Nestbau im bausparvertragfinanzierten Wohneigentum angepasst. 2b. Buchstabensternchen ist meine Schreibweise für LGBTIIQ*. 3. Gute Eltern verlangt ja gar keiner. Schon gar keine gottgleichen. (Vgl. Mt 23,9.) Nur vernünftige, respektvolle, nicht übergriffige und nicht von Macht („Verantwortung“) berauschte. Fehler machen ist nicht unanständig, die eigenen Bedürfnisse über die Rechte anderer Personen zu stellen, ist es schon. Vom Kind zu verlangen, gesund und normal zu sein, weil es sonst abgetrieben wird, ist böse.

* * *

Wer dagegen ist, dass Kinder mit Down-Syndrom im Mutterleib getötet werden sollte nicht gegen Bluttests auf Rezept sein, sondern gegen „Abtreibung“.

Sonntag, 7. April 2019

„Miet-Haie zu Fischstäbchen“

Was jammern die Leute immer über zu hohe Mieten? Sollen sie doch kaufen statt mieten.

Gegen Mietwahnsinn zu sein, heißt gegen die Rationalität des freien Marktes zu sein. Aber nur in diesem Punkt? Gegen Gentrifizierung zu sein heißt, dagegen zu sein, dass andere Leute mehr verdienen. Was denn nun? Kapitalismus oder nicht? Mietbremsen, Verstaatlichung, Wohnzuschüsse etc. laufen darauf hinaus: Wir lassen uns gerne weiter ausbeuten, wenn Vater Stadt uns bloß komfortable vier Wände gewährt.

Es gibt genug bezahlbaren Wohnraum. Jeder Wohnraum ist bezahlbar, wenn man genug Geld hat. Es geht also in Wahrheit um das Verhältnis von Einkommen oder Vermögen und Miet- und Kaufpreisen. Statt niedriger Mieten könnte man ja auch mal hohe Einkommen fordern.

Was soll das heißen, im Grundgesetz steht was von Enteignung? Da steht auch was von unantastbarer Würde des Menschen drin. Na und?

Sozialisierung sei mit der Sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, sagt einer. Ha! Wusste ich es doch! Kapitalismus ist asozial, egal, wie man ihn nennt.

Sie werden es noch dahin bringen, dass Artikel 14* des Grundgesetzes geändert werden muss. Wegen versuchter Inanspruchnahme. Wie damals Artikel 16a**.



* Art. 14 (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
** Art 16a. (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. [Spätere Zusätze:] (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. (3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird. (4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen. (5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

