Montag, 19. Juli 2010

Klassenkampfabstimmung

Schon der Name ist widerwärtig. „Wir wollen lernen.“ Wer denn? Die in der gleichnamigen Anti-Schulreforn-Initiative zusammengerotteten Eltern etwa? Doch wohl nicht, sondern die deren angeblichem Erziehungsrecht unterworfenen Kinder sollen ja was lernen. Die aber haben nichts mitzureden. In ihrem Namen schwatzen dafür die Eltern. Wissen alles besser als die Erziehungswissenschaftler, die seit langem nachgewiesen haben, dass die so nur in Deutschland (und Österreich) vorgenommene Selektion von ungefähr 10-Jährigen nach „Schultypen“ entwicklungspsychologischer Unsinn ist.
Aber die Selektion hat ja auch gar keinen pädagogischen Sinn, sondern einen sozialen. Gymansium, Realschule, Hauptschule haben zwar auch verschiedene Lehrpläne, aber vor allem haben ihre Zöglinge tendenziell andere familiäre Hintergründe. Allein schon, dass Kinder „mit Migrationshintergrund“ nahezu en bloc in die Hauptschulen abgeschoben werden (ohne dass durchwegs alle weniger gut Lernende sind), belegt, dass die Dreigliedrigkeit des Schulsystems, an der das Herz so vieler Eltern und Quasi-Eltern hängt, eine Klassenkampffunktion hat.
In der Freien und Hansestadt Hamburg wurde nun der staatliche Versuch, das gemeinsame Lernen in der Grundschule (dann Primarschule genannt) um wenigstens zwei Jahre zu verlängern, durch das Votum jedes fünften Stimmberechtigten abgeschmettert. Weil sich weniger als 70 Prozent an der Volksabstimmung beteiligten, war die Minderheit der Reformgegner nämlich plötzlich in der Mehrheit. Die große Zahl derer, um derentwillen die Reform Sinn gemacht hätte, blieb den Urnen fern oder war (Kinder, Ausländer) gar nicht stimmberechtigt. So haben sich die kinderhasserischen Klassenkämpfer also durchgesetzt.
Schule ist sowieso Quatsch, könnte mein prinzipieller Einwand lauten. Was dort gelernt erworben werden soll, sind ja nicht fachliches Wissen und fachliche Fähigkeiten, sondern Anpassungen an soziale Normen. Wie verhalte ich mich gegenüber Autoritäten? Wie in Gruppen mit ihrem Gruppenzwang? Wie drücke ich mich um mir Unangenehmes, wie verberge ich mein Unwissen, wie vertrödle ich sinnlos Zeit? Kurzum, wie passe ich mich den Gegebenheiten an und werde ein guter Untertan.
Dass in anderen Ländern, wo doch letztlich auch kapitalistischer Untertanengeist herrscht, das Bildungsssystem fünf, sechs, sieben oder noch mehr Jahre gemeinsamen, sozial unselektierten Lernens vorsieht (und dann zu einer weniger undurchlässigen „Gliedrigkeit“ führt als in Deutschland), ist kein Gegenargument. In Deutschland ist man einfach rigider im Umgang mit den den Pflichten seines Nächsten als in Italien oder Finnland. Der Nebenmensch muss in Schach gehalten werden, er ist ein potenzieller Feind. Also her mit einem Regelwerk, das Grenzen zu ziehen erlaubt. Und wenn es zugleich noch ein Klassenkampfinstrument ist, um so besser.
Übrigens könnte die Amtsmüdigkeit des Präsidenten des Semats und Ersten Bürgermeisters Ole von Beust auch damit zutun haben, dass er, dem in seiner knapp neunjährigen Amtszeit zuweilen nachgesagt wurde, er habe Hamburg weltoffener gemacht, im Grunde weiß, dass das nicht stimmt. Hamburg ist traditionell verbohrt und engstirnig. Der Volkswentscheid hat das bestätigt Die Doktrinäre haben sich gegen die Reformwilligen durchgesetzt. Aufs Kindeswohl wird geschissen, wenn es um Höheres geht, nämlich die gesellschaftliche Postion, die es zu erreichen oder zu bewahren geht. Schule ist schließlich nicht für die Kinder da, sondern für die Eltern. Basta!

Sonntag, 11. Juli 2010

Seibert macht weiter so

Steffen Seibert, bisher Moderator in der ZDF-Nachrichtensendung "heute", wird aber 11. August neuer Regierungssprecher der deutschen Bundesregierung. (Sein Vorgänger in dieser Funktion, Ulrich Wilhelm, wird Intendant des Bayerischen Rundfunks ...)
Seibert wird mit den Worten zitiert, für ihn sei das neue Amt eine faszinierende Aufgabe. Er wolle mit aller Kraft helfen, die Politik der Regierung Merkel den Bürgern zu vermitteln. Nun, etwas anderes hat er auch bisher nicht getan ...
Das ZDF ist für mich, wenn ich das einwerfen darf, einer dieser völlig überflüssigen Sender wie 9live oder Cubavision, nur dass er sein öffentlich-rechtliches Existenzrecht mit volksdümmlicher Musik und Übertragung von Boxkämpfen zu begründen versucht. Wären da nicht belanglos-unterhaltsame Samstasgkrimis wie "Wilsberg" oder "Ein starkes Team", ich schaltete ZDF überhaupt nie ein. Mit besonderer Umsicht vermeide ich jedenfalls alle dortigen"Nachrichtensendungen", weil ich die unangenehme Angewohnheit habe, bei Wahrheitsverdrehungen und erst recht bei blanken Lügen den Fernseher anzuschreien. Meine Umgebung aber schätzt dieses medienkritische Engagement nicht. Also schaue ich lieber nicht "heute", das meiner Meinung nach ebenso gut aus dem CDU-Hauptquartier wie vom Mainzer Lerchernberg gesendet werden könnte.
Wie auch immer. Seibert war schon bisher Merkels Sprachrohr, jetzt macht er eben anderswo weiter. Nur schade, dass er, bisher von den Gebührenzahler alimentiert, jetzt von den Steuerzahlern finanziert wird, statt, wie es sachlich richtig wäre, direkt aus irgendwelchen vielleicht noch bestehenden Schwarzgeldkonten der CDU bezahlt zu werden.

Freitag, 9. Juli 2010

Samstag, 3. Juli 2010

Die Kühle der Vernunft

Ich verstehe diese Leute nicht. Sitzen in ihren von hochsommerlichen Außentemperaturen aufgeheizten Zimmern und halten Fenstern und Türen fest geschlossen. Nur nichts aufmachen, sagen sie, da kommt Wärme herein. Was für ein Blödsinn! Damit sie nicht umkommen vor Hitze, schalten sie Ventilatoren und Klimaanlagen ein. Lieber verbrauchen sie Strom, als ihren Verstand zu gebrauchen … Gewiss, wenn es im Sommer drinnen kühler ist als draußen, kommt durchs geöffnete Fenster Wärme herein, so wie im Winter Kälte hereinkommt, wenn es drinnen wärmer ist als draußen. Da muss man eben bei sommerlicher Hitze nicht nur ein Fenster aufmachen, sondern mehrere, und Türen bei Bedarf auch! Zugluft ist nämlich niemals warm. Zugluft ist das beste Mittel, im Sommer Innenräume zu kühlen. Aber das wollen sie, so scheint es, nicht kapieren. Nur kein Fenster aufmachen, da kommt Wärme herein: Oh, aber ja doch, stimmt schon, Wärme kommt herein, aber auch durchs geschlossene Fenster, nämlich mit dem Licht durch die Scheiben, wenn diese nicht durch Vorhänge, Rollos, Jalousien, Fensterläden oder dergleichen abgedeckt sind.
Vor einiger Zeit sah ich im Fernsehen, wie sich Bewohner einer (ich glaube: persischen) Wüste in ihren Häusern Kühlung verschaffen, ganz ohne Strom. Sie haben hohe Türme am Haus, oben kommt der Wind herein, die Luft fällt nach unten (mir scheint, es war vom Fallwinden die Rede, aber ich bin kein Fachmann), kühlt sich ab, zirkuliert durchs ganze Haus, kühlt alle Räume und zieht wieder ab. Bewunderswert. So schlau sind die Leute im Norden und Westen nicht.
Ach, wenn sie doch auf ihren vielen Reisen etwas lernen wollten! In die persische Wüste kommen sie zwar wohl selten, aber doch oft in die Länder am Mittelmeer. Was tun die Leute dort bei Hitze? Sie halten das Licht draußen und lassen die Luft herein. Sie trinken übrigens auch nichts Kaltes, wenn ihnen heiß ist, sondern Warmes. (Wenn sie nicht schon nordwestlich degeneriert sind.) Kalte Getränke erfrischen zwar im Augenblick, aber dann reagiert der Körper auf die Kälte und heizt sich auf. Bei Heißgetränken geschieht das Gegenteil, der Körper kühlt sich ausgleichsweise ab. Also heißen Tee und nicht Eistee mit Eiswürfeln trinken, Ihr Idioten!
Sinnvolle Kühlung ist eine Frage der Vernunft. Gerade darum fällt sie den Leuten im Westen und Norden so schwer. Ich verstehe sie nicht. „Nur Hunde und Deutsche laufen in der Sonne“, soll (Georg Hermann zufolge, der das im „Etruskischen Spiegel“ behauptet) ein italienisches Sprichwort lauten. Nun, jeder wie er’s mag ...

Wulff & alle

Da ich mich nicht zurückhalte, wo ich etwas kritisierenswert finde, darf ich auch loben, wo es etwas zu loben gibt: Dass der frisch vereidigte deutsche Bundespräsident Christian Wulff in seiner Ansprache vor Bundestag und Bundesrat es sich ausdrücklich zum vordringlichen Ziel gesetzt hat, Brücken zu bauen, ist anerkennenswert: Mir ist es wichtig, Verbindungen zu schaffen: zwischen Jung und Alt, zwischen Menschen aus Ost und West, Einheimischen und Zugewanderten, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitslosen, Menschen mit und ohne Behinderung, sagte er.
Insbesondere die sogenannte „Integration“ von Menschen mit Herkunft hat Wulff sich zum Anliegen gemacht: Wann wird es bei uns endlich selbstverständlich sein, dass unabhängig von Herkunft und Wohlstand alle gleich gute Bildungschancen bekommen? Wann wird es selbstverständlich sein, dass alle Kinder, die hier groß werden, die deutsche Sprache beherrschen, auch die deutsche Sprache beherrschen? Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz heißt oder Krause?
Solche Fragen zu stelle, Antworten vorzuschlagen und auf antworten zu drängen, ist löblich. Politik ist damit noch nicht gemacht. Das ist ja aber auch nicht die Aufgabe eines Bundespräsidenten. Der soll bloß Reden schwingen. Und das wird, man merkt es schon, Wulff mit besonderem Bedacht tun. Seine norddeutsch-dröge Art wird dabei gut ankommen, weil man gerne glauben möchte, dass etwas, was so bedächtig daherkommt, auch wirklich durchdacht ist.
Ein Präsident aller in Deutschland lebenden Menschen wolle er sein, also nicht bloß aller Deutschen, soll Wulff auch gesagt haben. Und die Bevökerungs Deutschlands findet sich in diesem Präsidenten, glaubt man den Demoskopen, auch durchaus wieder. 84 Prozent finden Wulff sympathisch, allerdings halten ihn nur 74 Prozent für glaubwürdig — was eine bemerkenswerte Differenz ergibt, denn was heißt es, jemand Unglaubwürdigen für sympathisch zu halten? Jedenfalls vermuten 72 Prozent, Wulff werde ein guter Bundespräsident sein. Es glauben jetzt sogar 58 Prozent, dass der bessere Kandiadt gewählt worden sei, und das, obwohl die Demoskopen vor der Wahl doch versichert hatten, in der Bevölkerung gebe es eine Mehrheit für Gauck. Entweder passen die Leute schlicht ihre Überzeugungen den realen Verhältnissen rasch an. Oder man darf eben Umfragen nur trauen, wenn man ihre Ergebnisse selbst gefälscht hat.

Freitag, 2. Juli 2010

Mutti will weiter so

Dass sie ihren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt erst im dritten Anlauf ins Amt hieven konnte, ist für Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel ein Debakel und Menetekel. Darin sind sich fast alle einig, nur sie selbst sieht das nicht so. Ihr Kommentar zu den Peinlichen: Die Bundesregierung müsse jetzt ihre Arbeit machen. Mit anderen Worten: Weiter so! Bei Kohl hatte das geheißen, die Hunde bellten, aber die Karawane ziehe weiter. Doch das war noch pfälzischer Sinn für Poesie, den man von der staubtrockenen Uckermärkerin nicht erwarten darf.
Tatsächlich ist Merkel nach zehn Jahren als CDU-Chefin und nach fünf Jahren als Kanzlerin schon dort, wo sich Kohl erst in sechzehn Jahren Kanzlerschaft und sechsundzwanzig Jahren Parteivorsitz hinbewegte: in der totalen Stagnationsperiode. Ob sie freilich wirklich das Gewicht ihres Vorvorgängers aufbringt, alle Probleme einfach auszusitzen, wird sich erst zeigen. Doch wenn man beachtet, dass ihre Hüften immer breiter und ihre Blazer immer enger werden, steht Schlimmes zu befürchten.

