Montag, 27. Januar 2025

Zum 27. Januar 2025

Heute wird also landauf, landab wieder Gedenken gemacht, dass die Schwarte kracht. Der Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz ist ein verordneter Tag des Gedenkens an die millionenfache Entrechtung, Entwürdigung, Beraubung, Verschleppung, Folterung und Ermordung von Menschen mit der „Begründung“, sie seien Jüdinnen und Juden.
Ohne jeden Zweifel waren und sind die Verbrechen, deren Zusammenhang man mit Chiffren wie „Holocaust“ oder „Schoah“ zu benennen versucht, entsetzlich, menschenverachtend und ohne jede mögliche Rechtfertigung. Dass es sie gab, ist nicht nur historische Faktizität, sondern hat auch ethische, politische, metaphysische Dimensionen. Sich das Unvorstellbare vor Augen zu führen, gut darüber Bescheid zu wissen, das Leid zu betrauern und Grausamkeit und Gleichgültig zu verachten, dürfte für jeden, der auch nur ein Fünkchen menschlichen Anstands besitzt, eine nicht verhandelbare und unabschließbare Selbstverständlichkeit sein
Wie das aber kollektiv-institutionell zu verwirklichen ist, darüber kann man verschiedene Ansichten haben.
Das öffentliche Gedenken bei einschlägigen Veranstaltungen erschien mir immer schon fragwürdig. All die von staatstragendem Pathos triefenden Reden mit ihrer nachgereichten Traurigkeit und ihrer forsch zur Schau gestellter Empathie mit Toten (und deren vermeintlichen Erben) machen aus eine vorhersehbare Zirkusnummer namens „Vergangenheitsbewältigung“. Längst ist das Holocaust-Gedenken zum rhetorischen Ritual, zur abzuarbeitenden Politfolklore geworden, bedeutungschwer, aber inhaltsarm und folgenlos. Man nützt die Gelegenheit, sich am Grauen zu gruseln. Man suhlt sich in der Schuld der Früheren, um die eigene Überlegenheit umso unbefragter hinzustellen: Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir sind nicht mehr so. Nie wieder!
Da wird man doch fragen dürfen: Äh, wieso das denn?
Heißt es wirklich, faulige Äpfel mit zerfressenen Birnen zu verrechnen, wenn man darüber nachdenkt, ob eine Gesellschaft, die besessen ist von angeblichen „(Im-)Migrationsproblemen“ und bei jedem sich bietendem Anlass sogleich nach Deportationen, Schließung der Grenzen für Unbefugte und Einschränkungen des Asylrechts und Staatsbürgerschaftsentzug ruft, wirklich so ganz anders als eine Gesellschaft, die bereit war hinzunehmen (und in teilen sogar sehr dafür war), Mitbürger zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren, sie loszuwerden und ihr Schicksal mit Gleichgültigkeit, bürokratischer Effizienz oder gehorsamer Mordlust zu besiegeln?
Ist eine Gesellschaft, die das massenhaften Morden und Quälen und Erniedrigen von Palästinensern durch Israelis stillschweigenden hinnimmt (und heimlich unterstützt), jede allzu deutliche Kritik daran aber als „Antisemitismus“ zu diskreditieren, zu kriminalisieren und somit zum Verstummen zu bringen versucht, wirklich so anders als eine Gesellschaft, die selbst unmenschliche Verbrechen begeht?
Was hat all das Gedenken, Jahr für Jahr, bei unzähligen Gelegenheiten, was haben all die Reden, Symposien, Publikationen, Unterrichtseinheiten, Lagerbesuche, Tefaudokumentaionen und Spielfilme denn gebracht?
Diejenigen, die sich für ihren Staat ein „Existenzrecht“ aus den Verbrechen der Nazis herleiten, haben jedenfalls offensichtlich keine Probleme damit, sich ihrerseits brutal, grausam, unbarmherzig und unmenschlich gegenüber denen zu verhalten, die sie als nicht zu ihrer „Volksgemeinschaft“ gehörig betrachten. „Tod den Arabern!“ war schon seit langem eine Losung, die vom rechten Pöbel in Israel gebrüllt wurde, ohne dass sich die Unterstützer des Zionismus je daran gestört hätten.
Und in der BRD (oder Österreich)? Was hat all das Gedenken dort gebracht? Hätten die AfD (oder die FPÖ) noch mehr Stimmen und Stimmung ohne Jahrestage, Mahnreden, Gedenkfeiern, Stolpersteine und wiedererrichtete Synagogen? Wäre der Alltagsrassismus noch stärker?
Von den USA möchte ich an dieser Stelle aus Erschöpfung weitgehend schweigen dürfen. Dass Geschichtsvergessenheit, Dummheit, Ultrapatriotismus und böser Wille (zusammen mit der Gier mächtiger Lemuren) einen autoritären Clown zum zweiten Mal ins für die Welt gefährlichste politische Amt gespült haben, zeigt auch, wie sehr Wissen, Wissenkönnen und Wissenwollen auseinanderzutreten vermögen.
Darum: Ja zum geschichtlichen Wissen, zum Gedenken, zur Trauer, zur Verneinung der Unmenschlichkeit. Aber nicht in Formen, die die herrschenden Verhältnisse bekräftigen. Wer von den gegenwärtigen Verbrechen ― und den gegenwärtigen Verbrechern ― nicht offen reden will, braucht über die früheren Verbrechen nicht zu schwafeln. Das beleidigt die Opfer, die damaligen wie die heutigen, und alle, die auch heute gegen das Verbrechertum auftreten. 
 
Konstruktiver Vorschlag: Warum lässt man nicht Palästinenser und Uiguren und Rohingya und … den jeweiligen parlamentarischen Festakt zum 27. Januar gestalten?

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