Sonntag, 2. Juni 2013

Deutschlands Verzählungen

Ene mene mink mank pink pank,
ene mene acke backe eia peia weg.
(Berliner Abzählreim)

Deutsche pflegen sich als Nationaleigenschaften gern Ordnungssinn, Sauberkeit und Gründlichkeit beizulegen. Mag ja alles sein (ich hab’ da auch andere Erfahrungen), aber mit dem Rechnen hapert’s offensichtlich. Nein, ich will nicht auf die PISA-Studie hinaus, nicht auf die Kosten der Elbphilharmonie oder des Stuttgarter Hauptbahnhofs und auch nicht auf den Eröffnungstermin des Flughafens „Willy Brandt“. Ich will in der jüngsten Wunde bohren.
Zeit für ein Schiller-Zitat:  „Er zählt die Häupter seiner Lieben. Und sieh! es fehlt kein teures Haupt!“ Doch der Dichter irrt. Zumindest wenn „er“ der deutsche Staat ist und die Häupterzählung der Mikrozensus 2011. Dann fehlt da nämlich, gegenüber den vorausgegangen Schätzungen, sehr wohl so manches Haupt, ob es einem nun teuer ist oder nicht.
Nun gut, so richtig dramatisch ist eine Differenz von nicht einmal zwei Prozent eigentlich nicht. 80,2 statt 81,7 Millionen Einwohner. Kein Grund von Schrumpfung zu konfabulieren. Zum Vergleich: In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten Ost- und Westdeutschland zusammen zehn Millionen weniger Einwohner — und wirkten nicht gerade entvölkert; das kleindeutsche Reich (also heutige BRD plus Pommern, Schlesien, Ost- und Westpreußen) hatte nur 40 bis 65 Millionen Einwohner; und selbst das „großdeutsche“ Reich (inklusive Österreich und „Sudentenland“) schaffte 1939 (also vor dem Auswanderungsstopp und der Eroberung weiterer Gebiete) gerade mal 79,4 Millionen.
Zu wenig Deutsche gibt es also nicht. (Und mancher meint, zu wenige könne es gar nicht geben. Ich kommentiere das hier nicht.) Zumal der Mikronzensus die offizielle Schätzung vor allem bei den nichtdeutschen Staatsbürgern korrigierte: statt 7,3 Millionen gibt es wohl nur 6,2 Millionen davon in Deutschland. Von der Differenz zwischen Schätzung und Mikrozensus entfallen also fast drei Viertel auf Ausländer. Weniger Deutsche? Leider nein. (Vielleicht sind die fehlenden 400.000 Deutschen gerade alle auf Malle. Oder sie studieren Medizin in Österreich.)
Besonders verschätzt hat man sich übrigens ausgerechnet in Berlin. Die sich selbst gern als „pulsierende Metropole“ bezeichnende Stadt kommt nach dem Mikrozensus bloß auf 3.326.002 Einwohner statt auf die zuvor angenommenen dreieinhalb Millionen oder noch mehr. Über fünf Prozent Differenz! Da stehen jetzt wohl Rückzahlungen beim Länderfinanzausgleich an … Ob bewusst geschummelt wurde oder man sich einfach überschätzt hatte, ist schwer zu sagen.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die neue amtliche Einwohnerzahl Berlins (Stichtag 9. Mai 2011) sogar unter der Schätzung für das Jahr 2001 liegt, um immerhin über 160.000. Berlin wäre also geschrumpft (um fast zwei Prozent). Allerdings hätte Berlin selbst dann, wenn man nicht die Mikrozensuszahl, sondern die Phantasiezahl 3.501.872 der Stadtregierung zu Grunde legt, seit 2001 nur ein Wachstum von 3,35 Prozent geschafft. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum wuchs Wien — das man schwerlich „pulsierend“ nennen wird — von 1.550.123 Einwohnern auf 1.726.255, also um beachtliche 11,36 Prozent.
Aber was soll’s. Auf die Größe (oder das Wachstum) kommt’s nicht an. Bagdad hat 5,4 Millionen Einwohner, gilt aber (dem Quality of Life Ranking der Firma Mercer 2012 zu Folge) als die am wenigstens lebenswerte Metropole der Welt. Berlin erreicht immerhin Rang 16. Und Wien übrigens Platz eins.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen