Donnerstag, 31. Oktober 2024
Notiz zur Zeit (231)
Unterwegs (16)
Heute Nachmittag in Baden bei Wien. Gleich
als ich den Feinkost-Laden betrat, rief ich: „Bitte zweite Kassa
aufmachen!“ Niemand kann also sagen, ich hätte nicht rechtzeitig
einen Lösungsvorschlag gemacht. Für ein Problem, dass überhaupt erst noch
auftauchen sollte. Als ich dann nämlich eine Viertelstunde später zum Bezahlen anstand (mit einem Artikel) und die Schlange fünfzehn Meter
lang war. Es ging eine lange Weile nur schleppend voran. Schließlich waren dann aber nur noch drei oder
vier Leute vor mir. Da rief jemand vom Ende der Schlange her:
„Bitte zweite Kassa aufmachen!“ Ich rief zurück: „Jetzt ist
das auch nicht mehr nötig, ich bin gleich dran!“ ― Ich finde
mich lustig und beneide die Leute um das Gratis-Kabarett, das ich
ihnen biete. Leider sind die meisten meiner Mitmenschen offenkundig
humorlos oder begriffsstutzig oder beides. So wird das selbstverständlich nichts mit der Weltverbesserung.
Samstag, 19. Oktober 2024
Abgekürztes Gespräch über Ethik
„Und warum?“
„Wir können nicht ...“
„Halt! Da ist er schon, der entscheidender Denkfehler. Wer sind ‘wir’? Wieso gehören die Zuwanderer nicht dazu? Warum spielen deren Bedürfnisse und Wünsche keine Rolle?
Donnerstag, 17. Oktober 2024
Unterwegs (15)
In einer, denke ich mir, in der auch mutmaßliche Straftäter Rechte haben. Vielleicht ist der Beschuldigte reich oder seine Familie ist es. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Vertretung vor Gericht etwas kostet und reiche Angeklagte teure Anwälte haben können.
Und wir leben auch in einer Gesellschaft, sage ich mir, in der private Tragödien zur Unterhaltung des Pöbels nicht nur vor Gericht, sondern auch in „den Medien“ verhandelt werden. Bluttat, Drogen, schwuler Sex, was will man mehr, da kann man sich so schön gruseln und empören. Die Volksseele kocht vielleicht nicht über, aber sie wird auf hoher Temperatur gehalten.
Fast muss man froh sein, dass, wie ich später erfahren werde, der „Axtmörder“ Österreicher ist und sein Opfer Bulgare war ― und nicht etwa umgekehrt. Welche Empörungsorgie hätte sich dem Gelegenheitsrassismus sonst geboten! Übrigens muss die Zeitung mehr als eine Woche alt gewesen sein, als man mir heute daraus vorlas. Anscheinend hat nicht nur die Bahn zuweilen Verspätung, sondern auch das ausliegede Erregungspotenzial.
Dienstag, 15. Oktober 2024
Es ist nicht kompliziert und es ist sehr wohl Rassismus und Kolonialismus
Eva Illouz behauptet, es sei alles sehr kompliziert. Dabei gibt es kaum eine einfachere Geschichte als die: Der Zionismus forderte unter dem Slogan „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ von den imperialistischen Mächten einen jüdischen Nationalstaat, der sollte durch jüdische Einwanderung nach Palästina erzwungen werden, durch Verdrängung, Vertreibung und Ermordung der einheimischen Bevölkerung und durch Terrorakte.
Was ist daran kompliziert? Es ist schlicht eine Geschichte der Überheblichkeit, des rassistisch grundierten Nationalismus, des Kolonialismus und der Gewalt (bis hin zum Faschismus eines Jabotinsky). Und eine Geschichte des Unrechts, des Leides, des Widerstandes und des Gegenterrorismus.
Frau Illouz verdreht die Tatsachen. Der Zionismus sei antirassistisch gewesen, weil er doch Juden vor der Bedrohung und Verfolgung durch Rassismus zu schützen beabsichtigt habe. Letzteres stimmt zum Zeil (zum Teil wurden Bedrohung und Verfolgung, sogar die eliminatorischen Maßnahmen der Nazis, aber auch begrüßt, weil man sich davon mehr Einwanderung versprach), aber das Kriterium dafür, wer aus Sicht der Zionisten Jude und deshalb schutzberechtigt (und künftig mit staatsbürgerlichen recht auszustatten) war, war, um es vorsichtig zu sagen, „ethnisch“, man könnte auch sagen: „rassisch“: Es kam und kommt auf die Abstammung an, nicht auf die Religion (die freilich selbst wieder viel Wert auf Abstammung legt). Die Religion war den Zionisten sogar zuwider.
Zu sagen, der Zionismus sei nicht rassistisch, ist wie zu sagen, der Nazismus sei nicht rassistisch, schließlich habe er Deutsche vor den Juden schützen wollen … Es ist dieselbe „Argumentation“ wie die der rassistischen Rechtspopulisten: Wir haben nichts gegen Fremde, wie wollen nur unser Volk vor Überfremdung schützen, wenn die Fremden weg sind, stören sie uns gar nicht.
Frau Illouz behauptet auch, der Zionismus und sein Projekt eines rassereinen Nationalstaates (auf fremdem Territorium) sei keineswegs kolonialistisch gewesen. Schließlich seien die „frühen Siedler“ angetreten, um Landwirtschaft zu betreiben und die Beschäftigung arabischer Landarbeiter sei angelehnt worden. Die Shoah sei eine Ausformung des Kolonialismus und damit der jüdische Staat eine „plausible antikoloniale Antwort“.
Daran stimmt nichts. Ja, es gab (und gibt) landwirtschaftliche Kollektive, die berüchtigten Kibbuzim, und ja, es gab Stimmen gegen die Beschäftigung von Arabern in Landwirtschaft und Industrie. Einerseits wollte man, ähnlich wie die Nazi-Ideologen, Blut und Scholle zusammenbringen, also durch forcierte Bearbeitung des Bodens einen „neuen Juden“ erschaffen, der nichts mehr mit dem Klischee des mauschelnden und raffgierigen Geschäftemachers zu tun hatte, andererseits wollte man die Begegnungen jüdischer Minderheit und arabischer Mehrheit sehr gern sehr einschränken. Und schon gar nicht arabische Arbeiter auf die Idee kommen lassen, sie könnten ebenso wie jüdische Arbeiter Rechte, Gewerkschaften und Parteien haben.
Sehr früh schon wurden freilich sehr wohl Araber beschäftigt („ausgebeutet“ wie Illouz richtig sagt), übrigens auch in manchen Kibbuzim, und bis heute ist die Ausbeutung arabischer Arbeitskräfte (und zahlreicher nichtjüdischer Arbeitsmigranten aus anderen Ländern) eine wesentliche Grundlage der israelischen Volkswirtschaft. (Die freilich wegen der irrsinnigen Militärausgaben ziemlich marode ist und ganz am Tropf ausländischer Geldgeber hängt,)
Antikolonial ist daran nichts. Das zionistische Projekt ist eher das Musterbild einer Siedlungskolonie: gesteuerte Zuwanderung neuer Herren bei gleichzeitiger Unterdrückung der Eingeborenen. Aneignung des Landes, insbesondere der fruchtbaren Flächen, und deren intensive Ausbeutung, insbesondere für den Export.
Es stimmt auch nicht, dass die „Shoah“ eine „Ausformung des Kolonialismus“ war. Die millionenfache Entwürdigung, Entrechtung, Beraubung, Verfolgung, Verschleppung, Folterung und Ermordung von Menschen, die man als Juden und Jüdinnen klassifizierte, diente nicht den Gewinn von Territorien oder der Bevölkerungsverschiebung. Das unternahmen die Deutschen mit Polen, Ukrainern und Russen, in deren Gebieten die einheimische Bevölkerung versklavt und ermordet werden sollte (und zum Teil ja auch schon wurde), während man die Ansiedlung Deutscher in den „gereingten“ und gestohlenen Territorien plante. Welche Ähnlichkeit gibt es zwischen „Shoah“ und „Gewinnung von Lebensraum im Osten“? Keine. Welche zwischen deutscher Herrenmoral und Zionismus? Unzählige.