Donnerstag, 1. Juli 2010

So, jetzt repräsentier’ mal schön

Ich glaube dem Mann sein Lächeln nicht. Das ist mein Problem, nicht seines, ich weiß. Ich kann da nichts beweisen, ich kann nur die Wirkung auf mich beschreiben. Das Lächeln sieht für mich aus wie sehr locker angeschraubt. Fest im Programm,. aber jederzeit durch eine andere Maske ersetzbar. Unpersönlich. Unecht. Geschauspielert, aber schlecht. Das Lächeln kommt nicht von innen, sondern aus dem Requisitenkoffer eines Berufspolitikers. Es ist ein Muss-Lächeln. Es wirkt nicht spontan, nicht herzlich, nicht freundlich, nur professionell. Und erinnert mich gerade damit an das unprofessionelle Schmierentheater der daily soaps. Halbwegs auswendig gelernt und übertrieben aufgesagt. So wirkt diese Lächeln auf mich.
Ich weiß nicht viel über den neu gewählten Bundespräsidenten, aber was ich weiß, bestätigt mir die Unechtheit seines Lächelns. In Osnabrück geboren, in Osnabrück aufgewachsen, in Osnabrück zur Schule gegangen, in Osnabrück studiert habend. Ein Anti-Nomade ohne jeden Binnenmigrations-Hintergrund. Gilt als katholisch, ist es aber nicht, sondern geschieden. Warum sollte man einem, der sein Eheversprechen („Treue in guten und in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet“) willkürlich gebrochen hat — wohl wissend, dass er damit Gott, vor dem er sein Versprechen abgegeben hatte, und die Kirche, die die Ehe segnete und deren Unauflöslichkeit zur Bedingung machte, an die eigene Brünstigkeit verriet —, warum sollte man so einem noch irgendein Versprechen glauben? Zum Beispiel seinen Amtseid, auch wenn dem er hundertmal ein „So wahr mir Gott helfe“ hinzufügt.
Das ist es! Das ist die am meisten treffende Bezeichnung für dieses Lächeln: Es ist heuchlerisch.
Nun, wie auch immer. Mutti Angela hat Klein-Christian zum Repräsentieren geschickt. Und ich bin sicher, das wird er, der Immerbrave, auch sehr gut machen. Repäsentativer für Deutschland als der neue Bundespräsident kann man ohnedies kaum sein. Langweilig, ideenlos, verkrampft, provinziell. So sind die Deutschen. Bei weitem nicht alle, keineswegs, aber viel zu viele. Die typischen halt. Und heuchlerisch sind viele, nämlich anderen gerne Vorschriften machend und deren Einhaltung penibel überwachend, sich selber aber gern Ausnahmen genehmigend.
À propos. Ein paar Stimmen haben ja, bevor Wulff ins Rennen geschickt wurde, die Käßmann als Bundespräsidentin vorgeschlagen. Nun, jemand aus Hannover mit professioneller Heuchelei-Erfahrung ist es ja auch geworden. Bloß ein Mann statt einer Frau und ein „Katholik“ statt einer Protestantin. Und statt des Gebissfletschens gibt es das angeschraubte Lächeln. Es hätte also noch viel schlimmer kommen können.
Aber auch besser. Und das ist das eigentlich Typische an dieser Wahl. Das repräsentiert Deutschland. Nicht, dass es anderswo unbedingt besser wäre. Aber könnte es hier (aus Ösi-Perspektive: dort) nicht auch mal anders sein? Anregender, visionärer, geschmeidiger, kosmopolitischer? Denn ein solches Deutschland, solche Deutschen gibt es ja auch. Aber sie standen nicht zur Wahl. Und wenn, wären sie nicht gewählt worden. Sie sind nämlich nicht repräsentativ. Schade. Dann eben der Typ aus Osnabrück. Der passt. Leider.