In
Thüringen verstehen sie was von Würsten. Von Bier nicht. Jetzt
versteh ich Nietzsche besser.
Den
Jammer-Ossi gibt es wirklich. Ich bin ihm begegnet. Mehrfach. Als
Männchen und Weibchen. Schlechte Laune als Grundhaltung zur Mitwelt.
Und am Dauerwinter des eigenen Missvergnügen muss ja jemand anderer
schuld sein. Ein Beispiel von vielen: Der Führer im Romantikerhaus
zu Jena, der seiner Gruppe erlärte, nach der Wende sei er an der
Universität entlassen worden, von 30 Professoren seien 29 aus dem
Westen gekommen, er habe dann statt Studenten unwillige Schüler am
Gymnasium unterrichten müssen – und das alles zusammenfasste in
der Wendung „Das war ein ganz schöner Knacks in meiner
Biographie“. Das Ressentiment derer, die brav und angepasst gewesen
waren und das Pech hatten, dass ihr geliebter Unrechtsstaat
implodierte.
Jammer-Ossi.
Beispiel 2. Bei dem Taxifahrer, von dem ich am ersten Abend in Weimar
vom Bahnhof zum Hotel gefahren worden war, und der mir in breitestem
„Thüringsch“ erklärt hatte, ich könne mal froh sein, dass er noch
vorbeigekommen sei, eigentlich habe er schon nach Hause fahren
wollen, stieg ich am nächsten Abend an derselben Stelle zufällig
wieder ein. Wieder breitester Dialekt, erst nach zweimaliger
Nachfrage verstand ich, dass er außer der Adresse, die ich ihm
gesagt hatte, auch das Hotel erfragte. Er habe mich doch gestern
schon gefahren, sagte ich. Daran könne er sich nicht erinnern, sagte
er. Klar, er fährt jeden Abend einen Österreicher vom Bahnhof zum
Frauenplan. Durch hartnäckige Konversation, bei der er meinem Wiener
Charme zunächst immer mit „thüringscher“ Widerrede konterte,
gelang es mir, ihn etwas aufzutauen, bis er am Zielort sogar lachte.
– Was ist das nur für eine Haltung zu Beruf, Kunde, Leben, erst
einmal schlecht gelaunt im eigenen Saft zu schmoren? So konnte das mit
dem Sozialismus nix werden: Hamwa nich, jibt es nich, kommt ooch nich
rein. Ich hätte gern gefragt, ob’s in der DDR auch Taxen gab,
fürchtete mich aber vorm Affekt der möglichen Antworten: So'n
bourgeoisen Kram hatten wir hier früher nicht. Oder: Was denken Sie
denn, dass wir wie Affen auf den Bäumken hockten?
Jammer-Ossi. Beispiel
3. Dem Taxifahrer, der mich in Jena vom Bahnhof zur Oberlauengasse
brachte, stand am Rand des Marktplatzes ein Lieferwagen etwas im
Wege. Männer, die nicht blond und blauäugig waren, luden dort etwas
aus oder ein. „Diese Kuruzzen überall!“, brüllte der Taxler. Na
hören Sie mal, sagte ich, was sind denn das für Ausdrücke. „Wieso,
kann man doch sagen, das Wort gibt's doch …“ Stimmt, aber
außerhalb von historischen Darstellungen der antihansburgischen
Aufstände des 17. Jahrhunderts war es mir noch nie begegnet. Schon
gar nicht als Synonym für Kümmeltürken, Kameltreiber oder andere
rassistische Beschimpfungen. Von Thüringen lernen, heißt brutal
granteln lernen.
Und dann
war da noch die (nicht-thüringische) Frau, die im Frühstücksraum
von ihrem Bekannten Karim erzählte, einem syrischen Flüchtling, der
einmal seinen Bruder in Dresden besucht habe und spaßeshalber bei
einer PEGIDA-Demo unerkannt mitmarschiert sei. „Es war ihm ein
innerer Reichsparteitag.“ – Deutsche, achtet auf eure Redewendungen!
Einer der
sympathischsten und faszinierendsten Thüringer, die mir in Weimar
begegneten, war unser Führer durch die Gedenkstätte Buchenwald. Ein
rüstiger Rentner, der anschaulich und nachdrücklich sprach, sich
nur selten wiederholte und mit Bedacht versuchte, die Besucher
einzubeziehen. Als er einmal erzählte, er habe als Kind Männer in
Schlafanzügen auf dem Feld Kartoffeln klauben sehen und seinem Vater
davon berichtet, der ihn aufklärte, die „Schlafanzüge“ seien
Kazettkleidung gewesen, wurde mir abrupt klar, dass der Guide etwa 80
Jahre alt sein musste (etwas jünger als meine Eltern!) und dass das
Grauen nicht in ferner Vergangenheit stattfand, sondern gleichsam
gestern.
Über die
Oberlippenbärte hab ich noch gar nichts gesagt. Davon sind mir in
Thüringen einige begegnet. Viele. Zu viele. Vor allem bei Männern.
Ich will nicht gleich von Schnäuzern sprechen, aber von ostentativem Bartwuchs zwischen Nase und Oberlippe. Das ist sooo
ossimäßig. Na ja, darum wohl.
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