Angenommen, die nordamerikanischen Ureinwohner („Indianer“) hätten irgendwann die USA massenhaft verlassen und irgendwo, was weiß ich, sagen wir: auf Madagaskar einen eigenen Staat gegründet und zu diesem Zweck die dortige Bevölkerung verdrängt, bestohlen, unterdrückt, vertrieben und ermordet: Wäre das „antikolonial“ gewesen?
Das absurde Gerede von Eva Illouz findet bestimmt viele deutsche Liebhaber und Liebhaberinnen. Ja, es ist alles so schrecklich kompliziert! Beide Seiten! Die Israelis müssen sich doch verteidigen dürfen! Schließlich haben wir damals die Juden … Usw. usf. Lauter Unsinn. Der deutsche Völkermord rechtfertigt nicht den zionistischen. Unrecht bliebt Unrecht, auch wenn der Geschädigte sich wehrt und sei es mit unrechten Mitteln. Zionismus ist Rassismus und mörderischer Kolonialismus und war es von Anfang an. Israel ist ein rassistischer Terrorstaat und darf keine Zukunft haben.
Samstag, 12. Oktober 2024
Notiz zur Zeit (230)
Sonntag, 6. Oktober 2024
Wahlen und wie man sie deutet
Man könnte also sagen, dass etwa 77,8% der Wahlberechtigten und 71,2% der Wähler und Wählerinnen die FPÖ nicht gewählt haben und diese 68,9% der Bevölkerung parlamentarisch nicht vertritt.
Trotzdem ist allenthalben von einem „Wahlsieg“ der FPÖ die Rede. Und davon, dass jetzt deren Regierungsbeteiligung anstehe. Wieso eigentlich?
Das liegt auch, wenngleich wohl nicht nur, an der Art und Weise, wie in „den Medien“ berichtet und kommentiert wird. Selbstverständlich ist es für die Journaille viel interessanter, zu plärren: „Die FPÖ hat die Wahl gewonnen.“ Als nüchtern zu analysieren: „Die anderen Parteien haben dreimal so viel Stimmen wie die FPÖ bekommen.“
Manche Bürgerinnen und Bürger sind vom Wahlausgang erschreckt und geben sich empört. Dabei haben Umfragen genau den „Erfolg“ der FPÖ vorhergesagt, der eingetreten ist, zum Teil sogar einen noch größeren. Keine Überraschung also. Denn was hätte auch sonst passieren sollen?
Die Wahl ändert nichts. Oder nicht viel. Das Problem ist ja im Kern gar nicht die rechtspopulistische Partei mit ihren kräftigen Verbindungen zu Rechtsextremismus, sondern das Problem sind ihre Wählerinnen und Wähler. Wie ich nach der Wahl mit starker Zuspitzung sagte: „Österreich ist ein Land voller Nazis, und die sind auch dann Nazis, wenn sie nicht gerade Nazis wählen.“
Dass die Stimmung im Land deutlich rassistische, autoritäre, illiberale Züge trägt, ist Voraussetzung und Folge der allgemeinen Propaganda und der politischen Praxis der übrigen Parteien. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wäre sicher unangenehm, aber im Wesentlichen wird schon seit langem von den Regierenden das umgesetzt, was die FPÖ fordert: eine fremdenfeindliche, nationalistische, antisozial-neoliberale Politik. Es kann immer noch übler werden, das stimmt, aber weder die ÖVP oder die SPÖ noch auch, wie ihre Regierungstätigkeit gezeigt hat, die Grünen sind Garanten dafür, dass das nicht passiert. Sie haben dem weder programmatisch noch mental etwas Relevantes entgegenzusetzen.