Mittwoch, 4. September 2013

Muttis mörderische Lügen

Frau Merkel, Deutschlands Regierungschefin, hat der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) ein Interview gegeben, in dem sie unter anderem gefragt wird. „Die erste Reise des Papstes führte ihn nach Lampedusa, wo er Europa zu mehr Hilfe für die Bootsflüchtlinge aufrief. Ist die Kritik berechtigt und die Asylpraxis zu restriktiv?“
Merkels Antwort: „Die Worte und die Gesten des Papstes auf Lampedusa waren sehr berührend angesichts der Dramen, die sich leider immer wieder auf dem Meer vor dieser Insel abspielen. In Deutschland gilt für das Asylrecht der ebenso einfache wie klare Satz unseres Grundgesetzes: ‘Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.’ Dieser Satz ist ein klares Bekenntnis. Seit 1953 wurden in Deutschland 3,7 Millionen Erst- und Folgeanträge gestellt. Jeder einzelne Antragsteller bekommt ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Darüber hinaus nimmt Deutschland aus humanitären Gründen auch Flüchtlinge aus Drittstaaten auf. So haben wir als einziges europäisches Land angekündigt, 5.000 weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das gemeinsame europäische Asylsystem gewährleistet, dass Verfolgte nicht in Gefahrensituationen zurückgeschickt werden. Es garantiert Asylbewerbern und Menschen, die internationalen Schutz genießen, innerhalb der EU anständige Bedingungen.“
Viele Worte, knapper Sinn: Es ist alles in Ordnung, und weil Mutti regiert macht Deutschland nichts falsch. Die in der Frage der KNA nach dem Papstbesuch auf Lampedusa erwähnten Bootsflüchtlinge kommen in Merkels Nicht-Antwort nicht mehr vor. Irgendwelche maritimen Tragödien scheinen da im Mittelmeer stattzufinden, aber mit Politik hat das wohl nichts zu tun, schon gar nicht mit der von Merkel, Deutschland, der EU.
Merkel lügt. In Deutschland gilt bekanntlich nicht bloß der einfache Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, sondern auch noch der zweite bis fünfte Absatz desselben Gundgesetzartikels (Verhältnis des Textumfanges 1 : 50), durch die der „einfache Satz“ reichlich kompliziert und in Wahrheit massiv eingeschränkt wird.
Merkel lügt. Von „anständigen Bedingungen“ innerhalb der EU kann keine Rede sein. Vielmehr ist Unanständigkeit die Regel und „Abschreckung“ das erklärte Politikziel. Flüchtlinge — lassen wir das dumme Wort „Asylbewerber“ beiseite, Menschen auf der Flucht „bewerben“ sich nicht um Asyl, als wäre das ein Platz in einer Castingshow — sind Verfügungsmasse nationaler Politiken. Der Umgang mit ihnen ist permanente Entmündigung und Entwürdigung. Zunächst gilt jeder Flüchtling als Feind. Darum versucht man, das Schicksal der unerwünschten Eindringlinge gar nicht erst „innerhalb“ der EU zu entscheiden, sondern an den Außengrenzen. Der Papst besuchte auf Lampedusa einige Überlebende und gedachte der Nichtüberlebenden. Deren Tod ist kein von anonymen Mächten in Szene gesetztes „Drama“, sondern beabsichtigtes Resultat der mörderischen Abschottungspolitik der EU.
Merkel lügt. Keineswegs genießen schlechterdings alle politisch Verfolgten, die das anstreben, in Deutschland Asyl. In den (mitunter bitteren) Genuss von Asyl, Duldung oder sonstigen „Aufenthaltstiteln“ — das Vokabular verrät, das Nichtdeutsche zunächst einmal und grundsätzlich zu Unrecht in Deutschland sind — gelangt nur, wer es hierher geschafft hat und gegen den kein Rechtsmittel mehr angewandt werden kann, dass den Rechtsstaat nicht vollends zur Farce werden ließe. Politische Verfolgung wird dabei völlig willkürlich möglichst eng definiert und ausschließlich als Verfolgung im „Herkunftsland“ verstanden. „Wirtschaftsflüchtling“ ist ein Schimpfwort. Als ob Elend ein weniger guter Grund wäre, seine Heimat zu verlassen, als Folter und mangelnde Pressefreiheit. Als ob Unterernährung und das Fehlen von medizinischer Behandlung keine „Gefahrensituation“ wären, in die man nicht „zurückgeschich“ werden darf.
In Wahrheit sind auch und gerade die „Wirtschaftsflüchtlinge“ politisch Verfolgte. Gewiss gibt es auch jeweils einheimische Gründe, warum in einem Land Armut und Hunger, Seuchen und Krieg herrschen, aber entscheidend ist eine Weltwirtschaftsordnung, die solche Verhältnisse ermöglicht, begünstigt, erzwingt. Der Reichtum des Nordens hat den Armut des Südens zur Bedingung. Frau Merkel betont gern, dass es dank ihrer Politik vielen in Deutschland besser gehe als vor vier Jahren. Dass deutscher Wohlstand mit Not und Elend anderswo erkauft ist, erwähnt sie selbstverständlich nicht.
Wer in den Westen einwandern will, um den schlechten Lebensbedingungen zu Hause zu entkommen, verwirklicht im Grunde bloß sein Anrecht auf ein Stück vom Kuchen, der auf seine Kosten gebacken wird. Das will die europäische Politik nicht zulassen. Die restriktive und zum Teil letale Flüchtlingspolitik ist nicht nur unschön, traurig und rechtsverletzend, sie ist auch nur die kalkulierte Kehrseite der Weltwirtschaftspolitik. An den EU-Außengrenzen werden Feinde abgewehrt, die es gar nicht gäbe, wenn nicht außerhalb der EU systematisch Unrecht und Elend erzeugt würden.
Merkel lügt, wenn sie sagt: „… jede Gesellschaft ist auf ein Fundament grundlegender Werte und Normen angewiesen, das sich bei uns ganz wesentlich aus christlichen Wurzeln speist.“ Der einzige Wert, der Politikerinnen ihres Schalges interessiert und der tatsächlich den Kern des europäischen und globalen Projektes ausmacht, ist Profitmaximierung. Alles andere ist blenderisches Brimborium.
Merkel steht für eine Politik, die Menschen weiterhin unter unwürdigen, beschädigenden und tödlichen Bedingungen leben lässt, die ihre Flucht aus diesen Verhältnisse behindert oder zur Gefahr für Leib und Leben macht und die den Aufenthalt von denen, die es (vorübergehend) geschafft haben, so unangenehm wie gerade noch möglich gestaltet. So sichert diese Politik deutschen Wohlstand und dessen ungerechte Verteilung. Viele Menschen in Deutschland sind damit sehr zufrieden. Darum wird Merkels Partei gewählt werden und „Mutti“ mindestens vier weitere Jahre Regierungschefin bleiben.
Papst Franz damals auf Lampedusa. „Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an!“ Na, dann macht mal dein Kreuz, deutscher Wähler, deutsche Wählerin! Der liebe Gott sieht alles.

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