À propos Erlösung

In einem sozialen Netzwerk schrieb einmal einer: „Erlösung ist ein menschliches Bedürfnis, das man eben nicht der Religion überlassen sollte. (Sage ich als durchaus auch religiöser Mensch). Erlösung ist die Erlösung von, wie Freud sagte, gewöhnlichem Unglück oder auch neurotischem Elend. Es ist das ‘pursuit of happiness’. Damit man am Ende sagen kann: ‘Es war genug, drum nimm, oh Herr, nun meine Seele.’ (Elias-Oratorium) Erlösung ist es, wenn man mit seinen Bedürfnissen gesehen und verstanden wird. Sozialdemokraten müssen hier die säkulare Variante liefern.“ („Luitpolt Sylvester“)
Das klingt beinahe gut, ist aber falsch. Bei Erlösung geht es um etwas anderes. Durchaus um Bedürftigkeit, aber eben um Erlösungsbedürftigkeit. Was heißt das?
Der Mensch ist sündig und lebt unter der Herrschaft der Sünde. Mit anderen Worten: Er tut, was er nicht soll, und lässt, was er tun sollte. Das hat Folgen, für ihn und andere. Und zwar keine guten. Auch das böse Tun und Lassen der anderen hat für ihn Folgen. Ebenfalls keine guten. Auch wenn der Einzelne in aller (persönlichen) Unschuld zur Welt kommt, haben andere längst vor ihm gesündigt, er erbt also von Anfang an die Schulden, die im Lauf der Zeit angehäuft wurden und sich sozusagen verzinst haben. Man könnte auch von Strukturen, Institutionen, Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten reden. Diese übergroße Schuld macht den Menschen von Anfang an zum Schuldner (gegenüber Gott, aber auch seinen Mitschuldnern). Ohne Gottes Gnade wäre er deshalb zum Guten gar nicht fähig, weder es zu erkennen, noch es zu tun, denn die Sünden lasten auf ihm, schwächen ihn und hindern ihn daran, sich Gottes unwiderstehlicher Gnade zu überlassen.
An dieser Stelle nun bietet das Christentum, eine Erzählung, die, wiewohl strikt als Historie zu verstehen, der großartigste Mythos aller Zeiten ist: Um Mensch und Gott zu versöhnen und die Herrschaft der Sünde zu brechen, wird Gott selbst Mensch. Der Sohn Gottes, in allem (außer der Sünde) ein Mensch und zugleich ganz und gar Gott, liefert sich dem sündigen Treiben der Menschen aus, sie verurteilen ihn, den völlig Unschuldigen, und töten ihn. Gott, der Unveränderliche, stirbt nicht, aber der Menschensohn, der ganz Mensch und ganz Gott ist, ist sterblich. Doch das ist nicht das letzte Wort der Geschichte: Jesus Christus besiegt den Tod und steht von den Toten auf. Später fährt er zum Himmel auf, der Sohn kehrt zum Vater zurück, verspricht aber, wiederzukommen und am Ende der Zeiten Gericht zu halten. Die, die Gutes getan und Böses gelassen haben, werden zu ihm in den Himmel kommen, die Bösen in die Hölle. Wahnsinnsstory, oder?
Das Evangelium Jesu ist demnach nicht einfach eine besonders radikale Ethik, auch wenn es das unbedingt auch ist. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und behandle jeden so, wie du von ihm behandelt werden möchtest, das ist zwar das wichtigste Gebot und die Goldene Regel, also die Grundlage alles ethisch richtigen Verhaltens. Aber Jesus setzt richtiges Verhalten und das Tun von Gottes Willen gleich und fordert: Liebe Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Nur indem der Mensch Gottes Dasein bejaht, sich ihm zuwendet und sich ihm überlässt, in allem Gottes Willen tun will, also die Königsherrschaft Gottes verwirklichen, kann er Gutes tun und Böses lassen. Auf sich allein gestellt, kann er das nicht, weil er, siehe oben, sündig ist und ein Sklave der Sünde.
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, heißt es bei Erich Kästner. Das ist richtig. Aber ohne Gottes Gnade kann niemand Gutes tun. Wenn es darum im Matthäusevangelium heißt: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? (…) Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Und andererseits: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht. (…) Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Dann also geht es offensichtlich um mehr als ein Sozialprogramm, um die Stillung irdischer Bedürfnisse, dann es geht um die letzen Dinge, um Ewiges.
Denn selbst wenn es den Menschen irgendwann endlich doch gelänge — was unwahrscheinlich ist, aber möglich —, ein Zusammenleben zu gestalten, durch das niemand hungert und dürstet, jeder Kleidung und Obdach hat, jeder bei Krankheit, Unfall und Alter umsorgt wird, niemand einsam sein muss, jeder Zugang zu Bildung und Unterhaltung hat, wenn es also mit einem Wort gelänge, die Grundbedürfnisse zu befriedigen und allen Glück zu ermöglichen, dann wäre damit immer noch nicht das Wesentliche erreicht. Denn immer noch würden die Menschen zum Bösen neigen, immer noch gäbe es Leid und Tod. Und das Leiden und Sterben der Früheren wäre ja auch nicht erledigt und ohne Bedeutung.
Hier kommt nun die Erlösung ins Spiel. Leider hat man aus „Erlösung“ ein Allerweltswort gemacht. „Erlösen“ soll (laut Online-Duden) so viel heißen wie frei machen, aus einer Notlage, von Schmerzen, innerer Bedrängnis, befreien, erretten. Dabei kann jemanden „von seinen Schmerzen erlösen“ sogar einfach bedeuten, ihn umzubringen. Erlösung gilt als besonders eindrucksvolle Rettung oder Befreiung. Das Christentum hingegen unterscheidet seit jeher sehr wohl den „Heiland“ oder Retter (sotér, salvator) vom „Erlöser“ (lytrotés, redemptor), obwohl beide Begriffe sich selbstverständlich auf ein und denselben Jesus Christus beziehen. „Erlösen“ heißt streng genommen nämlich „loskaufen“, „Lösegeld bezahlen“. (Der Online-Duden umschreibt „Erlös“ mit „beim Verkauf einer Sache oder für eine Dienstleistung eingenommener Geldbetrag“.)
Theologisch gesprochen: Durch seinen Sühnetod am Kreuz kaufte der Sohn Gottes die Menschen los von ihren Sünde. Er hat die Menschen ein für allemal befreit, indem er für ihre Schulden mit seinem Leben bezahlte. Mit seiner Auferstehung hat er die Macht der Sünde gebrochen und den Tod, die Folge der Sünde, überwunden. Damit ist der Weg frei für das ewige Leben. Auch für die schon Gestorbenen. Auch sie sind erlöst. Auch ihnen steht der Himmel offen.
Warum aber machen dann die Menschen, sogar die getauften, dann meist einen so wenig erlösten Eindruck? Warum geht es noch so sündig zu in der Welt? War der Tod Gottes etwa umsonst?
Tatsache ist, der Mensch muss die Erlösung annehmen, um an ihr vollen Anteil zu haben. Wer so handelt, als wäre er unfrei, ist unfrei. Erst indem der Mensch umkehrt, sein Kreuz auf sich nimmt und Christus nachfolgt, also Gottes Willen tut, wird er fähig zur Heiligkeit, also zu einem Leben ohne Sünde. Dazu gelangen die wenigsten. Viele wollen es erst gar nicht versuchen. Einige aber doch, nur sind die meisten von uns zu schwach dafür, nämlich nicht zuletzt auch zu schwach dafür, sich der Stärke des Höchsten zu überlassen. Aber versuchen sollte man es. Jeden Tag neu. (Dann werden auch die irdischen Bedürfnisse sehr relativ und Gevatter Tod verliert seinen Schrecken.)